Vortrag: "Jenseits von Stereotypen - Lernerfahrungen aus dem christlich-jüdischen Gespräch"
- Es gilt das gesprochene Wort.-
Die Lernerfahrungen aus dem jüdisch-christlichen Gespräch
im Zusammenhang einer Auseinandersetzung mit Populismus
zu bedenken, mag zunächst befremdlich scheinen.
Wenn wir aber das bekannte beleuchtete, mit einer Deutschlandfahne
umwickelte Kreuz einer Pegida-Demonstration in
Dresden uns vor Augen führen, verbunden mit dem im AfDParteiprogramm
niedergelegtem Anspruch, das christliche
Abendland zu verteidigen, dann spüren wir da etwas von
dem alten christlichen Triumphalismus, dem zu widerstehen
das jüdisch-christliche Gespräch ausgezogen war. „Christlicher“
Populismus und Triumphalismus ist allerdings nicht
nur an den Rändern der Kirchen zu Hause, sondern reicht
in die Mitte selbst noch der säkularen Gesellschaft.
Umgang mit Täterschaft?
Adorno und Horkheimer, Dialektik der Aufklärung, Antisemitismusthesen
In der ersten dieser Satz
Im Bild des Juden, das die Völkischen vor der Welt aufrichten, drucken sie ihr eigenes Wesen aus. Ihr Gelüste ist ausschließlicher Besitz, Aneignung, Macht ohne Grenzen, um jeden Preis. Den Juden, mit dieser ihrer Schuld beladen, als Herrscher verhöhnt, schlagen sie ans Kreuz, endlos das Opfer wiederholend, an dessen Kraft sie nicht glauben können.
Einstieg, wie kommt mensch auf die Frage, was aus jüdisch christlich zu lernen sei?
Die Frage, die dabei immer noch zu wenig diskutiert ist,
lautet: Warum und an welchen Stellen ist der Hass und die
Geringschätzung gegenüber dem Judentum mit welcher
Funktion für die Hassenden oder Mitlaufenden ausgebrochen?
Wie können sich heilsgeschichtlich so unlogische Vorwürfe
durchsetzen wie der des Gottesmordes, geschah der
Tod Jesu doch uns zum Heil, oder des Verrates durch Judas,
der den stadtbekannten Jesus küsste, um ihn den römischen
Schergen gegenüber zu „enttarnen“? Fing da schon das postfaktische
Zeitalter an? Derartige Vorwürfe gibt es mehr und
alle scheinen sie verknüpft mit einem eigenen Unvermögen,
wirklich sich als Befreite in Christo zu glauben, dem hehren
Satz zu folgen, nicht zu sehen und doch zu glauben, gar
noch die eigene Erlöstheit. Weist uns das auf ein Geheimnis
auch des Populismus? Welche eigenen Abgründe oder gar
Wünsche werden da mit dem Finger auf die je anderen Muslime,
Homosexuellen oder „Nicht-Familien“ nicht zuletzt die Juden bearbeitet?
Der Blick auf die Lernerfahrungen im jüdisch-christlichen Gespräch
mag da etwas austragen. Dabei steht für diesen komplexen
Sachverhalt nur wenig Zeit zur Verfügung, so dass
meine knappen Ausführungen zu Kernthemen des jüdisch-christlichen
Gesprächs auf Ihre Fantasie angewiesen sind;
aber was nicht?
1. Verantwortungsübernahme
Die Voraussetzung des jüdisch-christlichen Gespräches nach
1945 war auf kirchlicher Seite zunächst die Verantwortungsübernahme
einer verschwindend kleinen Minderheit für die
mörderischen Folgen des christlichen Antisemitismus im Nationalsozialismus.
Vielleicht hat Martin Niemöller, der interessanterweise
kein großer Protagonist des jüdisch-christlichen
Gesprächs war, das dennoch für das Gesamtversagen
der Kirchen am umfassendsten beschrieben. „Es handelt
sich eben nicht darum, dass wir als Kirche in der Vergangenheit
dies und das falsch gemacht haben, es handelt sich nicht
um Fehler, sondern wir haben grundsätzlich das uns aufgetragene
Amt in Ungehorsam versäumt und sind damit
schuldig geworden.“ Leider meinte Niemöller das nicht auf
den protestantischen Antisemitismus gemünzt, aber es trifft
da genau zu. Es war das grundsätzliche Versagen der Kirchen,
um das es ging gerade und besonders beim Mord an
den Juden.
