Wort des Gedenkens anlässlich des 100. Geburtstages von Prof. Dr. DD Edmund Schlink

Manfred Kock

Die Evangelische Kirche in Deutschland gedenkt in diesen Tagen des Lebens und des Wirkens des Theologen Edmund Schlink, dessen Geburtstag sich zum einhundersten Male jährt. Sein Wirken als Pfarrer in den dreißiger Jahren und ab 1945 als Professor für Theologie an der Ruprecht-Karls-Universität in Heidelberg reichte weit über die evangelische Kirche und über Deutschland hinaus. Durch seine Mitarbeit in Gremien des Ökumenischen Rates der Kirchen sowie durch sein Engagement im evangelisch - römisch-katholischen Dialog prägte er die Diskussion um die Bekenntnistreue und um die Einheit der Kirche im zwanzigsten Jahrhundert. Dabei verstand sich Edmund Schlink in mehrerer Hinsicht als Brückenbauer.

Am 6. März 1903 in Darmstadt geboren, wuchs Edmund Schlink in einem stark naturwissenschaftlich geprägten Elternhaus auf. Sein Vater Wilhelm Schlink war Professor für Mechanik und entsprechend begann Edmund Schlink 1922 ein Studium in verschiedenen naturwissenschaftlichen Fächern und wurde 1927 zum Doktor phil. mit einem psychologischen Thema promoviert. Bereits 1926 orientierte er sich aber zum Theologiestudium hin, das er 1931 mit einer Promotion über das Thema der natürlichen Gotteserkenntnis abschloss. Fragen des Menschenbildes aus einer theologischen bzw. philosophischen Perspektive ließen Edmund Schlink nicht mehr los. In seiner späteren Tätigkeit an der Heidelberger Universität, in Vor-trägen in Kirchengemeinden wie in Veröffentlichungen fragte er immer wieder nach den Unterschieden und den Zusammenhängen im naturwissenschaftlichen und im theologischen Denken und versuchte, beide „Welten“ miteinander in Beziehung zu setzen, Brücken zu bauen.

Nach seiner Habilitation 1934 in Gießen bekam er auf Druck des NS-Regimes keine Lehrerlaubnis, unterrichtete von 1935 bis 1939 in Bethel und arbeitete dann bis zum Ende des zweiten Weltkrieges als Pfarrer und im Reisedienst der Bekennenden Kirche. 1940 veröffentlichte der bei dem reformierten Theologen Karl Barth Promovierte seine „Theologie der lutherischen Bekenntnisschriften“, ein Werk, das im Luthertum weit über Deutschland hinaus große Beachtung fand. Hier bereits zeigt sich Schlinks Anliegen, zum einen das eigene Profil zu schärfen und zum anderen dabei gleichzeitig Grenzen – auch konfessioneller Art – zu überbrücken, den Dialog zu wagen.

Die Erfahrungen des Kirchenkampfes in der NS-Zeit, der Irrwege wie auch des Glaubensmutes, denen Schlink auf seinen Reisen in den Gemeinden immer wieder begegnet ist, haben ihn für die Notwendigkeit eines klaren Bekennens, aber auch für die Gefährdungen aus solchem selbstsicheren Bekennen sensibilisiert, insbesondere wenn es statt zur Schriftauslegung nur noch als scheinbar sicherer Maßstab zur Bewertung der Anderen benutzt wird. Bereits in seinem Vortrag „Pflicht und Versuchung christlichen Bekennens“ von 1934 führt Schlink aus: „Damit ist christliches Bekenntnis immer zugleich Sündenbekenntnis. Bekennen, dass heißt mit dem ungläubigen Bruder, den man bittet und warnt, in voller Solidarität als Versuchter und Sünder nach Gnade schreien und Jesus Christus als einzige Rettung preisen. Wir haben im Bekenntnis keinen Maßstab, den wir nur an den anderen anzulegen brauchten, um zu messen und abzulesen, wo er irrt. Bekennen ist nicht ein Vergleichen mit anschließender Mitteilung des Vergleichsergebnisses. ... Der Bekennende ist nie und nimmer ein anderer als der, den er warnt, ja selbst kein anderer als der, der auf die Warnung nicht hört und das Zeugnis verschmäht. ... Bekenntnis ist notwendig das Eingeständnis, dass ich, der Bekennende, ohne Christus einfach nicht zurecht komme.“  Gerade auch in den Auseinandersetzun-gen in der Zeit des Nationalsozialismus betätigt sich Schlink bei aller Deutlichkeit in der eigenen Position als Brückenbauer.

