Predigt zum Sonntag Sexagesimä in der Hauptkirche St. Michaelis zu Hamburg

Robert Leicht

Das kommt alles ganz automatisch!

LUT Mark 4:26 Und er sprach: Mit dem Reich Gottes ist es so, wie wenn ein Mensch Samen aufs Land wirft 27 und schläft und aufsteht, Nacht und Tag; und der Same geht auf und wächst - er weiß nicht, wie. 28 Denn von selbst bringt die Erde Frucht, zuerst den Halm, danach die Ähre, danach den vollen Weizen in der Ähre. 29 Wenn sie aber die Frucht gebracht hat, so schickt er alsbald die Sichel hin; denn die Ernte ist da.

Mit dem Himmelreich ist das so eine Sache! Wenn wir Menschen es aus eigener Kraft – auch aus frommer Kraft, ja manchmal gerade dann! – wenn wir es aus eigener Kraft aufrichten wollen, geht das schief. Wie oft haben Menschen mit aller Macht die beste aller Welt schaffen wollen – aber was sie erschaffen haben, war die reinste Hölle. Im besten Falle fangen wir es mit gutem Willen an, dann stellen sich Hindernisse in den Weg. Die müssen ausgeräumt werden. Das geht aber oft nicht so einfach. Also müssen die Menschen, die nicht in unsere Pläne passen und nicht parieren wollen, ausgeräumt, pardon: ausgeschaltet werden – eingelocht, umgelegt.

Gewiss, die Nationalsozialisten hatten erst gar keinen guten Willen vorgetäuscht – da gehörte das Morden und Ausrotten gleich von Anfang an zum Programm. Aber bei den Kommunisten, da stand doch wenigstens vor dem Anfang eine keineswegs unrealistische Kritik an aller Ungerechtigkeit der Welt, am Anfang dann das Menschheitsversprechen der klassenlosen Gesellschaft, in der jeder Mann und jede Frau, in der also jedermann nur nach seinen Bedürfnissen leben sollte – und das in Frieden und Freuden, ohne Ausbeutung und Entfremdung. Und was ist herausgekommen: Eine schlimme Diktatur, mit Massenmord, Geheimpolizei, Säuberungsprozessen, Verbannungen…. Der Gulag! Auf jeden frommen Wunsch des Anfangs kamen am Ende Tausende, Abertausende von Opfern. Und erst nach dem Ende der DDR haben die letzten linken Utopisten hierzulande erkennen müssen (wenn sie es denn erkannt haben), welchem Spuk und Spott sie da mit geblendeten Augen aufgesessen waren.

Aber es sind nicht nur die Stalins, Ulbrichts dieser Welt (samt ihren Helfershelfern, vom Denunzianten über den informellen Mitarbeiter über den Mitläufer und Weggucker …) – es sind nicht nur die teuflischen und feigen Bösen, die dessen schuldig sind, dass aus einer scheinbar schönen Ideologie – aus dem Plan eines herrlichen Himmelreichs auf Erden! - eine rechte Hölle erwuchs. Es ist schon die Idee des vom Menschen selber herbeizuführenden Himmelreiches auf Erden, in welcher der Keim des Schreckens liegt.

Auch dort allerdings, wo wir ohne Ideologie, als gewöhnliche Demokraten zu Werke gehen, geht so vieles schief, führen unsere Vorhaben oft in die Irre – wirft die Wirklichkeit unser Planen ins Chaos, liegen die Ergebnisse so weit neben den Hochrechnungen und Spekulationen.

Schon deshalb sollten wir uns von der Vorstellung fernhalten, wir könnten für unsere Politik, für unser Planen einen besonderen göttlichen Auftrag in Anspruch nehmen – und sei es den, die ganze Welt in ein säkulares Himmelreich der Freiheit und Demokratie zu verwandeln.  Krieg gegen Saddam Hussein – das sei, so hieß es, nötig, um die Demokratie auszubreiten, nicht nur im Irak. Und dass die Vereinigten Staaten die Demokratie über die Welt auszubreiten hätten, das sei der ihnen von Gott verliehene Auftrag – so sagte es Präsident George W. Bush, ein wiedergeborener Christ. Das wüsste ich doch zu gerne, ob der liebe Gott sich für all das in Anspruch nehmen lässt, was da in seinem Auftrag angerichtet wurde. Ein Himmelreich ist daraus jedenfalls noch nicht geworden. Hoffen wir, dass die Iraker, wenn sie denn gerade am heutigen Tage recht gewählt haben, wenigstens ein Stück Wegs aus dem Chaos herausfinden!

