Evangelische Kirche will sich weiter politisch einmischen

EKD-Denkschrift bejaht Pluralismus - "Das rechte Wort zur rechten Zeit"

Berlin (epd). Die evangelische Kirche will sich weiterhin in die Politik einmischen. Kirchliche Beiträge zu zentralen gesellschaftlichen und politischen Herausforderungen dürften allerdings nicht beliebig sein, sondern müssten die evangelische Perspektive entfalten, empfiehlt die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) in einer neuen Denkschrift, die am Dienstag in Berlin vorgestellt wurde. Darin bejaht die EKD ausdrücklich die pluralistische Gesellschaft. Kirchenworte müssten künftig über die Medien besser vermittelt werden, heißt es.

Die EKD-Denkschrift "Das rechte Wort zur rechten Zeit" bilanziert den evangelischen Beitrag zum öffentlichen Dialog. Zugleich geht sie den Fragen nach, welche Kriterien für kirchliche Äußerungen gelten, wer ihre Adressaten sind und wer für Kirche spricht. Kirchliche Äußerungen wollten vom christlichen Glauben her das rechte Wort zur rechten Zeit sagen. Sie machten auf aktuelle und künftige Probleme aufmerksam, heißt es. Die Kirche müsse in ihren Wortmeldungen Anwalt der Armen, Schwachen und künftigen Generationen sein.

Das Evangelium habe "kulturelle, soziale und politische Kraft", stellen die Autoren fest. "Die Kirche Jesu Christi hat die Aufgabe, Verkündigung des Evangeliums, ethische Orientierung und entsprechende Praxis miteinander zu verbinden - in Wort und Tat." Damit nehme sie ihre Mitverantwortung für das Gemeinwesen wahr.

"Kirchliche Äußerungen ergreifen, wenn es nötig ist, Partei", hebt der EKD-Ratsvorsitzende Wolfgang Huber im Vorwort der neuen Denkschrift hervor. Bei Wortmeldungen der Kirche müsse allerdings "so klar wie möglich" zwischen seelsorgerlich-pastoralen und sozialethisch-politischen Stellungnahmen unterschieden werden, rät der Berliner Bischof.

Bisherige Formen kirchlichen Redens sollten ergänzt und der veränderten Medienlandschaft angepasst werden, heißt es in dem Dokument. Alles was in den Medien nicht auftauche, "findet in der breiten Öffentlichkeit nicht statt". Neue Formen wie Interviews, Talkshows, Thesenpapiere und "Zwischenbescheide" sollten deshalb intensiver genutzt werden, über die aktuelle kirchlich-ethische Debatte Auskunft zu geben.

Festhalten will die EKD am bewährten Instrument der Denkschriften als kirchliche Beiträge zur politischen Debatte. Deren Qualitätsanspruch und argumentativer Stil sollten nicht aus Rücksicht auf mediale Vermarktung aufgegeben werden. Aufgabe kirchlicher Denkschriften bleibe es, "Denkanstöße" zu geben. Allerdings gehöre zu jeder Denkschrift ein Kommunikationskonzept, um sie innerkirchlich und öffentlich leichter präsentieren zu können. So empfehlen die Autoren, Denkschriften durch kurze Texte zu ergänzen und sie besser als bisher in den Landeskirchen und Gemeinden zu vermitteln. Auch sollte die Chancen von Internet-Foren stärker genutzt werden.

Mit der sogenannten "Ost-Denkschrift" aus dem Jahr 1965, der Demokratie-Denkschrift von 1985, den Friedensdenkschriften von 1981 und 2007 sowie dem evangelisch-katholischen Sozialwort von 1997 hat die EKD Anstöße zu gesellschaftlichen Debatten gegeben. Die Denkschriften werden vorbereitet von Beratungsgremien, denen Wissenschaftler, Politiker, Theologen und Laien verschiedener Richtungen angehören. Die erste Denkschrift der EKD erschien 1962 und behandelte das Thema "Eigentumsbildung in sozialer Verantwortung". In der jüngsten Denkschrift vom vergangenen Juli ging es um "Unternehmerisches Handeln in evangelischer Perspektive".

