Urteil zur kirchlichen Einstellungspraxis sorgt für Diskussionen

Grüne fordern Gesetzesänderungen, Experten halten den Gang zum Bundesverfassungsgericht für möglich

Berlin (epd). Das Urteil des Bundesarbeitsgerichts zur Einstellungspraxis kirchlicher Arbeitgeber hat eine Debatte über mögliche gesetzliche Konsequenzen ausgelöst. Die Bundesregierung müsse das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) umgehend reformieren, erklärten die Grünen-Bundestagsabgeordneten Konstantin von Notz und Sven Lehmann. Sie wollen dazu einen Antrag in den Bundestag einbringen. Der kirchenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Lars Castellucci, forderte dagegen die Kirchen zu Konsequenzen auf. Diakonie und Caritas haben erste Maßnahmen angekündigt.

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hatte einer konfessionslosen Berlinerin, die sich erfolglos bei der Diakonie um eine Referentenstelle beworben hatte, eine Entschädigung in Höhe von knapp 4.000 Euro zugesprochen, weil sie nach Ansicht der Richter aus Gründen der Religion benachteiligt wurde. Das Gericht wandte dabei den Paragrafen 9 des AGG nicht an, der Religionsgemeinschaften die Auswahl auch nach Bekenntnis erlaubt, wenn es „eine gerechtfertigte berufliche Anforderung darstellt“. Im April hatte es ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) gegeben, mit dem nach Ansicht des Gerichts diese Ausnahme für Kirchen nicht mehr europarechtskonform auszulegen ist.

Bisherige Urteile liegen weit auseinander

Der Kirchenpolitiker von Notz und Lehmann erklärten, es sei daher eine Reform des AGG nötig, um das kirchliche Selbstbestimmungsrecht mit den Rechten der Beschäftigten in Einklang zu bringen. Das Bundesarbeitsministerium, zuständig für den nun infrage stehenden Passus im Antidiskriminierungsgesetz, äußerte sich zurückhaltender. Ob gesetzgeberischer Handlungsbedarf besteht und der Paragraf geändert werden muss, könne zur Zeit noch nicht abschließend beurteilt werden, sagte eine Sprecherin dem epd.

Der SPD-Politiker Lars Castellucci bezeichnete die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts als „gutes Urteil“ und forderte die Kirchen auf, selbst Konsequenzen zu ziehen. Kirche und Diakonie hatten nach der Urteilsverkündung angekündigt, zu prüfen, ob sie nun vor das Bundesverfassungsgericht ziehen. Der Bochumer Arbeitsrechtler Jacob Joussen hält das für möglich. BAG und EuGH auf der einen und Bundesverfassungsgericht auf der anderen Seite fielen nach dem Urteil jetzt „weit auseinander“, sagte er der „Rheinischen Post“.

Einzelfälle noch gründlicher prüfen

Der Tübinger Rechtswissenschaftler Hermann Reichold sieht das Urteil sogar auf einer „schiefen Ebene“. Wenn künftig Richter die Selbsteinschätzung kirchlicher Einrichtungen überprüfen sollen, ob und inwieweit ein Job bei einer kirchlich getragenen Einrichtung das Etikett „religionsnah“ verdient, dann habe „eine solche Fremdeinschätzung das Zeug zur Bevormundung“, schrieb er in einem Gastbeitrag für den Fachdienst „epd sozial“.

Ein Sprecher der Diakonie sagte, vorläufig werde man in der Tendenz prüfen und dokumentieren, ob bei Ausschreibungen die Anforderung an Kirchenmitgliedschaft zwingend erforderlich ist. Auch der Deutsche Caritasverband erklärte, er sehe sich nach dem Erfurter Urteil in der Pflicht, noch gründlicher zu prüfen, wann eine Religionszugehörigkeit tatsächlich eine zu rechtfertigende berufliche Anforderung sei.