Also, lassen wir die Sache mit dem Himmelreich am Besten gleich ganz bleiben? Da wäre mir nicht wohl dabei! Wenn unser Leben und Sterben, unser Tun und Lassen weder Anfang noch Ende, weder Sinn noch Ziel hat; wenn am Ende – mit unser Lebenszweck –  unsere Verantwortung, unsere Schuld, Leid und Freud samt unserem Leib bald verwesen – was soll dann das ganze Wesen? Wenn all die Diktatoren und Schergen dieser Welt nur aufpassen müssen, dass sie geschickt davon kommen (oder gar irgendwo an der Côte d’Azur ungestört ihren Austrag genießen, nur damit man sie zu Hause wenigstens loswird) – wer schafft dann all den Opfern ihres Mordens und Schlachtens am Ende aller Tage den Trost einer letzten Gerechtigkeit: Ihr habt schuldlos gelitten - und dem Schuldigen wird am Ende die Wahrheit so gesagt…?

Wie also sollen wir es halten mit dem Himmelreich?

Der Evangelist Markus schrieb uns ein Gleichnis des Jesus von Nazareth auf:

Mit dem Reich Gottes ist es so, wie wenn ein Mensch Samen aufs Land wirft 27 und schläft und aufsteht, Nacht und Tag; und der Same geht auf und wächst - er weiß nicht, wie. 28 Denn von selbst bringt die Erde Frucht, zuerst den Halm, danach die Ähre, danach den vollen Weizen in der Ähre. 29 Wenn sie aber die Frucht gebracht hat, so schickt er alsbald die Sichel hin; denn die Ernte ist da.

Eine schöne Geschichte für uns Stadtmenschen – nach der Melodie zu singen: Im Märzen der Bauer… Aber wer sich in der Landwirtschaft ein wenig auskennt – oder gar, wie die ersten Hörer dieses Gleichnisses, in einer noch ziemlich primitiven Feldwirtschaft aufgewachsen ist, der muss ganz irritiert zuhören, und zwar gerade deshalb, weil der Ablauf des Gleichnisses seiner Wirtschaftsweise so exakt und ohne jede Überraschung entspricht. Ja, so geht es zu in der elementaren Ackerwirtschaft: Der Samen wird ausgebracht, er wächst – und vor tausenden Jahren wusste man wirklich nicht biologisch genau: wie – und am Ende wird geerntet.

Wir wissen, was das mit der Landwirtschaft zu tun  hat. Was aber mit dem Reich Gottes? Ist das Reich Gottes etwa nur eine höhere Art von Feldwirtschaft?

Da ist es zunächst einmal angebracht, dass wir nichts miteinander verwechseln – schon gar nicht uns selber mit einem himmelstrebenden Landmann. Auch haben wir an dieser Stelle nicht das Lied 508 zu singen, jedenfalls nicht an dieser Stelle:

„Wir pflügen und wir streuen den Samen auf das Land,
doch Wachstum und Gedeihen steht in des Himmels Hand…“

Dies Liedlein vom lieben Matthias Claudius hat in einer anderen Stunde seinen guten Sinn. Hier gehört es nicht her!

Denn wir tun hier gar nichts – weder im Gleichnis noch für das Himmelreich!

Alles, was zwischen Saat und Ernte geschieht, das geschieht von selbst:

28 Denn von selbst bringt die Erde Frucht, zuerst den Halm, danach die Ähre, danach den vollen Weizen in der Ähre.

Von selbst: Automatisch – so steht es an dieser Stelle im griechischen Text. Das dürfen wir uns nun nicht im modern abgenutzten Sinne des Wortes vorstellen, als ob da ein technischer, aber doch toter Apparat am Wirken sei, der von Menschenhand und -geist und -geld geschaffen wurde, damit er uns die Arbeit erleichtert. Automatisch in diesem Sinne hier,  αύτομάτη – dieses „von selbst“, von „sich heraus“, das kommt wirklich selbstschöpferisch aus sich heraus im Wachstumsprozess zum Vorschein. Dieser Wachstumsprozess folgt keinem prozessorengesteuerten, toten Automaten, sondern ist selber das höchst lebendige, das schlechterdings lebens- und sinnstiftende Wirken.

