„Der Sonntag als wohltuende Unterbrechung des Alltags - Von der Bedeutung einer religiösen Institution“ - Vortrag beim Neujahrsempfang des Kirchenkreises Buxtehude in der St. Petri-Kirche zu Buxtehude

Hermann Barth

"Der verkaufsoffene Sonntag war ein Erfolg für die Händler, denn etwa 300.000 Besucher hatten ihren Spaß bei einem Einkaufsbummel jenseits des Alltagsstresses ... 'Das ist wie bei einem Rockkonzert, eigentlich noch viel krasser', sagt eine Passantin zu ihrer Nachbarin auf der rappelvollen Rolltreppe ... Das Parkhaus der neu eröffneten Ernst-August-Galerie war innerhalb einer knappen Stunde voll ... Eine Innenstadtbesucherin stellte erschöpft ihre Tüten ab: 'Also dort drin ist es wie bei einem Dreikampf: schieben, schauen, shoppen' stöhnt sie. 'Mit Vergnügen hat das nichts zu tun' ... Unbegründet scheint also der Pessimismus einiger Ladeninhaber, die aus Furcht vor gähnender Leere ... gar nicht erst geöffnet haben."

So, verehrte Damen und Herren, liebe Schwestern und Brüder, jubelte die Hannoversche Allgemeine Zeitung in ihrer Ausgabe vom 20. Oktober 2008, dem Montag nach dem ersten verkaufsoffenen Sonntag des vergangenen Herbstes. Zwei Wochen darauf folgte gleich die Wiederholung. "Kinder, was für ein Sonntag!" überschrieb die Neue Presse in der Ausgabe vom 3. November ihren Bericht:

"Zwei Wochen ist es gerade mal her, dass die Geschäfte in Hannovers Innenstadt sonntags öffneten ... Gestern nun luden die Händler zum 'Familiensonntag'". – "Mindestens 300.000 Besucher hatten die Händler erwartet, rund 250.000 sind es geworden. Damit kamen rund 50.000 Besucher weniger als noch vor zwei Wochen. Dennoch zeigte sich der Geschäftsführer der Händlervereinigung City-Gemeinschaft zufrieden: 'Es sind zwar weniger Leute gekommen, dafür wurde aber mehr gekauft'".

Trotz der unüberhörbaren Einschränkungen – die beiden verkaufsoffenen Sonntage wurden von der Geschäftswelt als Erfolg verbucht. Nicht ganz zu Unrecht. Von einem Kaufboykott, der die Ladenöffnung wie einen Spuk vertreiben würde, kann jedenfalls keine Rede sein. Das veranlasst mich, im ersten Teil meines Vortrags der Frage nachzugehen:

I. Ist der Kampf um die Erhaltung des arbeitsfreien Sonntags schon entschieden?

1. Innerhalb von zwei Wochen zuerst 300.000 und dann 250.000 Menschen anzulocken – das ist kein Pappenstiel. Es wirkt wie eine Abstimmung mit den Füßen. Und Hannover ist dabei weder ein Ausnahme- noch ein Einzelfall. Viele Menschen suchen nicht die relative Stille des Sonntags, sondern Geschäftigkeit und umtriebige Unterhaltung – selbst wenn sie hundertmal die Erfahrung gemacht und der Zeitungsreporterin ausdrücklich in den Block diktiert haben: "Mit Vergnügen hat das nichts zu tun." Ihnen ist es nicht so sehr um "Arbeitsruhe" und "seelische Erhebung" zu tun, wie die Weimarer Reichsverfassung in einer klugen, ins Grundgesetz aufgenommenen Formulierung den Gehalt der Sonntage und der staatlich geschützten Feiertage bestimmt, sondern der Wert der Tage wird daran gemessen, ob etwas los ist. Das geht so weit, dass nicht wenige Menschen – wenn sie ehrlich sind – einräumen, froh zu sein, wenn die Arbeitswoche wieder begonnen hat; die scheinbare Leere des Sonntags macht ihnen Angst, sie wissen nicht viel mit sich anzufangen. Ich erinnere mich noch lebhaft eines Taufvorbereitungsgesprächs, in dem der nicht mehr ganz junge Vater seiner Zuversicht Ausdruck gab, mit dem heiß ersehnten, ihnen endlich geschenkten Kind würden auch die Sonntage einen eigenen Inhalt und Glanz bekommen. Und dann gestand er mir – mit Blicken, die Verlegenheit und Beschämung verrieten -, in der Zeit der Kinderlosigkeit sei ihnen am Sonntag häufig nichts Besseres eingefallen, als mit dem Auto eine Ausfahrt zu unternehmen: nur weg von zu Hause, nur nicht mit sich selbst allein sein.

Die Hunderttausende, die die Sonntagsöffnung der Geschäfte nutzen, haben zumindest überwiegend ein besonderes Verhältnis zum Einkaufen. Für sie ist Einkaufen mehr als das Besorgen von lebenswichtigen Gütern. Einkaufen wird zum Event und Unterhaltungsprogramm. Dem entspricht die Entwicklung der Anlage und Architektur der Kaufhäuser und Einkaufszentren. Sie sind sozusagen Tempel des Genusses, Orte, in denen man nicht allein eine Einkaufsliste abarbeitet, sondern an denen man sich wohlfühlen will. Wenn das aber so ist, dann rücken die modernisierten Kaufhäuser und Einkaufpassagen auf die Seite der Freizeitparks – und dass die am Sonntag geöffnet sind, ist weithin unstrittig.

2. Eine schleichende Aushöhlung des Sonntagsschutzes stellt aber auch das Warenangebot in den Tankstellen und in den Geschäftsflächen der großen Bahnhöfe dar. Von bloßem "Reisebedarf" kann man hier längst nicht mehr sprechen; diese in den gesetzlichen Regelungen verwendete Terminologie ist eine offenkundige Verschleierung; jeder weiß, dass Tankstellen und Bahnhofsgeschäfte Ersatzeinkaufsstätten gerade auch für den Sonntag sind.

