Eröffnungspredigt vor dem Zentralausschuss des Weltkirchenrates in Genf (1. Könige 19, 11-15)

26. August 2002

Predigttext: 1. Könige 19, 11-15

Der Herr sprach: Geh heraus und tritt hinauf den Berg vor den HERRN! Und siehe, der HERR wird vorübergehen. Und ein großer, starker Wind, der die Berge zerriss und die Felsen zerbrach, kam vor dem HERRN her, der HERR aber war nicht im Winde. Nach dem Wind aber kam ein Erdbeben; aber der HERR war nicht im Erdbeben.

Und nach dem Erdbeben kam ein Feuer; aber der HERR war nicht im Feuer. Und nach dem Feuer kam ein stilles, sanftes Sausen.

Als das Elia hörte, verhüllte er sein Antlitz mit seinem Mantel und ging hinaus und trat in den Eingang der Höhle. Und siehe, da kam eine Stimme zu ihm und sprach: Was hast du hier zu tun, Elia?

Er sprach: Ich habe für den HERRN, den Gott Zebaoth, geeifert; denn Israel hat deinen Bund verlassen, deine Altäre zerbrochen, deine Propheten mit dem Schwert getötet, und ich bin allein übriggeblieben, und sie trachten danach, dass sie mir das Leben nehmen.

Aber der HERR sprach zu ihm: Geh wieder deines Weges durch die Wüste nach Damaskus...
Elia, der große Prophet des Ewigen Gottes, ist am Ende seiner Kräfte. Er hat für den wahren Gott und für die Wahrheit Gottes gekämpft.

Streng und unerbittlich hatte er den Verlockungen Baals widerstanden, hatte den Gott der Freiheit gegen die Vergötterung der Naturkräfte verteidigt. „Elija“, der Name lautet: „Adonaj ist Gott“. Schon der Name ist ein Programm des Vertrauens. Er steht gegen „Isebel“ die Königin. Ihr Name bedeutet: „Baal ist Gott.“ Gott oder Baal, ein Kampf der Zivilisationen.

Im Gottesurteil hatte Elia die Priester Baals herausgefordert, hatte gesiegt und die Priester Baals umgebracht. Ein Sieg auf ganzer Linie könnte man meinen. Aber die Gewalttat bringt den Sieg nicht! Mit Mord und Blut ist dem Gott der Freiheit, dem Ewigen, nicht zum Sieg zu verhelfen.

Isebel hatte bei ihren Göttern geschworen: „Morgen um diese Zeit werde ich dir vergelten und will dir ans Leben, so wie du die Priester umgebracht hast.“

Diese Drohung löst eine unerwartete Wende aus. Den großen und gewaltigen Propheten überwältigt die Furcht. Er ergreift die Flucht und läuft um sein Leben – über die Grenze in die andere Hälfte des geteilten Reiches, bis ans andere Ende nach Beersheba.

Und er kam dort an und setzte sich unter einen Wacholderstrauch – und wünschte sich zu sterben und sprach: „Es ist genug, so nimm nun, Herr, meine Seele, ich bin nicht besser als meine Väter.“
Das ist ein Bild für die Erfahrungen vieler Gläubigen mit ihrer Geschichte; ein Bild für uns: Nach großen Aufbrüchen brechen die Hoffnungen zusammen.

Welch ein Aufatmen war durch die Welt gegangen, als die Mauern zwischen Ost und West verschwunden waren! Nicht nur Veränderung der Welt, sondern ihre Verbesserung schien nahegerückt. Wie war die Hoffnung auf Frieden gewachsen! Selbst Stellvertreter-Kriege in Afrika, Asien und Lateinamerika, mit denen die beiden Großmächte um Einfluss kämpften, müssten doch jetzt überflüssig sein.

So hatten viele gehofft.

Aber nun zeigt sich: Viel Schlimmeres scheint sich zusammenzubrauen. Ein Kampf der Zivilisationen beginnt sich zu entwickeln. Die globale Wirtschaft scheint Hunderte von Millionen Menschen überflüssig zu machen. In vielen Gegenden herrscht die Macht der nackten Gewalt – selbst Kinder sehen keine Überlebenschancen als nur die des blutigen Kriegshandwerks. Organisierte Kriminalität verdient an Waffen und Drogen – und Millionen kommen um.

