Vortrag von OKR'in Katrin Hatzinger im Rahmen des Europaforums Villigst "Nach der Krise – in der Krise – wohin entwickelt sich Europa?" am 26. August 2022

Europa nach der Zeitenwende durch den Ukrainekrieg Reaktionen der Kirchen in Brüssel und Europa

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

 

herzlichen Dank an die Organisatorinnen und Organisatoren für die Einladung zum Europaforum und danke für Ihr Interesse. Ich freue mich, hier zu sein.

Der Titel des Vortrags spielt auf die mittlerweile berühmt gewordene „Zeitenwende-Rede“ von Kanzler Olaf Scholz am 27. Februar 2022 an. Scholz wollte damit eine Zeitenwende in der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik einleiten. Er kündigte 100 Milliarden Euro in Form eines Sondervermögens für eine leistungsstarke Bundeswehr an, Investitionen von jährlich zwei Prozent der Wirtschaftskraft für Verteidigung und Waffen für den Abwehrkampf der Ukraine gegen Russland.

Ich will jetzt nicht weiter kommentieren, was seitdem tatsächlich bundespolitisch geschehen ist oder auch nicht, ich will vielmehr ausgehend von der Zäsur in der europäischen Friedensordnung, die der völkerrechtswidrige russische Angriff auf die Ukraine am 24. Februar unzweifelhaft darstellt, im Folgenden Reaktionen aus Kirchen und Europapolitik darstellen und abschließend kurz aufzeigen, welche Herausforderungen für die EU und die Kirchen sich daraus ergeben.

Erlauben Sie mir aber eingangs ein paar Sätze zur Arbeit der EKD-Vertretung in Brüssel:

1990 wurde das Büro in Brüssel als Teil der Dienststelle des Bevollmächtigten des Rates der EKD bei der Bundesregierung und der Europäischen Union eingerichtet. Die Präsenz der EKD in Brüssel ist stark der Tatsache geschuldet, dass die Kirchen als Institutionen zunächst einmal Betroffene der europäischen Gesetzgebung sind, z.B. wenn das kirchlichen Arbeitsrecht im Kontext der europäischen Anti-Diskriminierungspolitik in den Fokus gerät oder es darum geht, im Rahmen der Europäischen Datenschutzgrundverordnung das kirchliche Datenschutzrecht als Teil des Selbstbestimmungsrechts zu bewahren.  Ein wichtiges Element der Arbeit des EKD-Büros Brüssel besteht deshalb darin, die politischen Entscheidungsträger in Brüssel und Straßburg auf die kirchlichen Anliegen in der Politikgestaltung und im Gesetzgebungsprozess aufmerksam zu machen und als „Frühwarnsystem“ zu fungieren. Oft gilt es, „das Gras wachsen zu hören“ und bestenfalls bevor eine neue Richtlinie oder Verordnung veröffentlicht wird mit den zuständigen Kommissionsbeamten und Parlamentariern Kontakt aufzunehmen und den Austausch über das Thema zu suchen. So ist es auch zu erklären, dass die Leitung der Dienststelle seit den Anfängen in den Händen eines Juristen bzw. einer Juristin liegt.

Die Vertretung der EKD in Brüssel ist im Laufe der Jahre auf ein Team von acht Mitarbeitenden angewachsen. Zudem kooperiert das Büro seit mehr als 10 Jahren mit der Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend (aej). Nicht regelmäßig, aber immer wieder verstärken Sondervikarinnen und -vikare das Team. Seit 2011 ist im Büro die gemeinsame Servicestelle für EU-Förderpolitik und -projekte von EKD und Diakonie Deutschland angesiedelt.

Die Dienststelle verfolgt zunächst die Entstehung und Entwicklung europäischer Gesetzgebung und Politiken, nimmt eine erste Einschätzung der Gesetzesinitiativen vor und gibt Handlungsempfehlungen an die EKD und ihre Gliedkirchen ab. Gegebenenfalls erfolgt z.B. über die Beteiligung an Konsultationsverfahren eine Teilnahme an der europäischen Gesetzgebung. Aktuell bringt sich das Büro zu Themen wie der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU, dem Europäischen Jahr der Jugend, dem Vorschlag für eine Richtlinie zu unternehmerischen Sorgfaltspflichten im Bereich Nachhaltigkeit, dem Pakt für Migration und Asyl, dem Fit-for-55-Paket sowie der Regulierung der ethischen Aspekte von KI spezifisch kirchliche Standpunkte ein.

