Predigt zu Richter 13 im Gottesdienst der Kirchengemeinde Kandern

Irmgard Schwaetzer, Präses der Synode der EKD

Es gilt das gesprochene Wort

Liebe Gemeinde,

Simson ist der Superheld des Richterbuches, der Israel von den Philistern befreien soll. Gott hat ihm Kräfte gegeben, die die normaler Menschen weit übersteigen. Um sie zu behalten darf er unter anderem seine Haare nicht schneiden. Doch Simson hat auch Schwächen: er ist impulsiv und verführbar. Die Philisterin Delila wird ihm zum Verhängnis. Sie verrät das Geheimnis seiner Stärke und so schneiden seine Gegner ihm die Haare und nehmen ihn fest. Die Geschichte von Simson endet mit seinem Tod. Aber schon lange vor seiner Geburt hat Gott etwas vor mit Simson:

Und die Israeliten taten wiederum, was dem Herrn missfiel, und der Herr gab sie in die Hände der Philister vierzig Jahre. Es war aber ein Mann aus Zora vom Geschlecht der Daniter, mit Namen Manoach, und seine Frau war unfruchtbar und hatte keine Kinder. Und der Engel des Herrn erschien der Frau und sprach zu ihr: Siehe, du bist unfruchtbar und hast keine Kinder, aber du wirst schwanger werden und einen Sohn gebären. So hüte dich nun, dass du nicht Wein oder starkes Getränk trinkst und nichts Unreines isst; denn du wirst schwanger werden und einen Sohn gebären, dem kein Schermesser aufs Haupt kommen soll. Denn der Knabe wird ein Geweihter Gottes sein von Mutterleibe an; und er wird anfangen, Israel zu erretten aus der Hand der Philister.

Soweit der Anfang der Geschichte. Der Engel des Herrn kündigt der zukünftigen Mutter die Geburt Simsons an. Über seine Mutter ist wenig bekannt. In der Geschichte bekommt sie nicht einmal einen Namen. Nachdem ihr der Engel erschienen war, macht sich „die Frau“ auf den Weg zu ihrem Mann Manoach.

Da kam die Frau und sagte es ihrem Mann und sprach: Es kam ein Mann Gottes zu mir, und seine Gestalt war anzusehen wie der Engel Gottes, zum Erschrecken, sodass ich ihn nicht fragte, woher er sei; und er sagte mir nicht, wie er hieß. Er sprach aber zu mir: Siehe, du wirst schwanger werden und einen Sohn gebären. So trinke nun keinen Wein oder starkes Getränk und iss nichts Unreines; denn der Knabe soll ein Geweihter Gottes sein von Mutterleibe an bis zum Tag seines Todes.

An der Stelle könnte die Ankündigung zu Ende sein. Doch Manoach hat noch Fragen und er hat Glück: Gott erhört Manoach und der Engel Gottes kommt wieder zu der Frau und wiederholt seine Anweisungen, nachdem die Frau ihren Mann herbeigeholt hat.

In dieser Geschichte wird sehr deutlich, dass Frauen für Gott gleichberechtige Gesprächspartnerinnen sind. Dafür gibt es auch viele andere Beispiele in der Bibel. Das bekannteste sind die Frauen am Grab, denen der Auferstandene Jesus vor allen Jüngern begegnet.

Das nach wie vor gängige Rollenbild in der evangelischen Kirche vernachlässigt diesen Aspekt der gleichen Wertigkeit und Würde allerdings an manchen Stellen bis heute. In unserer Kirche sprechen Frauen von der Kanzel oder am Lesepult. Sie sind in Kirchenvorständen vertreten und ehrenamtlich deutlich aktiver als Männer. Aber es gibt auch Stellen, an denen Frauen still werden. Nämlich dann, wenn es um Leitungsaufgaben geht.

In der mittleren Leitungsebene sind im EKD-Durchschnitt weniger als ein Viertel Frauen aktiv, obwohl unter den Theologinnen und Theologen im aktiven Dienst der Anteil der Frauen bei mehr als einem Drittel liegt. Die Synode der EKD hat die Gründe dafür untersuchen lassen.

Ein Grund ist die schlechte Vereinbarkeit zwischen Familie und Beruf, ein anderer ist, dass es immer mehr Familien gibt, in denen zwei Berufsbiographien miteinander verbunden werden müssen. Aber eine Erkenntnis, die schwerer zu greifen aber sehr wirkmächtig ist, ist folgende: es gibt etwas, das die Studie „Gatekeeper“, also Torwächter nennt. An diesen Gatekeepern kommen Frauen nur mit hohem Aufwand vorbei. Das sind Personen, die schon lange in einem Leitungsamt sind, und die diejenigen fördern, die schon immer geleitet haben, nämlich Männer, die ihnen die Informationen weitergeben, die es braucht, um sich für die nächste Wahl in Stellung zu bringen. Das muss gar keine frauenfeindlichen Motive haben, oft aber ein Festhalten an alten Rollenbildern.

