Junge Helden in der Smartphone-Welt

Aus dem Smartphone-Verzicht ist eine Initiative für Jugendliche entstanden

Gruppe Jugendlicher sitzt in einer Tischgruppe und diskutiert
Schülerinnen und Schüler tauschen sich im Digitale-Helden-Mentorenprogramm zu digitalen Themen aus.

Ursprünglich war es eine Scherzidee. „Was wäre eine coole Aktion zur Fastenzeit?“, fragte sich Letitia Olivier (18) aus dem Westerwaldkreis. In der Jugendkirche des Evangelischen Dekanats Westerwald hatte sie im vergangenen Jahr den Einfall: Sie gab nach Aschermittwoch gemeinsam mit einer Freundin den Eltern das Smartphone ab – Handyfasten bis Ostern. „Am Anfang habe ich immer wieder in die Tasche gegriffen und wollte es rausholen“, erzählt sie. Am Ende fand die Schülerin die Erfahrung gut: „Viele Dinge habe ich bewusster gemacht, weil ich nicht nebenbei aufs Handy schauen konnte.“

Nach der „Jugend-Information-Multimedia“-Studie (JIM) 2017 haben 97 Prozent der Zwölf- bis 19-Jährigen ein Smartphone. Sie nutzten das Gerät im Durchschnitt täglich drei Stunden und 41 Minuten, vor allem für YouTube, WhatsApp, Instagram, Snapchat und Facebook.

Auch Mina Sahovic (14) aus Frankfurt hat die Bremse gezogen. Und zwar nicht nur für die Fastenzeit – sie hat überhaupt alle sozialen Medien bis auf WhatsApp gelöscht. „Es war für mich wie eine Befreiung“, erzählt sie. Zuvor sei Instagram ihre Lieblings-App gewesen, zum Teilen von Bildern und Videos. Aber dann habe sie es nicht mehr gut gefunden, sich ständig mit Schönheiten zu vergleichen. Außerdem habe es sie gestört, viele Nachrichten zu bekommen von Personen, die sie gar nicht kannte. „Ich habe zu viel Zeit damit verbraucht“, sagt sie.

Mit ihrer Erkenntnis will sie anderen helfen: Mina hat sich zur „digitalen Heldin“ ausbilden lassen und führt Fünf- und Sechsklässler in den bewussten Gebrauch des Smartphones ein. Organisiert wird das vom Unternehmen „Digitale Helden“, einer gemeinnützigen GmbH mit sechs hauptberuflichen Mitarbeitern, die vor fünf Jahren in Frankfurt am Main gestartet ist und mit rund 100 Schulen zusammenarbeitet.

Medienkompetenz von Schüler zu Schüler

Es geht um Medienkompetenz von Schüler zu Schüler. In einem zweijährigen Onlinekurs trainieren sie an jeder Schule eine Arbeitsgruppe von zwei Lehrkräften und sechs bis zehn Schülern aus der achten und neunten Klasse. Diese geben als Multiplikatoren ihr Wissen dann an jüngere Schüler weiter und stehen als Ansprechpartner zur Verfügung. In Frankfurt haben sich Anfang Februar 60 „digitale Helden“ zum Erfahrungsaustausch getroffen.

Mina stellt mit einer Freundin eine Präsentation über WhatsApp vor, die sie für den Klassenbesuch vorbereitet hat. „Kennst Du das auch, dass Du nicht gleich antwortest und dann sofort die Nachricht kriegst: Sind wir keine Freunde mehr?“, fragt ein Mädchen. Ein Junge hat täglich unverständliche Nachrichten bekommen. Mina erklärt, wie man auf WhatsApp Absender blockiert und Datenschutz-Einstellungen vornimmt.

Erste Hilfe bei Konflikt- und Notfällen

Auch in Konfliktfällen helfen die „digitalen Helden“: Emily (16) aus Bad Nauheim musste in so einem Fall eingreifen: In einer sechsten Klasse sei ein Video über eine halbnackte Klassenkameradin kursiert. Die „digitalen Helden“ hätten auf Bitte der Betroffenen mit der Klasse gesprochen und erreicht, dass die Schüler das Video löschten. Die Betroffene habe zugestimmt, dass ein Lehrer hinzugezogen wurde.

Digitale Helden müsste es an allen weiterführenden Schulen geben, sagt der Fachberater und Referent für Jugendmedienschutz am Hessischen Kultusministerium, Günter Steppich. Er sieht sie vor allem in Notfällen gefragt: Sexting beispielsweise, die Veröffentlichung von Nacktbildern ohne Einwilligung der Betroffenen, gebe es an jeder Schule, statistisch gesehen auch in jeder Klasse. „Oft bekommen Lehrer und Eltern aber nichts davon mit.“

Noch häufiger seien sexuelle Übergriffe durch Pädokriminelle, sagt Steppich: „In Kinderchats und in Videospielen mit Chatfunktion ist es an der Tagesordnung, dass Kinder sexuell angesprochen werden.“ Daneben gibt es nach den Worten von Steppich gravierende Probleme durch Cybermobbing. Nach der JIM-Studie 2017 sagen knapp 40 Prozent der Jugendlichen, dass in ihrem Bekanntenkreis schon mal jemand im Internet fertiggemacht wurde.

Eine Fastenaktion mit Folgen

Die Digitale Helden gGmbH will darum ein Netzwerk von Partnern mit Schulen, Jugendämtern, Polizei und sozialen Organisationen knüpfen, wie Pressesprecherin Birte Frey ankündigt. Ziel sei ein „digitaler Notfallplan“ für jede Schule: Ein Lehrer müsse sofort Unterstützung anfordern können, wenn ein Konflikt rund um digitale Medien eskaliere.

Als Letitia im vergangenen Jahr für sieben Wochen ihr Handy komplett abgegeben hat, hätten die Mitschüler das akzeptiert, sagt sie. Manche hätten es sogar mutig gefunden. Für sie selbst sei die Zeit wie eine Entschleunigung gewesen: „Ich bin entspannter geworden.“ Letitia will die Fastenaktion dieses Jahr wiederholen – diesmal gemeinsam mit zwei Freundinnen.

Jens Bayer-Gimm (epd)