Die christlichen Teilnehmenden des Gesprächs waren
dann auch allesamt Menschen, die, wohl weil sie Widerstand
in der NS-Zeit geleistet hatten, empfindsam dafür waren,
was alles nicht geschehen war auch von ihnen. Auf jüdischer
Seite waren es zum einen Erfahrungen des Humanen
auch in mörderischen Zeiten, gleichzeitig die Hoffnung, das
humanistische Erbe in der deutschen Kultur wieder zu beleben,
von dem sie selber so erfüllt waren, zum dritten die
Hoffnung, dass mit einem kirchlichen Umkehrprozess auch
gesellschaftlich Antisemitismus sich bekämpfen lasse. Beide
Seiten hatten also Motive, deren tiefer Grund eine enge Bindung
von Emotionalität und Intellektualität darstellte.
Diese Verantwortungsübernahme führte zu einem tieferen
Lernprozess, der sich nun auf die gesamte Kirchen-
geschichte erstreckte mit der Frage, was denn im Christentum
diesen abgrundtiefen Hass, bzw. diese völlige Unberührtheit,
die Feindschaft oder die Kälte hat entstehen lassen.
Das führte zunächst zu einer neuen Exegese, die das
Jude-Sein Jesu und von Paulus ernst nahm, Röm 9–11 entdeckte
und damit die unverbrüchlichen Zusagen Gottes an
Israel, die der alten Substitutionstheologie einen Riegel vorschoben.
Hernach richtete sich die Aufmerksamkeit auf die
Kirchengeschichte und im Protestantismus insbesondere auf
die reformatorische Theologie und ihren expliziten Judenhass,
wie auch die antijüdischen Implikationen ihrer Grundzüge
oder Ausprägungen, wie Gesetzesfeindschaft und Spiritualisierungs-
und Individualisierungstendenzen. Dieser
Prozess ist mit dem 500. Jahrestag der Reformation relativ
weit entwickelt, aber es gibt weiterhin großen Arbeits- und
Denkbedarf an der Frage, was denn die Einfallstore für diese
abgründige Negativität war und ist. Dieses nicht als spezifisch
deutschen „Spleen“ anzusehen, wie es nicht selten in
der Ökumene angesehen wird, bleibt Aufgabe bewusster
Christenmenschen.
Diese auch gegenwärtige Verantwortungsübernahme bei
gleichzeitiger Zurückweisung, dass Antisemitismus christlich
und säkular eine deutsche Sonderaufgabe sei, scheint
mir auch im Umgang mit Populismus zentral. Nicht umsonst
gibt es von Pegida, AfD und vielen anderen in der Mitte der
Gesellschaft sich zuhause fühlenden Menschen die Ansicht,
dass die christliche und deutsche Gewaltgeschichte in ihrer
Bedeutung für heute endlich nicht mehr diskutiert werden
sollte.
2. Wandelbarkeit, oder die Erkenntnis, dass das Eigene sich wandelt
im Zugehen und Zuhören auf den/die Anderen gegen Identitäres, altright oder AfD Programm: wir verteidigen unsere Identität als Höchste Stufe menschlicher Entwicklung, s. auch Martin Lichtmesz „kann nur ein Gott uns retten“
Eine weitere Grunderkenntnis aus dem Gespräch ist bei aller
auch unzulässigen Pauschalierung – denn wir sprechen hier
über sehr individuelle und biographisch verankerte und motivierte
Lernwege –, dass sich die eigene Theologie, der eigene
Glaube im Dialog verändert, verändern darf, verändern muss. Am ehesten, weil am meisten Bedarf, gilt dies für die christliche Seite. So stellt(e) es
eine ungeheure Zumutung dar, das Christentum ohne Absolutheits-
und doch mit Wahrheitsanspruch zu denken. Neu,
wenn auch in Anknüpfung alter Traditionen entstand das
Verschränken dieses demütigen Zugangs mit der materiellen
und politischen Seite biblischer Botschaft, die sich protestantischerseits
erst mit der Wahrnehmung eines positiven Gesetzesbegriffes
und gesamtkirchlich mit der Inkorporation der
herrschaftskritischen Seite jüdischer Tradition, von der das
Neue Testament ein Teil ist, erschließt. In beiden angesprochenen
Themen- und Praxisfeldern sind Wege begonnen,
aber noch nicht abgeschritten. Wichtig war und ist für den
Lernprozess die biblische aber in kirchlicherer Tradition
stark verschüttete Erkenntnis, dass der/das Gekommene
nicht der/das Kommende ist, und damit die Hoffnung auf
einen neuen Himmel und eine neue Erde nicht vergeblich
ist und für uns aus den Völkern sich erschließt über den Aufbruch
gegen den Tod in Christus Jesus. Auf jüdischer Seite
gab es aus zunächst naheliegenden historischen Gründen
und dem nicht Angewiesen Sein auf die christliche Botschaft
als Voraussetzung für die eigene Glaubens- und Lebenspraxis
weniger fundamentale Veränderungen. Gleichwohl
ließen sich Prozesse nennen, die zur Stärkung jüdischen
Selbstverständnisses bei vielen Beteiligten führte, wie auch
zu einer Weitung, die das Christliche nicht mehr als Feind,
sondern als Bündnispartner vorsichtig zu sehen beginnen
konnte. Das wiederum hat im besten Sinne positive Folgen
für das neu zu gründende Vertrauen in eine Welt, die sich
als deutsche, aber auch als europäische und eben als christliche
so mörderisch abweisend und feindlich verhalten hatte.
