„Gemacht, um Leben zu vernichten“

Gespräch mit GKKE-Geschäftsführer Tim Kuschnerus zu Rüstungsexporten und Erwartungen an die neue Bundesregierung

Weltweite Waffenverkäufe nehmen zu, laut Friedensforschungsinstitut Sipri in Stockholm machen auch deutsche Unternehmen verstärkt Umsatz. Tim Kuschnerus, Leiter der Gemeinsamen Konferenz Kirche und Entwicklung (GKKE), spricht im zeitzeichen-Interview über dem Umgang der Bundesregierung mit deutschen Rüstungsexporten.

Attrappe einer Pistole vor dem Reichstagsgebäude in Berlin
Mit der Attrappe einer Pistole vor dem Reichstag in Berlin forderte 2013 die Aktion "Stoppt den Waffenhandel, Aufschrei Gegen den Export von Terror und Gewalt made in Germany" unter anderem ein Verbot des deutschen Waffenhandels.

Herr Kuschnerus, die GKKE fordert von der neuen Bundesregierung ein Rüstungsexportkontrollgesetz. Warum brauchen wir das?

Tim Kuschnerus: Die rechtliche Grundlage für Rüstungsexporte ist ein ziemlich kompliziertes Regelwerk. Grundlage sind das Außenwirtschaftsgesetz und das Kriegswaffenkontrollgesetz, die unterschiedliche Ziele verfolgen. Das eine will Außenwirtschaft fördern, das andere den Export von Kriegswaffen kontrollieren und zwar restriktiv. Beide Gesetze bieten aber nur unzureichende Kriterien für die Entscheidung, ob Waffen in ein bestimmtes Land exportiert werden dürfen. Die rot-grüne Bundesregierung hatte im Jahr 2000 die Politischen Grundsätze für Rüstungsexporte formuliert, die noch immer gelten. Danach dürfen zum Beispiel keine Waffen in Länder geliefert werden, die in bewaffnete Auseinandersetzungen verwickelt sind. Doch faktisch werden diese Grundsätze permanent unterlaufen. Deshalb fordern wir ein Gesetz, das rechtlich verbindliche Kriterien definiert, die dann auch nachprüfbar sind. Und die Transparenz muss weiter erhöht werden.

Warum kann die Bundesregierung denn immer wieder gegen ihre eigenen Grundsätze verstoßen?

Tim Kuschnerus: Die Entscheidungen über politisch sensible Rüstungsexporte fallen in dem geheim tagenden Bundessicherheitsrat. Ihm gehören neben der Bundeskanzlerin die Leitungen verschiedener Ministerien an. Dieses Gremium wurde in den Fünfzigerjahren von Bundeskanzler Konrad Adenauer eingesetzt und existiert noch nicht einmal in der Geschäftsordnung der Bundesregierung. Wenn der Bundessicherheitsrat hinter verschlossenen Türen zum Beispiel Panzerexporte nach Saudi-Arabien genehmigt, gibt es für das Parlament keine Möglichkeit, zeitnah über diese Entscheidungen zu debattieren. Die parlamentarische Kontrolle muss gestärkt werden.

In den Koalitionsverhandlungen konnte die SPD einen Stopp von Waffenlieferungen an die Länder durchsetzen, die am Krieg im Jemen beteiligt sind.

Kuschnerus: Es ist ein politischer Erfolg, dass ein entsprechender Satz im Koalitionsvertrag steht. Allerdings relativiert der dann folgende Satz diese Ankündigung. Er lautet: „Firmen erhalten Vertrauensschutz, sofern sie nachweisen, dass bereits genehmigte Lieferungen ausschließlich im Empfängerland verbleiben.“ Bereits erteilte Genehmigungen bleiben also bestehen, wenn etwa Saudi-Arabien zusichert, dass die Waffen nicht im Jemen eingesetzt werden. Aber kann man sich darauf verlassen? Wozu braucht Saudi-Arabien die Waffen denn? Saudi-Arabien führt dort nicht nur einen Krieg, sondern blockiert im Jemen Seehäfen und verhindert zivile Hilfslieferungen, auf die inzwischen 70 Prozent der Bevölkerung angewiesen sind.

Aber stimmt ein solcher Satz Sie dennoch zuversichtlich für die Rüstungsexportpolitik der neuen GroKo?

