Der Weihnachtsstern möchte Orientierung geben

Axel Noack

Gott hat sich aufgemacht, der Welt und uns Menschen nahe zu sein. Das ist letztlich der Inhalt der Weihnachtsbotschaft. Gott musste sich dazu „klein machen“, wie sollte auch Gott, der Schöpfer des Himmels und der Erde, sonst in diese Welt „passen“. Er hat sich klein gemacht, wie ein neugeborenes Kind. „Den aller Weltkreis nie beschloss, der liegt in Marien Schoß“ heißt es in einem Weihnachtslied Martin Luthers. Und in den Christvespern singen wir auch in diesem Jahr: „Welt ging verloren, Christ ist geboren. Freue dich Christenheit.“

Diese Zuwendung Gottes „gibt der Welt einen neuen Schein“. Das heißt, Gottes Ja zum Leben in dieser Welt, lässt sie auch uns in einem neuen Lichte erscheinen. Wir hören die Weihnachtsbotschaft nur dann recht, wenn es gelingt ,unser Leben, unser Land und unsere ganze Welt in einem anderen Lichte zu sehen. Die Maßstäbe kehren sich um: Die Großen und Mächtigen werden auf das Kind gewiesen und ihnen werden ihre Grenzen gezeigt. Die Kleinen und Schwachen finden neue Hoffnung, denn die Hinwendung Gottes zu uns Menschen geschieht nicht zufällig in einem armseligen verletzlichen Kind, geboren unter mehr dramatischen als idyllischen Umständen im Stall von Bethlehem.

Wenn Gott sich aufmacht, uns nahezu sein, dann holt er uns freilich nicht den Himmel auf die Erde. Auch Sterne machen die Welt nicht hell, aber sie orientieren. Ja, Misstrauen ist angesagt gegen alle, die sich schon im hellen Glanze wähnen und uns versprechen, den Himmel auf Erden schaffen zu wollen. Wir Menschen bleiben auch nach Weihnachten Menschen mit allen menschlichen Schwächen. Es verbietet sich geradezu, Menschen zu kleinen „Göttern“ zu stilisieren und seien sie noch so bedeutend. Enttäuschungen sind die unausweichliche Folge.

Aber ebenso verbietet es sich, den Menschen klein zu machen, zu beschädigen und in seiner Würde zu verletzen, denn immerhin ist Gott selber Mensch geworden. Der friedliche Zustand auf der Erde steht mit der „Ehre Gottes“ in einem engen Zusammenhang: „Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden.“

Das vergessen wir leider so oft. Wer die Würde und die Ehre der kleinen, so unscheinbaren Geschöpfe Gottes beschädigt, versündigt sich an der Ehre Gottes. In den Menschen um uns her, in unseren „Nächsten“, wird Gott geehrt oder auch gekränkt und beleidigt.
Freilich gilt auch die Umkehrung: Wer aufhört, Gott die Ehre zu geben, wird auch bald nicht mehr zögern, die Ehre des Menschen anzutasten. Wer Gott nicht mehr Gott sein lässt, steht in der Gefahr den Menschen nicht mehr Mensch sein zu lassen.

Der große deutsche Philosoph Karl Jaspers hat das schon zwischen den beiden Weltkriegen mit folgenden Worten charakterisiert:

„Es gibt keinen Gott, ist der anschwellende Ruf der Massen; damit wird auch der Mensch wertlos, in beliebiger Zahl hingemordet, weil er nichts ist.“

Daran ist zu erinnern gerade dann, wenn über Menschen einfach hinweggegangen wird und ihr Leben und ihre Unverletzlichkeit einem guten Zweck nachgeordnet werden sollen. Der Zweck heiligt nicht die Mittel. Auch nicht der gute Zweck der Bekämpfung des Terrorismus.

Wir hören die Weihnachtsbotschaft nur dann recht, wenn sie eine „Kultur der Bejahung“ fördert und freisetzt. Solche „Kultur“ äußert sich in der Freude am Leben, in der Hinwendung zu denen, denen das Leben schwer fällt, und in dem Protest gegen alles, was das Leben gering achtet, bedroht oder behindert.

Denn seit Weihnachten müssen wir nun auch sagen: Die Erde ist keine „gottverlassene Gegend“. So problematisch und widersprüchlich es hier auch zugehen mag. Wir müssen beides festhalten und beides betonen: Wir werden nicht den Himmel auf die Erde holen und dennoch ist die Erde nicht gottverlassen! Die Mütter und Väter im Glauben haben diese Spannung sichtbar gemacht im Symbol des Sternes, der jetzt unsere Stuben ziert: Es ist der Morgenstern schon am Himmel zu sehen. Er macht die Erde noch nicht hell, aber er gibt schon deutliche Orientierung. Der Tag kommt, es lohnt sich also, wieder aufzustehen, ans Werk zu gehen, kritisch und wachsam, aber mit neuem Mut und mit neuer Zuversicht – trotz mancher Rückschläge und Enttäuschungen.

Wer von dem Ganzen eine der schönsten Zusammenfassungen haben will, höre in Bachs Weihnachtsoratorium auf den kleinen Choral :

„Brich an du schönes Morgenlicht und lass den Himmel tagen!
Du Hirtenvolk erschrecke nicht, weil dir die Engel sagen,
dass dieses schwache Knäbelein soll unser Trost und Freude sein,
dazu den Satan zwingen und letztlich Frieden bringen.“