3. Man bekommt es dabei mit der bewussten oder unbewussten „Salamitaktik“ bei der Zulassung weiterer Sonntagsarbeit zu tun. Jede einzelne Regelung oder Entscheidung für sich genommen schafft qualitativ keine neue Lage. Es handelt sich quantitativ betrachtet um minimale Verschiebungen. Bei der Auseinandersetzung über einen neuen Vorschlag begegnet man darum regelmäßig dem Hinweis, dass sich relativ wenig ändere und dass die Auswirkung auf den Prozentanteil der am Sonntag Beschäftigten gering bleibe. Aber irgendwann schlägt Quantität in Qualität um. Man muss das Additionsergebnis der vielen kleinen Schritte in den Blick fassen. Es ist immer ein einzelner Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt. Darum ist die Beruhigung über den quantitativ geringen Umfang jedes einzelnen Schrittes nur falscher Schein.

4. Wie steht es um die Effektivität des Sonntagsschutzes? Ist – jedenfalls was die Öffnung der Läden angeht – der Kampf um die Erhaltung des arbeitsfreien Sonntags schon vorentschieden, nämlich so gut wie verloren? Es ist vielleicht der größte Triumph der Befürworter einer großzügigen Ladenöffnung an Sonntagen, dass sie damit Erfolg haben, diesen Eindruck zu erwecken und zu festigen. In Wirklichkeit kann man ebenso gut das genaue Gegenteil vertreten. Man darf sich nur nicht ins Bockshorn jagen lassen. Deshalb nenne ich die wichtigsten Anhaltspunkte dafür, dass der Kampf mitnichten vorentschieden oder gar entschieden ist, und bitte Sie inständig, der Suggestion zu widerstehen, Widerstand lohne sich nicht mehr:

a) Das Beispiel Hannover zeigt, dass nur bestimmte Geschäftslagen profitieren. Andere Quartiere hingegen sind an den verkaufsoffenen Sonntagen verwaist.

b) Das Beispiel Hannover ist ferner nicht beweiskräftig für die Behauptung, der Sonntag würde auf Dauer so viele Menschen mobilisieren. Einstweilen lässt sich nur erkennen, dass die Attraktion des Neuen Menschen anzieht. Aber wie lange?

c) Schließlich macht das Beispiel Hannover deutlich: Auf einen größeren Zeitraum bezogen wird der zusätzliche Umsatz dadurch auf ein normales Maß zurückgeführt, dass andere Tage nur ein unterdurchschnittliches Ergebnis erzielen. Es ist – mit anderen Worten – nirgendwo nachgewiesen worden, dass auf diesem Wege überhaupt das Geschäftsvolumen erhöht wird. Dadurch dass an einem Sonntag Hunderttausende als potentielle Kunden unterwegs sind, entsteht vielmehr der Anschein, es habe eine Umsatzsteigerung stattgefunden.

Wenn Umfang und Entwicklung der Sonn- und Feiertagsarbeit in kritischer Absicht thematisiert wird, ist eine Zwischenbemerkung nötig, um Zerrbilder zu vermeiden: Sonn- und Feiertagsarbeit ist nicht verwerflich. Sie ist in gewissem Umfang notwendig und vertretbar. Es kommt auf eine Verständigung über die Grenzziehung an: Was ist noch notwendig und vertretbar, ohne die Institution des Sonntags auszuhöhlen, und wo wird es für die Institution des Sonntags bedrohlich? Darum frage ich im zweiten Teil meines Vortrags:

II. Welche Entwicklungen sind es, die dem Sonntagsschutz gefährlich werden?

1. Der große Rahmen ist die Verschärfung des internationalen Wettbewerbs. Die Vergleichszahlen aus anderen Ländern der Europäischen Union gelten in diesem Zusammenhang als Indiz für einen Wettbewerbsnachteil der deutschen Wirtschaft. Das Argument des Wettbewerbsnachteils muss man im Prinzip sehr ernst nehmen. Es sticht allerdings nicht in allen Fällen. Auch beantwortet es noch nicht die Frage, welche Wertentscheidungen eine Gesellschaft trifft und welchen Preis sie zur Verbesserung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit zu zahlen bereit ist. Gerade die Kirchen müssen daran erinnern: Der Mensch lebt nicht vom Brot allein. Der Mensch lebt auch nicht von der Wettbewerbsfähigkeit allein. Die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit rechtfertigt nicht jeden Preis.

2. Die Europäische Union hat eine Tendenz zur Vereinheitlichung. Auf den Feiertagsschutz hat sich das bei der Gestattung des bargeldlosen Großzahlungsverkehrs an Feiertagen ausgewirkt - woran sich dann der Vorstand der Deutschen Börse mit seiner Forderung anhängte, den Börsenhandel ebenfalls mit Ausnahme des 1. Weihnachtsfeiertags und des Neujahrstages an allen Feiertagen zuzulassen. Das Drängen auf Vereinheitlichung innerhalb der EU ist aus wirtschaftlichen Überlegungen verständlich, in kultureller Betrachtung aber verhängnisvoll. Ein englischer Freund, der aus seiner euroskeptischen Haltung nie ein Hehl machte, sagte mir vor 30 Jahren im Ton der Entrüstung: Die werden uns eines Tages sogar eine Norm für Euro Bread verordnen - und was die Qualität von Brot angeht, hätten Deutsche gewiss noch weit mehr Anlass als Engländer, eine Nivellierung auf einen europäischen Einheitsstandard zu fürchten. Dem Hang zu immer mehr Vereinheitlichung muss man widerstehen. Die Leitlinie kann nur heißen: so viel Vereinheitlichung wie nötig, so viel Vielfalt wie möglich.

