Predigt beim Gottesdienst der Auslandspfarrkonferenz am 24. Juli 2018 in Bad Boll

Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm, Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland

Es gilt das gesprochene Wort

2. Kor. 5, 14-21

Denn die Liebe Christi drängt uns, zumal wir überzeugt sind, dass, wenn einer für alle gestorben ist, so sind sie alle gestorben. Und er ist darum für alle gestorben, damit, die da leben, hinfort nicht sich selbst leben, sondern dem, der für sie gestorben und auferstanden ist. Darum kennen wir von nun an niemanden mehr nach dem Fleisch; und auch wenn wir Christus gekannt haben nach dem Fleisch, so kennen wir ihn doch jetzt so nicht mehr. Darum: Ist jemand in Christus, so ist er eine neue Kreatur; das Alte ist vergangen, siehe, Neues ist geworden. Aber das alles von Gott, der uns mit sich selber versöhnt hat durch Christus und uns das Amt gegeben, das die Versöhnung predigt. Denn Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit sich selber und rechnete ihnen ihre Sünden nicht zu und hat unter uns aufgerichtet das Wort von der Versöhnung. So sind wir nun Botschafter an Christi statt, denn Gott ermahnt durch uns; so bitten wir nun an Christi statt: Lasst euch versöhnen mit Gott! Denn er hat den, der von keiner Sünde wusste, für uns zur Sünde gemacht, damit wir in ihm die Gerechtigkeit würden, die vor Gott gilt.

 

Liebe Schwestern und Brüder,

es sind Worte wie aus einer anderen Welt, die wir eben gehört haben. Der Apostel Paulus schreibt von Liebe, von Versöhnung, von der neuen Kreatur, von der Gerechtigkeit, die von nun an herrscht.

Und wir kommen heute  hier in Bad Boll zusammen mit vielleicht ganz anderen Gefühlen.

Jede und jeder von Ihnen könnte sicher Geschichten davon erzählen, wie in dem Land, in dem die jeweilige Auslandsgemeinde liegt, nicht Liebe, Frieden und Versöhnung im Vordergrund stehen, sondern immer wieder Hass, Spaltung und Ungerechtigkeit den Ton angeben. Im Nahen Osten, in vielen Ländern Afrikas, aber auch in einem Land wie den USA, wo die Rhetorik des Präsidenten ein beunruhigendes und fragwürdiges Bild von dem Land vermittelt, das viele Jahrzehnte Vorreiter in Akzeptanz, Vielfalt und Toleranz war.

Aber auch die Anschläge, von denen wir in den verschiedenen Ländern immer wieder erfahren, haben so gar nichts Versöhnliches. Sie lassen uns ratlos zurück. Und manchmal verkehrt sich die Ohnmacht in Wut  und mancher möchte am liebsten selbst und höchst persönlich die Attentäter für ihre Taten bestrafen. Viele sind versucht, Hass nun selbst mit Hass zu beantworten.

Würden wir so reagieren, dann, liebe Gemeinde, hätten Terroristen, Attentäter, Demagogen und Diktatoren gewonnen. Dann wäre es ihnen gelungen, die Saat des Hasses in unseren Gesellschaften aufgehen zu lassen. Dann hätten sie es geschafft, die Orientierung an der Menschenwürde, die unsere demokratischen Verfassungen so kostbar macht, auszuhöhlen.

Damit das nicht passiert, ist es so wichtig, auf den zu schauen, der durch  sein Leiden und Sterben den Hass überwunden hat und Versöhnung möglich macht: Jesus Christus!

Das Ende des Lebensweges Jesu auf der Erde ist die Geschichte einer Gewalttat. Es ist die Geschichte eines Gewaltopfers. Und es ist die Geschichte von Menschen, die der Gewalt ohnmächtig gegenüberstehen.

Da zieht ein Mann umher und predigt. Und allein durch sein Wort und durch seine unglaubliche Ausstrahlung gewinnt er die Herzen der Menschen. Wo Menschen Hass und Feindschaft säen, predigt er Liebe. Wo Menschen über andere richten und sie verurteilen, wirbt er für Barmherzigkeit. Wo Menschen leichtfertig leben, kündigt er Rechenschaft an. Wo Menschen an ihrer Schuld zu ersticken drohen, spricht er von Vergebung. Wo Menschen die Welt untergehen sehen, strahlt er Hoffnung aus. Die Menschen spüren: der Geist, der in diesem Prediger wohnt und in ihm zum Ausdruck kommt, ist der Geist Gottes selbst.