„Ich bin nicht besser als meine Väter“, lautet die resignierte Klage des Elia. Ein Bild der Enttäuschung und der Resignation könnte das auch für die ökumenische Bewegung sein.
Welch eine Hoffnung hatte die Christenheit in Amsterdam 1948 ergriffen – nach dem schrecklichen Weltkrieg!

Erneuerung und Einheit sollte der Beitrag der getrennten christlichen Kirchen sein. Die Kolonialzeit ging dem Ende entgegen. Missionskirchen wurden selbständige und selbstbewusste, lebendige Kirchen. Den traditionellen Mutterkirchen haben sie inzwischen viel an Geisteskraft voraus.

„Glaube und Kirchenverfassung“, vor 75 Jahren ist die Bewegung in Gang gekommen. Erkenntnis und Kenntnis voneinander sind gewachsen seitdem.

Das Lima-Dokument über „Taufe, Eucharistie und Amt“ wurde verabschiedet, mit der beglückenden Erkenntnis, wie nahe die Kirchen einander gekommen sind.

Aber auch in dieser ökumenischen Bewegung sind viele Hoffnungen zusammengebrochen. Konfessionalismus als eine Gegenbewegung zur Einheit wächst immer wieder heran. Die Vielfalt der Konfessionen lässt nicht nur geistlichen Reichtum ahnen. Sie fördert auch Abgrenzung und Gegnerschaft, Furcht vor Proselytismus macht sich breit und die Angst, die eigene Überlieferung könne verfälscht werden. Manchen fällt selbst das gemeinsame Gebet schwer, – wie kann denn da die Einheit in den Sakramenten wachsen?

Dabei sind die Herausforderungen an den Glauben der Christen doch so viel größer geworden. Verfolgungen und Massaker haben Geschwister in vielen Ländern zu erleiden, in Pakistan, in Nigeria, in Indonesien, in Indien und an anderen Orten. Sie werden verfolgt, nicht weil sie Presbyterianer oder Episkopale sind, sondern weil sie Christen sind.

Der Materialismus breitet sich weiter aus, korrumpiert die Starken, zerstört ihre Seelen und lässt die Leiden der Armen ins Unermessliche wachsen.

„Ich bin nicht besser als meine Väter“, hatte Elia geklagt. Und hatte unter dem Wacholderstrauch den Tod herbei gewünscht.

Nie mehr aufstehen, nie mehr wach werden müssen, nie mehr verantwortlich sein, alles vergessen können, sich selber loslassen wollen, solche Art der Erlösung kennen wohl manche. Das ist eine Todessehnsucht, die aus dem Gefühl der Ohnmacht erwächst. Lebenskrisen und schicksalhafte Lebenswenden bringen viele Menschen an den Rand der Existenz, so auch Elia. Er musste erkennen: Eine Welt, die man zu retten sucht, indem man das Böse tötet, gewährt keine Sicherheit! Ein Gott, dessen Sieg in Blitz und Donner gefeiert und dessen Widersacher nicht bekehrt, sondern getötet werden, schenkt keine Zuversicht. Eine Bluttat war noch niemals ein annehmbares Modell für den Umgang mit anders Glaubenden. In unserer multikulturellen Welt ist das besonders deutlich.

„Ich bin nicht besser als meine Väter!“, sagt Elia. Und da liegt er nun - glaubensmüde, lebensmüde in der Wüste, fällt in tiefen Schlaf und erlebt eine erste Phase der Rettung.
Es ist der Schlaf und ein geröstetes Brot mit einem Krug Wasser.

„Steh auf und iss!“, sagt der Gottesbote. „Essen und Trinken hält Leib und Seele zusammen. “- So lautet ein Sprichwort in meiner Muttersprache. Ich habe diese Elia-Geschichte immer als einen besonderen Hinweis für die Leiblichkeit religiöser Erfahrung gelesen. Bodenhaftung braucht die Gottesbegegnung. Der Leib darf nicht hinüberschlafen in seine eigene Auflösung. Davor bewahrt der Bote Gottes. „Steh auf und iss! Denn Du hast einen weiten Weg vor dir“.

So spricht er ein zweites Mal, und in ihrem gestärkten Leib kann auch die entmutigte Seele Elias wieder offen werden für eine neue Erfahrung mit Gott.

