Statement bei der Pressekonferenz zu Beginn der Zukunfts-Werkstatt der EKD in Kassel

Wolfgang Huber

„Alle Sorgen werft auf ihn, denn er sorgt für euch“ – so heißt das biblische Wort, das über dieser Woche steht (1. Petrus 5, 7). Das richtige Wort zur richtigen Zeit! Dieser Wochenspruch steht als entlastende Einladung und befreiende Zusage über der heute beginnenden Zukunftswerkstatt der Evangelischen Kirche in Deutschland. Der Geist dieses biblischen Worts kann die Veranstaltungen der nächsten drei Tage leiten. Nicht von Sorgen lässt sich die Kirche beherrschen. Sondern der auferstandene Christus ist ihr alleiniger Herr.

In einer Zeit, in der mit Vorliebe das Wort „Krise“ zur Beschreibung der eigenen Gegenwart verwendet wird, feiern wir als evangelische Kirche Jesus Christus als den Herrn des Lebens, als Ende der Sorgen-Herrschaft, als Grund und Kraft dafür, die Kirche zu gestalten und in die Welt hinein zu wirken. Wir sollen - so der Wochenspruch - die Sorgen werfen, nicht uns ihnen unterwerfen. Sie sind Anlass zum Gestalten, nicht zum Erstarren.

Rund 1.200 Menschen kommen aus den verschiedenen Bereichen der evangelischen Kirche und als Gäste heute hier in Kassel zusammen, um sich auszutauschen und gemeinsam zu feiern, um voneinander zu lernen und Neues anzustoßen. Sie stehen stellvertretend für das breite Interesse, die große Hoffnung, den bemerkenswerten Einsatz für die Zukunft unserer Kirche. Sie zeigen, dass im Bemühen um die Reform unserer Kirche eine neue Phase beginnt. Konzeptionelle Überlegungen werden mit Phantasie und Lust in vielfältiger Weise fruchtbar gemacht: in Gemeinden und kirchlichen Regionen, in freien Initiativen und landeskirchlichen Diensten. Auf diese Weise gewinnt das Bild unserer evangelischen Kirche an Farbe: einer Kirche, die sich mit der Botschaft von Gottes Gnade an die Menschen wendet und mit Gottvertrauen in die Zukunft geht. 

Mein großer, persönlicher Dank gilt denen, die diese Zukunftswerkstatt vorbereitet und ermöglicht haben, und ebenso denen, die sie nun gemeinsam gestalten. Ich bin dankbar für die große Gemeinschaft der Landeskirchen, Kirchenkreise und Gemeinden, die sich hier gemeinsam als eine Kirche im Aufbruch auf den Weg machen. Die sichtbare Gemeinschaft, in der verschiedene Frömmigkeitstraditionen und theologische Richtungen zusammen finden, empfinde ich als ein großes Gut in unserer evangelischen Kirche, als ein Geschenk Gottes.

2006 hat der Rat der EKD mit seinem Impulspapier „Kirche der Freiheit“ in unserer Kirche eine öffentliche Diskussion angestoßen. Daraus ist ein gemeinsamer Reformprozess geworden. In der Zukunftswerkstatt werden der dadurch mobilisierte Ideenreichtum und das vielfältige Engagement auf allen Ebenen unserer Kirche sichtbar. In der Galerie guter Praxis und an dem Abend ausgezeichneter Ideen wird es darum gehen, stellvertretend einige dieser Lichter auf den Scheffel zu stellen, Gott durch sie zu loben und den Menschen für sie zu danken.

Manche hatten die Sorge, im Reformprozess unserer Kirche sei zu wenig von geistlichen Inhalten und ihrer theologischen Deutung die Rede; zu sehr drängten sich Projekte, Zahlen, Maßnahmen und Strukturen in den Vordergrund. Ich habe Verständnis für diese Sorge. Denn es scheint leichter zu sein, Strukturen zu verändern, als den Kern des christlichen Glaubens, die Freude über Gottes menschenfreundliche Gnade wie den Ruf zur Umkehr aus unseren menschlichen Irrwegen zum Leuchten zu bringen. Umso mehr hoffe ich, dass diese Zukunftswerkstatt ihren Beitrag dazu leistet, den Kern unserer Reformbemühungen deutlich zu machen. Er liegt darin:

  • die Feier des Gottesdienstes ins Zentrum zu rücken und daran zu arbeiten, wie sie  wahrgenommen, gepflegt und weiterentwickelt wird,
  • die missionarische Hinwendung zu den Menschen zu verstärken und die Zusammenarbeit in kirchlichen Regionen dafür fruchtbar zu machen,
  • die Kulturen und Formen des Führens und Leitens in der Kirche so weiter zu entwickeln, dass sie das Gelingen kirchlicher Arbeit fördern.