Das EKD-Büro Brüssel versteht sich aber auch als Informationsbüro für kirchliche Einrichtungen und Organisationen. Vierteljährlich berichten die „EKD-Europa-Informationen“ aus evangelischer Sicht über das aktuelle politische Geschehen in Brüssel (www.ekd.eu). Die FörderInfoAktuell (https://www.ekd.de/bevollmaechtigter-news-bruessel-eu-foerderung-27610.htm) macht auf europäische Förderprojekte aufmerksam. Regelmäßig werden Besuchergruppen in Vorträgen und Gesprächsrunden über die Arbeit des Büros, die Funktionsweise der Europäischen Union und das Selbstverständnis der Kirchen in Brüssel informiert.

Die Dienststelle ist zudem auch Dienstleisterin für kirchliche Einrichtungen und Gremien. So steht bei der Konzipierung, Beantragung und Umsetzung von EU-Fördergeldern das drei-köpfige Team der Servicestelle für EU-Förderpolitik und -projekte von EKD und Diakonie Deutschland interessierten Einrichtungen unterstützend zur Seite und fördert so auf ganz praktische Weise den Europagedanken. Die Servicestelle berät beispielsweise kirchliche Antragssteller auf dem Weg durch den europäischen Förderdschungel, hilft z.B. bei der Antragsstellung und bei der Projektpartnersuche, bietet Seminare, Fortbildungen und Fachveranstaltungen etwa auf der European Week of regions and cities an und macht Eingaben zur EU-Förderpolitik. Darüber hinaus veröffentlicht sie Broschüren und Handreichungen, zuletzt den „Wegweiser durch die europäische Förderlandschaft 2021-2027“.  Zudem ist sie in engem Austausch mit den EU-Förderreferenten der Landeskirchen und den EU-Koordinatoren der diakonischen Landesverbände.

Schließlich geht es auch darum, die EKD als Kirche auf dem Brüsseler Parkett sichtbar zu machen. Dies geschieht durch die Organisation von Vortrags- und Diskussionsveranstaltungen, wie etwa zuletzt im Juli 2022 mit einem Debattenbeitrag der Vorsitzenden des Rates der EKD, Präses Annette Kurschus, zum Ukrainekrieg auf dem Sommerempfang des EKD-Büros oder einer Diskussionsveranstaltung im März 2022 mit Vertretern aus Kommission, Gewerkschaftern und Wirtschaft zur europäischen Lieferketteninitiative. Am 29.  September stellen wir gemeinsam mit der Friedrich-Ebert-Stiftung in Brüssel das diesjährige Friedensgutachten unter dem Titel „The end of the European Peace Architecture – the beginning of a New Order? The war in Ukraine and the implications for the Common Security and Defence Policy“ vor, am 29.  November das gemeinsames Migrationswort.

Etabliert haben sich aber auch kleinere Formate wie das evangelische Abgeordnetenfrühstück oder der Gesprächskreis Christen und Europapolitik.

Last but not least bringt sich das Büro mit Rat und Tat beim Deutschen Evangelischen Kirchentag, im Kuratorium von Aktion Sühnezeichen Friedensdienste und im Fachbeirat Ethik der Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa zu EU-Themen ein.

Die Arbeit vor Ort verfolgt einen partnerschaftlichen Ansatz mit Ökumene und Zivilgesellschaft. Dabei bilden sich je nach Themenbereich unterschiedliche Allianzen und Netzwerke, die von den kirchlichen Büros, über die Gewerkschaften, die kirchlichen Wohlfahrtsverbände bis hin zu Think Tanks, NGOs wie dem Europäischen Flüchtlingsrat bis hin zu politischen Stiftungen reichen. Besonders enge Kooperationen bestehen mit der Kommission der Kirchen für Migranten in Europa (CCME), der Konferenz Europäischer Kirchen (KEK) und der Kommission der Bischofskonferenzen der EU (COMECE) sowie mit der Europareferentin des Katholischen Büros in Berlin, da die deutsche Bischofskonferenz kein eigenes Büro in Brüssel unterhält.

