Predigt zum EXPO-Tag der Weltreligionen (Micha 4,1-4)

Manfred Kock

Am Ende der Tage wird es geschehen:
Der Berg mit dem Haus des Herrn
steht fest gegründet als höchster der Berge;
er überragt alle Hügel. Zu ihm strömen die Völker.

Viele Nationen machen sich auf den Weg. Sie sagen:
Kommt, wir ziehen hinauf zum Berg des Herrn und zum Haus des Gottes Jakobs.
Er zeige uns seine Wege, auf seinen Pfaden wollen wir gehen.

Denn von Zion kommt die Weisung, aus Jerusalem kommt das Wort des Herrn.
Er spricht Recht im Streit vieler Völker, er weist mächtige Nationen zurecht bis in die Ferne.
Dann schmieden sie Pflugscharen aus ihren Schwertern und Winzermesser aus ihren Lanzen.
Man zieht nicht mehr das Schwert, Volk gegen Volk, und übt nicht mehr für den Krieg. Jeder sitzt unter seinem Weinstock und unter seinem Feigenbaum, und niemand schreckt ihn auf.
Ja, der Mund des Herrn der Heere hat gesprochen.


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EXPO 2000" in Hannover - Menschen aus vielen Nationen, aus verschiedenen Kulturen und unterschiedlichen religiösen Traditionen feiern hier auf dem EXPO-Gelände ein friedliches Fest. In den Pavillons der einzelnen Nationen wird auf engstem Raum die Vielfalt der Lebenswelten für die Besucherinnen und Besucher erfahrbar. Eigene Leistungen und Vorzüge werden herausgestellt. Der Stand Israels liegt nur wenige Schritte von den Ausstellungen verschiedener arabischer Länder entfernt. Nicht weit davon - ein Gebetsraum für die Muslime. Die Grenzen scheinen aufgehoben.

Ein allzu selbstgefälliges Bild? Eine künstliche Welt? Eine Utopie auf Zeit, in der Mensch, Natur und Technik für einen Augenblick friedlich zusammengefügt sind?

Da sind die anderen Bilder. Sie gehen mir nicht aus dem Sinn: Brennende Kirchen in Indonesien, zerstörte Tempel in Indien, Geiselcamps auf den Philippinen, gespenstische Demonstrationen des Oranierordens durch die Katholikenviertel in Londonderry ... Weltweit werden religiöse und kulturelle Verwurzelungen von menschenverachtenden Fundamentalisten für ihre Zwecke missbraucht. Die Welle der AIDS-Seuche reißt Millionen in Afrika in den Tod. Die Kirchen sind hilflos, weil Sexualität weitgehend tabuisiert wird.

Und bei uns in diesem Land: Menschen werden durch die Straßen gehetzt, weil sie fremd ausschauen, einige werden brutal zu Tode getreten, nur weil sie eine andere Hautfarbe haben. Und immer wieder Menschen, die wegschauen teilnahmslos, ängstlich, in ihrer Ohnmacht gefangen. Deutschland ist in Europa kein Einzelfall. Bosnien, Serbien oder der Kosovo - auch hier die religiöse Verbrämung der Gewalt. Der Hydra des Fanatismus wachsen immer neue Köpfe.

Unheil ist die Welt, krank vor Gewalt und Unrecht. Darum klingt die Verheißung aus dem Buch des Propheten Micha wie ein Aufschrei nach Frieden, ausgerufen in einer Situation, der unseren ähnlich. Ein Auf und Ab von Krieg und Frieden, eine Zeit der Deportationen und der ethnischen Säuberungen. Nirgendwo waren Sicherheit und Freiheit garantiert. Gewalt war ein alltägliches Phänomen. Die Friedensordnungen rasch wechselnder Machthaber erwiesen sich immer wieder als brüchig. Die Friedensverheißungen des Propheten Micha klingen wie eine Provokation in den Ohren der Menschen: Schwerter sollen zu Pflugscharen geschmiedet werden, Lanzen zu Winzermessern und niemand übt mehr für den Krieg.

