„Fortschritte im Bereich Menschenrechte und Religionsfreiheit noch nicht ausreichend“

EKD übergibt EU-Erweiterungskommissar Bericht über die Lage der Christen in der Türkei

Die Steuerungsgruppe „Europa“ des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) unter Vorsitz des Präsidenten des Landeskirchenamtes der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers, Eckart von Vietinghoff, traf am heutigen Dienstag, den 4. Oktober, zu einem Gespräch mit dem EU-Erweiterungskommissar Olli Rehn in Brüssel zusammen. Anlässlich ihres Besuchs übergaben die acht Kirchenvertreter dem EU-Kommissar einen Bericht zur  Einschätzung der Lage der Christen in der Türkei. Bei dieser Gelegenheit erläuterten sie die Probleme, die sich aus Sicht der EKD im Hinblick auf Religionsfreiheit, Menschenrechte und die Lage von christlichen Flüchtlingen weiterhin stellen.

Zwar habe die Türkei in den zurückliegenden Jahren wesentliche Schritte unternommen, um im Bereich Menschenrechte und Religionsfreiheit Fortschritte zu erzielen, es bestehe aber weiterhin eine Kluft zwischen den politischen Absichten und der praktischen Umsetzung. So seien die autochthonen („heimischen“) christlichen Kirchen, wie etwa das Ökumenische Patriarchat von Konstantinopel, trotz verfassungsrechtlich formulierter Religionsfreiheit immer noch mit zahlreichen Schwierigkeiten konfrontiert, sei es im Hinblick auf das bestehende Verbot der theologischen Ausbildung für Geistliche, insbesondere die Wiedereröffnung des theologischen Seminars in Halki, den mangelnden Rechtsstatus nicht-muslimischer Religionsgemeinschaften oder die eingeschränkten Eigentumsrechte. Für die Arbeit der deutschsprachigen evangelischen Gemeinde  in der Türkei bleibe außerdem das Problem der fehlenden Arbeitserlaubnis für Geistliche aktuell. Schließlich müssten bessere Bedingungen für die Rückkehr von christlichen Flüchtlingen in die Türkei geschafften werden.

Die Begegnung mit dem EU-Erweiterungskommissar fand im Rahmen eines zweitägigen Informationsbesuchs der Steuerungsgruppe über aktuelle EU-Themen statt. Neben dem Türkei-Beitritt ging es in den übrigen Gesprächen mit Vertretern der Europäischen Kommission, des Rates und des Europäischen Parlaments um die Frage nach der Ausgestaltung der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik sowie die Handlungsmöglichkeiten der Europäischen Union nach den gescheiterten Verfassungsreferenden.

Die Mitglieder der Steuerungsgruppe „Europa“ sind:

Präsident Eckart von Vietinghoff (Vorsitzender) Landeskirchenamt der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers,

Bischof Martin Hein, Evangelische Kirche von Kurhessen-Waldeck,

Jur. Vizepräsident Klaus Winterhoff,  Evangelische Kirche von Westfalen, Mitglied des Rates der EKD,

Oberkirchenrat Burkhard Guntau, Leiter der Rechtsabteilung des Kirchenamtes der EKD,

Oberkirchenrätin Antje Heider-Rottwilm, Leiterin der Europa-Abteilung des Kirchenamtes der EKD
Oberkirchenrat David Gill, Stellvertreter des Bevollmächtigten des Rates der EKD bei der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Union,

Oberkirchenrat Christoph Thiele, Rechtsabteilung des Kirchenamtes der EKD,

Oberkirchenrätin Sabine von Zanthier, Leiterin des Büro Brüssel des Bevollmächtigten des Rates der EKD bei der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Union

Hannover / Brüssel, 04.Oktober 2005

Pressestelle der EKD
Silke Fauzi / Katrin Hatzinger

Nachfolgend der Bericht der Steuerungsgruppe "Europa" im Wortlaut:

Evangelische Kirche in Deutschland

Einschätzungen zur Situation der Christen in der Türkei

Die türkische Verfassung von 1982 garantiert gemäß Art. 10 und 24 die Religionsfreiheit und verbietet jede Diskriminierung aus religiösen Gründen. Die Rechte "nicht-muslimischer Minderheiten" werden in Sektion III des Vertrages von Lausanne aus dem Jahr 1923 völkerrechtlich garantiert. In eklatantem Widerspruch zu den völkerrechtlichen Verpflichtungen des Lausanner Vertrages erkennt der türkische Staat nur den Armeniern, Bulgaren, Griechen und Juden den Status der geschützten "nicht-muslimischen Minderheit" zu. Die syrisch-orthodoxe Kirche (darunter die Aramäer), die katholisch-unierten Kirchen - etwa die chaldäische und die syrisch-katholische - sowie die römisch-katholische Kirche haben ebenso wenig den Rechtsstatus einer anerkannten Religionsgemeinschaft wie die evangelischen Gemeinden. Mit dieser Rechtslage, die auch weiterhin besteht, verstößt der türkische Staat gegen Verträge und Normen des Völkerrechts und verletzt die durch seine eigene Verfassung gebotene religiöse Neutralität.

Seit dem Dienstantritt der AKP-Regierung im März 2003 sind partiell deutliche Veränderungen erkennbar. Es sind Reformpakete verabschiedet worden, die Auswirkungen auf die Religionsfreiheit haben. Es wird auch von mehreren Seiten berichtet, dass kirchlichen Vertretern Gespräche mit Behörden und Politikern möglich sind, die zuvor verweigert wurden. Die Bemühung und die Bereitschaft der türkischen Seite zu Problemlösungen ist erkennbar. Dennoch besteht weiter eine Kluft zwischen politischen Absichten und praktischen Umsetzungen.

Das Laizismusprinzip in seiner türkischen Ausprägung wird jedoch im großen und ganzen weiterhin recht strikt verstanden und behindert Fortschritte. Die Förderung des staatlich organisierten sunnitischen Islam und dessen Bevorzugung durch staatliche Unterhaltung von Moscheen, Bezahlung der Vorbeter und Steuervergünstigungen bedeuten faktisch eine Schlechterstellung anderer religiöser Gemeinschaften, die mit dem Gleichheitsgrundsatz nicht vereinbar ist. Der Grund, weshalb in diesem Bereich so hartnäckig Fortschritte verweigert werden, ist die Angst des türkischen Staates, mit der Zulassung von nicht staatlich kontrollierten religiösen Gruppierungen dem Islamismus Tür und Tor zu öffnen. Mit diesem Argument wurde nicht nur in der Vergangenheit, sondern auch in der Gegenwart die Einschränkung der Betätigungsmöglichkeiten christlicher Kirchen begründet und verteidigt.

1. Zur Lage der autochthonen christlichen Kirchen in der Türkei

1.1 Das Ökumenische Patriarchat von Konstantinopel ist neben zahlreichen anderen Problemen vor allem mit drei Schwierigkeiten von Seiten des türkischen Staates konfrontiert.

(1) Nachdem im Jahr 2004 von Regierungsseite dem Patriarchat Hoffnungen gemacht worden waren, dass im Laufe des Jahres die Anfang der 1970er Jahre geschlossene Hochschule in Chalki wieder eröffnet werden könne, wurde bereits im September 2004 deutlich, dass diese Hoffnungen falsch waren. Im Sommer diesen Jahres wurde dies durch Äußerungen von Außenministers Abdullah Gül (Pressemeldung vom 1. Juli 2005) bestätigt. Das Patriarchat ist daher nach wie vor darauf angewiesen, seinen Nachwuchs im Ausland - was bedeutet, von anderen Kirchen - ausbilden zu lassen. Dies ist deswegen von erheblicher Bedeutung, da es nach unserem Kenntnisstand auch weiterhin den autochthonen Kirchen verwehrt ist, ausländische Geistliche ins Land zu holen, um den Mangel an Nachwuchs auszugleichen.

(2) Im Sommer diesen Jahres wollte das Patriarchat eine Kinderfreizeit auf einer der Prinzeninseln organisieren. Solch eine Freizeit muss angemeldet werden, was auch korrekterweise geschehen ist. Allerdings kam nie eine Genehmigung. Als man kurz vor beginn der Freizeit nachfragte, hieß es, die verantwortliche Person sei in Urlaub. Daraufhin hat der Patriarch die Freizeit zwar eröffnet, gewissermaßen symbolisch, aber ohne Kinder.