Reaktionen der Europapolitik

Die EU hat den russischen Angriff einhellig verurteilt und mittlerweile mehrere Sanktionspakete gegen Russland verhängt. Der Angriff auf die Ukraine wird als Angriff auf die europäische Sicherheitsordnung verstanden.

Bemerkenswert ist, dass es – wenn auch unter Mühen- gelungen ist, sich schrittweise von russischen Energieimporten loszulösen, um die Abhängigkeit von Russland zu vermindern. Ein wichtiger Schritt war auch die einstimmige Aktivierung der Richtlinie über den vorübergehenden Schutz („Massenzustromrichtlinie“). Sie ermöglicht Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine eine schnelle und unbürokratische Aufnahme in der EU sowie Zugang zu Bildung, Gesundheit und den Arbeitsmarkt.

Die EU leistet ferner humanitäre, wirtschaftliche und politische Unterstützung für die Ukraine. Der Verleihung des Status von Beitrittskandidaten an die Ukraine und die Republik Moldau am 23. Juni 2022 kommt hier eine besondere Bedeutung zu. Auch wenn der Beitrittsprozess noch Jahre dauern wird (und auch dauern sollte), ist dieser Schritt ein nicht zu unterschätzendes politisches Signal, das die enge Bindung der EU zu diesen Ländern unterstreicht und ihr Streben, Teil der europäischen Familie zu sein, anerkennt. 

Hinsichtlich der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik sind die konkreten Entwicklungen abzuwarten, bislang gibt es erst einmal ein neues Papier, das schon länger geplant war, aber unter dem Eindruck des Kriegs in der Ukraine überarbeitet worden ist. Unter der französischen EU-Ratspräsidentschaft ist im März 2022 der Strategische Kompass vorgelegt worden, das neue sicherheitspolitische Grundlagendokument der EU. Der Strategische Kompass wurde zu Beginn der deutschen Ratspräsidentschaft im Sommer 2020 mit dem Ziel auf den Weg gebracht, die EU „stärker, handlungsfähiger und resilienter“ zu machen (Bundesministerium der Verteidigung). Primär sollte es darum gehen, die Bedrohungswahrnehmung der Mitgliedstaaten sowie die noch immer divergierenden militärisch-strategischen Ansätze und sicherheitspolitischen Interessen der 27 EU-Mitgliedsstaaten untereinander besser aufeinander abzustimmen. Er soll als Richtschnur zur Stärkung einer gemeinsamen europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik beitragen, konkrete Vorgaben und Ziele für die politischen Entscheidungsträger bis 2030 definieren und die geopolitische Stellung der EU stärken. Im Einzelnen umfasst der Kompass vier Schwerpunkte: (1) er enthält eine gemeinsame Bewertung des strategischen Umfelds, der Bedrohungen und Herausforderungen und ihrer Auswirkungen auf die EU. (2) Er soll für mehr Kohärenz und Zielstrebigkeit bei bereits laufenden Maßnahmen im Bereich Sicherheit und Verteidigung sorgen sowie (3) neue Wege und Mittel zur Verbesserung der kollektiven Fähigkeit zur Verteidigung der EU-Bürger und der EU aufzeigen. (4) Schließlich werden klare Zielvorgaben und Etappenziele zur Messung des Fortschritts festgeschrieben.

In dem endgültigen Text vom März heißt es jetzt, Russlands Angriffskrieg bedeute „eine tektonische Verschiebung in der Geschichte Europas“. Die EU sei geeinter denn je und entschlossen, die europäische Sicherheitsordnung zu verteidigen. Die Souveränität, die territoriale Unversehrtheit und die Unabhängigkeit innerhalb international anerkannter Grenzen sollten uneingeschränkt geachtet werden.

Das Dokument unterteilt sich in fünf Kapitel: „Die Welt in der wir leben“ („The world we face“), „Handeln“, „Sichern“, „Investieren“ und „Mit Partnern zusammenarbeiten“.