In unserer Geschichte geht es nicht um einen Job. Aber es geht um so etwas wie Macht. Der Bote Gottes überbringt eine wichtige Information und die Frau gibt sie an ihren Mann weiter. Sie wird also nicht zu einer Gatekeeperin, sondern zu einer, die Türen öffnet und andere einbezieht. Und das ist gut so, denn sie wird das Kind zusammen mit ihrem Mann großziehen müssen.

Genauso, wie wir in der Kirche gemeinsam das Wort Gottes weitergeben wollen. Deshalb ist die Verständigung über Grenzen von Geschlechtern und Traditionen hinweg wichtig, die Unterschiedlichkeiten als Stärken versteht. Nur so wird die Gemeinschaft stark, wie es dann auch in der Geschichte geschieht:

Manoach sprach zum Engel des Herrn: Wir möchten dich gern hierbehalten und dir ein Ziegenböcklein zurichten. Aber der Engel des Herrn antwortete Manoach: Wenn du mich auch hier hältst, so esse ich doch von deiner Speise nicht. Willst du aber ein Brandopfer bringen, so kannst du es dem Herrn opfern. Manoach aber wusste nicht, dass es der Engel des Herrn war.
Und Manoach sprach zum Engel des Herrn: Wie heißt du? Denn wir wollen dich ehren, wenn nun eintrifft, was du gesagt hast. Aber der Engel des Herrn sprach zu ihm: Warum fragst du nach meinem Namen, der doch wunderbar ist?
Da nahm Manoach ein Ziegenböcklein und Speisopfer und brachte es auf einem Felsen dem Herrn dar. Und Wunderbares geschah; Manoach aber und seine Frau sahen zu. Und als die Flamme aufloderte vom Altar gen Himmel, fuhr der Engel des Herrn auf in der Flamme des Altars. Als das Manoach und seine Frau sahen, fielen sie zur Erde auf ihr Angesicht.

„Wir möchten dich gern hierbehalten“, sagt Manoach zu dem Boten. An der Stelle beginnt Manoach zu verstehen: Gott ist bei uns. Gottes Wirken ist nicht nur irgendwie spürbar, Er ist in greifbarer Nähe. Das möchte er festhalten. Gott festhalten, wenn er sich schon mal blicken lässt. Das ist aber nur die eine Dimension von Begegnungen mit Gott. Bei der ersten Begegnung der Frau mit dem Boten ist sie erschrocken. Und als Manoach wirklich versteht, was gerade passiert, packt ihn die Angst:

Und der Engel des Herrn erschien Manoach und seiner Frau nicht mehr. Da erkannte Manoach, dass es der Engel des Herrn war, und sprach zu seiner Frau: Wir müssen des Todes sterben, weil wir Gott gesehen haben. Aber seine Frau antwortete ihm: Wenn es dem Herrn gefallen hätte, uns zu töten, so hätte er das Brandopfer und Speisopfer nicht angenommen von unsern Händen. Er hätte uns auch all das nicht sehen und jetzt nicht hören lassen.

Erkennen Gottes und Erschrecken liegen nahe zusammen. Aber gegen die Angst ihres Mannes setzt die Frau das Vertrauen in Gott, ihren Glauben gegen Angst und Kleinmut. Blicke ich zurück auf mein Leben, war mir Gott am nächsten, wenn ich ganz sicher war, dass etwas Bestimmtes getan werden musste, gegen die Mehrheit, gegen den Mainstream. Mut wird das oft genannt, aber es ist nichts anderes als das Vertrauen auf Gottes gnädige Hand.

Als Christinnen und Christen sind wir Zeuginnen und Zeugen dieser Begegnungen. Manche kennen wir aus den biblischen Texten, andere wurden uns erzählt, manche sind uns selbst passiert. Vielfalt in der Gestalt unserer Kirche, egal auf welcher Ebene sorgt dafür, dass das Zeugnis vielfältig weitergegeben werden kann.

Die Verheißung der Geschichte wird am Ende erfüllt:

Und die Frau gebar einen Sohn und nannte ihn Simson. Und der Knabe wuchs heran, und der Herr segnete ihn.

Amen