Das Reich Gottes entsteht von selbst, nicht durch unser eigenmächtiges Wirken, schon gar nicht durch all die Industrie-, Flug-, Schieß- und Cola-Automaten, mit denen wir unser modernes Markt- und Macht- und Konsumleben vorangebracht und vollgestellt haben. Das Reich Gottes wächst also ganz bestimmt nicht dort, wo wir selber am Machen, wo wir selber es sein wollen, die höchst aktiv sind. Es ist jemand anderes, der da sät, und jemand anderes, der da erntet. Die Sache und unser Leben, unser Lebenssinn – die fangen weder zufällig an, noch hören sie zufällig auf; aber wir müssen für den Sinn weder des Anfangs noch des Endes aus eigener Kraft aufkommen. Das könnten wir ja auch gar nicht – und wo wir es versuchen, als Einzelne wie als Kollektiv, als auserwählte Nation, als herrschende Klasse, gar als Rasse, stürzen wir in den Abgrund; und die Opfer unserer Selbstherrlichkeit mit uns…

Dies alles soll uns eine Warnung sein – und eine Entlastung zugleich. Ihr braucht es nicht mit aller Gewalt herbeizuzwingen, weder das Himmelreich noch sonst ein Reich der Utopie – und wo ihr es dennoch versucht, da richtet ihr doch nur eine Hölle auf Erden an, und sei es nur eine Hölle der Selbstgerechtigkeit, der Selbstüberforderung, des Scheiterns. Die Warnung richtet sich nicht nur an all die Ideologen – und all die ideologiefreien Planer – aller weltlichen Couleur, sondern durchaus (– und erst recht! –) gegen alles religiöse Schwärmerwesen und Eiferertum, gegen jeden religiösen Leistungsdruck und Herrschaftswillen. Wie viel Leid wäre der Welt und ihren Menschen erspart geblieben, wenn auch die christlichen Kirchen und Obrigkeiten mehr auf dieses Markusevangelium gehört hätten als auf die brüllende innere Stimme ihres Machtwillens! Hätten wir doch nie auf unsere Koppelschlösser und Völkerschlachtdenkmäler (dort, Leipzig, steht es noch heute, welch’ Skandal!): Gott mit uns! – und also keinesfalls mit den anderen. Und wären doch all die vermaledeiten Kriegspredigten nie gehalten worden.

Das Reich Gottes, das Himmelreich, das, was alle unsere gewaltigen Utopien himmelweit übersteigt – das wächst, wir wissen nicht wie, es wächst, wie Markus sagt: αύτομάτη .Wir sind in diesem Vorgang vollkommen passiv – und wo wir selber aktiv werden, geht die Sache übel aus.

Also hätten wir selber gar nichts mit dem Himmelreich zu tun – und folglich auch gar nichts zu tun? Das nun gerade nicht!!

Zwar leben wir im Blick auf das Himmelreich, im Blick auf den eigentlichen Sinn, auf das letzte Ziel unseres Lebens durchaus so, dass wir unsere Hände derzeit einfach in den Schoß legen dürfen, ja geradezu sollen! (Manchmal dürfen wir sie dabei auch ruhig falten…) Aber so zu leben – das verändert unser Leben doch schon und auch, und zwar viel stärker, viel freier, viel produktiver, als wenn wir uns jeden Morgen und bis spät in die Nacht immer wieder in die religiöse Leistungskandare legen.

…und schläft und aufsteht, Nacht und Tag …

Gerade, wenn wir dieses – gewiss: naiv poetisch aufscheinende – Himmelreich eben nicht so anschauen wie im Volkspruch („Des Menschen Wille ist sein Himmelreich“ – das gerade nicht, denn: „Der Weg zur Hölle ist mit lauter guten Vorsätzen gepflastert“), sondern wenn eine Ahnung und ein Abglanz – und Vorschein! – dessen von der Zukunft her in unser gegenwärtiges Leben fällt, leben wir doch schon anders – und werden wir anders und auf andere Weise (und auf ein anderes Leben hin) bewegt, als ganz Passive ganz anders aktiv, auch auf eine andere Welt hin, schon hier und jetzt: αύτομάτη – automatisch, von selbst, wir wissen nicht wie …

Denken wir doch nachher daran, wenn wir dann gemeinsam beten: Vater unser im Himmel, Dein Name werde geheiligt, Dein Reich komme, Dein Wille geschehe im Himmel wie auf Erden…

Ja! Amen.