Morgenandacht

Landespfarrer Gordon Emrich (2. Tagung der 10. Synode der EKD Trier, 2. - 7. November 2003)

Hohe Synode,

wir beginnen den Morgen im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen. Die Nacht ist vergangen, der Tag ist herbeigekommen. Lasset uns wachen und nüchtern sein und abtun, was uns träge macht. Lasset uns laufen mit Geduld in dem Kampf, der uns verordnet ist.

Hohe Synode, nach dem gestrigen Wahlmarathon - Wahlen bis 22.30 Uhr, Stunden der Erwartung, Stunden des Erfolgs, aber auch der Enttäuschung und Stunden der Dankbarkeit -, und nach Stunden des anschließenden Feierns sind wir heute alle ein wenig müde, und ich denke, wir sollten diesen Tag gemütlich angehen.

Für den heutigen Tag habe ich einen Text aus dem 8. Kapitel des Römerbriefes gewählt; er kann uns durch diesen Tag tragen: "Welche der Geist Gottes treibt, die sind Gottes Kinder." Ich weiß jetzt nicht, ob uns gestern bei der Wahl der Geist Gottes getrieben hat. Ich hoffe es, und ich hoffe, dass er uns heute auch weiter treibt und uns dahin führt, dass wir eine wohlgeordnete Zukunft der EKD haben.

Dass wir Christen allerdings Getriebene vom Geiste Gottes sind, können wir hoffen und wünschen - viele erwarten es sogar von uns, gerade von uns als Kirche -; doch meist ist es so, dass unsere Kirche, von außen betrachtet, gar nicht so getrieben wirkt. Oft erscheinen wir eher ein wenig lau, lauwarm und wenig aussagekräftig. Wenn wir schauen, wer vom Geist getrieben ist, werden wir in anderen Feldern des gesellschaftlichen Lebens den Geist spüren, z.B. in der Musik. Wenn wir uns Rockkonzerte anschauen, sehen wir, wie eine Begeisterungswelle durch die Zuhörer geht, manchmal auch bei klassischen Konzerten, manchmal, aber viel seltener, auch bei Politikern, welcher Farbe auch immer.

Wenn allerdings bei uns in der Kirche einer vom Geist getrieben ist, wird er meistens mit ein wenig Skepsis betrachtet. Wenn Menschen enthusiastisch sind, denken viele: Da stimmt etwas nicht; da gibt es irgendeine Beeinflussung, vielleicht Fundamentalismus. So sieht es aus. Ist andererseits unsere Kirche nicht beweglich, bekommen wir gleich die Kritik: Ihr habt ohnehin nichts zu sagen.

So stehen wir immer in dem Dilemma, auf der einen Seite vom Geist getrieben sein zu wollen, auf der anderen Seite aber nach außen hin nicht richtig zu wirken. Deswegen ist unser Thema "Die Bibel im kulturellen Gedächtnis" ein gutes Thema. Allerdings sollten wir nicht nur im Gedächtnis bleiben, sondern auch in die Zeit hinein wirken.

Vielleicht geht es dem einen oder anderen genauso wie mir. Denken wir zurück! Als wir noch ein wenig jünger waren, dachten wir, wir Christen sollten ein wenig polarisieren. Wir sollten nicht wohltemperiert sein, sondern wir sollten Feuer legen und auf keinen Fall lauwarm sein. Wie aber haben wir uns im Laufe der Zeit entwickelt? Oft ist nicht viel übrig geblieben.

Wir haben dafür natürlich alle sehr gute Gründe. Erwachsenwerden nennt man so etwas. Das heißt, wir differenzieren, und wir wägen ab. Schwarz-Weiß-Malerei? Um Gottes willen, das kann nicht sein; da werden wir den vielfältigen Schattierungen unserer Welt nicht gerecht.

Doch nun kommt der Römerbrief. Er sagt ganz lapidar, einfach und in keiner Weise dialektisch uneindeutig: Welche der Geist Gottes treibt, die sind Gottes Kinder. Wörtlich genommen ist dieser kurze Vers aus dem Römerbrief eine Riesenprovokation. Denn schauen wir einmal den Umkehrschluss an: Welche der Geist Gottes nicht treibt und nicht gewaltig in Bewegung und Schwung versetzt, die können eigentlich keinen Anspruch darauf erheben, sich selber als Gottes Kinder zu bezeichnen oder von anderen so bezeichnet zu werden.

Lassen wir das auf uns wirken, so werden wir relativ schnell feststellen, dass es allerdings auch sinnlos ist, einfach nun den Entschluss zu fassen: Ab sofort lasse ich mich von diesem Geist treiben. Denn ob das passiert oder nicht passiert, das liegt nun mal nicht in unserer Hand, sondern das liegt in der Hand dessen, den wir den Heiligen Geist nennen, vielleicht auch den Tröster, oder schauen wir es uns aus weiblicher Sicht an, dann müssten wir sagen: die Geistin oder die göttliche Sophia, kurz auf jeden Fall einen Antreiber oder eine Antreiberin, die uns in Bewegung setzt und in Schwung bringt und uns damit zu Gottes Kindern macht. Wie gesagt, es liegt nicht in unserer Hand.

Doch eines liegt in unserem Vermögen: Wir können uns nämlich diesem Geist verweigern, wir können verhindern, dass er uns treibt und in Schwung bringt, oder wir können unsere Entscheidungsspielräume und unsere Verantwortung öffnen. Genau an dieser Stelle bleibt uns, denke ich, noch viel zu tun, und ich hoffe, dass uns heute der Geist treibt, heute, bei den zwei letzten wichtigen Wahlen, dass wir diese ganz schnell hinter uns bringen.

Wir wollen beten. Gott ist nicht leicht, Gott ist nicht schwer. Gott ist schwierig, ist kompliziert, ist hoch differenziert, aber nicht schwer. Gott ist das Lachen, nicht das Gelächter. Gott ist die Freude, nicht die Schadenfreude, das Vertrauen, nicht das Misstrauen. Er gab uns den Sohn, um uns zu ertragen, und er schickt seit Jahrtausenden den Heiligen Geist in die Welt, dass wir zuversichtlich sind, dass wir uns treiben lassen, dass wir uns freuen, dass wir aufrecht gehen ohne Hochmut, dass wir jedem die Hand reichen ohne Hintergedanken und im Namen Gottes Kinder sind, in allen Teilen der Welt eins und einig sind und Getriebene des Herrn werden, von zartem Gemüt, von fassungsloser Großzügigkeit und leichtem Geist. Herr, hilf uns, Virtuosen zu sein, was den Heiligen Geist betrifft.

(Vaterunser

Es segne und behüte uns Gott der Allmächtige und Barmherzige, Vater, Sohn und Heiliger Geist. Amen.

Ich wünsche uns gute Beratungen.