09. September 2008

EKD-Pressemitteilung

Statement des EKD-Ratsvorsitzenden in der Pressekonferenz

EKD-Denkschrift "Das rechte Wort zur rechten Zeit" als pdf


Orientieren statt bevormunden

Evangelische Kirche will Profil bei öffentlicher Einmischung schärfen

Von Rainer Clos

Berlin (epd). Mit nahezu 30 Denkschriften hat sich die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) in den vergangenen vier Jahrzehnten zu gesellschaftspolitischen Fragen geäußert. Die Ausstoß anderer kirchlicher Texte - Kundgebungen, Impulspapiere, Orientierungshilfen, Beiträge und Handreichungen - dürfte sich bei rund 250 bewegen. Die erste Denkschrift der EKD erschien 1962 und behandelte "Eigentumsbildung in sozialer Verantwortung". In ihrer neuen Denkschrift "Das rechte Wort zur rechten Zeit", die am Dienstag in Berlin vorgestellt wurde, geht es darum, wie die Mediengesellschaft besser mit kirchlichen Botschaften erreicht werden kann.

Deutlichen Vorrang bei den kirchlichen Äußerungen haben sozialethische Themen. Bildung, Wissenschaft, Medien und Kultur kommen seltener vor und erst in jüngerer Zeit werden theologische und kirchliche Fragestellungen erörtert. Mit der sogenannten "Ost-Denkschrift" von 1965 erzielte die EKD eine außerordentliche politische Wirkung. Unter dem Titel "Die Lage der Vertriebenen und das Verhältnis des deutschen Volkes zu seinen östlichen Nachbarn" bereitete dieser Text den Boden für Entspannungspolitik. Auch die Demokratie-Denkschrift von 1985, die Friedensdenkschriften von 1981 und 2007 sowie das evangelisch-katholischen Sozialwort von 1997 beeinflussten maßgeblich gesellschaftliche Debatten.

In der zweiten "Denkschriften-Denkschrift", die am Dienstag präsentiert wurde, reflektiert die evangelische Kirche, welche Bedingungen heute für ihre öffentlichen Äußerungen gelten. Was ist der Auftrag der Kirche, welche Kriterien gelten für ihre Äußerungen und wer sind ihre Adressaten, sind einige Fragen, die in dem Text unter dem Titel "Das rechte Wort zur rechten Zeit" behandelt werden. Der Bezug auf den christlichen Glauben und der Sachverstand sind aus Sicht der Autoren weiterhin Essentials für öffentliches Reden der Kirche.

Öffentliche Äußerungen müssten zudem "pluralismusfähig" sein, mit den veränderten medialen Bedingungen kompetent umgehen und von Kommunikationsstrategien begleitet werden. Sperrige Texte wie die Denkschriften benötigten eine bessere Verpackung, um sie besser zu vermitteln. Ein andere Empfehlung lautet, bei kirchlichen Wortmeldungen an Bewährtem festzuhalten. Eine Kirche müsse sich nicht schämen, wenn sie "Altes und Vertrautes" sage, das unverändert gültig sei.

"Die Kirchen wollen nicht selbst Politik machen, sie wollen Politik möglich machen." Mit dieser Formel begründeten die beiden großen Kirchen in dem gemeinsamen "Sozialwort" ihre Aufsehen erregende Wortmeldung zur Wirtschafts- und Sozialpolitik in der Spätphase der Ära Kohl. An dieser Richtschnur hält die EKD fest: Die Kirche sei politischer Akteur, aber nicht Partei oder Interessengruppe, wird als Grenze markiert. In der pluralistischen Gesellschaft nehme sie durch Orientierung in Kontroversen ihre Mitverantwortung für das Gemeinwesen wahr.

Nicht alle Texte, die in den Beratungsgremien der evangelischen Kirche erarbeitet werden, sind Konsenspapiere. Ein Beispiel dafür ist der Beitrag "Im Geist der Liebe mit dem Leben umgehen" von 2002, der medizin- und bioethische Fragen erörtert. Aus unterschiedlichen Grundpositionen resultierten Differenzen hinsichtlich der Forschung an überzähligen Embryonen und der Gewinnung embryonaler Stammzellen. Manche Texte, die in den Kammer oder Kommissionen beraten werden, blieben unveröffentlicht, etwa ein Papier zum Umgang mit der PDS.

"Das öffentliche kirchliche Wort muss rarer werden, das verleiht ihm auch mehr Gewicht", empfahl vor einiger Zeit Kirchenamtspräsident Hermann Barth, der die Entstehung wichtiger EKD-Denkschriften maßgeblich begleitet hat. Die "Denkschriften-Denkschrift" greift dies auf. Kirche sollte sich "nicht zu allem und jedem äußern, oder in einer strittigen Frage grundsätzlich oder vorläufig auf eine Stellungnahme verzichten". Derart "gehaltvolles Schweigen", so heißt es weiter, könnte der "medialen Geschwätzigkeit kraftvolle Stille entgegensetzen".