3. Die rechtlichen Regelungen zur Sonn- und Feiertagsarbeit haben in den letzten Jahren gewichtige Veränderungen erfahren. Von prinzipieller Bedeutung ist die Regelung des Arbeitszeitgesetzes von 1994, wonach die Aufsichtsbehörde „die Beschäftigung von Arbeitnehmern an Sonn- und Feiertagen zu bewilligen“ hat, wenn „die Konkurrenzfähigkeit unzumutbar beeinträchtigt ist und durch die Genehmigung von Sonn- und Feiertagsarbeit die Beschäftigung gesichert werden kann“ (§ 13 Abs. 5). Damit ist das Begründungsarsenal für Sonntagsarbeit in gravierender Weise erweitert worden: Ging es zuvor nur um Arbeiten, „die aus chemischen, biologischen, technischen oder physikalischen Gründen einen ununterbrochenen Fortgang ... erfordern“ (§ 13 Abs. 4), so werden jetzt auch rein wirtschaftliche Gründe zugelassen.

Weil die Bundesregierung von der Ermächtigung des Arbeitszeitgesetzes, die Sonn- und Feiertagsbeschäftigung selbst durch Rechtsverordnung zu regeln, keinen Gebrauch macht, sind die Landesregierungen (gemäß Arbeitszeitgesetz § 13 Abs. 2) nach und nach dabei, entsprechende Bestimmungen zu erlassen. Ihre Bestimmungen haben, mit einigen bemerkenswerten Unterschieden, alle die Tendenz zur Ausweitung der Sonntagsarbeit. Sie tragen übrigens einen signifikanten Namen: „Verordnung über die Zulassung der Beschäftigung von Arbeitnehmern an Sonn- und Feiertagen zur Befriedigung täglicher oder an diesen Tagen besonders hervortretender Bedürfnisse der Bevölkerung“. Es gibt viele Bedürfnisse und Wünsche. Sind sie alle gleich wichtig? Der Name macht jedenfalls darauf aufmerksam, dass das Ausmaß der Sonntagsarbeit auch von der Nachfrage abhängig ist. Ich komme darauf zurück.

Große öffentliche Aufmerksamkeit hat die im Jahr 1996 erfolgte neue Regelung über - kurz gesagt - Herstellung und Verkauf von Brötchen am Sonntag gefunden („Gesetz zur Änderung des Gesetzes über den Ladenschluss und zur Neuregelung der Arbeitszeit in Bäckereien und Konditoreien“ vom 30. Juli 1996). Man konnte den Eindruck bekommen, der Mangel an frischen Backwaren am Sonntag sei eine schwere Beeinträchtigung der Lebensqualität.

Die letzte gesetzliche Regelung zum Ladenschluss auf der Ebene des Bundes erfolgte 2003. Anlässlich von Märkten, Messen und ähnlichen Veranstaltungen wurden dabei vier verkaufsoffene Sonn- und Feiertage pro Jahr zugelassen. Die Verkaufszeit durfte fünf Stunden nicht überschreiten und musste um 18.00 Uhr beendet sein. Sehr viel Konfliktstoff und Ärger ergab sich aus der Zulassung von Sonderregelungen für Geschäfte in Bahnhöfen, Flughäfen und in bestimmten Urlaubsregionen. Ich habe darauf schon Bezug genommen.

Die einschneidendste Änderung der Gesetzeslage geschah aber vor zweieinhalb Jahren. Am 30. Juni 2006 stimmt der Bundestag der Föderalismusreform zu – und damit auch der Übertragung der Gesetzgebungskompetenz in Sachen Ladenschluss an die Länder. Damit wurde der Ladenschluss Ländersache, und jedes Land konnte eigene, auf seine regionalen Besonderheiten und seine politischen Positionen abgestimmte Regelungen schaffen. Für die Kirchen hätte dies nicht nachteiliger ausfallen können. Hatten die Kirchen bis 2006 im Bund einen einzigen Verhandlungspartner, müssen sie jetzt mit 16 Partnern verhandeln. Es kann nicht überraschen, dass die Konfliktlinien in Berlin mit der Verabschiedung des Gesetzes am 14. November 2006 sehr schnell aufbrachen und – worauf noch einzugehen sein wird – inzwischen beim Bundesverfassungsgericht gelandet sind. Im Land Berlin können schlimmstenfalls zehn Sonn- und Feiertage ganz oder teilweise als Arbeitstage in Anspruch genommen werden.

4. Neben den gesetzlichen Neuregelungen verdient die Ebene der Auslegung der bestehenden Regelungen durch die Aufsichtsbehörden gesonderte Beachtung. Dabei geht es (in Aufnahme von § 13 Abs. 3 des Arbeitszeitgesetzes) insbesondere um örtliche Messen oder Märkte. Die Phantasie bei der Erfindung entsprechender Anlässe kennt fast keine Grenzen. In der Vergangenheit konnten die Kirchen in hohem Maße darauf bauen, dass Auslegung und Vollzug der gegebenen Regelungen in den Händen von Menschen lag, die einen Sinn für die religiöse Dimension des Lebens hatten und den Kirchen wohlwollend gegenüberstanden. Das ist heute zunehmend weniger der Fall. Dadurch ergeben sich Verschiebungen, die in ihrer Tragweite kaum zu überschätzen sind. Um so wichtiger ist die Intensivierung der Gesprächskontakte mit den entsprechenden Stellen.