3. Damit nicht unverwandt: Wahrheitsfrage oder
Die Wahrheit beginnt mit zwei
3.1 Kindschaft oder narzisstische Kränkung und ihre Gefahren
Zunächst einmal war ein großer Lernschritt, das Judentum im
Christentum, die Elternschaft des Judentums im Christentum
zu verstehen, anzunehmen und zu buchstabieren. „Die Wurzel
trägt dich, nicht du die Wurzel“. Mit diesem Satz ist bei
einer auf Länge gedehnten Verzögerung der Wiederkehr (aus
jüdischer Perspektive dann erstmaligen Erscheinens) des Messias
eine massive narzisstische Kränkung verbunden, die in
der Kirchengeschichte leider nicht als produktive Beschränkung
des Ego und Unterstreichung des Geschenkcharakters
und der Unverfügbarkeit Gottes verstanden wurde. Die Unverbrüchlichkeit
der Wurzel wurde als Halsstarrigkeit und Unbekehr-
und Unbelehrbarkeit der Juden verstanden und so zur
Verwerfung jener Wurzel, des Volkes Israel umgedeutet. So
wurden die eigenen Glaubensmühen oder auch der eigene Unglaube
auf „die Juden“ projiziert.
Dagegen entwickelte sich jener oben erwähnte Lernschritt,
der allerdings eine gewisse Dialektik des „schon“
und „noch nicht“ neu zu verstehen suchte und für das „noch
nicht“, also das Ausstehende produktiv jüdische Messiashoffnungen
als eigenen Glaubenssatz zu denken, glauben
und leben versuchte. So ist der Gegensatz zu den berühmt
berüchtigten Sätzen von der Erfüllung der Verheißungen, die
das Judentum überflüssig machen wollten und sei es mit Gewalt,
abgelöst von einer anderen Perspektive: Die europäische
„Geschichte ist nach Gottes Willen mit dem Volk Israel
unlöslich verbunden, nicht nur genetisch, sondern in echter
unaufhörlicher Begegnung. Der Jude hält die Christusfrage
offen … Denn Jesus Christus war Jude.“(Bonhoeffer)
Der Lernprozess bewegte sich auf eine antitriumphalistische
Theologie zu, der das Hören auf Israel und damit auch
sein Wohlergehen zum Bekenntnissatz wurde. Diese antitriumphalistische
Haltung ist das Gegenteil von einer geglaubten
und propagierten, in weiten Teilen bewusstlosen Nutzung
der Wortverbindung „christliches Abendland“.
3.2 Geschwisterschaft
Noch gar nicht ausgelotet ist die Bedeutung der neueren Erkenntnisse
der Judaistik, die vereinfacht gesagt nun eine Geschwisterbeziehung
konstatiert zwischen rabbinischem
Judentum und Christentum, die beide Reaktionen auf die
Zerstörung des Tempels 70 n. Chr. und der Zerstreuung Israels
waren. Die Trennung dieser beiden jüdischen Wege wird
von den einen im 2., den anderen erst im 4. Jahrhundert datiert.
Schien die Mutter-Tochter Beziehung von Judentum
und Christentum zunächst eine Kränkung, wurde sie dann
aber zu einem vermeintlich sicheren Hafen. Nun setzt für
beide Seiten des Gesprächs die Geschwisterthese neu an der
Frage an, wer wir je sind und wie sich die Differenzen
beschreiben lassen und in der Ausgangsgeschichte manifestieren.
Das bringt erneut Bewegung in Selbst- und Fremdbeschreibungen,
die wiederum zum Ergebnis haben könnten,
dass die Grenzen fließender werden. Dies ändert nichts
an der Brutalität christlicher Abgrenzungsversuche in der
Geschichte, aber trägt zur produktiven Verunsicherung bei,
die bei Beachtung eigener Gefährdung durch negative Projektion
zur Offenheit, zur Öffnung immer wieder neu beitragen
kann. Gerade dieses Fließende ist dem Populismus
verhasst, sucht er doch in allen Lebensbereichen nach Vereindeutigung.