(3) Ein durchgängiger Konfliktpunkt ist die Bezeichnung des Patriarchen als „Ökumenischer Patriarch von Konstantinopel“. Der türkische Staat sieht darin offensichtlich einen Anspruch auf Wiederherstellung alter Verhältnisse. Er gesteht dem Patriarchen nur zu, Oberhaupt der wenigen griechisch-orthodoxen Christen in der Türkei zu sein. Dabei wird nicht berücksichtigt, dass dieser Titel bereits aus dem 6. Jahrhundert herrührt und keine Machtansprüche erhebt, sondern den Ehrenvorsitz bezeichnet, der dem Patriarchen innerhalb der byzantinisch geprägten Orthodoxie zukommt. Auch dieser Konfliktpunkt ist Anfang diesen Jahres wieder aktuell geworden, als der Patriarch unter diesem Titel griechische Diplomaten zu einem Empfang lud.
1.2 Im Hinblick auf die Rückkehrmöglichkeit für christliche Flüchtlinge hat es in den zurückliegenden Jahren zahlreiche Bemühungen um die Rückkehr und Wiederansiedlung von christlichen Flüchtlingen aus der Türkei gegeben, die im Zuge der militärischen Auseinandersetzungen in Südostanatolien geflohen waren. Diese erfolgten teilweise auch mit Unterstützung der EU. Nur wenige Rückkehrprojekte waren bislang erfolgreich, da zahlreiche zurückgelassene Gebäude zerstört oder von Fremden in Besitz genommen wurden. Das bereits unter dem früheren türkischen Ministerpräsidenten Ecevit gemachte Rückkehrangebot wurde von einigen Gruppen syrisch-orthodoxer Christen aus dem Tur Abdin erwogen, jedoch wegen fehlender Voraussetzungen bislang kaum umgesetzt. In dem Bericht einer kirchlichen Delegation aus Deutschland  wurden die Einschätzungen beim Besuch der Dörfer Kafro, Badibe, Ücköy, Seyderic bestätigt.

1.3 Sehr schwierig stellt sich auch die Situation der Armenischen-Apostolischen Kirche dar, da der Umgang mit dem Massenmord an den Armeniern weiterhin ein Thema von höchster politischer Brisanz ist. Die türkische Regierung bestreitet bis heute, dass es einen Genozid an den Armeniern gegeben habe. Eine öffentliche Erwähnung des Völkermordes wird in der Türkei durch die Behörden strafrechtlich verfolgt.

Evangelische Akademie in Deutschland haben in der Vergangenheit dieses Thema mit großer Umsicht und der Absicht einer auf Versöhnung zielenden Aufarbeitung der Vergangenheit aufgegriffen. Auch in diesem Jahr gab es bei Akademieveranstaltungen zu diesem Thema Drohungen von türkischer Seite.

Der Rat der EKD hat aus Anlass des 90jährigen Gedenkens an die Massaker unter den Armeniern am 21. April 2005 eine "Erklärung zum Völkermord an den Armeniern" veröffentlicht. Darin heißt es unter anderem: „Die Vergangenheit lässt uns nicht los, bis sie wirklich aufgearbeitet ist. Schuld muss angenommen werden, die Wahrheit muss verkündet werden. Dieser schwere Schritt der Rückwendung zur eigenen Geschichte ist notwendig, um den Weg zur Vergebung zu öffnen, bittere Erinnerungen zu heilen und eine gemeinsame Zukunft zu gewinnen.“ Der Ratsvorsitzende der EKD, Bischof Wolfgang Huber, hat in diesem Zusammenhang am 23. April an dem armenischen Gedenkgottesdienst im Berliner Dom teilgenommen und eine Gedenkrede gehalten.

1.4 Folgende grundlegende Mängel im Hinblick auf die Situation der autochthonen Christen und Kirchen bestehen weiter fort:

- Rechtliche Veränderungen im Bereich des Rechtes für religiöse Stiftungen sind vorgenommen worden bzw. in Arbeit. Nach unseren Informationen hat das jedoch bislang nicht dazu geführt, dass die Konfiszierung und Enteignung von kirchlichem Besitz gestoppt oder rückgängig gemacht wurde. Vielmehr bestehen weiterhin zahllose Hindernisse, selbst noch bestehende Besitzansprüche gegenüber den Behörden geltend zu machen, zu sichern und durchzusetzen.

- Der mangelnde Rechtstatus der Kirchen bleibt weiterhin ein großes Problem wie auch deren Anerkennung als Teil der Zivilgesellschaft.