Kuschnerus: Dass in den Koalitionsverhandlungen über Rüstungsexporte diskutiert wurde, ist nur zu begrüßen, auch im Blick auf die Bekämpfung von Fluchtursachen. Im Koalitionsvertrag wird darauf hingewiesen, dass eine restriktive Rüstungsexportpolitik der Fluchtursachenbekämpfung dient. Das ist ein Fortschritt. Aber das Kernproblem aus Sicht der GKKE bleibt, dass wir in unserem Land zwar auf dem Papier über vergleichsweise restriktive Regularien zu Rüstungsexporten verfügen, aber die Praxis dem entgegenläuft. So sollen Waffenlieferungen in sogenannte Drittstaaten, also in Länder außerhalb von Nato und EU, lediglich in besonders begründeten Ausnahmen genehmigt werden. Faktisch wurden im Jahr 2016 Waffen und Rüstungstechnik im Wert von insgesamt knapp 3,7 Milliarden Euro für solche Länder genehmigt. Das entspricht 54 Prozent der Einzelausfuhrgenehmigungen. Die Ausnahme ist längst zur Regel geworden.

Die GKKE beobachtet die Rüstungsexporte schon seit langem und legt einen jährlichen Bericht vor. Immer wieder zählt Deutschland zu den wichtigsten Waffenexportnationen der Welt. Hat sich in den vergangenen Jahren überhaupt etwas gebessert?

Kuschnerus: Man muss anerkennen, dass Sigmar Gabriel als Bundeswirtschaftsminister mehr Transparenz hergestellt und die Debatte versachlicht hat. Der erste Rüstungsexportbericht der Bundesregierung, den er zu verantworten hatte, beginnt mit den Sätzen: „Rüstungsexporte sind kein Instrument der Wirtschaftspolitik. Sie sind ein Instrument der Sicherheitspolitik.“ Das ist wichtig, weil ja immer wieder auch das wirtschaftspolitische Argument der Arbeitsplätze in der deutschen Rüstungswirtschaft in die Waagschale geworfen wird, obwohl dies auch in den Politischen Grundsätzen ausdrücklich ausgeschlossen wird. Gabriel hat zudem den Bericht viel früher veröffentlicht als seine Vorgänger, die oft erst über ein Jahr nach den Genehmigungen berichteten. Damit hatte sich eine kontroverse öffentliche Debatte über problematische Genehmigungen im Parlament meist erledigt. Dann wurden in 2015 die Kleinwaffengrundsätze der Bundesregierung verabschiedet. Die Regierung hat außerdem begonnen, in einigen Fällen den Endverbleib der Waffen zu kontrollieren, also die Frage, ob die Waffen nach dem Export nicht unerlaubt weitergegeben wurden. Das alles sind erfreuliche Schritte in die richtige Richtung. Aber sie ändern nichts an dem grundsätzlichen Problem, dass die Waffenlieferungen in Drittstaaten weiter zugenommen haben.

Aber auch Waffenlieferungen an NATO-Partner können zum Problem werden, wie das Beispiel Türkei zeigt.

Kuschnerus: Den politischen Grundsätzen der Bundesregierung zu Folge dürfen keine Waffen an Krisenstaaten oder Länder geliefert werden, die in Kriegshandlungen verwickelt sind. Nun rollen aus Deutschland gelieferte Leopard-II-Panzer in Nordsyrien und gleichzeitig wurden die kurdischen Peschmerga im Nordirak mit panzerbrechenden Milan-Raketen aus Beständen der Bundeswehr ausgerüstet. Es ist – theoretisch – nicht auszuschließen, dass irgendwann Raketen aus deutscher Produktion gegen Panzer aus deutscher Produktion eingesetzt werden. Das ist eine absurde Situation und zeigt, dass Rüstungsgüter keine Fahrräder sind. Sie werden hergestellt, um Macht auszuüben und Leben zu vernichten. Der Handel mit ihnen entwickelt eine hohe Eigendynamik. Deshalb ist es wichtig, dass umfassende Transparenz und Kontrolle hergestellt werden. Das Parlament muss Rechenschaft einfordern und im Zweifel gegensteuern können. Und schließlich: Deutsche Außenpolitik muss sich am Primat des Zivilen orientieren. Wenn überhaupt, dürfen Rüstungsgüter nur in verantwortungsvoller Weise exportiert werden, als Instrumente, die dem Frieden dienen.

Das Gespräch führte Stephan Kosch (zeitzeichen) am 5. März.