Die Vertreibung von Menschen soll ein Ende haben. Die vom Blut der gefallenen Soldaten und der geschändeten Zivilisten durchtränkte Erde soll den hungernden Menschen wieder Nahrung bringen. Kinder müssen nicht mehr das Morden lernen, ein jeder arbeitet unbehelligt an seinem Weinstock. Die Heimatlosen sollen wieder ein Dach über den Kopf haben, ja mehr noch, sie sollen unter ihrem eigenen Feigenbaum sitzen und nicht mehr nur geduldete Fremdlinge sein. Schwerter zu Pflugscharen - vor zwanzig Jahren wurde das Wort zum Leitmotiv der Friedensbewegung in der DDR. Sie hatte das zum UNO-Denkmal erstarrte Ideal unter die Leute gebracht und zum Leben erweckt und damit Bewegung in die versteinerten Verhältnisse des Landes gebracht.

Frieden als Ordnung des Rechts ist ein zerbrechliches Gut. Wir müssen heute dafür Sorge tragen, dass Konflikte, die es immer wieder zwischen Menschen, Kulturen und Nationen geben wird, nicht mit den Mitteln der Gewalt gelöst werden. Die Androhung von Gewalt muss die ultima ratio, das wirklich allerletzte Mittel bleiben, um unschuldige Menschen zu schützen. Denn entgegen allen militärischen Planungen regiert im Krieg zwischen allen Parteien der Zufall, und jede militärische Aktion entwickelt eine letztlich unkontrollierbare Eigendynamik. Wie schnell werden auch bei sogenannten "humanitären Interventionen" zunächst plausibel scheinende Ziele unerreichbar. Krieg soll nach Gottes willen nicht sein! Sie sollen ihn nicht mehr lernen müssen, sagt die biblische Botschaft des Micha. Diese Vision widerspricht der Logik der Sachzwänge. Sie will Mut machen, die kleinen, unscheinbaren, aber doch bitter notwendigen Schritte zum Frieden zu gehen. Denn: nicht die Völker und Nationen, nicht die Mächtigen und Stärksten sind die Garanten des Friedens. Allein Gott, der Schöpfer und Erhalter der Welt, ist in der Lage, Frieden zu versprechen und und dieses Versprechen auch einzulösen.

Sein Haus hat viele Wohnungen. Es bietet all denen Schutz, die Frieden suchen. Keine noch so mörderische Tat kann das Fundament erschüttern, keine Lüge kann die Türen aus den Angeln heben. Die Treue Gottes zu uns hält auch Kains Bluttat an seinem Bruder Abel aus.

Der Blick aufs Kreuz erinnert uns: Gott bleibt uns zugewandt. Das predigt uns das Antlitz des Christus hier in unserer EXPO-Kirche: Der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, der Gott Michas, hängt in der Gestalt des geschundenen Christus an unserem Kreuz, ist unter uns in unserem Leiden, stirbt unseren Tod. Und überwindet diese elende Wirklichkeit auf dem Berg vor den Toren der Stadt Jerusalem. Darum verdient er all unser Vertrauen, anders als die Machthaber dieser Erde.

Kommt, lasst uns losgehen zum Berg des Herren. Der Prophet ruft zum Aufbruch auf den Weg des Friedens.

Lassen wir uns herausfordern, unsere alten Standpunkte zu verlassen? Frieden fällt nicht vom Himmel. Frieden schaffen - das ist Arbeit: um-schmieden und um-denken und um-lernen. Neues Kriegsgerät sichert uns das Überleben nicht. Es gilt, die Beziehungen zwischen Menschen und Völkern zu hegen und zu pflegen, die Nahrungs- und Energiereserven zu schützen und besser zu verteilen. Wenn unsere Herzen bekehrt sind, dann können Pflugschare und Winzermesser aus Schwertern, Panzern und Lanzen geschmiedet werden.

Ein weiter Weg, jedoch nicht ohne Ziel: nach getaner Arbeit soll ein jeder unter seinem Weinstock sitzen und das Leben unter seinem Feigenbaum zusammen mit seinem Nachbarn genießen. Ein starkes Bild des Propheten - fast 3.000 Jahre alt - , eine Vision, die nie mehr aus den Köpfen und Herzen der Menschen verschwinden wird.

Das friedvolle Miteinander von Menschen unterschiedlicher Herkunft, Kultur und Religion soll nicht nur auf das fröhliche Miteinander hier auf dem Weltausstellungsgelände und auf die Tage der EXPO beschränkt bleiben. Michas Vision soll uns anrühren, und ergreifen und begleiten, sie soll überall und immer wieder neu Realität werden.

Wenn einer alleine träumt ist es nur ein Traum, wenn viele diesen Traum miteinander träumen, ist es der Beginn einer neuen Wirklichkeit.