Im ersten Kapitel wird zunächst die Rückkehr der Machpolitik konstatiert. Im Hinblick auf Russland wird ausgeführt, dass das Land bereit sein, ein Höchstmaß an militärischer Gewalt, hybride Taktiken, Cyberangriffe und wirtschaftlicher Druck anzuwenden. Das Verhältnis zu China wird differenziert dargestellt, China sei „Kooperationspartner, wirtschaftlicher Wettbewerber und systemischer Rivale“.

Unter der Überschrift „Handeln“ heißt es, dass die EU angesichts der Herausforderungen und Entwicklungen im Bereich Sicherheit und Verteidigung in der Lage sein müsse, in allen operativen Bereichen (Land, See, Luft, Cyberraum und Weltraum) zu „handeln“ (‘act‘). Die Stärke der EU bei der Verhütung und Bewältigung externer Konflikte und Krisen liege in ihrer Fähigkeit, gemäß Art. 43 EU-Vertrag sowohl militärische als auch zivile Mittel einzusetzen. Es wird außerdem vorgeschlagen, eine schnelle Eingreifkapazität der EU (‘EU Rapid Deployment Capacity‘) bis spätestens 2025 zu schaffen, die es ermöglichen soll, bis zu 5.000 Einsatzkräfte in Krisenfällen einzusetzen.

Im Kapitel „Sichern“ geht es darum, dass die EU in der Lage sein soll, (hybride) Bedrohungen besser zu antizipieren, den sicheren Zugang zu strategischen Bereichen zu gewährleisten (Hochseegewässer, Luftraum, Weltraum) und die EU-Bürger zu schützen. In Bezug auf Abrüstung, Nichtverbreitung und Rüstungskontrolle möchte die EU weiterhin die zentrale Funktion des Vertrags über die Nichtverbreitung von Kernwaffen unterstützen.

Im Maßnahmenbereich des „Investierens“ (‘invest‘) wird darauf gedrängt, mehr und besser in Verteidigungsfähigkeiten und innovative Technologien zu investieren

Im Kapitel „Mit Partnern zusammenarbeiten“ wird die Bedeutung der Kooperation mit Organisationen wie NATO, OSZE oder ASEAN (Association of South East Asian Nations) betont, ebenso wie die Zusammenarbeit mit Staaten, die ein gleiches Wertefundament teilen, USA, Kanada z.B.

Bei der Gesamtbetrachtung des Kompasses fällt auf, dass es an konkreten Ausführungen im Hinblick auf die Stärkung der zivilen Krisen- und Konfliktprävention der EU und zur Stärkung des multilateralen und kooperativen globalen Systems fehlt, auch zum Aufbau ggf. neuer Kooperationsstrukturen finden sich keine Hinweise. Diese Mankos müssen ausgeglichen werden.

Klar ist, dass im Bereich des Militärischen die Komplementarität zur NATO gesucht wird, der Europäische Pfeiler der NATO soll gestärkt werden. Der EU-Außenbeauftragte Joseph Borrell betonte, dass es keine europäische Armee geben werde.

Es bleibt also abzuwarten, welche Dynamik sich jetzt im Weiteren aus dem Kompass entwickeln wird. Bislang ist im Bereich der Gemeinsamen Sicherheit- und Verteidigungspolitik hinsichtlich der Entwicklung gemeinsamer Fähigkeiten (es gibt weiterhin etliche unterschiedliche Waffensysteme) verhältnismäßig wenig passiert.

Ein Blick auf die europäischen Entwicklungen muss auch immer die NATO in den Blick nehmen. Das Verteidigungsbündnis erlebt gerade ein Revival, nachdem es noch vor Kurzem von verschiedenen Seiten mehrfach totgesagt worden war.