Sei es Mann und Frau, sei es Nation, sei es
eben Religion. Überall soll die Wahrheit eins und Ambivalenzen,
Mehrfachidentitäten, Transkulturalität sollen ausgeschlossen
sein.
3.3 Zweifel am Eigenen produktiv halten
Dieses „Immer wieder neu“ ist nun vermutlich eine Kunst,
die mit zu dem Lernprozess gehört auch/und, weil sie immer
wieder bedroht ist. Selbstgefälligkeit über das Erreichte
gehört neben der Ignoranz der vielen zu den problematischen
und verstellenden Seiten dieses, wie wohl jeden
Lernprozesses.
So glaubten in den 80ern manche, dass das Aussprechen
des Tetragramms (des Gottesnamens) einen guten jüdischchristlichen
Gottesdienst oder eine Andacht auszeichneten.
Shabbatfeiern und Sedermahle, seltener jüdisch christliche
Gottesdienste wurden und werden kirchlich gefeiert. Die
Protagonist(inn)en sind dann sehr verletzt, wenn jüdische
Stimmen gegen solches „Treiben“ laut werden.
Noch heikler scheint das Lernen über die Bedeutung des
Landes Israel und der unvermeidlichen Nähe dieser Frage
zur Haltung zum Staat Israel. Hier auszuhalten, dass wir
auf manches wie besonders auf den Nahostkonflikt keine
Antwort haben, aber z. B. hören müssen, wenn uns jüdische
Freunde sagen, dass sie eine theologische Aufladung nicht
hilfreich finden für die innerisraelische oder auch manchmal
innerjüdische Diskussion in der Diaspora, gleichwohl Verständnis für die Situation in Israel erwarten und nicht selbstgefällige
Kritik, ist eine Grunderfahrung von Ambivalenz
eigener Positionsbestimmung, die einer theologischen und
politischen Reflexion bedarf:
Wieviel emotionaler Eigenbedarf wird von uns unter theologischen und politischen Vorzeichen verhandelt?
Hier ist die Frage nach der Bedeutung der Begrifflichkeit von Sünde als produktiver selbstreflexiver und doch unverfügbarer Kategorie in guter Weise zu stellen.
Dabei ist in der Auseinandersetzung mit populistischen Positionierungen
wichtig zu betonen, dass Sünde keine moralische
oder gar moraline, sondern eine ethische oder theologische
Kategorie ist. Es geht nicht um die Verwerflichkeit
von gleichgeschlechtlichen Beziehung oder Ähnlichem, sondern
um die Unversehrtheit des und der Anderen und das
Bewusstsein von der Gefahr der egozentrischen Aufladung
von Beziehung zu Gott und Mensch. Eine Bewegung, die bewusst
die eigenen Interessen als Wahrheit versteht und propagiert,
kann solchen am jüdisch-christlichen Gespräch geschärften
Sündenbegriff nicht annehmen. Gleichwohl kann
er kritisch gegen sie in die Diskussion gebracht werden.
…
Somit geht es auch darum, zu lernen damit umzugehen,
dass gefühltes Minderheitsein gegenüber der Mehrheitsgesellschaft
in Staat und Kirche noch nicht bedeutet, den Angehörigen
der jüdischen Minderheit bezogen auf Sensibilität
gegenüber jener Mehrheitsgesellschaft „gleich“ zu sein. Diese
Empfindsamkeit ist ein lebenslanger Lernprozess, der das
Leben komplexer macht und damit dem Populismus per se
entgegensteht.
Das Spannungsreiche als das Lebendigere erfahrbar zu
machen, ohne wieder neu normativ zu sprechen, das ist
dann vor dem Hintergrund dieser Überlegungen die Aufgabe,
die sich aus den Lernerfahrungen des jüdisch-christlichen
Gesprächs auch ergibt. Dass dies ein lebenslanger und offener
Bildungsprozess ist, der weit über Wissensvermittlung
hinausgeht, ergibt sich daraus fast von selbst. Dem Populismus
und seiner auch für nicht wenige Christenmenschen
verführerischen Unterkomplexität ist nach meiner Erfahrung
aus dem jüdisch-christlichen Gespräch nur mit dieser
biblisch theologischen Neugier und Vielschichtigkeit beizukommen
und nicht mit einem Sicherheitsversprechen des
Religiösen. Die Erotik der Unsicherheit, eine auf Gott vertrauende
Lust am Leben, markiert somit die Wege ins Offene
und damit weg von populistischen Vereinfachungen.