Dein Will gescheh, Herr Gott

Robert Leicht

Morgenandacht im NDR

(Aus: J.S. Bach, Partita II für Violine solo, BWV 1004, Takte26, 2. Viertel – 42)

 „Den Tod niemand zwingen kunnt“ – dieses immer wieder eindringliche Zitat aus einem Osterchoral unterlegte Johann Sebastian Bach seiner Chaconne, einer Trauermusik auf den Tod seiner Frau Maria Barbara. Wir hörten ein Zitat aus einer Aufnahme mit dem Hilliard Ensemble und Christoph Poppen.
„Den Tod niemand zwingen kunnt“ – diese Einsicht in das eigene Sterben, ist aber nicht als Lebensfeindlichkeit zu verstehen, sondern als Lebenshilfe zu lesen: „auf dass wir klug werden.“

Das Leben dürfen wir, ja: wir sollen es durchaus lieben, pflegen, auch das eigene. Vorbeugende Lebensfeindlichkeit – nur damit hinterher das Sterben leichter fällt, angeblich –  das wäre mir eine perverse Christlichkeit. Denn gerade mit solcher Lebensfeindlichkeit stellten wir das ganze Leben erst recht unter die Herrschaft des Todes.

Es gehört zu der Geschichte des christlichen Glaubens, dass immer wieder Menschen ihre Treue zu Gott (und: Treue – das eben ist gemeint mit Glauben) – es gehört zu dieser Geschichte, dass immer wieder Menschen ihre Treue zu Gott höher stellten als ihr nacktes Überleben. Wir nennen sie Märtyrer, Zeugen – Menschen, die ihr Leben nicht gegen den führen und erhalten wollten, dem sie es verdanken.

Nun gilt es aber in aller Schärfe zu unterscheiden zwischen dem Märtyrer, der aus Glaubenstreue den frühen Tod passiv auf sich nimmt (also erleidet), und dem Terroristen, der aus religiösen Motiven seinen eigenen Tod aktiv sucht, ja, ihn als Waffe einsetzt, um andere Menschen in deren Tod hineinzujagen, der also Leiden nicht etwa – erleidet, sondern es zufügt, anderen. Das ist uns am 11. September drastisch vor Augen geführt worden. Und es ist ein Unterschied, ob man unter Gewissenszwang resignierend auf das schöne liebenswerte Leben verzichtet, weil es anders zu unerträglichen Lüge würde – oder ob man sich kämpferisch die Lüge einredet (oder eingeredet bekommt), man müsse erst schnell und entschlossen sich und andere in den Tod reißen, um dann, ganz selbstsüchtig, umso schneller das Paradies als Steigerung dieses irdischen Lebens in Besitz zu nehmen, mit all seinen diesseitigen, sinnlichen Attributen.

Es ist wohl wahr: Hier müssen wir sterben. Aber hier dürfen wir leben und lieben, auch unser Leben lieben. Und diese ebenso kreatürliche wie kreative Lebensliebe bewahrt uns vor dem Wahnsinn, wir dürften, ja wir sollten jemals unser Leben tödlich wegwerfen – dem Tod in den Rachen und unseren Mitmenschen vor die Füße, wie eine mörderische Handgranate. Selbstherrlichkeit ist Sünde. Eine Selbstherrlichkeit, die sich in der fanatischen Instrumentalisierung des eigenen Lebens gefällt, ist eine Todsünde – von keinem Gott befohlen, sondern: vom Teufel selber.
 
 „Also wir leben oder sterben, so sind wir des Herrn“ – dieser Satz  nimmt uns diese Entscheidung über Leben und Tod nämlich aus der Hand, wie auch die dritte Bitte des Vaterunser: „Dein Wille geschehe...“, die Bach aus einem Lutherlied in seiner Trauer-Chaconne aufleuchten lässt:


Dein Will gescheh, Herr Gott, zugleich
Auf Erden wie im Himmelreich.
Gib uns Geduld in Leidenszeit,
Gehorsam sein in Lieb und Leid
Wehr und steu’r allem Fleisch und Blut,
Das wider deinen Willen tut.

(Aus: Morimur, The Hillard Ensemble, Christoph Poppen, Band 13)