5. Von der Ausweitung der Spielräume für gewerbliche Angebote an Sonn- und Feiertagen darf freilich nicht die Rede sein, ohne das Pendant zu erwähnen: Das Angebot wird nur so lange gemacht und aufrecht erhalten, wie eine entsprechende Nachfrage da ist. Zu den Faktoren für die Ausweitung der Sonntagsarbeit gehört eben auch der Umstand, dass diese Arbeit in Anspruch genommen wird. Hier stellt sich eine Gewissensfrage für jeden: Welche Sonntagsarbeit nehme ich in Anspruch? Sind es Arbeiten, die so nur oder gerade an diesem Sonntag gebraucht werden, oder wären sie ebensogut vorher oder nachher möglich gewesen? Das ist von besonderer Bedeutung in der Debatte um eine Änderung der Ladenöffnungszeiten. Der Chef des Kaufhofs hat zum wiederholten Male einen Vorstoß gemacht, um eine generelle Ladenöffnung auch am Sonntag zu erreichen - natürlich nicht ohne den obligatorischen Hinweis auf die Verhältnisse in anderen Ländern. Die Gewerkschaft protestiert, um den arbeitsfreien Sonntag ihrer Mitglieder zu schützen. Aber wie steht’s mit uns, den Kunden?

III. Was heißt: den Sonntag "heiligen"?

„Gedenke des Sabbattages, dass du ihn heiligest“ (2. Mose 20,8). Dieses Gebot ist der Dreh- und Angelpunkt auch der christlichen Sonntagsheiligung. Dass der Sonntag als Tag der Auferstehung Jesu Christi in das Erbe des Sabbattages eingetreten ist, hat das Verständnis der Heiligung dieses Tages ergänzt und bereichert, aber im Kern nicht verändert. Die Schlüsselfrage lautet: Was meint "heiligen"? Was meint "heilig"?

1. "Heiligkeit" und "heilig" gehören nicht zu den Begriffen, die heute Konjunktur haben. Es gibt aber ein paar alltagssprachliche Wendungen, die die Sache erschließen. Da sagt jemand: "Mein Mittagsschlaf ist mir heilig!" Oder da wird ein Mensch, der skrupellos alle Grenzen überschreitet, mit den Worten charakterisiert: "Dem ist nichts heilig." In beiden Fällen wird ein Unterschied gemacht: Es gibt gewöhnliche Dinge in der Welt, und es gibt Dinge und Zeiten und Orte und Handlungen, die das Gewöhnliche sprengen. Und damit sind wir beim Kern dessen, was "Heiligkeit" und "heilig" meinen.

2. Das Heilige ist das ganz andere. In der Welt ist nicht alles gleich, es ist nicht alles profan, sondern aus dem Meer des Gewöhnlichen und Verfügbaren ragt das Besondere, das Ausgesonderte, das Unberechenbare und Unverfügbare, also das Heilige heraus. Das Heilige führt über die Welt hinaus. Es stört den Lauf der Welt, aber gerade deswegen hat es die Kraft, den Lauf der Welt zu verändern und zu erneuern.

Einer der bedeutendsten Alttestamentler des vergangenen Jahrhunderts, Gerhard von Rad, hat es - religionswissenschaftliche und biblische Einsichten bündelnd - in seiner "Theologie des Alten Testaments" so beschrieben: "Die Erfahrung des Heiligen ist ... ein religiöses Urphänomen, d.h. das Heilige ist begrifflich in keiner Weise von irgendwelchen anderen menschlichen Wertmaßstäben ableitbar. Es ist nicht deren Überhöhung, gesellt sich ihnen auch nicht zusätzlich bei, viel eher könnte man das Heilige als den großen Fremdling in der Welt des Menschen bezeichnen, d.h. als eine Erfahrungswirklichkeit, die sich der dem Menschen vertrauten Welt nie wirklich einordnen lässt und der gegenüber der Mensch zunächst viel eher Furcht als Vertrauen empfindet."

Durch die Bibel, vor allem durch das Alte Testament, zieht sich der Gedanke hindurch, dass Gottes Heiligkeit mit einem "penetranten Immanenzwillen" (Gerhard von Rad) auf die Welt übergreift. "Ihr sollt heilig sein, denn ich bin heilig, der Herr, euer Gott" heißt es prägnant in 3. Mose 19,2. Heiligkeit ist nicht die Vergötzung irdischer Dinge, sondern sie ist bestimmt als die Teilhabe und Widerspiegelung der Heiligkeit Gottes selbst.

Der Streit um heilige Dinge und Zeiten und Orte und Handlungen ist darum immer ein Streit um das rechte Verständnis Gottes und den rechten Weg zur Erkenntnis Gottes. So wird die Bibel von den Christen Heilige Schrift genannt, weil sie ihnen nicht bloß als Weltliteratur gilt (das auch, so dass sie zu Recht im Feuilleton der Zeitung als "Fortsetzungsroman" abgedruckt und im Hörfunk "am Morgen vorgelesen" werden kann), sondern als Sammlung der Schriften, in denen Gottes Wort zu uns spricht. Das Essen von einem Brot und das Trinken aus einem Kelch wird, wo es der Einsetzung gemäß geschieht, zum Heiligen Abendmahl, weil es nicht um eine gewöhnliche Mahlzeit, sondern um die Gemeinschaft zwischen Gott und Mensch geht. Beim Bau und bei der Ausstattung gottesdienstlicher Räume wächst auch im Protestantismus - der sich in theologischer Überkorrektheit lange Zeit damit beschieden hat, dass Predigt und Gotteslob an jedem Ort laut werden können - wieder der Sinn fürs Sakrale. Es ist gemeinsame (!) christliche Überzeugung, dass es Christenmenschen gibt, die aus dem Volk Gottes weit herausragen und darum "Heilige" genannt werden können, und "dass ein Gedenken an die Heiligen öffentlich stattfinden kann, damit wir so wie sie glauben und Gutes tun" (so das evangelische Augsburgische Bekenntnis von 1530 in Art. XXI).

Die Menschen sind in ihrem Verhältnis zum Heiligen einer doppelten Versuchung ausgesetzt: das Heilige nach eigenen Wertmaßstäben zu bestimmen und damit falsche Götter zu verehren oder auf der anderen Seite das, was nach Gottes Willen geheiligt werden soll, zu ihrem eigenen Schaden wieder in das Meer des Gewöhnlichen zurückzunehmen und alles gleich zu behandeln.

