War Petrus ein Feigling?

Die Passionsgeschichte des Jesus von Nazareth: Petrus leugnet, Jesus zu kennen

Ausgerechnet er, ausgerechnet in diesem Moment! Petrus, die Schlüsselperson unter den Jüngern Jesu, lässt sein Idol schmählich im Stich. Er leugnet, ihn zu kennen. Doch dann fließen die Tränen.

Gemälde von Petrus
Der Bogen der Apsis in der Kirche St. Nikolai in Constappel bei Meissen zeigt den Apostel Petrus.

In einer besonders dramati­schen Situation im Leben Jesu zeigte der wichtigste seiner 
Anhänger ein ganz mieses Verhalten. Ausgerechnet Petrus, der Mann, der später die Kirche leiten soll und auf den sich alle anderen verlassen sollen, gibt ein schlechtes Bild ab. So schlecht, dass es bis heute bemerkenswert ist.

Und das ist die Geschichte: Jesus von Nazareth, festgenommen als Unruhestifter und Kritiker der religiösen Autoritäten, wird genau von dieser Obrigkeit, dem Hohen Rat in Jerusalem, streng verhört. Der Hohepriester und seine Theologen versuchen, ihn aufs Glatteis zu führen, ihm Gottes­­-
läs­terungen zu entlocken. Als Jesus sich selbst nach vielen Nachfragen schließlich als Christus, als Sohn Gottes bezeichnet, meinen sie, den Beweis zu haben, und erklären: „Er ist des Todes schuldig“ (Matthäus 26,66).

Jesus hatte diese Treulosigkeit vorausgesagt

Im Hof des Hohen Rates wartet Petrus, Gefolgsmann des Festgenommenen, ein Fischer. Und es passierte, was passieren musste: Erst erkennen ihn unabhängig voneinander zwei Frauen als Anhänger Jesu. Doch ­Petrus streitet ab, ihn zu kennen. Dann kommen weitere auf ihn zu: „Du bist auch einer von denen!“ Nun schwört Petrus sogar: „Ich kenne ­diesen Menschen nicht.“ Jesus hatte ihm diesen Verrat vorausgesagt: „Ehe der Hahn kräht, wirst du mich dreimal verleugnen.“ Und genau so kam es. Petrus leugnete. Der Hahn krähte. Da bereute Petrus seine Feigheit, „und er weinte bitterlich“.

So etwas nennt man wohl Verrat, Treuebruch, Lüge. Eine menschliche Schwäche? Ein ernsthafter Charakterfehler? Jedenfalls verständliche Angst. Zwar lag zu Lebzeiten Jesu die Gerichtsbarkeit nicht beim jüdischen Hohen Rat, sondern bei der römischen Besatzungsmacht. Nur Römer durften 
Todesurteile verhängen und aus­führen. Doch die jüdischen Behörden kooperierten mit dem römischen Statthalter Pilatus. Und dieser ließ Jesus geißeln und kreuzigen.

Ein bisschen viel Verrat im engen Freundeskreis des Jesus und in der Passionsgeschichte! Erst der aktive Verrat des Judas, der mit einem Kuss der Tempelpolizei zeigte, wer Jesus ist (wofür er 30 Silbermünzen bekam). Und dann der Treuebruch des Petrus. Doch während sich Judas aus Reue über den Verrat anschließend selbst aufhängte, flossen bei Petrus die ­Tränen.

Aus dem Verräter wurde später eine anerkannte Autorität

Vielleicht wäre die Passionsgeschichte anders verlaufen, hätte er sich als Gefolgsmann des Angeklagten zu erkennen gegeben. Vielleicht wäre auch er zum Tode verurteilt worden und es hätte sich nie die Ankündigung Jesu erfüllt: „Du bist Petrus, und auf diesen Felsen will ich meine Gemeinde 
bauen“ (Matthäus 16,18). Aber es war anders. Bald nach Verrat und Reue folgte eine glänzende Karriere des Petrus. Die Bibel be­richtet davon, dass er ein großer ­Organisator der Gemeinden wurde. Er eröffnete theologische Grundsatz­debatten, vertrat die Christen gegenüber dem Hohen Rat, beaufsichtigte die ersten Missionsreisen der Apostel. Aus einem Verräter war eine anerkannte Autorität geworden.

Die Geschichte des Christentums ist nicht nur eine Geschichte der Humanität und des Friedens, sondern auch der Verfolgung und des Verrats. Christen verrieten und verleugneten die Juden, die doch ihre „älteren Geschwister“ sind (Papst Johannes Paul II.). Sie verleugneten die Gott­ebenbildlichkeit der Frauen. Sie verrieten die Schöpfung. Sie verrieten ihre eigene Lebensfreude. Und – das muss man im Zusammenhang mit der Petrusgeschichte hinzufügen – selbst fromme Menschen verrieten ihre Überzeugung, Auskunft über ihren Glauben zu geben.

Dass sich gerade die römisch-­katholische Kirche auf Petrus als ihren 
Begründer beruft, jene erst charakterschwache, aber dann führungsstarke Persönlichkeit, und dass sie das Papst-tum geradewegs von ihm herleitet, ist eine irritierende Geschichte. Sie mahnt dazu, das Papstamt, das sich jahrhundertelang als unkriti­sierbar, unanfechtbar gab, nicht in den Himmel zu heben und über die Geschichte der Kirchen und jeden einzelnen – ganz petrusgemäß – nach­zudenken: Wo ist denn meine eigene feige Seite, meine Neigung zum Verrat, meine Angst vor der Courage?

Eduard Kopp