Ethikrat auf dünnem Eis - Stellungnahme zu Babyklappen ohne valide Daten

Von Jutta Wagemann (epd)

Berlin (epd). Jeder getötete Säugling, jedes ausgesetzte und dann zu Tode gekommene Baby löst Schlagzeilen aus. Die öffentliche Erregung steigt noch, wenn ein Neugeborenes in der Nähe einer Babyklappe ums Leben kommt. Helfen Babyklappen überhaupt? Entgegen dem Eindruck, den die Medien oft erzeugen, sind die Fallzahlen gering oder genauer: gar nicht richtig bekannt. Der Deutsche Ethikrat nahm sich dennoch der Frage an. Nach mehr als einem Jahr und quälenden Debatten verständigte sich die Mehrheit des Gremiums auf eine klare Empfehlung.

An dem Thema sind politisch bereits mehrere Länder im Bundesrat und auch einzelne Fraktionen im Bundestag gescheitert. Die große Koalition wollte es regeln - vertagt. Die neue Regierungskoalition aus Union und FDP hat es sich wieder vorgenommen. "Das Angebot der vertraulichen Geburt sowie mögliche Rechtsgrundlagen sind zu prüfen", heißt es im Koalitionsvertrag.

Viele Unbekannte sind im Spiel. Seit 1999 gibt es Babyklappen. Darunter sind öffentlich zugängliche, geschützte Wärmebettchen zu verstehen, in die Frauen anonym ihr Neugeborenes legen und zur Adoption freigeben können. Wie viele Kinder seit 1999 abgegeben oder anonym geboren wurden, lässt sich nicht genau sagen, weil die Stellen nicht alle Kinder melden. Aufgrund nicht repräsentativer Schätzungen kommt der Ethikrat bis 2008 auf 300 bis 500 Findelkinder. Bis heute seien es rund 500. Ob die Angebote der anonymen Kindesabgabe Einfluss auf die Zahl der ausgesetzten oder getöteten Kinder haben, lässt sich - so heißt es in der Stellungnahme - nach Angaben der Länder zu keiner Region sagen. Tötung und Aussetzung von Kindern seien so seltene Ereignisse, dass sich statistisch verwertbare Zusammenhänge nicht herstellen ließen.

Die Mehrheit im Ethikrat kam dennoch zu der Auffassung, dass Angebote wie Babyklappen oder anonyme Entbindungen, bei denen die Frau ihre Identität nicht preisgibt, rechtswidrig sind und daher abgeschafft werden sollten. Das Recht auf Leben sei mit Blick auf das Neugeborene in diesen Fällen nicht berührt, erklärte die stellvertretende Ethikrat-Vorsitzende Christiane Woopen. Denn Babyklappen seien nicht als Mittel zu betrachten, um tatsächlich Leben zu retten. Missachtet werde hingegen das Recht des Kindes, seine Abstammung zu kennen, und auf Beziehung zu seinen leiblichen Eltern.

Die Berliner Rechtsanwältin Ulrike Riedel, die maßgeblich dazu beitrug, dass der Ethikrat das Thema aufgriff, ist überzeugt, dass Frauen, die ihr Kind töten wollen, in der Regel von dem Babyklappen-Angebot nicht erreicht werden. In Berlin sei etwa ein Drittel der Fälle von in Babyklappen abgelegten Säuglingen aufgeklärt worden. In keinem der Fälle habe es einen Hinweis darauf gegeben, dass die Frau ihrem Kind etwas angetan hätte, wenn sie es nicht hätte abgeben können. Riedel ist der Meinung, dass die Angebote wie Babyklappen sogar "eine Nachfrage schaffen, die es vorher nicht gegeben hätte".

Das sehen vor allem die Kirchenvertreter anders. Die Mehrzahl der rund 80 Babyklappen in Deutschland wird von kirchlichen Einrichtungen getragen. Ein letzter Ausweg, eine Ultima ratio könne eine Babyklappe sein, heißt es im Sondervotum von sechs Ethikrat-Mitgliedern.

Diese Haltung vertritt auch die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Margot Käßmann. Die hannoversche Landesbischöfin gründete 2001 gemeinsam mit der Diakonie das Projekt "Mirjam - ein Netzwerk für das Leben" für Mütter in Not. Es unterhält neben einer Babyklappe auch ein Notruf-Telefon für schwangere Frauen und verschiedene Beratungsstellen. Ihre Erfahrungen zeigten, dass ohne Babykörbchen und Angebote zur anonymen Geburt ein bestimmter Kreis von Hilfsbedürftigen nicht erreicht werde, sagt Käßmann. Das Angebot habe keine Anreizwirkung für die "Entsorgung" von Kindern.

Die "flaue, nicht verlässliche Datenbasis" bewegte die Juristin Kristiane Weber-Hassemer dazu, sich für den Fortbestand der Babyklappen auszusprechen. Der Präsident des EKD-Kirchenamtes, Hermann Barth, bekam ob der "weit auseinandergehenden Schätzungen" Zweifel, ob es überhaupt Sinn habe, dass sich der Ethikrat mit dem Thema befasste, und enthielt sich der Stimme.

Für das kommende Frühjahr hat der Ethikrat eine Stellungnahme zu Biobanken angekündigt. Die ethische Beurteilung der Speicherung und Verwendung genetischer Daten ist ebenfalls schwierig. Die Datenlage dürfte jedoch um einiges besser sein. Und das Vorgänger-Gremium hat schon Vorarbeit geleistet: 2004 erschien eine Stellungnahme des Nationalen Ethikrats zum gleichen Thema.

26. November 2009