Mit Beginn seiner Lehrtätigkeit an der Theologischen Fakultät der Heidelberger Universität forciert Edmund Schlink sein ökumenisches Engagement. So war er Mitbegründer des 1946 gegründeten ersten ökumenischen Arbeitskreises katholischer und evangelischer Theologen in Deutschland sowie Mitbegründer des deutschen-ökumenischen Studienausschusses, der 1950 seine Arbeit aufnahm. Er wurde Mitherausgeber der Ökumenischen Rundschau. Sein ökumenisches Engagement machte aber nicht an den Grenzen Deutschlands halt. So begleitete Schlink von Anfang an die Gründung des Ökumenischen Rates der Kirchen und nahm an deren ersten Vollversammlungen in Amsterdam (1948), in Evanston (1954), in Neu Delhi (1961) und Uppsala (1968) teil. Dabei lag ihm besonders an einem Dialog mit der ostkirchlichen Theologie und deren Traditionen durch die westlichen Kirchen. Insbesondere durch seine Mitarbeit in der Kommission für Glaube und Kirchenverfassung wurde er zu einem weltweit geachtetem Vertreter lutherischer Theologie in der ökumenischen Bewegung.

Auf der zweiten Vollversammlung des ÖRK in Evanston hielt er einen der Vorträge zum Hauptthema „Christus – die Hoffnung für die Welt“. Dabei machte er den Missions- bzw. Evangelisationsauftrag der Kirche stark. „Die erste Tat der Hoffnung ist die Verkündigung des Evangeliums an die ganze Welt.“ lautet Schlinks erste Antwort auf die Frage: Welches sind die Taten der Hoffnung? „Die zweite Tat der Hoffnung ist der Einsatz für die gerechte Ordnung dieser Welt.“ Was Schlink über die christliche Hoffnung in den Zeiten des Kalten Krieges ausführte, gilt auch in der gleichen Dringlichkeit für uns heute zu Beginn des 21. Jahrhunderts: „Hoffen, das heißt: nicht schlafen sondern wachen in höchster Alarmbereitschaft. Hoffen, das heißt: nicht träumen sondern wachen in radikaler Nüchternheit. ... Hoffen, das heißt: nicht müde werden sondern tätig sein in stärkster Anspannung“

Neben dem Brückenschlag zu den orthodoxen Kirchen suchte Edmund Schlink immer wieder das intensive Gespräch mit der römisch-katholischen Kirche. So nahm er 1962 beim Zweiten Vatikanischen Konzil als offizieller Beobachter der EKD teil und war Sprecher der nichtkatholischen Konzilsbeobachter. Sein ökume-nisches Engagement und die in den vielen Begegnungen und Gesprächen gewonnenen Erkenntnisse fasste er 1983 in seiner ökumenischen Dogmatik zusammen. In gewisser Weise ist sie die Summe seines Lebenswerkes als Brückenbauer. Es geht ihm nicht um einen inhaltlichen Vergleich theologischer Einzelaussagen, sondern um die Frage nach dem Ort dieser einzelnen Glaubensaussagen in der jeweiligen Tradition, um so ein Gespräch miteinander zu ermöglichen, auch über Lehraussagen, die in den Kirchen unterschiedlich bis gegensätzlich sind. Bis zu seinem Tod am 20.05.1984 in Heidelberg setzte er sich so für die Einheit der Kirche ein.

Wenn wir in diesen Tagen als Evangelische Kirche in Deutschland an das Leben und Wirken Edmund Schlinks erinnern, dann nehmen wir vor allen Dingen sein Vermächtnis auf, eindeutige und verbindliche Rede über die Gewissheit unseres Glaubens mit der Offenheit für den ökumenischen Horizont zu verbinden. Wie Edmund Schlink in seinem Evanstoner Vortrag am Ende formulierte, gilt es, den Blick nach vorn zu richten: „Wäre die Hoffnung in uns lebendig, dann würden wir nicht ständig zurückblicken, sondern wir würden vorwärts dem Herrn entgegeneilen. Wir wären nicht so verliebt in die Geschichte der eigenen Konfessionskirche, sondern wären geöffnet für das Wirken Christi in der ganzen Welt. Dem Blick nach vorne werden die Wände zwischen den Konfessionen transparent.“

Hannover, im März 2003