Morgenandacht zur EKD-Synode 2017 in Bonn

Dr. Katja Lembke (EKD-Synodale)

Es gilt das gesprochene Wort

Wir feiern unsere Morgenandacht im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Ich ahne Menschenmögliches zwischen Menschen aller Rassen und Nationen, zwischen Menschen aller Generationen, zwischen Mann und Frau. Ich ahne Menschenmögliches im Unmöglichen, Menschenunmögliches als Mögliches unter dem Zuruf des Himmels.

Wir singen jetzt "An jedem neuen Morgen" nach der Melodie von "Du meine Seele singe". Wir haben eine papierfreie Andacht.

Lied: "An jedem neuen Morgen"

In den vergangenen Monaten habe ich oft an eine Zeit gedacht, die fast 20 Jahre zurückliegt. Die Nachrichten über die Befreiung von Rakka vor wenigen Wochen, ein Telefonat mit einer syrischen Freundin, die inzwischen in Kanada lebt, und ein Bild, das ich beim Aufräumen fand. Es zeigt fünf Frauen auf einer Bank, zwei Mütter mit ihren Säuglingen und ein kleines blondes Mädchen. Die Babys sind erst wenige Wochen alt und wurden beide in Syrien geboren. Das Kleinkind links ist meine Tochter Katharina, die damals knapp vier Jahre alt war. Die Frau rechts ist Hadiye, eine Beduinenfrau, die zu einem Clan gehört, der sich vor wenigen Jahren bei Rakka niedergelassen hatte. Das Bild stammt aus dem Jahre 1998 und ist für mich eine Erinnerung an glückliche Tage.

So nannte auch Agatha Christie ihr Buch über die Reisen nach Syrien an der Seite ihres Mannes, des Archäologen Max Mallowan, in den 30er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts, die durch den Zweiten Weltkrieg jäh unterbrochen wurden. Auch ich bin an der Seite eines Archäologen hier; denn mein Mann war Grabungsleiter in Resafah und ist der Fotograf dieses Bildes.

Wenn ich es heute betrachte, dann sind es nicht nur die Sorglosigkeit und die Unbekümmertheit, die mich berühren, es ist vor allem das Schicksal von Hadiye und ihrer Tochter. Resafah liegt nicht weit von Rakka, das Mitte 2013 vom sogenannten "Islamischen Staat" erobert und zur Kommandozentrale am mittleren Euphrat ausgebaut wurde. Resafah war aber bereits im 4. Jahrhundert ein bedeutendes christliches Pilgerzentrum, benannt nach dem Heiligen Sergios Sergiopolis. Im 8. Jahrhundert baute der osmanische Kalif Hischam eine große Moschee direkt an die Pilgerkirche, sodass der Schrein mit den Reliquien von Christen und Muslimen gleichzeitig verehrt werden konnte – ein Zeichen für die Koexistenz beider Religionen.

Bis zu diesem Sommer hatten sich Teile der terroristischen Miliz Daesch, hier besser bekannt als IS, in Resafah niedergelassen und die lokale Bevölkerung zur Kooperation gezwungen. Was das für Hadiye und ihre Tochter heißt, ist unklar. Zunächst herrscht Erleichterung wegen der Befreiung. Ein junges Mädchen von 15 Jahren und die Truppen des IS – man mag es sich nicht vorstellen.

Daneben das blonde Baby, das ganz andere Chancen hatte – auf Amrum von Pastor Keine auf den Namen Friederike getauft, Abitur in Hildesheim und schließlich im Reformationsjahr Freiwillige in Wittenberg. Ein Bild der Gleichheit, ein Bild der Entspannung, und doch ein Bild, das heute so trügerisch wirkt. Wie unterschiedlich standen die Chancen für die beiden Kinder!

Dennoch gibt es manchmal kleine Wunder. Ich sitze vor einigen Jahren in einem Flugzeug von Kairo nach Deutschland und komme mit dem Ägypter Sayed neben mir ins Gespräch. Sein Englisch ist hervorragend, und ich frage ihn, ob er in einer internationalen Schule war. Nein ist seine Antwort. Er stammt aus einem Dorf bei Luxor. Ein Dorf bei Luxor, das klingt nicht nach privilegierter Familie, nach einem Mitglied der militärischen Führungsschicht Ägyptens. Trotzdem hat er es geschafft, nach seiner Schulzeit in Luxor ein Stipendium für New York zu bekommen und arbeitet heute für die UNO. Von einem Dorf bei Luxor nach New York – etwas Krasseres kann ich mir kaum vorstellen. Aber das Beispiel zeigt, dass es immer wieder gelingt, Menschen eine Zukunft zu ermöglichen, die ihnen nicht in die Wiege gelegt wurde.

Chancengleichheit, meine Schwestern und Brüder, ist etwas, wofür ich mich jeden Tag einsetze. Was kann jede und jeder von uns tun, damit Menschen wie Hadiyes Tochter nach Abzug des IS ein gutes Leben führen, damit Menschen wie Sayed aus einem bildungsfernen Dorf bei Luxor an einer westlichen Universität studieren können, und – viel naheliegender – was können wir alle, jeder einzelne, tun, damit Menschen, die zu uns geflohen sind, eine Chance auf ein besseres Leben haben? Gemäß den Worten Jesu: "Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan."

Kehren wir noch einmal nach Syrien zurück und lauschen abschließend den wunderbaren Worten von Agatha Christie:

"Ich liebe dieses sanfte, fruchtbare Land und seine einfachen Bewohner, die zu lachen verstehen und das Leben genießen können; die mit Fröhlichkeit faul sind, Würde, Stil und gewaltig viel Humor besitzen und die den Tod nicht fürchten. Inschallah, ich werde wiederkommen, und was ich liebe, wird nicht untergehen auf dieser Erde.“

Amen.

Wir singen jetzt "Laudate omnes gentes", ein kleiner Besuch in Taizé

(EG 181.6)

Lasset uns beten.

Herr, wir bitten dich, gib uns Kraft für alle Entscheidungen, die heute zu treffen sind. Gib uns die Einsicht in das, was eine gute Saat ist, die aufgeht, wächst und gedeiht. Gib uns den Mut, unsere eigenen Interessen im Sinne aller zurückzustellen. Gib uns die Erkenntnis, für die zu sprechen, die keine Stimme haben. Gib uns Glauben, Liebe und Hoffnung, auf dass unsere Worte und Taten die Welt ein klein wenig zum Besseren verändern. Amen.

So begeben wir uns zusammen mit der gesamten Menschheit unter deinen Segen.

Der Herr segne dich und mache die Wege hell, die er dich führt. Er lasse dich deine Nähe spüren, wenn du dich ängstigst. Und öffne deine Augen und dein Herz für die Freude und für die Menschen, die er dir schenkt. – Amen.

Abschließend singen wir noch einmal ein Lied von Fritz Baltruweit.

(EG 630)