Weihnachtspredigt

Maria Jepsen

Michael, Hamburg, Jes. 9, 1-6

Liebe Gemeinde,

Nachrichten sollen prägnant und kurz sein. Da stehen 30 Zeilen zur Verfügung oder 1 Minute und 30 Sekunden. Das muß reichen. Was länger ist, wird gestrichen.

Wie schön, dass wir nicht immer in dieses Nachrichtenkorsett eingeschnürt werden, dass beispielsweise die Weihnachtsgeschichte des Lukas länger sein darf, auch heute, dass sie zudem so eigentümlich, so umständlich, fast holperig beginnt: „Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot von dem Kaiser Augustus ausging, dass alle Welt geschätzt würde. Und diese Schätzung war die allererste und geschah zu der Zeit, da Cyrenius Landpfleger in Syrien war. Und jedermann ging, dass er sich schätzen ließe, ein jeglicher in seine Stadt.“

Welch ein Anfang, - wo ist da die klare Aussage, die Spannung, wo die persönliche Betroffenheit ?       

Und doch: bei uns, die wir seit Jahren, Jahrzehnten diese Geschichte kennen, zu Weihnachten hören und lesen, tut sich etwas, wir werden aufmerksam und in uns regt sich Hoffnung und Erwartung – und Erinnerung. Aus dem ganz privaten, persönlichen Empfinden werden wir hineingenommen in ein unbegreifliches, aber doch so vertrautes Geschehen, in eine Geschichte, die weltumspannend ist, uralt und doch wieder neu.

Glaube wird angestoßen. Uns wird deutlich: es ist kein Märchen, es geht nicht um ein „es war einmal“. Die alte gute Mär ist Wirklichkeit, real auch heute, hier bei uns.   Sie berührt und verändert uns, die Häuser und die ganze Stadt, die Stimmung in den Diskussionen und die Entscheidungen auf den Problemfeldern unserer Welt, und unsere persönliche Situation. Da merken wir, dass wir vom Heiland, vom Heil Gottes begleitet sind und dass wir uns auf den Weg gemacht haben, um uns wertschätzen und lieben zu lassen, von Gott und seinen Engeln und den Menschen seines Wohlgefallens.

Was sich im Heiligen Land damals ereignete, das ging alle Welt an, den Kaiser von Rom und alle Herrscher, und jedermann, alle Menschen, wo auch immer und wie auch immer sie lebten. Und das ist heute nicht anders.

Diese ersten Verse der Weihnachtsgeschichte aus dem Lukasevangelium sind Vorspann, Hinleitung, und damit ähnlich wichtig wie die Adventswochen bei uns heute. Sie führen uns heran, langsam und besonders, an das eigentliche Ereignis, an die Aussage: „Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird. Denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr, in der Stadt Davids.“

So wichtig der Satz ist „Und sie gebar ihren ersten Sohn und wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe“, so wichtig Maria und Joseph, die Hirten und die Engel mit ihren Liedern waren,  -  das Entscheidende ist doch der erste Satz des Engels, sind seine Worte: „Euch ist heute der Heiland geboren!“  Mitten in den Turbulenzen und Nöten der Welt, in den politischen Umbrüchen und persönlichen Unsicherheiten spricht Gottes Engel: „Euch ist heute der Heiland geboren!“, dir ist heute Heil geschenkt, auf dass du dich freust und dich angesehen und beschenkt weißt, verbunden mit denen, die Gott mit ihren Liedern und Leben preisen.

„Euch ist heute der Heiland geboren!“, schreibt Lukas, und beim Propheten Jesaja heißt es: „Denn uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben. Wunder-Rat, Gott-Held, Ewig-Vater, Friede-Fürst, und er wird wirken durch Recht und Gerechtigkeit von nun an bis in Ewigkeit.“  
Auffällig ist dass diese biblischen Verse, die von der Geburt des Messias, von der Geburt Jesu erzählen, so stark betonen: euch ist der Heiland geboten, uns ist ein Kind geboren, uns ist ein Sohn gegeben.

