Laudatio zur Siegel-Vergabe „Arbeit Plus 2005“ in Berlin

Prof. Dr. Winfried Hamel

Es gilt das gesprochene Wort.

Verehrte Festversammlung, vor allem aber: verehrte Preisträger-Unternehmen !

Mir ist die ehrenvolle Aufgabe zugedacht worden, die Laudationes für die heute auszuzeichnenden elf Unternehmen vorzutragen. Sie alle haben positive Maßstäbe in ihrer Personalpolitik gesetzt. Für diese Aufgabe, die ich sehr gern angenommen habe, müsste ich knapp drei Stunden sprechen dürfen - aber die mit der Zeit sparsam umgehende Kirche erlaubt mir insgesamt nur 15 Minuten - und so kann ich nur auf einige wenige Gesichtspunkte eingehen.

Das Arbeitsplatzsiegel „Arbeit Plus“ stellt eine Auszeichnung dar, die mit großer Akribie und wissenschaftlicher Gründlichkeit erarbeitet wird. Das Marburger Institut für Wirtschafts- und Sozialethik unter Leitung von Herrn Prof. Nethövel hat das Beurteilungsinstrument entwickelt. In intensiver Diskussion - über Jahre hinweg - mit dem Vergabegremium der Evangelischen Kirche in Deutschland wurde es verfeinert. Es misst ein Gesamtbild des personalstrategischen Verhaltens von Unternehmen. Mehr als 80 Einzelbewertungen werden dabei zu vier inhaltlich verbundenen Gruppen verdichtet und schließlich in einem Gesamtwert fokussiert. Mit Hilfe eines mehrstufigen Verfahrens werden alle einzelnen Bewertungselemente sorgfältig erhoben und durch jeweilige Branchenvergleiche quantifiziert. Dadurch wird ausgeschlossen, dass nicht vergleichbare Unternehmen - etwa des produzierenden und des Dienstleistungssektors - in Konkurrenz zueinander gesetzt werden. Das Verfahren ist ausgesprochen aufwendig - hat aber den Vorteil, zu aussagefähigen und nachvollziehbaren Ergebnissen zu gelangen. Auf sie ist Verlass. Dem Institut für Wirtschafts- und Sozialethik gebührt hoher Dank für seine anspruchsvolle Arbeit.

Die Auszeichnung des Arbeitsplatz-Siegels ist an die Überwindung einer doppelten Hürde gebunden: Zum einen wird das Siegel nur vergeben, wenn der Gesamtpunktwert der Beurteilung deutlich über dem Durchschnitt der Branche liegt. Zum anderen müssen aber auch alle vier Teilgruppen der Bewertung zu einem überdurchschnittlichen Ergebnis führen; eine interne Kompensation ist nicht zugelassen. Die Unternehmen müssen also schon bei vielen personalpolitischen Aspekten gut sein, um in die Auswahl zu gelangen. Als Beispiele seien genannt: die Übernahme von Auszubildenden, die Einstellung älterer Arbeitnehmer und Langzeitarbeitsloser, die Beschäftigung von Schwerbehinderten.

Gerade auf diesem Feld haben die Preisträger Ausgezeichnetes vorgelebt und geleistet: Sie haben durchweg der verbreiteten ökonomischen Vorstellung widerstanden, Personalabbau führe stets zu besseren Gewinnen. Hier wird das Gegenteil bewiesen: Das Halten und Vergrößern der Belegschaften, Neueinstellungen trotz konjunktureller Unkerei ist möglich, ist sinnvoll, ist erfolgreich - soziale Verantwortung und ökonomische Grundsätze lassen sich sehr wohl vereinbaren.

Unter methodischem Blickwinkel sei darauf hingewiesen, dass die Spannweite der Bewertungen jeweils voll ausgeschöpft wird. Der kritische Blick der Beurteiler verdichtet sich zu einer Empfehlung an das Vergabegremium. In ihm haben Vertreter der Kirche, der Arbeitgeber, der Gewerkschaften und der Wissenschaft Sitz und Stimme. Das Vergabegremium prüft die Vorschläge des Instituts für Wirtschafts- und Sozialethik gründlich, bildet sich ein eigenes, unabhängiges Urteil - das durchaus von dem des Instituts abweichen kann - und bestimmt die Preisträger. Erst dann ist der Bewertungsprozess abgeschlossen und die Einladung zur Vergabeveranstaltung wie der heutigen kann ausgesprochen werden.

Alle elf auszuzeichnenden Unternehmen seien hier in der Reihenfolge des Alphabets genannt:

  • Berliner Volksbank eG
  • Bewag AG & Co. KG (als der Berliner Energieerzeuger und Energieversorger)
  • Debeka Versicherungen a.G. aus Koblenz
  • DKB Deutsche Kreditbank AG aus Berlin
  • Homag Holzbearbeitungssysteme AG in Schopfloch
  • Kreissparkasse Ludwigsburg
  • Roche Diagnostics GmbH aus Mannheim und Lörrach
  • Sick AG  (der Spezialist für Automationstechnik) aus Waldkirch
  • Sozialholding der Stadt Mönchengladbach GmbH
  • Sparkasse Vogtland aus Plauen
  • Trimet Aluminium AG aus Essen (als eine von noch fünf Hütten in Deutschland)

Diese Unternehmen sind in allen vier relevanten Bewertungsbereichen als überdurchschnittlich eingestuft worden; es sind dies:

  • die Lebenschancen für die Beschäftigten,
  • deren Beteiligungschancen am betrieblichen Geschehen,
  • die Entfaltungschancen für die eigene Lebensführung,
  • die Sozialkultur gegenüber der Heimatgemeinde.

