Predigt im Rundfunkgottesdienst in Offenbach am Glan - Kirchenkreis Sankt Wendel (Hiob 42, 10-17)
31. März 2002
„Woran denken Sie bei Ostern?“
liebe Gemeinde, hier in Offenbach am Glan und zu Hause an den Radiogeräten. Gesehen haben Sie die Plakate und Anzeigen vielleicht schon - mit den Wolken, dem blauen Himmel und dem Vogel im Wind. Die Evangelische Kirche in Deutschland will – mit leichtem Augenzwinkern – Fragen zur Diskussion stellen. „Woran denken Sie bei Ostern?“ Da kann man antworten wie bei Günther Jauch: a) an Ferien, b) an Cholesterin, c) an Jesu Auferstehung oder d) an Langeweile mit der Familie.
Bei Günther Jauch oder Jörg Pilawa könnte man mit der Frage vielleicht gerade mal 500 Euro verdienen. Klar, dass es um Jesu Auferstehung geht. Aber mit etwas Humor könnte man auch hinter den anderen Antworten „Ostern“ entdecken – wie es ist, aber nicht sein sollte.
Um Fragen geht es und darum, über diese Fragen ins Gespräch zu kommen. „Woran denken Sie bei Ostern?“ Eine Antwort, die mir zu dieser Frage einfällt, mag Sie verwundern. Mir fällt Hiob ein. Hiob? Der Dulder aus dem Alten Testament. Passt der nicht eher zu Karfreitag als zu Ostern?
Nun zunächst einmal passt er zu den Fragen, die Menschen sich und hoffentlich auch der Kirche stellen: Wie kann Gott das Leid zulassen? Wie komme ich zurecht mit Krankheit, Schmerz, Trennung und Sterben?
Hiob ist das Symbol des Menschen, der alle Tiefen des Leides durchlebt – und am Ende dem lebendigen Gott begegnet.
Hiob war ein frommer, gottesfürchtiger Mann. Er mied das Böse und war reich und wohlhabend. Das galt als Zeichen der Gnade Gottes. Dann aber verlor er alles: sein Vermögen, seine Kinder, sogar seine Gesundheit. Und landete auf einem Müllhaufen, von Kopf bis Fuß voller Geschwüre – und wusste nicht, warum ihm das zugestoßen war.
Freunde kamen und versuchten ihn zu trösten; sie wollten ihm wenigstens erklären, warum ihm all sein Unglück widerfahren war: Er solle es doch akzeptieren als Strafe für seine Schuld, denn für alles Leid müsse es doch eine Ursache und damit eine Erklärung geben. Hiob aber ließ sich darauf nicht ein. In all seinem Elend bestand er darauf: „Was mir geschehen ist, ist ungerecht.“ Das konnte Gott doch nicht wirklich gewollt haben.
Und Hiob klagt, aber eine Antwort erhält er nicht. Schließlich verstummt er, aber auch sein Schweigen ist eine einzige Klage.
Hiob ist ein Bild für uns Menschen im Angesicht des Todes.
Sie haben die Fernsehnachrichten aus Israel gesehen, mit den blutigen Leichen in den zerstörten Restaurants; mit den Panzern und den verzweifelten Menschen in ihren zerschossenen Häusern in Ramallah und Bethlehem.
Sie können sich wohl denken, warum Hiob zu Ostern 2002 in den Sinn kommt.
Aber gerade die Hiobgeschichte zeigt einen Weg, den einzigen, der aus der Verzweiflung herausführt.
Als Hiobs Freunde kein Argument mehr vorbringen, als Hiob nichts mehr bleibt als das klagende Schweigen und die Fürbitte für seine Freunde, da begegnet ihm Gott. Und Hiob erkennt, wer Gott ist: Der sich mit seinem Namen offenbart hat, der Ewige, der Schöpfer der Welt, jenseits all dessen, was wir Menschen fassen können.
Nelly Sachs hat ihr Gedicht über Hiob enden lassen mit Auferstehungshoffnung:
„Hiob, du hast alle Nachtwachen durchweint, aber einmal wird das Sternbild deines Blutes alle aufgehenden Sonnen erbleichen lassen.“
Mit dieser Hoffnung schließt das Hiobbuch. Sie spiegelt sich im poetisch-märchenhaften Ende der Geschichte von Hiob.