Gott ist nicht der ferne Weltenlenker, der distanziert auf die Menschenkinder guckt. Gott durchbricht die Metaphysik und macht sich seiner Welt und jedem Menschen hier bei uns und in der Ferne zugetan - in diesem Kind. In ihm hat er sich eingemischt in der Weltenlauf, ist auf die Erde gekommen, mit uns unterwegs, um mit seiner Gerechtigkeit und Barmherzigkeit uns zu gewinnen für das Leben, für die Chancen und Möglichkeiten, die es auf dieser Erde gibt, geben soll, für jedes neugeborene Kind, für jeden schwachen und ausgegrenzten Menschen, für die Alten und Sterbenden sowie die Starken und Mächtigen, für die auf der Flucht und im Gefängnis.

Euch ist der Heiland geboren, uns ist ein Kind, ein Sohn gegeben.
Bethlehem war eine Davidsstadt, hatte königlichen Traditionen, war aber längst herabgesunken zu einem unbedeutenden Flecken. Dass Gott hier seine Weltgeschichte neu ansetzt, ist zugleich Hinweis, dass er das Niedergegangene, Verkümmerte neu beleben wird und die niedergeschlagenen Menschen auch. Schon die Ortswahl der Geburt ist ein deutliches Zeichen einer neuen Hoffnung für die Welt.

Die alten Bünde zwischen Himmel und Erde gelten weiter, und die alten Pflichten und Verheißungen auch. Ab nun macht es wieder Sinn, gottesfürchtig zu leben, sich nicht auf Mammon und Götzen zu verlassen oder sich nur abhängig zu wissen von den selbsternannten Regenten der Welt.
Die Welt ist mehr, als in den Hohen Häusern ihrer Metropolen gemanagt werden kann, ob sie nun Jerusalem heißen oder New York oder Tokio oder Moskau. Sie ist in Gottes Hand. Der übersieht kein Bethlehem. Dem ist kein Haus zu klein, kein Mensch zu gering, kein Herz zu dunkel und keine Magd zu niedrig. Maria singt davon voll Glück, erzählt die Bibel.

Darum: wer sich der Krippe nähert, soll andächtig stehen bleiben, aber dann nach dem Innehalten seine Verantwortung für das Kind erkennen – und die Kinder dieser Welt, für die, die in Not und Armut leben, für die, die auf der Flucht sind, für alle, die Schutz und Begleitung brauchen, damit sie nicht verloren gehen und verwahrlosen und lieblos verkümmern. Sie bekommen Atem, auch die Gegensätze im eigenen Leben zu überwinden.

In diesen Tagen spüren wir, wie gefährdet menschliches Leben damals war und heute ist, und wieviele Menschen sich bei uns bedroht fühlen – und auch bedroht werden.
Euch ist heute der Heiland geboren – das zu sagen, ist weihnachtlich notwendig, weihnachtlich heilvoll.
Es hilft uns, in aller Verworrenheit und Finsternis Gott zu vertrauen und seinem heiligen Willen zu folgen, auf den Frieden Gottes zu warten und aus seiner Gerechtigkeit zu leben und zu handeln. Es öffnet unsere Sinne, unsere Verantwortung füreinander.

Der Stern über den Feldern Bethlehems verschwand. Aber Gott bleibt. Unzählige Menschen haben´s begriffen, die Hirten zuerst.

Der Teufelskreis von Schuld und Not wird durchbrochen, von Gott selber. Es gibt einen Neuanfang, für uns und für die, die verzweifelt und elend sind. Alle, auch die Kleinen, die Fremden und Flüchtlinge sollen daran teilhaben. Keiner darf von uns ausgeschlossen werden. Gott ist für alle Menschen zum Heiland geworden.   

Advent und Weihnachten lehren uns aufs neue, dass Gott Mensch geworden ist, dir zugute, mitten unter uns. Gottes Kind, das verbindt sich mit unserem Blute, heute am Heiligen Abend und jeden Tag neu.
Der Engel des Lukas sagt es uns hier in der Kirche und allen anderen Menschen auf der Welt: „Fürchtet euch nicht ! Ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird, - freue dich, o Christenheit!“
Amen