Am 29. Juni 2022 haben die Staats- und Regierungschefs der 30 NATO-Staaten bei ihrem Gipfeltreffen in Madrid ein neues strategisches Konzept für das Militärbündnis beschlossen, das für die kommenden fünf bis 10 Jahre gelten soll. Das letzte Grundlagendokument für politische und militärische Planungen stammt aus dem Jahr 2010. Im Vorwort wird festgehalten, dass die Welt umkämpft und unvorhersehbar sei. Der Angriffskrieg der Russischen Föderation gegen die Ukraine habe den Frieden zunichtegemacht und das Sicherheitsumfeld der NATO schwerwiegend verändert. Im neuen strategischen Konzept der NATO wird die Russische Föderation als „die größte und unmittelbarste Bedrohung für die Sicherheit der Verbündeten und für Frieden und Stabilität im euro-atlantischen Raum“ bezeichnet. Es wird aber auch festgehalten, dass die NATO keine Konfrontation suche und für die Russische Föderation keine Bedrohung darstelle. Gleichzeitig würde sie weiterhin geschlossen und verantwortungsvoll auf Bedrohungen und feindliche Handlungen Russlands reagieren. Eine starke, unabhängige Ukraine sei für die Stabilität des euro-atlantischen Raumes unerlässlich.

Die Ziele und Grundsätze der NATO werden in dem Konzept unterstrichen: Abschreckung und Verteidigung, Krisenprävention und -bewältigung sowie kooperative Sicherheit. Geplant ist, die schnelle Eingreiftruppe der NATO (Nato Response Force, NRF) mit aktuell 40.000 Soldaten durch ein neues Streitkräftemodell mit mehr als 300.000 Soldaten zu ersetzen. Hinsichtlich des strategischen Umfelds werden neben Russland, auch die Herausforderung durch China, den Klimawandel, die Digitalisierung und den Bereich von Cybersecurity angesprochen.

Auch die NATO will den Vertrag über die Nichtverbreitung von Atomwaffen stärken, ebenso wie die „einzigartige Partnerschaft mit der EU“.

Dass die bislang neutralen Staaten Schweden und Finnland um Aufnahme in die NATO ersucht haben und seit dem NATO-Gipfel in Madrid das offizielle Aufnahmeverfahren läuft, darf als historisch bezeichnet werden und ist Ausdruck der tiefen Zäsur durch den Krieg gegen die Ukraine.

 

Die Reaktionen der Kirchen

Die Reaktionen der Kirchen und Kirchenbünde haben Vieles gemeinsam: Gebete für den Frieden, Aufruf zu Friedensverhandlungen und Hilfe für Geflüchtete stehen im Mittelpunkt. Es gibt aber durchaus unterschiedliche Nuancen, die ich beispielhaft an den ersten Äußerungen der Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa (GEKE), der Konferenz Europäischer Kirchen (KEK) und der Kommission der Bischofskonferenzen in der EU (COMECE) festmachen möchte.

Erklärung der GEKE vom 18. März 2022: Dreiklang: Beten, Stimme erheben, Helfen[1]

Die Erklärung ist sehr deutlich hinsichtlich der Verurteilung des „einseitigen Angriffs der Russischen Föderation auf den souveränen Staat Ukraine als einen Bruch des Völkerrechts und eine Verletzung der Menschenrechte“.

Der Krieg wird als Putins Krieg bezeichnet.

Der Text enthält die Zustimmung zum legitimen Recht auf Selbstverteidigung der Ukraine und betont die Anerkennung der Entscheidungen der Staaten, der Ukraine durch die Lieferung von Verteidigungsgütern Unterstützung anzubieten. Dabei wird hervorgehoben, dass das Thema der Waffenlieferung ein schwieriges Thema sei und es keine einfachen Antworten geben könne.

Der Text ruft zur kritischen Selbstreflexion von Kirche und Theologie auf und nimmt auch die Folgen des Kriegs für den globalen Süden in Blick.

Es wird Solidarität mit den Menschen in der Ukraine und den Nachbarländern ausgesprochen und die Kirchen unterstreichen, dass sie „Botschafterinnen und Botschafter der Versöhnung sein wollen.

Gemeinsames Statement von CEC und CCEE (Rat der europäischen Bischofskonferenzen) am 21. März 2022[2]

Der Text beginnt mit dem Aufruf an politische Führer und int. Gemeinschaft, den Krieg zu beenden.

Es wird betont, dass Religion nicht als Rechtfertigung für Krieg dienen könne. Die Instrumentalisierung von Religion wird als Blasphemie verurteilt, ohne dass die Russisch-Orthodoxe Kirche explizit genannt würde.