Hören wir solche Zusagen für uns, für Menschen dieser von Gewalt und Krieg zerrissenen Welt. – Hören wir solche Zusage auch für uns getrennte Christen als eine Verheißung Gottes, der uns den Weg der Einheit weisen will: Der Berg Horeb ist es, wo Gott seine Verlässlichkeit aufs Neue bekräftigt. Der Berg ist - wie so oft - das Symbol der Gottesbegegnung. Der Berg der Seligpreisungen und der Erneuerung des Gesetzes Jesu. Golgatha, der Berg der Versöhnung. Der Berg der Weisungen Gottes, die uns Menschen zu unserem Wohl ergehen. Der Berg, von dem diese großen Freiheiten angesagt werden:
- keine anderen Götter brauchen wir als den einen, den Befreier;
- kein Bild und keine andere menschliche Konstruktion kann ihn ersetzen oder veranschaulichen;
- auf den Namen des einen können wir uns verlassen und brauchen ihn nicht zur Rechtfertigung unser Taten;
- er schenkt uns Ruhe und Sicherheit in der Kette der Generationen;
- er will Leben, Ehe, Ehre und Eigentum schützen.

Der Berg einer neuen Gottesbegegnung ist uns versprochen, wir dürfen uns dahin neu aufmachen: Die heilige Schrift hält viele solche Wiederholungsgeschichten bereit, wie etwa Johannes von der Begegnung des auferstandenen Christus mit seinen Jüngern berichtet (Joh 21). „Simon Petrus, fahre noch einmal auf den See und wirf deine Netze aus!“ Das heißt doch aus dem Munde Jesu: Du bist nicht verstoßen. Auch wenn du den Herrn verleugnet hast: Du darfst den Weg auf den ich dich gerufen habe, weiter gehen.
Die Begegnung mit Gott – wie erkennst du sie? Manchmal als Donner und Blitz, manchmal als Beben der Erde, manchmal als Sturm. Spektakuläre Gotteserfahrung gibt es hier und da. Aber solche Ereignisse sind für sich noch nicht die Garantie für Gottes Gegenwart.

Elia hatte genügend Feuer-, Blitz- und Sturmerlebnisse hinter sich. Sie hatten ihn kurzfristig triumphieren lassen. Aber vor Resignation und Angst konnten sie ihn nicht bewahren. Die Königin Isebel war mit spektakulären Auftritten nicht zu überwinden gewesen.

Elias neue Gotteserfahrung ist „das stille sanfte Sausen“, die „Stimme eines schwachen Wehens“. Da lernt er, dass Gott nicht immer so kommt, wie wir meinen, dass er kommen müsste, damit sich etwas ändert in der Welt.

Schritt für Schritt wird deutlich, dass Gottes Selbstbeweis eigentlich in der Schwachheit ihre Gestalt nimmt.
Ein großes Wunder der Geduld will Gott unter uns ausrichten. Und so, nur so kann Elia hören: „Geh wieder deinen Weg nach Damaskus“! Geh in eine neue Berufung! Nicht mehr als Prophet mit dem Schwert, sondern als einer, der nach Menschen sucht, um sie in Gottes Namen in Dienst zu nehmen.
7000 bleiben am Schluss in Israel. Das kleine Pflänzchen Hoffnung.

Der neue Anfang des Elia ist unser Anfang:  Nicht die starken Legionen, sondern Gottes unendliche Geduld wird uns den Weg des Friedens in der Welt gehen lassen. Wir brauchen die Stille des Glaubens, die 40 Tage in der Wüste, bis wir entdecken, wie Gott auch in den schwachen und kleinen Zeichen seine Kraft entfaltet. In den kleinen Schritten der Versöhnung, in den unscheinbaren Schritten zu neuer Gemeinschaft.

Lasst uns das als Verheißung für die Beratungen des Zentralausschusses in uns aufnehmen. Gott macht Mut, in den Beratungen auch von den eigenen Sorgen zu sprechen und von den Zweifeln, denn Gott ist still und schweigsam, damit wir sprechen können. Gott sagt allen, die hier zur Beratung beisammen sind: Ich mag euch, trotz aller Schwäche, und ihr seid nötig, weil ihr gebraucht werdet. Der Gott der Hoffnung lässt uns aufstehen, gestärkt den Weg wieder aufnehmen, zu dem wir aufgebrochen waren!