Konsequenterweise ist auch die Gesamtbewertung jeweils auszeichnungswürdig.

Nur in einem einzigen Fall - von hier gemessenen 55 Werten - wurde die Mindestanforderung lediglich erreicht, sonst wurde sie stets deutlich übertroffen - bis hin zur Höchstnote, die vergeben werden kann. Allen Unternehmen ist für diese hervorragende Beurteilung zu gratulieren.

Sie werden es mir nachsehen, wenn ich nicht alle einzelnen Werte hier vortrage und ausführlich begründe. Aber lassen Sie mich wenigstens einen Bereich deutlicher ansprechen. Angesichts der demographischen Entwicklung in Deutschland, aber auch angesichts der aktuellen gesellschaftlichen Wertediskussion kommt der Familie als Kernzelle des Staates und der Nation eine herausragende Bedeutung zu - sie scheint jedoch oft in den Hintergrund gerückt zu sein.

Familie ist zwar zunächst eine private Angelegenheit der Bürger, hat aber vielfältige Auswirkungen auf alle Lebensbereiche, somit auch auf die Wirtschaftspraxis. Und das gilt auch in umgekehrter Richtung: Für die Wirtschaft ist die Familie keineswegs unbeachtlich. Wenn es gelingt, eine Symbiose zwischen Familie und Beruf herbeizuführen, wenn es gelingt, familiäre Aspekte in der Arbeitswelt besser zu verankern, könnte sowohl der Familie als auch den Unternehmen geholfen sein - im Sinne einer win-win-Situation, die sich immer schon als besonders tragfähig erwiesen hat.

Das Beurteilungssystem für das Arbeitsplatzsiegel nahm diesen Gedanken von Anfang an auf und fragte stets nach familienfördernden Maßnahmen der in die Untersuchung einbezogenen Unternehmen. Das Ergebnis der diesbezüglichen Analyse kann sich wahrlich sehen  lassen:

Keines der heute auszuzeichnenden Unternehmen weist in dieser Hinsicht ein Defizit auf; alle Unternehmen erreichten oder überschritten den erforderlichen Durchschnittswert, sechs überschritten ihn deutlich, eines erreichte sogar eine vorbildliche Beurteilung. Es zeigt sich damit, dass auch die Beachtung außerbetrieblicher Aspekte für die Unternehmen bedeutsam ist; Mitarbeiter sind für diese Unternehmen eben keine „Produktionsfaktoren“, sondern „Leistungsträger“, wenn auch mit individuellen Anforderungen.

Diesen Gedanken kann man weiterführen. Zur Familienförderung gehört es auch, den Mitarbeitern über Teilzeitgestaltungen die Möglichkeit einzuräumen, Familie und Beruf miteinander zu verbinden. Der Gesetzgeber hat hier zwar einige Regelungen in der richtigen Richtung eingeführt, deren Umsetzung aber kann in der Wirtschaftspraxis leicht umgangen werden. Umso wichtiger ist es, wenn die Unternehmen von sich aus Teilzeitstrukturen ermöglichen oder gar einführen. Im Fall unserer Preisträger ist auch in dieser Hinsicht ein positives Bild zu konstatieren: Zwei Unternehmen konnten als vorbildlich eingestuft werden, vier weitere als weit überdurchschnittlich, vier als durchschnittlich - allerdings eines auch als noch nachhilfefähig. Aus diesem Ergebnis ersehen Sie zweierlei: Zum einen ist die Idee der Teilzeit in der deutschen Wirtschaft - jedenfalls in der mit einer guten Personalpolitik - präsent und positiv besetzt, zum anderen zeigt sich die Unabhängigkeit der Beurteilung, die sich nicht scheut, auch ein weniger gutes Ergebnis festzustellen.

In der Gesamtbewertung lässt sich ohne Übertreibung feststellen, dass in der heutigen Vergabeveranstaltung Unternehmen ausgezeichnet werden, die dies uneingeschränkt verdient haben. Ich möchte allen hierzu sehr herzlich gratulieren - jedoch nicht ohne ihnen die Verpflichtung aufzuerlegen, auch in Zukunft ihre personalpolitischen Grundsätze im Sinne des Arbeitsplatzsiegels weiterzuentwickeln. Vielleicht haben wir dann Gelegenheit, zu einer späteren Vergabe wieder zusammenzukommen - das Arbeitsplatzsiegel 2005 ist nur ein Glied in einer hoffentlich nie abreißenden Kette positiven personalwirtschaftlichen Handelns.

Ich danke Ihnen.


Prof. Dr. Winfried Hamel ist Inhaber des Lehrstuhls für Personalführung und Organisation an der Universität Düsseldorf. Er ist Mitglied des Vergabegremiums von ARBEIT PLUS

Rede von Bischof Huber zur Vergabeveranstaltung ARBEIT PLUS 2005