Menschen mit Behinderungen kehren in Werkstätten zurück

Die Öffnung erfolgt überall in kleinen Schritten

Beschäftigte mit Mundschutz in der Briefmarkenstelle der Bodelschinghschen Stiftung in Bielefeld schneidet Briefmarken aus.

In der Briefmarkenstelle der v. Bodelschwighschen Stiftungen in Bielefeld können die ersten Beschäftigten seit 11. Mai wieder ihrer Arbeit nachgehen.

Bielefeld/Düsseldorf (epd). „Wann können wir endlich wieder arbeiten?“ Diese Frage bekam Gerlinde Woyna in den vergangenen Wochen von den behinderten Beschäftigten oft zu hören. Als Bereichsleiterin in den Werkstätten „proWerk“ der v. Bodelschwinghschen Stiftungen in Bielefeld-Bethel ist sie für die Strategie zum Neustart nach fast acht Wochen coronabedingter Schließung zuständig. Im Zuge der ersten Lockerungsmaßnahmen in Nordrhein-Westfalen nahmen die ersten Werkstätten am 11. Mai ihren Betrieb wieder auf, die übrigen folgen eine Woche später.

Zunächst Rückkehr eines Teils der Beschäftigten

In Bethel, das zu den größten diakonischen Werken Europas zählt, kehren vorerst rund 850 von 2.400 Menschen mit Behinderungen an ihre gewohnten Arbeitsplätze zurück. „Wir sind froh, für einen großen Teil der Beschäftigten ein Stück Normalität zu ermöglichen“, sagt Woyna. Viele hätten sehr unter der fehlenden Tagesstruktur und der sozialen Isolation gelitten. Von ihnen müsste aber eine große Zahl weiter in ihren Wohnbereichen beschäftigt werden: „Aufgrund der Abstandsregeln haben wir derzeit nicht genug Platz für alle.“

ProWerk“ richtet sich bei der Wiedereröffnung nach Vorgaben des Robert-Koch-Institutes (RKI) und des Bundesarbeitsministeriums: Abstand halten ist oberstes Gebot, Beschäftigte müssen sich regelmäßig die Hände desinfizieren, vor Arbeitsbeginn wird Fieber gemessen.

In den Werkstätten sind Laufwege markiert und, wo nötig, wurden Plexiglaswände zwischen den Arbeitsplätzen angebracht. Pausenzeiten habe man entzerrt, erläutert Woyna. Masken müssten Beschäftigte und Betreuungspersonal nur aufsetzen, wenn zum Beispiel der Abstand von 1,5 Metern aufgrund einer Pflegesituation nicht eingehalten werden könne.

Öffnung auch eine Frage des Platzes

Die Öffnung der Werkstätten erfolge überall in kleinen Schritten, betont Petra Welzel vom Diakonischen Werk Rheinland-Westfalen-Lippe. Dem Verband gehören 20 Werkstätten evangelischer Träger an, in denen rund 17.000 behinderte Menschen in Beschäftigung oder Ausbildung sind. Durchschnittlich ein Viertel der Belegschaft sei in der ersten Woche nach Aufhebung des Betretungsverbots erschienen, so die Referentin im Diakonie-Zentrum für Teilhabe, Inklusion und Pflege. In den kommenden Wochen wolle man die meisten Beschäftigten zurückholen. Das hänge unter anderem davon ab, wie viel Raum der einzelne Betrieb habe.

„Menschen mit stärkeren Einschränkungen, die die neuen Regeln nicht verstehen und das Abstandsgebot nicht einhalten können, werden in den Werkstätten zunächst noch nicht wieder arbeiten können“, macht Welzel deutlich. Für sie müssten individuelle Lösungen gefunden werden, was bedeuten könne, dass mehr Betreuung nötig sei.

“Wir setzen bei der Rückkehr an den Arbeitsplatz auch auf Freiwilligkeit“, sagt Welzel. Wer in der jetzigen Situation noch nicht wiederkommen will oder kann, bekomme dennoch sein Arbeitsentgelt, so die Referentin.

Bei den Diakonischen Werkstätten in Minden erschienen am vergangenen Montag 150 der 1.050 Beschäftigten wieder zum Dienst, berichtet Geschäftsbereichsleiter Mark Westermann von der Diakonie Stiftung Salem. Zwei Tage später seien es etwa doppelt so viele gewesen, nachdem auch der Fahrdienst wieder hätte starten können. 700 der Arbeitskräfte wohnen zu Hause.

Arbeitsangebote mussten neu organisiert werden

Vor dem Neustart habe man allen Beschäftigten ein zehnseitige Schutzkonzept in Leichter Sprache per Post zugeschickt, um sie auf die neue Situation am Arbeitsplatz vorzubereiten, erzählt Westermann. Davor habe ein Teil des Betreuungspersonals die Menschen zu Hause und in den Wohnheimen aufgesucht, um Arbeitsangebote neu zu organisieren. Noch sei offen, wie Personen mit erhöhtem Pflege- und Betreuungsbedarf wieder integriert werden können.

„Das Mitte März plötzlich verhängte Betretungsverbot für die Behindertenwerkstätten war für viele Beschäftigte ein Drama“, sagt Diakonie-Referentin Welzel. Sie halte die Maßnahme zwar gerechtfertigt, um die Corona-Infektionskette zu unterbrechen. Doch hätten auch Menschen mit Behinderungen ein Recht auf Teilhabe am Arbeitsleben: „Es ist gut, ihnen dieses Recht jetzt wieder zu gewähren.“

Thomas Krüger (epd)