Ansprache beim Johannisempfang des Bevollmächtigten des Rates der EKD in der Französischen Friedrichstadtkirche zu Berlin
Stephan Reimers
Französische Friedrichstadtkirche zu Berlin
Auf dem Weg nach Heidelberg habe ich Anfang des Monats die Kirche St. Peter in Heppenheim besucht. Als meine Frau und ich den Gang des Mittelschiffs betraten, wurden wir von einem Schild mit folgendem Text willkommen geheißen:
Wir begrüßen Sie in unserer schönen und eindrucksvollen Kirche St. Peter – dem Dom der Bergstraße – und laden Sie ein, sich zu erfreuen, aber auch in Stille und Gebet zu verweilen. Gehen Sie nicht fort, ohne Gott zu danken, dessen Nähe die-ser Raum erspüren lässt und dem wir alles zu verdanken haben. Ihnen und Ihren Angehörigen wünschen wir Gottes Segen.
I
Wir sind heute auch in einer schönen Kirche beisammen. Wofür haben wir zu danken – am Ende dieser Legislaturperiode? Ich musste an den Umzug von Bonn nach Berlin denken, an unseren Abschiedsempfang in der Fritz-Erler-Straße. Damals war ich selbst noch Gast und wurde Politikern und Bischöfen vorgestellt. Ein Bischof erzählte mir augenzwinkernd, dass der Heilige Geist einmal gefragt wurde, wohin er denn auf der Erde reise wolle. Seine Antwort: Nach Berlin, da war ich noch nicht.
Humor dient ja oft dazu, Spannungen zu entkrampfen. Damals stand die Sorge im Raum, es könne kälter werden für die Kirchen in der so viel säkulareren Großstadt Berlin. Inzwischen lässt sich ein Fazit ziehen, bei dem ich mir mit meinem Freund und Amtsbruder, Prälat Jüsten, ganz einig bin: Offenheit und Wohlwollen sind die vorherrschenden Verhaltensweisen, die uns begegnen. Sie, verehrte Gäste, sind selber ein beredtes Zeugnis dafür, dass die kirchlichen Vertretungen in Berlin nicht zu frieren brauchen.
Gelernt habe ich auch, dass es falsch ist, sich von Mitgliederzahlen den Blick für kirchliches Leben verstellen zu lassen. Spuren des Geistes und der Nächstenliebe finden wir überall in dieser großen Stadt: In lebendigen Gemeinden, den Projekten der Stadtmission, der Flüchtlingsarbeit von Diakonie und Caritas oder auch in der Geistesgegenwart unserer Kirchen am 11. September und den Tagen danach. Nach einer Ankündigungszeit von nur drei Stunden war der Berliner Dom überfüllt und eine große Menschenmenge wartete vor den Türen. Wir standen ja alle noch unter dem Schock der furchtbaren Bilder der aus den Fenstern springenden Menschen. Die Kirchen hatten in dieser Situation mehr beizutragen als zentrale Räume wie die Hedwigkathedrale oder den Dom – nämlich die Sprache der Bibel, die Klageworte der Psalmen und das Halt gebende Wort theologischer Deutung – unseren Glauben. Dankbar erinnern wir uns an die Predigten von Kardinal Sterzinsky und Bischof Huber.
II
Wie hat sich unser Verhältnis zu Parteien und Fraktionen hier in Berlin entwickelt? Unsere Bonner Erfahrungen waren so: Auf der einen Seite gibt es Parteien, die sich in erster Linie für Äußerungen der Kirche zu sozialethischen Fragen interessieren, aber von institutionellen Belangen der Kirchen nichts wissen wollen, auf der anderen Seite gibt es Parteien, die sich insti-tutionelle Anliegen der Kirche gerne zu eigen machen, jedoch die Kirchen gleichzeitig ermahnen, sich bei Äußerungen zu politischen Fragen zurückzuhalten. Dieses Bild deutlich unterscheidbarer Beziehungen hat sich in Berlin verändert. Bei der Korrektur der Unternehmenssteuerreform zum Beispiel haben alle im Bundestag vertretenen Fraktionen zusammengewirkt. Andernfalls hätten den Kirchen seit 2001 rund 600 Millionen Euro gefehlt. Viele Einrichtungen wie Kindertages- und Familienbildungsstätten, Schulen und Akademien wären einem solchen Einschnitt zum Opfer gefallen. Dass alle Fraktionen durch einen einstimmigen Beschluss des Bundestags die Institution Kirche unterstützt haben, dafür sei heute noch einmal herzlicher Dank gesagt.
Im Blick auf sozialethische Positionen waren Flüchtlingsschutz und Zuwanderung besondere Brennpunkte. Schrittweise haben die beiden großen Parteien Forderungen aufgegriffen, die den Kirchen besonders wichtig waren – z.B. neue Perspektiven für Geduldete, Anerkennung der nichtstaatlichen Verfolgung, eine Härtefallklausel und die Entwicklung eines Integrationsprogramms. Die Kirchen bedauern es, dass die erhebliche sachliche Annäherung von SPD und Union am Ende nicht zu einem parteiübergreifenden Kompromiss geführt hat. Wir sind aber froh, dass bisher ein polemischer Schlagabtausch zu diesem sensiblen Thema ausgeblieben ist und auch weiter ausbleiben soll. So hat es jedenfalls Frau Dr. Merkel auf dem Parteitag in Frankfurt angekündigt.
III
Abschied von der 14. Legislaturperiode bedeutet für viele Abgeordnete zugleich Abschied von der Bundespolitik. Ihre bis heute geleistete Arbeit verdient Dank und Anerkennung. Wenn sie zurückblicken, was bleibt? Neben Gelungenem findet sich in der persönlichen Bilanz gewiss manch offene Baustelle – egal, ob man an der Regierung beteiligt war oder der Opposition angehörte. Demokratie als Herrschaft auf Zeit mutet ihren Repräsentanten oft zu, sich mit Fragmenten abzufinden.
Dass der eigene Beitrag aus dem Rückblick als sinnvoll und weiterführend erlebt wird, wünsche ich allen Ausscheidenden von Herzen - auch, dass neue Baustellen auf sie warten, die dann vielleicht weniger öffentlich, aber von großer persönlicher Bedeutung sein mögen.
Ein schönes Segenswort möchte ich den Abschiednehmenden zusprechen:
Möge Dein Weg Dir freundlich entgegenkommen,
Die Sonne möge Dein Gesicht bescheinen,
Der Regen soll auf Deine Felder fallen
Und bis wir uns wiedersehen, halte Dich Gott
Schützend in seiner hohlen Hand.
In diesem Geist von Dankbarkeit und Hoffung wünsche ich uns gute gemeinsame Stunden.
Berlin, den 27. Juni 2002