Und er wird zur Gefahr für die politischen und religiösen Autoritäten. Sie stellen ihm nach. Und weil sie ihm mit Worten nicht gewachsen sind, greifen sie zur Gewalt. Jetzt hätte eigentlich das passieren müssen, was dann immer passiert. Beide Seiten sammeln ihre Regimenter. Es kommt zum gewaltsamen Aufstand. Oder wenn im Volk keine Einigkeit herrscht, zum Bürgerkrieg, mit verschiedenen Kriegsparteien und zahllosen Opfern. In zahlreichen Ländern, in denen Sie Ihren Dienst tun, liebe Schwestern und Brüder, gehört oder gehörte dies unmittelbar zur jüngsten Geschichte des jeweiligen Landes. Es gibt in der Passionsgeschichte eine Passage, in der deutlich wird, dass dieses Möglichkeit durchaus bestanden hätte. Dass Jesus seine Anhänger hätte mobilisieren und seine Verhaftung hätte verhindern können.

Jesus hält sich mit seinen Jüngern im Garten Gethsemane auf, als bewaffnete Leute heranrücken, um ihn festzunehmen – „eine große Schar mit Schwertern und mit Stangen, von den Hohenpriestern und Ältesten des Volkes“ – so heißt es im Matthäusevangelium. Sie nehmen ihn fest. Einer von denen, die bei Jesus waren, so wird dann weiter berichtet, „streckte die Hand aus und zog sein Schwert und schlug nach dem Knecht des Hohenpriesters und hieb ihm ein Ohr ab.“

Da hätte er beginnen können, der Aufstand. Da hätte Jesus das Signal geben können, um seine Jünger gegen die drohende Verhaftung und Hinrichtung zu mobilisieren. Aber Jesus sagt: „Stecke dein Schwert an seinen Ort! Denn wer das Schwert nimmt, der soll durchs Schwert umkommen. Oder meinst du, ich könnte meinen Vater nicht bitten, dass er mir sogleich mehr als zwölf Legionen Engel schickte?“ (Mt 26,51-53).

Jesus wählt nicht den Weg der Gewalt. Und damit nimmt das seinen Lauf, was wir Christen nun seit so vielen Jahrhunderten in der Passions- und Osterzeit bedenken, was Künstler in allen Epochen in eindrucksvollen Bildern gemalt haben und was die Musik überall in den Kirchen in die Herzen der Menschen gebracht hat und bringt.

Die, die Jesus besonders lieb sind, stehen unter dem Kreuz. Seine Mutter, ihre Schwester, seine Jüngerin Maria Magdalena und – wie Johannes schreibt – „der Jünger, den er lieb hatte“.

Die verschiedenen Evangelien berichten von einem Jesus, der leidet, der mit dem Tod ringt und der am Ende einen Schrei der Gottverlassenheit ausstößt. So wie Menschen heute leiden, so wie sie heute dem Tod ausgeliefert sind, so wie sie heute an Gott verzweifeln. Sie berichten von einem Folteropfer, das sich an die Seite all der Folteropfer der Geschichte, all der Opfer sinnloser Gewalt von heute, stellt.

Die Frage: wo ist Gott angesichts von so viel Gewalt? – diese Frage ist beantwortet. Er ist mitten unter den Opfern der Gewalt. Er ist mitten unter denen, die angesichts des Todes ihrer Liebsten verzweifelt sind. Er ist mitten unter denen, die Angst haben, was als nächstes kommt. Er ist mitten unter denen, die sich jetzt vor der Ausbreitung von Hass und Menschenfeindlichkeit fürchten.

Er ist mitten unter uns.

Niemand unterschätze die Kraft, die davon ausgeht, dass der leidende, der gepeinigte, der gekreuzigten Christus bei uns ist. Niemand unterschätze, was es heißt, dass derjenige jetzt mitten unter uns ist, der die Gewalt überwunden hat. Niemand unterschätze die Macht der Liebe, die unsere Herzen erreicht, wenn der jetzt unter uns ist, der diese Liebe mit seiner ganzen Person ausgestrahlt hat.