- Es gibt keine Rechtssicherheit bei Wahl und Ernennung der armenischen und griechisch-orthodoxen Kirchenoberhäupter. Beiden ist es untersagt, Beratergremien für zivilrechtliche Angelegenheiten zu unterhalten.

- Im Hinblick auf das bestehende Verbot der theologischen Ausbildung für Geistliche in der Türkei hat es erste Gespräche mit kirchlichen und staatlichen Vertretern und die Hoffnung auf eine Aufhebung des Verbotes gegeben. Jedoch ist eine Aufhebung dieses Verbotes in jüngsten Äußerungen von türkischer Regierungsseite erneut und explizit verneint worden.

2. Zur Situation deutschsprachigen kirchlichen Arbeit in der Türkei

Das Kirchenamt der EKD ist derzeit darum bemüht, die Etablierung der kirchlichen Arbeit sowohl für Urlauber als auch für Residenten an der türkischen Südküste in Zusammenarbeit mit der katholischen Seite zu fördern.

Nachdem dazu von der türkischen Regierung eine Gesetzesänderung vorgenommen wurde, ist dem evangelischen (im Zusammenhang der Erstausreise) wie dem katholischen Pfarrer für deren Tätigkeit an der türkischen Riviera eine Arbeitserlaubnis erteilt worden. Die Erfahrung des Kirchenamtes der EKD ist, dass die Beantragung von Visa und Arbeitserlaubnissen weiterhin auf Hindernisse und Zeitverzögerungen bei den zuständigen türkischen Behörden trifft.

Im Hinblick auf die mit der EKD verbundene deutschsprachige evangelische Gemeinde mit Sitz in Istanbul, die seit der Zeit des Osmanischen Reiches besteht, sind keinerlei Fortschritte im Hinblick auf deren Rechtstatus zu verzeichnen. Die aus dieser Zeit stammenden Rechtstitel, Besitzstände und Bestandsgarantien konnten bisher nicht in derzeit geltendes türkisches Recht überführt werden. Die Gemeinde hat also keinen Rechtsstatus, was nicht nur eine faktische Rechtsunsicherheit bedeutet, sondern auch Behinderungen und Einschränkungen alltäglicher Abläufe zur Folge hat, da sie nicht im Rechtsverkehr tätig werden darf. Die Möglichkeit der Eröffnung eines Bankkontos ist ihr beispielsweise verwehrt. Die nach bestehenden türkischen Gesetzen mögliche Rechtsform schließt eine Kontrolle des Aufsichtsgremiums durch den türkischen Staat ein. Dies ist eine nicht akzeptable Bedingung.

Ob die Liberalisierung des türkischen Vereinsrechts vom Januar 2003 faktisch dazu führt, dass einer christlichen Gemeinde bzw. Kirche ermöglicht wird, als Rechtspersönlichkeit anerkannt zu werden und ihre Angelegenheiten in eigener Verantwortlichkeit zu regeln, ist weiterhin offen, da die Novellierung des Vereinsrechts sehr generelle Ausschlusstatbestände formuliert, deren Auslegung und Anwendung in Einzelfällen noch nicht vorliegt. Ob die zur Zeit in Arbeit befindliche Änderung des türkischen Stiftungsrechtes zu einer Verbesserung der rechtlichen Situation der deutschen Gemeinde führen kann, kann gegenwärtig noch nicht beurteilt werden.

Die Lösung der Statusfrage der deutschsprachigen Gemeinde in Istanbul ist nicht nur für die Frage des Grundbesitzes von ausschlaggebender Bedeutung, sondern auch für die Möglichkeit, eine Arbeitserlaubnis für Geistliche wie für Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der Gemeinde beantragen zu können.

Es dürfte nicht zufällig sein, dass sich die bislang einzig nennenswerten Fortschritte im Hinblick auf die kirchliche Arbeit in der Türkei auf die stark durch Ausländer frequentierte und durch eine intensive touristische Infrastruktur geprägte Region der Südküste beschränken. Selbst dabei ist zu sehen, dass die an der Südküste erreichte Möglichkeit der kirchlichen Arbeit in Form der Gründung des Vereins St. Nikolaus eine Sondersituation darstellt, die in Spannung zur bestehenden Rechtslage in der Türkei steht und deshalb nicht als Modellfall für weitere Entwicklungen verstanden werden kann. Von kirchlicher Seite kann diese Lösung deshalb nicht als befriedigend und als eine Einlösung der Garantie auf Religionsfreiheit angesehen werden.