Die Unterzeichner verurteilen die „russische Aggression“ und die Verbrechen gegen das ukrainische Volk. Der Text schließt mit Gebeten für den Frieden und Dank an Kirchen, NGOs und Behörden der Nachbarstaaten für Unterstützung von geflüchteten Menschen.

 

COMECE- Erklärung vom 22. März 2022 im Rahmen der Europäischen Sozialtage in Bratislava gemeinsam mit den CCEE und KBS-Präsidenten[3]

Russland und die Ukraine werden dem Aufruf Papst Franziskus folgend dem reinen Herzen Marias anbefohlen. „Mit gebrochenem Herzen hören wir die Stimmen derer, die unter dem Wahnsinn des Krieges leiden“.

Die Hilfeleistung für geflüchteten Menschen wir begrüßt und ein Appell an nationale und europäische Institutionen gerichtet, diese Hilfeleistungen zu unterstützen. Es wird dazu aufgerufen, alle Waffen zum Schweigen zu bringen und zu Verhandlungen zurückzukehren.

In den Erklärungen mit der römisch-katholischen Seite fällt auf, dass Russland nicht als Aggressor benannt wird. Es fehlt auch an einer Positionierung zum Recht auf Selbstverteidigung oder zu Waffenlieferungen. Die positive Haltung der Russisch-Orthodoxen Kirche zum Krieg gegen die Ukraine wird in keinem der Statements deutlich kritisiert. Hier ist zu hoffen, dass von der anstehenden Vollversammlung des Weltkirchenrats ein deutliches Zeichen gegen die „Gotteslästerung“ (Präses Kurschus) seitens des geistlichen Oberhaupts der Russisch-Orthodoxen Kirche, Patriarch Kyrill, ausgehen wird.

Herausforderungen für die EU

Zum Abschluss möchte ich kurz die Herausforderungen durch die bestehende Gemengelage für die EU und die Kirchen skizzieren.

Der Krieg hat jenseits der Außen- und Sicherheitspolitik ein Politikfeld, in dem die EU aufgrund der Einstimmigkeit im Rat oft noch sehr schwerfällig navigiert Auswirkungen auf zahlreiche weitere Politikbereiche.

Hauptziel der EU muss es angesichts der multiplen Herausforderungen zuallererst sein, Geschlossenheit zu bewahren. Hier zeigen sich bereits erste Risse, etwa beim Umgang mit russischen Energieimporten in Ungarn oder Bulgarien, bei der Klimaagenda oder hinsichtlich der Rechtsstaatlichkeit.

Die darüber anstehenden Herausforderungen lassen sich an den drei Themen des konziliaren Prozesses – wenn auch vereinfacht gut illustrieren:

Gerechtigkeit: Hier geht es zunächst darum in der EU die Energiesicherheit zu gewährleisten. Russland drosselt insbesondere die Gasimporte immer weiter. Die Kommission hat im Vorgriff auf weitere Einschränkungen im Juli 2022 einen Notfallplan Gas vorgelegt, der von den EU-Staaten am 26. Juli 2022 mit Ausnahmen angenommen worden ist. Danach sollen sich die Mitgliedstaaten nach besten Kräften bemühen, ihren nationalen Gasverbrauch zwischen dem 1.  August 2022 und dem 31. März 2023 um 15 % im Vergleich zu ihrem durchschnittlichen Gasverbrauch zwischen dem 1. August und dem 31. März in den fünf Jahren vor Inkrafttreten der Verordnung zu senken (Einsparungen von ca. 45 Milliarden Kubikmetern). Zudem sieht die Verordnung die Möglichkeit der Ausrufung eines Unionsalarms vor, durch den Mitgliedstaaten eine verbindliche Senkung der Gasnachfrage auferlegt wird. Eine weitere große Herausforderung ist die Nahrungsmittelsicherheit in der EU und weltweit. Der Krieg gegen die Ukraine hat globale Auswirkungen, denn bei wichtigen Grund­nahrungs­mitteln wie Sonnenblumenöl und Weizen, aber auch bei Düngemitteln gehören die Ukraine und die Russische Föderation zu den größten Exportländern der Welt. Hier ist die EU gefordert als größter Geberin von Entwicklungshilfe weltweit die Länder, die von den Getreideimporten abhängig sind, zu unterstützen. Auch der Umgang mit Geflüchteten bleibt ein Dauerthema. An den EU-Außengrenzen kommt es weiterhin zu nicht hinnehmbaren Menschenrechtsverletzungen. Schließlich hat der jüngste Bericht zur Rechtsstaatlichkeit in der EU erneut aufzeigt, dass v.a. in Polen und Ungarn hinsichtlich der Unabhängigkeit der Justiz, der Medienfreiheit und der Bekämpfung der Korruption großer Handlungsbedarf besteht, bis hin zum Ausschluss von EU-Geldern.

