Weihnachtspredigt

Louis-Ferdinand von Zobeltitz

Bremer Kirche St. Stephani, 1. Johannes 3, 1-6

1 Seht, wie groß die Liebe ist, die der Vater uns geschenkt hat: Wir heißen Kinder Gottes und wir sind es. Die Welt erkennt uns nicht, weil sie ihn nicht erkannt hat.
2 Liebe Brüder, jetzt sind wir Kinder Gottes. Aber was wir sein werden, ist noch nicht offenbar geworden. Wir wissen, dass wir ihm ähnlich sein werden, wenn er offenbar wird; denn wir werden ihn sehen, wie er ist.
3 Jeder, der dies von ihm erhofft, heiligt sich, so wie Er heilig ist.
4 Jeder, der die Sünde tut, handelt gesetzwidrig; denn Sünde ist Gesetzwidrigkeit.
5 Ihr wisst, dass er erschienen ist, um die Sünde wegzunehmen, und er selbst ist ohne Sünde.
6 Jeder, der in ihm bleibt, sündigt nicht. Jeder, der sündigt, hat ihn nicht gesehen und ihn nicht erkannt. 
 
 
1.
Dieser Predigttext mit seinen gewichtigen Begriffen wie Liebe Gottes, Kinder Gottes, Sünde und noch einiges ist wie ein großes schwer zu handhabendes Weihnachtspaket. Wir müssen ein bisschen Geduld aufbringen, um die Verstehensknoten aufzuknüpfen, um dann nach und nach die alten, ein wenig verstaubt klingenden Begriffe aus den Verpackungen dieses Briefes des Johannes herauszuwickeln. Wenn alles gut geht und uns der heiligen Geist behilflich ist, dann werden wir anschauen können, was uns heute geschenkt wurde. Denn damit beginnt ja unser Briefabschnitt: Seht, schaut also genau hin.
 
2.
Seht, welch eine Liebe uns der Vater erwiesen hat. Mit dieser Aufforderung genau hinzuschauen werden wir noch einmal in die Weihnachtsgeschichte verwiesen. Was sehen wir da? Den Stall, Maria und Joseph, das Kind in der Krippe und die Hirten. Die haben in der Nacht von dem Engel auf dem Felde gehört: Fürchtet euch nicht! Siehe ich verkündige euch große Freude, die allem Volk wiederfahren wird; denn euch ist heute der Heiland geboren.

Und diese erstaunliche Engelsbotschaft ist sozusagen bestätigt und besiegelt worden durch den Chor der himmlischen Heerscharen, die sangen: Ehre sei Gott in der Höhe und Frieden auf Erden.
 
Gott ist in Jesus Christus zur Welt gekommen, er ist Mensch geworden und uns zum Bruder. Mit dieser Geschichte ist ein Geschehen verbunden, das einen jeden Menschen angeht. Indem Gott in dem Jesuskind zur Welt kam und uns zum Bruder wurde, hat er uns zu seinen Kindern gemacht. Darum geht es doch im Kern in der Weihnachtsgeschichte. Darin rückt sie uns persönlich ganz nah. Hier wird nicht nur die Geburtsgeschichte von Jesus Christus erzählt, die uns anrührt, die unsere Phantasie beschäftigt, die wir gerne hören, besingen, in Krippenspielen bestaunen. Hier wird uns unsere eigene Geburtsgeschichte erzählt. Wir werden als Kinder Gottes geboren.
 
Was heißt das konkret?
Wenn wir gefragt werden, wer wir sind, dann sagen wir in der Regel unseren Namen, unser Geburtsdatum und unseren Beruf. Und hinter diesen knappen Angaben verbergen sich die Grundaussagen, die wir gemeinhin über einen Menschen machen.
Ein Mensch wird bestimmt von seiner Familie, die ihm den Namen gibt, von dem, was er da an Schönem und Beglückendem aber auch Beschwerendem und Belastendem mitbekommen hat. Sehr oft gibt die Familie einem jeden von uns ein größeres oder kleineres Päckchen mit zu tragen auf. Manchmal stöhnen wir unter dieser Last. Manchmal gelingt es uns, das Päckchen einfach mitzutragen, es gehört halt zu uns.
 
Ein Mensch wird bestimmt durch sein Alter, durch die Zeit, in der er lebt und wie der Zeitgeist ihn prägt. Oft wird erst nach vielen Jahrzehnten im Rückblick deutlich, wie selbst die kritischsten und unabhängigsten Geister Kinder ihrer Zeit sind, die unbewusst nachplappern, was man zu dieser Zeit eben plapperte. 
 
Ein Mensch wird bestimmt durch seinen Beruf, durch die soziale Rolle, die er ausfüllt. Es macht einen Unterschied ob einer Penner ist oder Pastor, ob er Krupp heißt oder Krause. Und je nachdem begegnet ihm die Umwelt eher freundlich und offen oder distanziert und abweisend.
 
