Grußwort anlässlich AMD-Delegiertenversammlung in Krelingen

Thies Gundlach

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Schwestern und Brüder,

herzlichen Dank für Ihre freundliche Einladung zu diesem festlichen Abend anlässlich Ihrer AMD-Delegiertenversammlung. Das letzte Mal war ich zur Geburtstagsfeier des Gnadauer Gemeinschaftsverband eingeladen, ebenfalls ein festlicher Abend. Sie feiern gern, ich komme gerne. Ich komme auch deswegen gern, weil ich nicht nur die herzlichen Segenswünsche des Rates der EKD und des Kirchenamtes überbringen kann, sondern weil ich Ihnen eine Geschichte aus meinem Alltag erzählen will:

Der Rat der EKD hat sich über dieses kleine Video „Eine-Tür“ vermutlich nicht weniger verstört gezeigt wie viele von Ihnen; ich hatte daraufhin den Auftrag erhalten, ein Gespräch mit den Verantwortlichen zu führen  Eine relativ undankbare Aufgabe, aber es wurde dann ein sehr gutes Gespräch, aus drei Gründen: 

Einmal weil die Verantwortlichen einräumen konnten, nicht ausreichend genug berücksichtigt zu haben, dass die gelegentliche Problematik einer unklaren Zuordnung von Bedürfnis und Toilettentür vielleicht doch nicht das optimale Sinnbild für den offenen Zugang zur Kirche ist. Sodann aber auch, weil die Verknüpfung der Geschlechtertoleranzproblematik  mit einer Toilettenfrage viel zu nahe an genau jener „Schmuddelecken-Unterstellung“ liegt, die die Autoren gerade überwinden wollen. Vor allem aber, weil die Verantwortlichen nachvollziehen konnten, dass man sich bei solch einer offensichtlich provokant-ironisch gemeinten Videoproduktion jedenfalls klarmachen muss, welche anderen Bereiche der Kirche man damit verlässlich vor den Kopf stößt. Das kann man dann immer noch wollen, aber man muss es jedenfalls richtig einschätzen, und das hatten Sie nicht ausreichend getan.

Auf der Fahrt hierher habe ich mich allerdings gefragt, ob alle in unserer Kirche in einem umgekehrten Fall so selbstkritisch und nachdenklich reagieren würden?

Sicher, ich weiß um die theologische Kompetenz vieler Menschen in ihren Reihen, ich freue mich sehr über manche würdigenden Worte zur theologischen und organisatorischen Vorbereitung des Reformationsjubiläums, aber höre auch manche scharfe Beurteilung und manche grobe Verurteilung der EKD mit Kummer. Auch weil ich eine vielleicht typisch kirchenleitenden Sorge habe, die sich aber leider auch in der jüngsten Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung zeigt:

Mit der Zunahme vielfältiger Formen engagierter Verbundenheit mit unserer Kirche nimmt die Polarsierung innerhalb der Kirche zu. Man erkennt weniger als früher den anderen als Variante des eigenen Glaubens, man ist statistisch gesehen schneller bereit, den anderen zu verurteilen und für nicht zugehörig zu halten.

Natürlich spiegelt sich in dieser Entwicklung eine gesamtgesellschaftliche Entwicklung; die Ausdifferenzierung der Gesellschaft, die ständige Pluralisierung von Werten und Lebensformen führen dazu, dass auch wir Christen immer ausdifferenzierter und vielfältiger werden. Zugleich nimmt aus dem gleichen Grunde das Bedürfnis nach klarer Profilierung zu, denn je eindeutiger die gemeinsamen Werte und Lebensformen sind, desto wärmer und vertrauter wird es.

Die daraus folgende geistliche Frage lautet: Wie können wir dann noch unseren missionarischen Auftrag gerecht werden, „an Christi Statt und also im Dienst seines eigenen Wortes und Werkes durch Predigt und Sakrament die Botschaft von der freien Gnade Gottes auszurichten an alles Volk“, um die 6. Barmer Theologische Erklärung zu zitieren? Wie können wir missionarische Kirche sein, wenn wir selbst immer genauere, immer deutlichere, immer profiliertere, ja mitunter auch immer engere Vorstellungen haben von dem, was das Evangelium ist und wie es zu verstehen sei?

Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass wir nur missionarisch bleiben, wenn wir als Gemeinschaft in der Kirche dem paulinischen Grundsatz aus 1. Kor 9 folgen:

„Den Juden bin ich wie ein Jude geworden, damit ich die Juden gewinne. Denen, die unter dem Gesetz sind, bin ich wie einer unter dem Gesetz geworden – obwohl ich selbst nicht unter dem Gesetz bin –, damit ich die, die unter dem Gesetz sind, gewinne. Denen, die ohne Gesetz sind, bin ich wie einer ohne Gesetz geworden – obwohl ich doch nicht ohne Gesetz bin vor Gott, sondern bin in dem Gesetz Christi –, damit ich die, die ohne Gesetz sind, gewinne. Den Schwachen bin ich ein Schwacher geworden, damit ich die Schwachen gewinne. Ich bin allen alles geworden, damit ich auf alle Weise einige rette. Alles aber tue ich um des Evangeliums willen, um an ihm teilzuhaben. (1. Kor 9, 20-23)    

Als einzelne Personen können wir das nicht, aber als Gemeinschaft, als Kirche Jesu Christi schaffen wir diese Freiheit der Verkündigung; missionarisch sein in einer hochdifferenzierten Gesellschaft verlangt vielfältige Formen und Formate, aber wenn wir auf Dauer keine geistlichen Parallelgesellschaften in unserer Kirche wollen, dann müssen wir den anderen so weit als möglich unterstellen, dass auch er das eine Wort Gottes weiterzugeben versucht, dem wir im leben und im Sterben zu vertrauen und zu gehorchen haben.

Liebe Geschwister,

deswegen klingt meine herzliche Bitte: Bleiben Sie auf Ihrem Kurs, der ist für uns alle sehr wertvoll: Stehen Sie auf, wenn „Zeit zum Aufstehen“ ist, bleiben Sie sitzen, wenn Zeit zum Studieren ist; bleiben sie mit ganzem Herzen missionarisch engagiert (obwohl die Ergebnisse der KMU nicht eben ermutigen), schenken Sie Ihrer Kirche einen Glaubenskurs „Reformationstheologie“, gestalten Sie Ihren missionarischen Gemeindekongress so intensiv wie möglich (wir helfen auch mit, so gut wir können), kurzum:

Versuchen Sie auf Ihren Wegen und Weisen Menschen die Tür zu Jesus Christus aufzuhalten, aber verlieren Sie die anderen nicht aus den Augen oder gar aus dem Herzen, denn „meine Lieben, wir sind schon Gottes Kinder; es ist aber noch nicht offenbar geworden, was wir sein werden. Wir wissen aber: wenn es offenbar wird, werden wir ihm gleich sein; denn wir werden ihn sehen, wie er ist.“ (1.Joh 3,2).

Und die beste Übersetzung dieses Satzes der theologischen Bescheidenheit aus dem 1. Johannesbriefes will ich Ihnen zuletzt nicht vorenthalten:

Sie stammt von Axel Hacke und geht etwa so:

Auf dem Weg mit dem Fahrrad zum Kindergarten fragt der kleine Kerl, ob es denn einen Himmel gebe. Der Papa ringt um Worte, eiert rum und sagt:

Naja, die einen sähen es so, die anderen so, manche sagen, dort wohne Gott, andere sagen, da sei gar nichts, die dritten vermuteten einen Seelenfriedhof und wieder andere gehen davon aus, dass sie von Manitu, Thor oder Zeus begrüßt werden.

Der kleine Kerl schweigt lange, der Papa glaubt schon, die Prüfung bestanden zu haben, bis der Kleine plötzlich sagte: Na, wir werden ja sehen!