"Geschenk des Lebens": Diskussion um Sterbehilfe

Anne Schneider, die krebskranke Frau des scheidenden EKD-Ratsvorsitzenden, wünscht sich im Ernstfall, dass ihr Mann sie bei der Sterbehilfe begleitet. Nikolaus Schneider würde dies aus Liebe tun - gegen seine theologische Überzeugung.

Hamburg/Düsseldorf (epd). Liebe statt Prinzipien: Der scheidende Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Nikolaus Schneider, würde seine krebskranke Frau Anne auch gegen seine eigene Überzeugung bei der Sterbehilfe begleiten. In zwei bewegenden Interviews mit dem Nachrichtenmagazin "Stern" und der Wochenzeitung "Die Zeit" berichteten die Schneiders Auskunft von ihrer Haltung zu Leben, Liebe und Sterben. Die 65-jährige Anne Schneider leidet an Brustkrebs. Ihr Mann hatte deswegen vor gut zwei Wochen seinen Rückzug von der EKD-Spitze für November angekündigt.

Noch ist völlig unklar, wie die Krebserkrankung bei Anne Schneider verläuft. Jüngst begann sie eine Chemotherapie. Sterbehilfe wäre der äußerste Fall. Doch das Ehepaar nimmt kein Blatt vor den Mund, spielt Szenarien durch. Nikolaus Schneider bekundet, seine Frau bei der Sterbehilfe zu unterstützen, wenn sie das "Geschenk des Lebens an Gott zurückgeben" wollte. Dies sei zwar völlig gegen sein ethisch-theologisches Verständnis, sagt der 66-Jährige, "aber am Ende würde ich sie wohl gegen meine Überzeugung aus Liebe begleiten". Der ehemalige Präses der rheinischen Landeskirche macht zugleich deutlich, dass er alles versuchen würde, um seine Frau "für einen anderen Weg zu gewinnen".
Anne Schneider wiederum erhofft sich, dass ihr Mann sie im Ernstfall beim Freitod unterstützt. "Ich hoffe, wenn ich selber an den Punkt kommen sollte, sterben zu wollen, dass mein Mann mich dann in die Schweiz begleitet", sagt sie. Das Paar hat nach eigenen Angaben bereits über das Thema gesprochen. Der EKD-Ratschef hat seiner Frau zugesichert, sie auch in Sachen Sterbehilfe nicht alleinzulassen. "Dazu stehe ich", sagt Nikolaus Schneider. "Die Liebe ist entscheidend."

Die Krebserkrankung Anne Schneiders fällt in eine Zeit, in der in Deutschland verstärkt über das Thema Sterbehilfediskutiert wird. Die Freigabe des assistierten Suizids in Belgien, Luxemburg und den Niederlanden löste eine heftige internationale Diskussion aus. In der Bundesrepublik steht die gezielte Herbeiführung des Todes eines Patienten unter Strafe. Beihilfe ist aber erlaubt. Der Bundestag soll im Herbst 2015 über eventuelle gesetzliche Regelungen entscheiden.

Die Schneiders haben in der Frage unterschiedliche Auffassungen. Nikolaus Schneider hält Hilfe beim Sterben für legitim, nicht aber Hilfe zum Sterben. Seine Frau nennt das eine "Elfenbeinturm-Unterscheidung". Sie spricht sich auch für organisierte Sterbehilfe aus. "Zur Gottesebenbildlichkeit des Menschen gehört für mich eine Gestaltungsfreiheit von Anfang bis Ende dazu", sagt sie. Es sei Teil der Verantwortung des Menschen zu entscheiden, "jetzt gebe ich mein von Gott geschenktes Leben dankbar an ihn zurück".
Klar ist für das Ehepaar jedoch, dass mit Sterbehilfe kein Geld verdient werden darf. "Und es darf kein anonymisiertes Sterbehilfe-Modell geben", ergänzt Nikolaus Schneider. Ähnlich hatten sich leitende evangelische Geistliche in der Vergangenheit immer wieder geäußert. So sagt der hessen-nassauische Kirchenpräsident Volker Jung, Menschen dürften nicht "manipulativ in eine Situation gebracht werden, für sich oder andere zu entscheiden, das Leben aktiv zu beenden". Um unnötiges Leiden zu verhindern, sollten alle medizinischen Möglichkeiten genutzt werden. Deshalb unterstütze die Kirche die Hospizbewegung.

Anne und Nikolaus Schneider sind seit 1970 verheiratet. Das Paar lernte sich im Theologiestudium kennen. Während Anne Schneider Lehrerin für Religion und Mathematik wurde, ging Nikolaus Schneider in den Pfarrdienst. Aus der Ehe gingen drei Töchter hervor. Die dritte und jüngste Tochter Meike starb 2005 im Alter von 22 Jahren an Leukämie. "Der Tod meiner Tochter Meike hat meinem Glauben Risse gegeben", sagt Schneider.

Bei Anne Schneider war im Juni ein entzündlicher Brustkrebs festgestellt worden, der bereits ihr Lymphsystem befallen hat. "Es liegt ein hartes therapeutisches Jahr vor uns", sagt sie, "mit massiver Chemotherapie, OP und Bestrahlung. So oder so wollten wir die Zeit zusammen haben. Noch bin ich fit." Das Paar will nach eigenem Bekunden in dieser schweren Zeit "die guten Tage miteinander verbringen". Theologische Erklärungen wie "Gott prüft uns durch Schicksalsschläge" will Nikolaus Schneider indes nicht gelten lassen: "Mit dieser Art göttlicher Pädagogik kann ich nichts anfangen", sagt er.

Der Rat der EKD hat am 19. November 2012 eine Erklärung veröffentlicht, in der er seine Position zur Sterbehilfe festgelegt hat.