Die Antworten, die uns auf die Frage, wer wir sind gegeben werden, sollen wir nun aber nicht so wichtig nehmen. Denn die wichtigste und zentrale Aussage, die über uns von Weihnachten an gemacht ist, lautet: Ihr sollt Gottes Kinder heißen. Das ist eure wahre Berufung.
 
3.
Worin äußert sich das, dass jemand von sich weiß, dass er oder sie ein Kind Gottes ist. Ich habe in diesen Tagen einen Weihnachtsbrief von einer guten Freundin bekommen. Der konnte aus meiner Sicht nur deshalb so geschrieben sein, weil meine Freundin ganz fest daran glaubt, dass sie ein Kind Gottes ist. Ihr Brief war von einem Engel geschmückt. Sie schreibt dazu:

Ein Engel muss es in diesem Jahr sein dort oben als Briefkopf. Manchmal ist es ein Tannenbaum oder ein Stern, meistens ein Engel. Für mich ist das ganz klar. Die Spuren er Engel findet man sofort, wenn man nur will. Manche finden meinen Hang zu Engeln ja etwas abartig, aber seit meiner Krebserkrankung vor 14 Jahren hat besonders mein Schutzengel bei mir besondere Beachtung gefunden. Da mag drüber lachen, wer will. Mein Vater würde dazu nur sagen: „Die Bille fängt auch langsam an zu spinnen.“ Nein, mal ehrlich, ich finde, es passiert so viel zwischen Himmel und Erde, das fast wundersam ist und keine rationale Erklärung findet. 

Da kann man schon an diese Himmelsboten glauben, oder? Aber dir muss ich das wohl gar nicht erklären. Natürlich sieht man auch die Bereiche, wo diese schützenden Himmelswesen wohl nie waren, wo alles kaputt gegangen ist, zerstört ein für allemal, wo es richtig finster ist. Da frage ich mich schon manchmal;: Warum ist da kein Engel gewesen? Ein Engel für diese armen Kinder z.B., die ihre Eltern nicht haben wollten. Und schon komme ich an meine Grenze des Denkens und Verstehens. Aber das wird dir nicht anders gehen.

Immer wieder, wenn ich Zeit habe, suche ich nach den Spuren der Engel oder man könnte auch sagen: Ich suche nach dem Guten, dem Wunderbaren und manchmal Unerklärlichen.
 
Den Engel in der Weihnachtsgeschichte mag ich besonders gern, weil er zu denen kommt, die es nötig haben, die arm sind und von der Hoffnung leben. Und diese Vorstellung davon, wie es mitten in finsterster Nacht plötzlich hell wie am Tage wurde – wunderbar, unglaublich, wirklich unfassbar.
 
Unser Leben hat wie die Weihnachtsgeschichte ebenfalls diesen Wechsel von Finsternis und Licht. Wir können auf das Dunkel schauen, und dort wird jeder für sich selbst genug entdecken. Das Dunkle, das uns Angst macht, das uns bitter und traurig sein lässt, das sehen wir sofort. Viel schwieriger ist es sich auch die Suche nach den Lichtspuren zu machen. Und da gibt es mehr, als wir manchmal in der Traurigkeit oder Bitterkeit wahrnehmen. Ich rede da von mir selbst, ich, die ich in finsteren Lebenszeiten immer so tief ins Loch falle, dass ich kaum noch einen Lichtstrahl wahrnehmen kann.
So weit der Brief meiner Freundin.
 
Aus dem Glauben heraus, dass sie Kind Gottes ist, sucht sie nach dem Engel, der sie behütet und beschützt und sie macht die erstaunliche Erfahrung, dass sie in ihrem Leben Spuren von diesem Engel findet. 
 
3.
In doppelter Hinsicht kann die Aussage, dass wir Gottes Kinder sind, uns verändern. Wenn wir niedergeschlagen und enttäuscht sind, wenn wir am Boden liegen, weil unser Leben ganz und gar nicht unseren Erwartungen entspricht, wenn wir den Eindruck haben, wir seien die schwärzesten Unglücksraben, die man sich denken kann, dann wird uns gesagt:

Seht, welche eine Liebe hat uns der Vater erwiesen, dass wir Gottes Kinder heißen – und wir sind es auch. Gegen allen Anschein, wir sind Gottes Kinder. Nichts und niemand kann uns diesen Rang streitig machen. Und weil wir Gottes Kinder sind können wir als Kinder zu Gott beten und ihn bitten, uns einen Engel zu schicken, der uns aus unserem Unglück heraus holt. Wir können gewiss sein, Gott wird uns hören.
 