Heilig werden, Heiliges tun - das liegt nicht in der Reichweite menschlicher Möglichkeiten. Wenn alle Heiligkeit in der Welt nur aus der Teilhabe an Gottes Heiligkeit oder aus ihrer Widerspiegelung entsteht, dann ist sie den Menschen nur als erbetene und geschenkte zugänglich. Das kommt in einem Gebet Augustins wunderschön zum Ausdruck: "Atme in mir, du heiliger Geist, dass ich Heiliges denke. Treibe mich, du heiliger Geist, dass ich Heiliges tue. Locke mich, du heiliger Geist, dass ich Heiliges liebe. Stärke mich, du heiliger Geist, dass ich Heiliges hüte. Hüte mich, du heiliger Geist, dass ich das Heilige nimmer verliere."

Alle Heiligkeit in der Welt - so sagte ich - entsteht nur aus der Teilhabe an Gottes Heiligkeit oder aus ihrer Widerspiegelung. Aber besteht bei dieser Vorstellung nicht die Gefahr, daß Menschen fälschlich glauben, das Heilige sei in ihre Hand gegeben und sie besäßen die Verfügungsgewalt über es? Ist es - in der Konsequenz einer solchen Befürchtung - nicht die angemessenere Vorstellung, daß Dinge der Welt niemals an und für sich das Prädikat "heilig" erhalten können, sondern lediglich durch ihren Gebrauch geheiligt werden?

Im Gebot der Sabbatheiligung heißt "heiligen" wie sonst: absondern, aus den gewöhnlichen Dingen herausheben. Den Sonntag heiligen bedeutet demnach: ihn von den übrigen sechs Tagen unterscheiden. Ohne Sonntag gibt's nur Werktage. Das Gebot Gottes sagt in aller Klarheit, worin sich Alltag und Feiertag unterscheiden sollen: "Sechs Tage sollst du arbeiten und alle deine Werke tun. Aber am siebenten Tage ist der Sabbat des Herrn, deines Gottes. Da sollst du keine Arbeit tun, auch nicht dein Sohn, deine Tochter, dein Knecht, deine Magd, dein Vieh, auch nicht dein Fremdling, der in deiner Stadt lebt." Im Gebot der Feiertagsheiligung geht es der Sache nach um die heilsame Unterbrechung der täglichen Arbeit und Daseinsvorsorge. Die Heiligung des Sonntags, ja schon die bloße Existenz des Sonntags erinnern daran: Der Mensch definiert sich nicht allein über seine Arbeit, der Mensch ist nicht einfach das, was er aus sich macht. Aber der Mensch definiert sich nur zu gern über seine Arbeit und seine Leistung. "Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung" sind ein Stachel im Fleisch. Sie stören und verunsichern. Es ist menschlich nur zu verständlich, daß der heilsame Charakter dieser Verunsicherung verkannt und die als Störung empfundene Unterbrechung abgeschwächt oder beseitigt wird.

Wer die Auffassung verträte, die Zeit werde allein durch den Gebrauch geheiligt, der hätte den Sonntag, jedenfalls argumentativ, bereits preisgegeben. Würde die Zeit allein durch den Gebrauch geheiligt, dann bekämen diejenigen recht, die das Gebot der Sonntagsheiligung im Zeichen zunehmender Individualisierung schon dadurch als erfüllt ansehen, daß jeder genügend arbeitsfreie Zeit bekommt und den arbeitsfreien Tag nach eigenem Belieben wählt. Im jüdisch-christlichen Verständnis aber ist der Sabbat oder der Sonntag als heilige Zeit, die ebenso heilsam wie störend wirkt, vorgegeben. Es wäre allerdings eine falsche Alternative, das Vorgegebensein der heiligen Zeit gegen die Heiligung der Zeit durch ihren entsprechenden Gebrauch auszuspielen. Der Sonntag ist vorgegebene heilige Zeit, das findet im gesetzlichen Schutz des Sonntags seinen wirksamen Ausdruck. Aber die heilsame Unterbrechung der täglichen Arbeit, die damit intendiert ist, kann im individuellen Gebrauch sowohl angeeignet als auch verspielt werden.

2. „Gedenke des Sabbattages, dass du ihn heiligest.“ Was heißt das für Christen?

In Luthers Kleinem Katechismus lautet die Antwort: „Wir sollen Gott fürchten und lieben, dass wir die Predigt und sein Wort nicht verachten, sondern es heilig halten, gerne hören und lernen.“ Es ist kein Zufall, dass in der Antwort der Sonntag keine ausdrückliche Rolle spielt. Luthers Erklärung hat die deutliche Tendenz, dem Gebot der äußerlichen Heiligung eines bestimmten Tages den inneren Sinn abzugewinnen, dass es um die Heiligung des Wortes Gottes gehe. Darum heißt es auch im Großen Katechismus: „Zu welcher Stunde man nun Gottes Wort behandelt, predigt, hört, liest oder bedenkt, da wird Person, Werk und Tag geheiligt, nicht wegen des äußerlichen Werkes, sondern um des Wortes willen, das uns alle zu Heiligen macht. Deshalb sage ich alle Zeit, dass all unser Leben und Werk in dem Wort Gottes gehen müssen, wenn sie Gott wohlgefällig heißen sollen.“ Luther setzt die Arbeitsruhe am Sonntag als von alters gegebene Ordnung nur noch voraus und bezieht die Sonntagsheiligung in grandioser Einseitigkeit auf die Achtung gegenüber dem Wort Gottes. „Also ist“ - so im Großen Katechismus - „der einfache Sinn dieses Gebots, weil man ohnehin den Feiertag hält, dass man diese Feier dazu verwenden soll, Gottes Wort zu lernen, so dass das eigentliche Amt dieses Tages das Predigtamt sein soll, um des jungen Volks und der einfachen Leute willen, aber das Feiern nicht zu eng verstanden werden soll, dass deshalb andere zufällige Arbeit, die man nicht umgehen kann, verboten wäre.“