Ich lese aus dem Schlusskapitel:
„Und der HERR wandte das Geschick Hiobs, als er für seine Freunde Fürbitte tat. Und der HERR gab Hiob doppelt soviel, wie er gehabt hatte.
Und es kamen zu ihm alle seine Brüder und alle seine Schwestern und alle, die ihn früher gekannt hatten, und aßen mit ihm in seinem Hause und sprachen ihm zu und trösteten ihn über alles Unglück, das der HERR über ihn hatte kommen lassen. Und ein jeder gab ihm ein Goldstück und einen goldenen Ring.
Und der HERR segnete Hiob fortan mehr als einst, so daß er vierzehntausend Schafe kriegte und sechstausend Kamele und tausend Joch Rinder und tausend Eselinnen.
Und er bekam sieben Söhne und drei Töchter und nannte die erste Jemima (Täubchen), die zweite Kezia (Zimtblüte) und die dritte Keren-Happuch (Schminktöpfchen).
Und es gab keine so schönen Frauen im ganzen Lande wie die Töchter Hiobs. Und ihr Vater gab ihnen Erbteil unter ihren Brüdern.
Und Hiob lebte danach hundertundvierzig Jahre und sah Kinder und Kindeskinder bis in das vierte Glied.
Und Hiob starb alt und lebenssatt.“
Ein glückliches Ende, wie Märchen eben glücklich enden. Alle Fragen sind gelöst. Aller Not, allem Elend, folgt die Erlösung. Hier wird erzählt, so bildhaft prall, wie man im Orient Geschichten erzählt. Die Verwandten bringen Geschenke. Hiobs Glück vervielfacht sich, und er erhält doppelt so viel, wie er hatte: Vierzehntausend Schafe, sechstausend Kamele, tausend Joch Rinder und tausend Eselinnen. Sieben Söhne und drei Töchter bekommt er. Und diese Töchter erhalten duftende Namen: „Täubchen, Zimtblüte, Schminktöpfchen“, ganz närrische Zärtlichkeit spiegelt sich in den Namen.
Das glückliche Ende ist ein Bild; ein Zipfel des Geheimnisses lüftet sich. Das Bild beantwortet unsere Fragen nicht, aber es zeigt uns, in welcher Richtung wir die Antwort zu suchen haben. Jenseits unserer sichtbaren Welt ist eine Wirklichkeit, über die wir Menschen nur in Träumen, Bildern, Visionen zu stammeln wissen. Hiobs Geschichte, fasst unsere Fragen in Worte und zeigt: Es geht gut aus, die Verzweiflung hat nicht das letzte Wort.
Drei Züge der Hiob-Geschichte weisen über den Märchenrahmen hinaus, zeigen die Spuren eines neuen Weges.
Erstens: Freunde und Verwandte kommen und geben dem Elenden die Hilfe zu einem neuen Anfang, zur Bewältigung von Leid und Not. Segen ist kein Schlaraffentraum, sondern Frucht von Gemeinschaft. Er wird sich vervielfältigen. Wer Ohren hat zu hören, der höre!
Zweitens: Hiob bekommt drei Töchter. Schöner als alle anderen im Lande. Väter finden ihre Töchter immer schöner als alle anderen. Der Vater gibt ihnen Anteil am Erbe, gibt ihnen Land. Das ist ungewöhnlich bei Viehzüchtern damals. Es zeigt den neuen Wert der Frau. Hiob ist Gott begegnet und hat eine neue Erfahrung gemacht. Vermeintliche Stärke zählt bei Gott nicht, vermeintliche Schwäche ebenso wenig. Wie ja auch die Frauen als erste dem Auferstandenen begegnen. Es ist schon verwunderlich, wie hartnäckig die Männerherrschaft sich gegen die von Gott eröffnete Erfahrung der Geschwisterlichkeit sperrt. Aber die Bilder solcher Erfahrung werden sich einst vollenden.