09. September 2008



Evangelische Kirche will sich vernehmlich einmischen

Neue Denkschrift über kirchliche Äußerungen zu Politik und Gesellschaft (Zweite Zusammenfassung)

Berlin (epd). Die evangelische Kirche will sich weiter vernehmlich in die gesellschaftspolitischen Debatten einmischen. Um Menschen mit kirchlichen Botschaften zu erreichen, müssten die Möglichkeiten der Medien intensiver genutzt werden, heißt es in einer neuen Denkschrift der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), die der Ratsvorsitzende Wolfgang Huber am Dienstag in Berlin vorstellte.

Zugleich will die Kirche nicht von der bewährten Form ihrer Denkschriften Abschied nehmen. Diese eher sperrigen Texte dürften nicht der medialen Vermarktung geopfert werden. Allerdings müssten sie innerkirchlich und in der Öffentlichkeit leicht verständlich präsentiert werden. Die neue Denkschrift, die sich mit dem Öffentlichkeitsauftrag der Kirche befasst, trägt den Titel "Das rechte Wort zur rechten Zeit" und wurde unter der Leitung des Heidelberger Theologen Wilfried Härle erarbeitet.

Huber sagte, die Denkschrift rate der Kirche, von den Medien Gebrauch zu machen, sich aber nicht deren Mechanismen zu unterwerfen. Es gebe Themen, zu denen sich auch Kirchenvertreter kurz und mediengerecht äußern könnten, es gebe aber auch Themen, die dies unmöglich machten.

In der Denkschrift heißt es, die Kirche nehme durch Stellungnahmen und fundierte Äußerungen wie Denkschriften ihre Mitverantwortung für das Gemeinwesen wahr. Das Evangelium habe "kulturelle, soziale und politische Kraft", stellen die Autoren fest. "Die Kirche Jesu Christi hat die Aufgabe, Verkündigung des Evangeliums, ethische Orientierung und entsprechende Praxis miteinander zu verbinden - in Wort und Tat."

Die pluralistische Gesellschaft wird ausdrücklich bejaht. Die Kirche müsse mit ihren Äußerungen, wenn es nötig sei, Partei ergreifen. Umgekehrt müsse man in den Reaktionen auf kirchliche Äußerungen "Zuspitzungen akzeptieren und respektieren", sagte Huber. Sie böten häufig Gelegenheit, Zusammenhänge zu erläutern und Vergessenes in Erinnerung zu rufen.

Die Denkschrift empfiehlt, neue Formen der medialen Vermittlung zu nutzen. Seit der letzten Verständigung über den kirchlichen Öffentlichkeitsauftrag in den 70er Jahren habe sich die Medienlandschaft fundamental verändert. "Unsere Gesellschaft braucht das Wort der Kirche", erklärte der Bundesvorsitzende des Evangelischen Arbeitskreises der CDU/CSU, Thomas Rachel. Wenn die Kirche zu Zeitfragen wie Menschenwürde, Feiertagskultur oder Schutz von Ehe und Familie Position beziehe, profitiere davon die Gesellschaft.

Die Aufgabe der Denkschriften bleibe es, "Denkanstöße" zu geben. Härle räumte aber ein, dass die kirchlichen Denkschriften nur einen kleinen Kreis erreichen. "Allerdings ist das ein wichtiger Kreis", sagte der Theologe und Vorsitzende der Kammer für Öffentliche Verantwortung der EKD. Künftig soll jeder Denkschrift ein Kommunikationskonzept beigefügt werden, um sie innerkirchlich und öffentlich besser präsentieren zu können. Die Denkschrift selbst soll durch kurze, möglichst bebilderte Texte ergänzt werden, ihre öffentliche Präsentation mit Ereignissen oder bekannten Personen verbunden werden.

Die EKD hat sich seit den 60er Jahren immer wieder mit Denkschriften in die politische Debatte eingemischt. Eine der bekanntesten ist die so genannte Ost-Denkschrift aus dem Jahr 1965, die den Boden für die Entspannungspolitik bereitete. Es folgten unter anderem die Demokratie-Denkschrift von 1985, die Friedensdenkschriften von 1981 und 2007 sowie das evangelisch-katholische Sozialwort von 1997.

Die Denkschriften werden vorbereitet von Beratungsgremien, denen Wissenschaftler, Politiker, Theologen und Laien angehören. Die erste Denkschrift der EKD erschien 1962 und behandelte das Thema "Eigentumsbildung in sozialer Verantwortung". In der jüngsten Denkschrift vom Juli ging es um die Verantwortung und die Verdienste von Unternehmern.

09. September 2008