Der Heidelberger Katechismus, also der für die Lehre der reformierten Kirchen grundlegende Text, ist Luthers Erklärung ganz nahe: „Gott will - mit dem 4. Gebot - erstens, dass das Predigtamt und Schulen erhalten werden, und ich, besonders am Feiertag, zu der Gemeinde Gottes fleißig komme, das Wort Gottes zu lernen, die heiligen Sakramente zu gebrauchen, den Herrn öffentlich anzurufen und das christliche Almosen zu geben. Zum andern, dass ich alle Tage meines Lebens von meinen bösen Werken feiere, den Herrn durch seinen Geist in mir wirken lasse und so den ewigen Sabbat in diesem Leben anfange.“

3. Aber es geht im 3. bzw. 4. Gebot nicht allgemein um das Heilighalten des Wortes Gottes oder die Heiligung meines Lebens - außer gewiss in dem Sinne, dass dies der weitere Horizont aller Gebote Gottes ist -, sondern es geht um die Heiligung eines bestimmten Tages. Die Heiligung des Sonntags, ja schon die bloße Existenz des Sonntags, erinnern daran: Der Mensch definiert sich nicht allein über seine Arbeit, der Mensch ist nicht einfach das, was er aus sich macht. Man wird den Rhythmus von Arbeit und Feier, die Hingabe an die Arbeit und die periodische Abstandnahme von der Arbeit theologisch ebenso ernst nehmen müssen wie die Fragen der leiblichen Gesundheit. Die Unterbrechung des Alltags befreit den Menschen aus der Fixierung auf seine Taten und Leistungen und zwingt ihn, anderes zu bedenken. Es fällt gar nicht schwer, hier Querbeziehungen zur Botschaft von der Rechtfertigung des Menschen allein aus Gnade zu entdecken.

4. Die ältere Fassung der 10 Gebote im 2. Buch Mose verankert das Gebot der Feiertagsheiligung im Schöpfungshandeln Gottes selbst: „Denn in sechs Tagen hat der Herr Himmel und Erde gemacht und das Meer und alles, was darinnen ist, und ruhte am siebenten Tage. Darum segnete der Herr den Sabbattag und heiligte ihn“ (2. Mose 20,11). Der Wechsel von Arbeit und Ruhe, der Rhythmus von Tätigsein und Feiern ist eine der Welt und dem menschlichen Leben von Anfang an eingezeichnete Signatur. Gott „vollendete“, wie es in der Schöpfungsgeschichte heißt, das Werk der Schöpfung, als er „ruhte am siebenten Tage von allen seinen Werken, die er gemacht hatte“ (1. Mose 2,2). Nicht die Steigerung des Arbeitseinsatzes, nicht die Verdoppelung der Kräfte vollenden das Werk, sondern die Ruhe von der Arbeit. Das ist für den Menschen Zumutung und Trost zugleich: die Zumutung, dass er den Erfolg seiner Arbeit nicht in Händen hat und gewährleisten kann, aber auch der Trost, dass ihm nicht mehr abverlangt wird, als menschenmöglich ist, und er den Erfolg seiner Arbeit ruhig in Gottes Hände legen kann. Der Genfer Katechismus von 1542 hat das auf die schöne Formel gebracht, dass es im Gebot der Feiertagsheiligung um die „geistliche Ruhe“ gehe: „Was heißt geistliche Ruhe? Wenn wir von unsern eigenen Werken ablassen, damit der Herr in uns wirke. Wie geschieht das? Wenn wir unser Fleisch töten, das heißt: wenn wir unserer Natur entsagen, damit Gott uns durch seinen Geist leitet. Braucht das nur an einem einzigen Tag in der Woche geschehen? Es muss unaufhörlich geschehen. Denn nachdem wir angefangen haben, müssen wir unser ganzes Leben hindurch fortfahren. Warum hat er denn einen Tag zur gleichnismäßigen Darstellung bestimmt? Es ist nicht erforderlich, dass das Gleichnis völlig der Wirklichkeit entspricht, sondern eine gewisse Ähnlichkeit genügt.“

5. Schon die alttestamentliche Verbindung von Sabbatheiligung und Schöpfungsgeschichte hat eine auf das Ganze des menschlichen Lebens und der Geschichte bezogene Dimension. Alle Arbeit auf Erden geht dem Feiertag Gottes entgegen. Der irdische Feiertag ist ein Abbild davon und erinnert an Gottes ewigen Sabbat. Indem der Sonntag als der Tag der Auferstehung Jesu Christi an die Stelle des Sabbat getreten ist, wird dieser Bezug der Feiertagsheiligung noch verstärkt. Jeder Sonntag erinnert an die neue Schöpfung, die in Jesus Christus schon Gegenwart ist und die in aller Herrlichkeit doch erst noch kommen wird. Die Welt und das Leben der Menschen gehen auf die große Ruhe Gottes zu, mit der alle Mühe und Arbeit, alles Versagen und Scheitern, alle vorläufige Erkenntnis und Erfüllung zu einem Ende kommen. Das ist unübertrefflich im Hebräerbrief ausgesprochen: „Es ist noch eine Ruhe vorhanden für das Volk Gottes. Denn wer zu Gottes Ruhe gekommen ist, der ruht auch von seinen Werken so wie Gott von den seinen“ (4,9f). Oder wie es in dem leider kaum je noch gesungenen wunderschönen Paul-Gerhardt-Lied heißt: „Hier reis ich bis zum Grabe; dort in der ewgen Ruh ist Gottes Gnadengabe, die schließt all Arbeit zu“ (EG 529,1).