Es kann aber auch sein, dass wir uns bärenstark fühlen, mit hoch erhobenen Kopf stolz und zufrieden unserer Wege ziehen. Mit mitleidigem Lächeln schauen wir auf die, die es nicht geschafft haben, die am Rande stehen, die niemand beachtet. Da hören wir: Seht welche Liebe hat der Vater erwiesen, dass auch sie Gottes Kinder heißen und sie sind es auch. Dass wir alle Gottes Kinder sind, verlangt  von uns, nach Formen des menschlichen Miteinander zu suchen, in der alle Menschen ihre Gotteskindschaft leben und feiern können. 
 
Wir sind mit allen Menschen in die Gotteskindschaft berufen, wir sind es wirklich, obwohl es oftmals den Anschein hat, als wären Menschen vergessen, verraten, abgeschrieben. Unsere Gotteskindschaft, ein Leben in Würde und Liebe, geachtet und respektiert, ist noch nicht vollkommen offenbar. Die Sünde als lebensfeindliche Macht steht dazwischen. 
 
4.
Sünde ist so ein schweres Wort. Ach wie gerne würden wir doch an Weihnachten diesen Begriff außen vor lassen. Die Sünde will so gar nicht zu unserer Weihnachtsgeschichte passen. Aber unser weihnachtliches Predigttext bringt die Sünde zur Sprache, weil sie unsere Gotteskind-schaft gefährdet und verdunkelt. 
 
Die im Predigttext angesprochene Sünde zeigt sich in der Verletzung des Lebens und der Liebe, als Lebenswidrigkeit, Lieblosigkeit und Gottlosigkeit. Alles, was lebensdienlich ist, kann keine Sünde sein, aber all das, was Leben zerstört und Menschen verbraucht, kann zu ihr gerechnet werden.
 
Die meisten denken bei dem Begriff Sünde an die Überschreitung bestimmter Moralvor-schriften. Das greift viel zu kurz. Es kommt vielmehr darauf an, unser Denken und Tun im Spiegel der Liebe zu betrachten und zu überlegen, ob etwas lebensdienlich ist oder geeignet ist, Leben zu behindern oder zu zerstören, oder ob es Menschen verbraucht. Gott ist ein Freund des Lebens und er will das Leben.
 
Im Griechischen, der Sprache des Neuen Testaments, heißt sündigen soviel wie „das Ziel verfehlen“ – etwa so, wie ein Bogeschütze seinen Pfeil daneben schießt. Sünde bezeichnet also verfehltes Leben, das an Gott vorbei gelebt wird.
 
Sünde hat genauso viele Gesichter wie Liebe. Rücksichtslosigkeit und Missgunst, Neid und Hass, Arroganz und Amtsanmaßung, Dummheit und Hemmungslosigkeit, aber auch überhöhte Selbstzweifel und Ungeduld können Formen von Sünde sein.
 
5.
Die Sünde verdunkelt und verletzt unsere Gotteskindschaft, zieht sie in Zweifel, macht sie Unkenntlich, so dass kaum mehr etwas davon sichtbar ist. Die Bibel hat ein sehr realistisches Bild von uns Menschen. Sie sagt: Wer von sich sagt, er sei ohne Sünde, der lügt. Gleichzeitig aber bringt sie uns in Widerstand zur Sünde. So heißt es in unserem Predigttext: Wer in Jesus Christus bleibt, der sündigt nicht. Er lebt aus der Vergebung seiner Sünden und ihm wird zugesagt: Du bist Kind Gottes. Ich traue dir zu, der Sünde zu widerstehen.
 
Wir werden in die Geschichte Gottes gezogen, von seiner Liebe angesprochen, zu seiner Liebe verführt, damit wir selber Wegbereiter der Liebe werden.
 
An Weihnachten haben wir allen Grund uns über die Geburt Jesu zu freuen, seine Geburt zu bestaunen und zu besingen. Gott kommt als Kind in unsere Welt, nicht als Kaiser. An ihm können wir lernen, zu uns selbst zu kommen.
 
Auf einer Weihnachtskarte habe ich einmal diese Textzeile gelesen:
 
Mach´s wie Gott – werde Mensch
Glaube mir es lohnt sich.
In aller Weltenfurcht halte die Hoffnung durch,
halte die Hoffnung durch...
 
So stärke uns der Heilige Geist in dieser Weihnachtszeit. Er mache uns stark in unserem Glauben, dass wir Gottes Kinder sind, er helfe uns in Jesus Christus zu bleiben, der uns von der Sünde frei macht und uns beisteht, der Sünde zu widerstehen, er mache uns die Bahn frei, wenn wir sie mit der Liebe ausschmücken wollen.
 
Der Friede Gottes, 
der alles, was wir zur Sache des Friedens zu denken wagen,
übersteigt,
halte unseren Verstand wach,
unsere Hoffnung groß,
und mache unsere Liebe stark.
Amen