Diese drei Leitthemen für das, was auf der Ebene der EKD zu unserem Reformprozess beigetragen wird, haben es nicht mit Äußerlichkeiten zu tun. Sie  dienen der geistlichen Orientierung einer Kirche im Aufbruch. In ihnen geht es – mit der EKD-Synode von Dresden 2007 gesprochen – um das, was „evangelisch Kirche sein“ ausmacht: um die Förderung von Gottesbegegnung, Lebenserneuerung und Gemeinschaft.

Mit der Reform unserer Kirche wollen wir auf eine tiefe geistliche Sehnsucht antworten, die außerhalb wie innerhalb unserer Kirche zu spüren ist. Es geht im Kern um Fragen des gelebten und verstandenen Glaubens, um vertraute wie um neue Formen der Frömmigkeit. Es geht um die Gegenwart Gottes im Alltag unseres Lebens wie an den Festtagen der Woche und des Jahres. Es geht um die Botschaft von Kreuz und Vergebung, von Auferstehung und ewigem Leben in der Sprache unserer Zeit. Es geht darum, wofür wir als Christen und als Kirche heute einstehen: um Gottvertrauen und um die Liebe zum Nächsten wie zu sich selbst.

Deshalb ist diese Zukunftswerkstatt vom Eröffnungsgottesdienst und dem inhaltlichen Beginn am heutigen Nachmittag bis zum Stationenweg am Samstag durch einen geistlichen „roten Faden“ geprägt, der sich auch durch die „Andachten anders“, die konkreten Gemeindeprojekte, die Werkstätten und die Zukunftsinitiativen hindurch zieht.

Ich freue mich über die öffentliche Resonanz, die diese Zukunftswerkstatt findet. Diese Resonanz wird besonders unterstrichen durch die Teilnahme von Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble und Ministerpräsident Roland Koch an der Eröffnung und durch die Teilnahme von Bundespräsident Horst Köhler am abschließenden Stationenweg. Die Ansprache des Bundespräsidenten wird am Ende dieser Zukunftswerkstatt einen besonderen Akzent setzen. Auf diese Weise wird gewürdigt, dass der Aufbruch der evangelischen Kirche immer auch ein Aufbruch in unserer Gesellschaft und für sie ist. Immer wieder hat sich die Reformbereitschaft unserer Kirche als ein wichtiges Zeichen für die Veränderungsfähigkeit unseres Landes erwiesen. In besonderer Weise hat sich das vor zwanzig Jahren in der Friedlichen Revolution in der DDR gezeigt.

Zugleich verdeutlicht die Beteiligung zahlreicher Gäste aus der Schweiz, England, Italien, Skandinavien und anderen Ländern,  dass der Weg der evangelischen Kirche hin zum Reformationsjubiläum 2017 sich in einer großen internationalen und ökumenischen Gemeinschaft vollzieht. Die Beteiligung katholischer Mitchristen an dem Stationenweg bringt das auf eine besonders stimmige Weise zum Ausdruck.

Doch mit der Zukunftswerkstatt ist es wie mit jedem Fest: Man kann die Räume schmücken, die Gäste einladen, den Wein kühlen, die Musik bestellen – ob die Feier gelingt, liegt nicht in der eigenen Hand. Es ist Geschenk und Gnade. Für die Zukunftswerkstatt, die gleich beginnt, hoffe ich, dass Gott unser Reden, Denken und Arbeiten, unser Feiern und Beten mit seinem Geist erfüllt. Aber auch diese Hoffnung vertraue ich Gott an: „Alle eure Sorge werfet auf ihn; denn er sorgt für euch.“