Wenn die Sonntagsheiligung in dem Maße, wie ich es hier vortrage, auf die Ruhe von der Alltagsarbeit bezogen und der Sonntag also gewissermaßen als Symbol des Reichs der Freiheit im Gegenüber zum Reich der Notwendigkeit dargestellt wird, dann muss ein Einwand bedacht werden, der sich aus der Entwicklung der fortgeschrittenen Industriegesellschaft ergibt. Es ist keine Frage, dass die wirtschaftliche, technische und soziale Entwicklung der letzten 150 Jahre die Arbeitszeit dramatisch verkürzt und den Umfang der Freizeit ebenso dramatisch ausgeweitet hat. Von daher lässt sich der Einwand formulieren: Bedarf es um der Ruhe von der Alltagsarbeit willen überhaupt noch des Sonntags? Ist nicht das Problem mittlerweile eher das geworden, dass die Menschen mit der vielen freien Zeit kaum etwas anzufangen wissen? Abgesehen davon, dass Alltagsarbeit mehr meint als berufliche Arbeit und insofern tarifliche Arbeitszeitverkürzungen keine völlig neue Lage schaffen - die freie Zeit des Sonntags zeichnet sich vor der Freizeit während der Arbeitswoche dadurch aus, dass sie gemeinsame Zeit ist. Die um sich greifende Flexibilisierung der Arbeitszeit führt dazu, dass bei sinkender Wochenarbeitszeit dennoch weniger gemeinsame freie Zeit zur Verfügung steht. Posaunenchöre und Tischtennismannschaften können ein Lied davon singen - ich rede aus Erfahrung. Man kann nicht mehr ohne weiteres davon ausgehen, dass bis auf Ausnahmen die Abende der Wochentage freigehalten werden können. Um so wichtiger ist die gemeinsame Zeit des Sonntags.

IV. Mit welchen Mitteln können wir uns für den Schutz des Sonntags einsetzen?

1. Nicht das, was Kirchen und Christen über den Schutz des Sonntags sagen, nicht das, was sie politisch fordern und betreiben, ist ausschlaggebend, sondern wie sie selbst mit dem Sonntag umgehen. Die Sonntagskultur - oder eben Sonntagsunkultur - im Erscheinungsbild von Gemeinden, Familien und Lebensführung des einzelnen spricht eine viel deutlichere Sprache als alle öffentlichen Erklärungen und synodalen Entschließungen. In diesem Zusammenhang kommt den Gottesdiensten am Sonntag eine besondere Bedeutung zu. Nicht dass der Sonntag erst und allein durch den Gottesdienst zum Sonntag würde. Wer diese Voraussetzung machte, würde zu der schwerwiegenden Folgerung getrieben, dass ohne die Teilnahme am Gottesdienst der Sonntag seinen inneren Sinn verliert - eine Folgerung, die weder theologisch notwendig ist noch von der Erfahrung (mit der Teilnahme und der Nicht-Teilnahme am Gottesdienst) gedeckt wird. Die Heiligung des Sonntags steht, wie ich zu zeigen versucht habe, in einem anderen Begründungszusammenhang. Aber in diesem anderen Begründungszusammenhang geht es nun darum, vorzuleben und zu demonstrieren, dass sich der Sonntag sinnvoll vom Alltag abhebt und dass die Unterscheidung des Sonntags vom Alltag dem Menschen gut tut. Die Verlegenheit, den Sonntag sinnvoll zu füllen und zu gestalten, ist offenkundig.

Der öffentliche Gottesdienst ist das Markenzeichen für die kirchliche Gestaltung und Füllung des Sonntags. Wenn der Gottesdienst inhaltlich dürftig bleibt, wenn er lieblos wirkt und kümmerlich besucht ist, dann wird er als Gestaltungsmittel des Sonntags beschädigt. Der Gottesdienst ist das zentrale Angebot im Schaufenster kirchlicher Beiträge zur Heiligung des Sonntags.

2. Heiligung des Sonntags bedeutet allerdings nicht, dass nichts getan werden soll. Vielmehr geht es darum, dass die Arbeit der täglichen Daseinsvorsorge heilsam unterbrochen wird. Weder die Strenge der Sabbatheiligung bei den orthodoxen Juden noch die Freudlosigkeit und gähnende Langeweile puritanischer Sonntagsheiligung sind ermutigende Vorbilder. Wer den Sabbat oder den Sonntag von aller Tätigkeit - außer den religiösen Übungen - freihalten will, wird weder dem inneren Sinn des Gebotes Gottes gerecht, noch weckt er das Verständnis für die Menschenfreundlichkeit dieses Gebotes. Ich kann darum im Prinzip nichts Schädliches darin sehen, dass Jahresfeste von kirchlichen Einrichtungen, Wohltätigkeitsveranstaltungen, Seminare oder auch Synodentagungen an einem Sonntag stattfinden.

Viel schwerwiegender ist das, was in der Lebensführung des einzelnen zwar verborgen vor den Augen der Öffentlichkeit geschieht, aber in der Familie und im Freundeskreis offen zutage liegt. Ich weiß es schließlich von mir selbst am besten: Ich mache den Sonntag gelegentlich zum Werktag. Das sind Zeiten, in denen ich unter dem Eindruck stehe, für meine berufliche Arbeit reichten die sechs Werktage nicht aus. Ich rede nicht gesetzlicher Enge und Strenge das Wort. Die Formulierung des Genfer Katechismus von 1542, die ich zitiert habe, ist weise: „Es ist nicht erforderlich, dass das Gleichnis völlig der Wirklichkeit entspricht, sondern eine gewisse Ähnlichkeit genügt.“ Aber diese wohltuende Freiheit von gesetzlicher Enge darf nicht unter der Hand dazu führen, dass die Wohltat des Wechsels von Arbeit und Ruhe ihrerseits verloren geht.