3. Das Bild der Kirchen in der türkischen Öffentlichkeit

Es werden uns immer wieder Vorfälle berichtet, dass offenkundige Verunglimpfungen des Christentums wie auch der kirchlichen Arbeit in der Türkei zu beklagen sind. Das betrifft nicht nur Fernsehsendungen, sondern auch Zeitungsberichte. Die Tätigkeit einzelner christlicher Personen, die in der Türkei Mission betreiben, wird auch von offizieller türkischer Seite zum Anlass genommen, den Kirchen Missionierung unter den Muslimen zu unterstellen und das Christentum als aggressive und dem Islam feindlich gesonnene Religion darzustellen.

Im Zusammenhang mit der Delegationsreise einer Gruppe aus der badischen und württembergischen Landeskirche im Juni dieses Jahres, die von der EKD und der Churches' Commission for Migrants in Europe, Brüssel, unterstützt wurde, hat eine der größten türkischen Tageszeitungen, die liberal-islamische und regierungsnahe ZAMAN, einen Bericht über eine Delegationsreise der "deutschen protestantischen Kirche" (gemeint war die EKD) veröffentlicht, in deren Zusammenhang der türkische Geheimdienst Lokalgouverneure im Osten des Landes vor missionarischen Aktivitäten der EKD gewarnt (die EKD-Mission wurde in Zusammenhang mit den „Evangelisten in der Bushregierung“ gebracht) und der EKD Kontakte zur verbotenen Kurdenorganisation PKK unterstellt habe. Die EKD hat gegen diese Berichterstattung beim türkischen Botschafter Protest eingelegt.

4. Zusammenfassende Bewertung

Insgesamt lassen sich folgende Einschätzungen zusammenfassen:

- Die im Zuge der Bewerbung der Türkei um die EU-Mitgliedschaft vorgenommenen gesetzlichen Änderungen auch im religiösen Bereich bzw. mit Wirkung auf den religiösen Bereich sind bemerkenswert, zumal sie von einer AKP-Regierung vorgenommen wurden. Die faktischen Auswirkungen sind jedoch für die Kirchen nur in geringem Maß zu spüren. Nach der Entscheidung der EU im Dezember 2004 sind bislang keine weiteren positiven Aktivitäten zu vermelden.

- Weiterhin bestehen Mängel im rechtlichen Bereich. Die Rechtsanwendung zeigt bislang noch keine Verlässlichkeit, die es erlaubt, von einer generellen Rechtssicherheit sprechen zu können. Rechtsunsicherheit besteht auch dadurch, dass bestehende Rechtsnormen durch die Behörden vor Ort aus Unwissenheit und auf Grund von Vorurteilen gegenüber Christen und Kirchen nicht immer angemessen umgesetzt werden.

- Die Lage besonders des Ökumenischen Patriarchats und der Armenier ist weiterhin prekär. Die Wiedereröffnung von Ausbildungsmöglichkeiten für orthodoxe Geistliche auf der Insel Chalki ist nicht in Sicht. Die EKD sowie die Konferenz Europäischer Kirchen hat sich des öfteren, so auch in Schreiben an die Europäische Union, für eine Verbesserung der Lage des Ökumenischen Patriarchats eingesetzt.

- Ein grundsätzliches Hindernis für eine ungehinderte Existenz der Kirchen besteht im türkischen Laizismusverständnis, das zur ausschließlichen Förderung des staatlich kontrollierten sunnitischen Islam führt. Mit dem Hinweis auf die Abwehr unkontrollierter islamischer Gruppierungen wird nämlich allen anderen Religionen das Recht auf Selbstorganisation und freie Betätigung beschnitten.

- Das Bild der Kirche in der türkischen Öffentlichkeit ist nicht förderlich für die Entwicklung einer Gleichbehandlung der Kirchen. Die Konflikte der Vergangenheit belasten das Verhältnis zum Griechisch-Orthodoxen und zum Armenischen Patriarchat. Die missionarische Tätigkeit von freikirchlich orientierten christlichen Gruppen in der Türkei dient immer wieder als Anlass, kirchlichen Aktivitäten abwehrend gegenüber zu treten.

Kirchenamt der EKD
Hannover, im September 2005