Weil Christus unter uns ist, müssen wir auf Gewalt nicht mit Gewalt und auf Hass nicht mit Hass reagieren. Wir dürfen Botschafter der Versöhnung sein. Nichts weniger als das schärft uns Paulus ein. Als Pfarrerinnen und Pfarrer in den Gemeinden, in deren Dienst wir gestellt sind.

„Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit sich selber und rechnete ihnen ihre Sünden nicht zu und hat unter uns aufgerichtet das Wort von der Versöhnung. So sind wir nun Botschafter an Christi statt, denn Gott ermahnt durch uns; so bitten wir nun an Christi statt: Lasst euch versöhnen mit Gott!“

Was heißt das für uns in Zeiten, in denen wir mit Unfrieden und Gewalt konfrontiert sind, wo auch immer in der Welt wir leben und Dienst tun?

Botschafter der Versöhnung sein, heißt, dass in allem, was wir selbst an Maßnahmen zum Schutz ergreifen oder der Staat an Maßnahmen ergreift, die Logik der Gewalt nicht Macht über unsere Herzen gewinnt. Botschafter der Versöhnung sein, heißt, die Angst zu überwinden und mit Kraft, Liebe und Besonnenheit zu reagieren. Botschafter der Versöhnung sein, heißt, vom Sieg des Lebens zu wissen und deswegen innere Freiheit zu gewinnen und aus der Zuversicht zu leben.

Der Blick ändert sich, wenn wir auf die Welt mit den Augen der Versöhnung schauen. Wir können sie nicht mehr in gut und böse einteilen. Wir können nicht mehr von der Welt sprechen, ohne von Schuld, Reue, Buße und Vergebung zu sprechen – nicht nur bei den anderen, sondern auch bei uns selbst.

Und wir werden die Hoffnung nie aufgeben, dass durch die Kraft der Menschwerdung Gottes, durch die Versöhnungskraft Jesu Christi, selbst Unmenschen zu Menschen werden können.

Manchmal ist es gut, wenn man den griechischen Urtext neutestamentlicher Texte genau anschaut, um  sie zu verstehen. „Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit sich selber...“ – sagt Paulus. Da steht nicht: versöhnte die Frommen, da steht nicht: versöhnte die Christen, da steht nicht: versöhnte die Menschen guten Willens. Nein! Da steht: Gott versöhnte die Welt mit sich selber. Auf Griechisch: „ton kosmon“ – den ganzen Kosmos!! Dieser Satz – anders kann ich ihn nicht lesen – ist eine große Liebeserklärung an die Welt. Dieser Satz von der Versöhnung der Welt ist ein Aufruf, ganz in der Welt zu leben, die Welt mit neuen Augen zu sehen, sich für die Welt zu engagieren, sich dafür einzusetzen, dass die Botschaft von der Versöhnung sich ausbreitet zwischen Menschen, zwischen Völkern oder zwischen sozialen Klassen.

Die Welt braucht uns Christen. Denn wir Christen nennen uns nach einem, der als Gewaltopfer gestorben ist. Wir Christen sind an die Seite derer gestellt, die heute Gewalt erleiden. Und wir Christen leben von der Versöhnungsbotschaft. Wir hören sie manchmal selbst nicht. Aber wir lassen uns immer wieder von neuem von ihr rufen. Und Sie als Auslandspfarrerinnen und –pfarrer sind für uns als EKD in ganz besonderer Weise Botschafter der Versöhnung. Weil sie Brückenbauer zwischen den Welten sind. Weil Sie Geschichten aus anderen Wirklichkeiten erzählen und uns so davor bewahren, wegzusehen. Weil Sie sichtbar machen, wie die Kirche als internationales Netzwerk Salz einer geschundenen Erde und Licht einer zerrissenen Welt sein kann.

„Ist jemand in Christus, so ist er eine neue Kreatur; das Alte ist vergangen, siehe, Neues ist geworden.“ Diese Welt ist nicht verloren. Sie wartet darauf, dass die neue Kreatur sichtbar wird. Sie wartet auf Christus. Sie wartet auf uns.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere Vernunft, bewahre Eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.

AMEN