3. Was das eigene Verhalten unausdrücklich ausspricht und lehrt, kann und soll natürlich auch zum Gegenstand ausdrücklicher Lehre werden. Kinder lernen aus dem Verhalten ihrer Eltern, ob und was der Sonntag ihnen bedeutet. Darüber wird dann in der Familie auch geredet. Christliche Eltern sollen Auskunft geben können darüber, warum der Sonntag anders ist und anders bleiben soll als der Alltag. Die christliche Unterweisung im Kindergarten, im Religionsunterricht und in der Konfirmandenarbeit haben die Aufgabe, die Weitergabe und Erklärung des christlichen Glaubens durch Eltern, Paten, Familienangehörige und Freunde zu unterstützen und zu vertiefen.

4. Das Grundgesetz und eine ganze Reihe von einfachgesetzlichen Regelungen schützen in Deutschland den Sonntag mit dem Mittel der Rechtsordnung. Daraus ergibt sich für uns die Chance und die Aufgabe, uns im Kampf für die Erhaltung des arbeitsfreien Sonntags dieses Mittels zu bedienen. Mit Privilegierung oder gar Mauschelei hat das nicht das Geringste zu tun. Deutschland ist nach wie vor weit überwiegend von Menschen bevölkert, die aus den christlichen Wurzeln dieses Landes stammen. Darum kommt man aus ganz pragmatischen Gründen zu der Schlussfolgerung, dass hierzulande der Sonntag – und nicht der Sabbat oder der Freitag – gesetzlichen Schutz genießt. In den vergangenen Jahren hat es zahlreiche Rechtsstreitigkeiten um die Auslegung und Anwendung der Rechtsvorschriften über den Sonntagsschutz gegeben. Mehrfach nötig war dies im Falle des Bundeslandes Mecklenburg-Vorpommern, weil es die Sonderregelungen für Urlaubsregionen allzu großzügig auslegte. Zur Zeit ist aber insbesondere eine Verfassungsbeschwerde der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz und des Erzbistums Berlin gegen das Berliner Ladenöffnungsgesetz vom 14. November 2006 vor dem Bundesverfassungsgericht anhängig.

5. Sonntagsheiligung ist allerdings nicht an bestimmte politische oder rechtliche Gegebenheiten gebunden. In anderen Ländern und Kulturen müssen Christen andere Wege gehen, um dem Gebot der Sonntagsheiligung unter ihren Lebensumständen Rechnung zu tragen - wie ja auch Juden und Muslime in Ländern, deren Kultur christlich geprägt ist, ihre Traditionen nur in verwandelter Gestalt pflegen können. Dieser Umstand darf jedoch nicht die Einsicht verdunkeln, dass das Gebot der Sonntagsheiligung - eben weil es auf die elementare Unterscheidung von Arbeit und Ruhe zielt - nach institutionellen Gewährleistungen verlangt. Für das Gebot der Sonntagsheiligung war darum die vielgeschmähte konstantinische Wende ein entscheidendes Datum. Man kann den 3. März 312 geradezu als den Geburtstag des Sonntags als eines staatlichen Ruhetags ansehen. Das Edikt Kaiser Konstantins lautete: „Alle Richter, die Bevölkerung der Städte und die gesamte Erwerbstätigkeit sollen frei am verehrungswürdigen Tag der Sonne ruhen“- auch hier übrigens unter weiser Vermeidung gesetzlicher Enge, denn das Edikt fährt fort: „Die Bauern allerdings sollen frei und ungehindert der Bestellung der Felder nachgehen, da es häufig vorkommt, dass kein Tag geeigneter ist, den Getreidesamen den Furchen und die Weinstocksetzlinge den Löchern anzuvertrauen, damit nicht etwa die Gunst des Augenblicks, von himmlischer Vorsehung beschieden, verpasst werde.“ Weil die Sonntagsheiligung nach institutioneller Gewährleistung verlangt, ist es auch heute Aufgabe der Kirchen und der Christen, sich als Politiker, als Unternehmer, als Gewerkschafter, aber auch bei Politikern, Unternehmern und Gewerkschaftern für verlässliche Regelungen zum Schutz des Sonntags einzusetzen.

V. Noch einmal: Ist der Kampf um die Erhaltung des arbeitsfreien Sonntags schon entschieden?

Ich habe im Laufe meines Vortrags manche Halbheiten bei der Durchsetzung des Sonntagsschutzes kritisiert. Aber ich will zum Schluss auch noch eine andere Lesart vortragen – orientiert an Luthers Auslegung des 8. bzw. des 9. Gebots, wonach "nicht falsch Zeugnis reden gegen jemanden" positiv bedeutet: "Wir sollen ihn entschuldigen, Gutes von ihm reden und alles zum Besten kehren."

Man kann ja schwerlich übersehen, dass die Halbheiten – so lächerlich und ärgerlich sie im einzelnen sein mögen – faktisch eine Ventilfunktion haben. Sie nehmen sozusagen den Druck aus dem Kessel. Vielleicht tragen diese Schlupflöcher mehr dazu bei, dass der Sonntagsschutz nicht grundsätzlich in Frage gestellt wird, als wir realisieren. Ist hier auch die Erklärung zu suchen, warum das europäische Land, das einst von der intensivsten Sonntagskultur geprägt war, das Vereinigte Königreich, heute am rücksichtslosesten mit diesem Erbe umgeht? Weil nämlich eine strenge puritanische Sonntagsobservanz es so schwer hat, den Übergang zu einer moderaten Regelung und Praxis des Sonntagsschutzes zu finden?

Ich weiß: Das ist eine gewagte These. Und eine riskante dazu. Selige Halbheiten? Gibt es das? Durchaus und gar nicht so selten: errore hominum providentia Dei, zu Deutsch: wenn Gott es so fügt, obwohl die Menschen falsch handeln.