Der Heilige Geist als Dolmetscher

02. Juni 2003, Morgenandachten für den NDR

Wir gehen auf Pfingsten zu. Und an Pfingsten geht es um den Heiligen Geist, jenen Geist, der nach Bachs Motette, vor allem aber nach einem Wort des Apostel Paulus unserer Schwachheit aufhilft.
Ich muss Ihnen gestehen: Von allen christlichen Hochfesten ist mir das Pfingstfest jenes, das mich zunächst eher ratlos lässt. Und der Heilige Geist? Vater und Sohn – darunter kann man sich ja wirklich etwas vorstellen. Aber Geist – und dazu noch heilig? Zugegeben: Anschaulich ist dies alles nicht. Anschaulich bleibt für die meisten unserer Zeitgenossen vielleicht nur, dass das Pfingstfest mitten in die schönste Jahreszeit fällt. Und dann wären da noch, um vom holden Vorsommer wirklich etwas zu haben, die gesetzlichen Feiertage Himmelfahrt und, jedenfalls in den katholischen Regionen: Fronleichnam. Danach muss wieder durchgearbeitet werden, bis zum Sommerurlaub.

Ist das alles, was dazu zu sagen wäre? Pfingsten, da feiern wir (wenn wir denn hingehen) eine Utopie – eine Utopie, die sogar einmal Wirklichkeit gewesen sein soll. Die Völker der ganzen Welt, so heißt es, hätten – ungeachtet der Vielzahl ihrer höchst unterschiedlichen Sprachen – einander plötzlich verstanden. Und damit war gewiss nicht nur gemeint, dass sie keine Dolmetscher mehr brauchten. Denn Dolmetscher brauchen wir doch unter uns Deutschen schon lange nicht mehr: Zwischen Ost und West, Bayern und Preußen, Katholiken und Protestanten (und Atheisten), Christdemokraten, Sozialdemokraten, Liberalen und Grünen und sogar der PDS – habe ich da etwa jemanden vergessen? Deutsch können sie und wir alle – und trotzdem verstehen wir einander im Grunde nicht. Im Gegenteil: Gerade wenn wir dieselbe Sprache sprechen, verstehen wir oft erst richtig, wie wenig wir einander verstehen. Und dann das Ganze noch einmal im Weltmaßstab, also gewissermaßen: Hoch drei…

Das eben war bei jenem ursprünglichen Pfingstfest ganz anders. Da haben alle durcheinander geredet – und einander aufs Innigste verstanden, über alle Grenzen der Sprachen, Völker, Interessen hinweg. Übrigens, so ganz anders war es auch nicht. Denn es standen ja einige dabei, die sagen spöttisch, vielleicht sogar angewidert: Sie sind voll des süßen Weins...

Immerhin, dass sie alle eins, dass sie alle einig seien – das bleibt doch eine der großen Utopien dieser Welt. Trotz aller Kriege, Konflikte und Kakophonien –  zwischen Religionen, Staaten, Parteien, Verbände, Generationen. Wir vernünftigen Menschen glauben zwar nicht, dass wir das je zustande bringen werden – und vielleicht wäre uns so viel Einigkeit auch schon wieder zuviel. Selbst Christen glauben nicht an die Herstellbarkeit dieser Utopie aus eigenen Kräften. Auch – du gerade sie! –  sie wissen, dass noch alle Utopien, die wir selber herstellen wollten, ins Elend und Verbrechen geführt haben: Klassenkampf bis zur klassenlosen Gesellschaft, Reinigung des Volkes bis zur reinen Volksgemeinschaft…Es muss einen noch nachträglich grausen vor unseren menschengemachten Einheitsphantasien. Vernünftige Leute und Christen machen einen weiten Bogen darum herum. Aber Christen haben darüber hinaus doch noch eine Hoffnung. Und die setzen sie – an Pfingsten und das ganze Jahr über –  auf den Heiligen Geist. Als Dolmetscher – nicht nur der Sprache, sondern auch der Sache. Wir sollten ihn einmal näher kennenlernen – im Lauf dieser Woche, auf Pfingsten hin.