Die dritte Lebensspur des neuen Weges: Hiob stirbt alt und lebenssatt! Das Wort ist uns vielleicht missverständlich, als habe Hiob das Leben satt. Vom Gegenteil redet die jüdische Überlieferung: Sie spricht davon, dass das Leben nicht im Überdruss endet, sondern in der Fülle. Sagen zu können:
- nun ist es genug,
- nun ist nichts mehr abgebrochen,
- nun ist nichts mehr unvollendet,
- nun muss die Zeit nicht mehr festgehalten werden,
- nun kann ich loslassen,
das ist Leben der Fülle. Gott schenke uns solches Leben und Sterben.
In diesen Spuren aus der Hiobserzählung ist die Osterbotschaft für uns heute abgebildet. Der Felsen vor der Tür des Grabes ist weggewälzt. Der Felsen der Hiobgeschichte war ein unerbittlich logisches Gottesbild: „Wenn du leidest, dann muss es einen Grund haben – und der liegt bei dir.“ Dieser dogmatische Zwang von Schuld und Strafe, von Verdienst und Lohn, diese Händlergesinnung zwischen Gott und Mensch, die liegt wie ein Felsen vor der wirklichen Begegnung mit Gott.
Immer wieder knechten Menschen sich so untereinander, mit ihrer Logik von Investition und Rendite, von Gewalt und Gegengewalt, von Leistung und Verdienst. Auch das eigene Lebensschicksal wird so bewertet: Habe ich das verdient? Geschieht mir nicht Unrecht?
Dieser Stein vom Grab des Todes ist weggewälzt. Gott lässt dem Geschöpf Freiheit und Verantwortung. Er wahrt die Freiheit seines Entwurfes. Er bleibt frei als Gott und lässt den Menschen frei sein. Frei zur Klage, frei zur Rebellion, frei zum Schweigen und frei zur neuen Erkenntnis.
Der Auferstandene erscheint den Seinen. Das Grab ist leer. „Seht, wo er gelegen hat“, sagen die Boten – „er ist nicht hier.“
Auch angesichts dieser Botschaft bleiben unser persönliches Geschick und die menschliche Geschichte voller Rätsel. Noch widersprechen die Wirklichkeiten der Welt der Botschaft vom Tod des Todes. Unsere Gräber sind nicht leer. Die grausame Erfahrung von Leiden geht weiter. Alles Bemühen um Sterbensvermeidung durch Entwicklung von Arzneien und Apparaten zur Linderung der Schmerzen und zur Verlängerung des Lebens vermögen zwar Leid zu lindern, aber wir müssen uns dessen bewusst bleiben: All die Anstrengungen, die dem Tod die Macht nehmen wollen - so nötig sie sind -, treiben uns gleichzeitig auch tiefer in die Überlebenskrisen unserer Zeit.
Immer wieder wird der Tod in das Leben hineinragen mit Abschied, Scheitern, Krankheit, Alter, Scheidung, Vertreibung, Hunger, Folter, Krieg, Terror.
In dieser Realität leben wir. In dieser Realität hören wir aber zugleich die Botschaft des Lebens: Mitten im Chaos sind wir geborgen in Gottes Hand.
Die Zeugen stammeln wie wir
- Hiob, den die Gottesbegegnung überwältigt,
- die Frauen am leeren Grab, die erschrocken davonlaufen,
- Maria Magdalena, die den Auferstandenen mit dem Gärtner verwechselt,
- Petrus und die anderen Jünger, die die Berichte der Frauen zunächst nicht glauben können.
Aber sie alle sind in ihrem Stammeln doch die Zeugen des Lebendigen. Kleine Glaubensspuren, wie Senfkörner so winzig, Störfaktoren unserer Konsumwelt und Spuren auf dem Weg zum Leben.
„Woran denken Sie bei Ostern?“ lautet die Frage zu Beginn. Mit der Gestalt des Hiob haben wir uns an diese Frage heran getastet. Die Frage bleibt wach und lebendig und lenkt uns den Weg zum Leben.
Der Friede Gottes ist höher als all unsere Vernunft. Er bewahre unsere Herzen und Sinne. In Christus Jesus, Amen