Frieden: Hier gilt es die Umsetzung des strategischen Kompasses unter Stärkung der „soft power“ der EU voranzubringen und auch die Erweiterungspolitik ernster zu nehmen. Dabei sind v.a. die Länder des westlichen Balkans nicht zu vergessen.

Bewahrung der Schöpfung: Hier gilt es an den Pariser Klimazielen festzuhalten und den Green Deal umsetzen, um Klimaneutralität bis 2050 in der EU zu erreichen. Wie oben dargestellt, bröckelt das Engagement der EU-Mitgliedstaaten, die Klimaziele ambitioniert anzugehen.

Herausforderung für die Kirchen

Hinsichtlich der Herausforderungen für die Kirchen eignet sich die Trias ebenfalls, um aufzuzeigen, wo die Kirchen gefordert sind.

Gerechtigkeit: In Zeiten knapper Energieressourcen und steigender Inflation droht der soziale Zusammenhalt verloren zu gehen. Die Kirchen sind gefordert, für die Schwächsten einzustehen, sich für soziale Gerechtigkeit einzusetzen und die Gesellschaften zusammenzuhalten.  Begrüßenswert ist, dass die evangelischen Landeskirchen beschlossen haben, ihre aus der Kirchensteuer generierten Zusatzeinnahmen durch die Energiepauschale sozial Bedürftigen zur Verfügung zu stellen. Darüber hinaus ist es mehr denn je geboten, für den globalen Süden einzutreten und sich für einen menschenwürdigen Umgang mit Schutzsuchende, gleich welcher Nationalität, zu engagieren.

Frieden: Aus meiner Sicht sind das Leitbild des gerechten Friedens und die Betonung der Ethik rechtserhaltender Gewalt für den friedensethischen Kurs der EKD weiterhin relevant. Allerdings sind Präzisierungen im Hinblick auf die aktuellen politischen Gegebenheiten nötig: Hier geht es darum, Diskurse zu weiten, Ambivalenzen auszuhalten, externe politikwissenschaftliche und außenpolitische Expertise zulassen, osteuropäische Erfahrungen ernst zu nehmen und die eigenen Positionen an der Realität messen, auch das Leid der Ukrainerinnen und Ukrainer darf nicht ausgeblendet werden. Es müssen Antworten auf die Frage gefunden werden, wie mit der Rückkehr menschenverachtender Machtpolitik umzugehen ist. Die evangelische Haltung zur Bundeswehr und zur NATO bedürfen ebenfalls der Klärung.

Bewahrung der Schöpfung: Die EKD will die Klimaneutralität bis 2035 erreichen (Synodenbeschluss 2021), dazu muss die geplante Roadmap zur Klimaneutralität 2035 ernst genommen werden.

Die Kirchen sind also gefragt, europäische Werte einzufordern, aber auch mit gutem Beispiel voran gehen und angesichts von zunehmend nationalistischen und extremistischen Bewegungen in der EU die Werte von Demokratie, Rechtstaatlichkeit und Menschenrechten hochzuhalten. Sie sollten durch kirchliche Partnerschaftsarbeit Entfremdungen mit Osteuropa vorbeugen und sich solidarisch mit der Ukraine zeigen. Äußerungen seitens der russisch-orthodoxen Kirche und ihres Oberhaupts Kyrill, die Religion instrumentalisieren und den Krieg unter den Segen Gottes stellen, sind unmissverständlich zu verurteilen.