Hoffnung sehen –- Hoffnung säen - Predigt zum Erntefest des Bauernverbandes in der Berliner Friedrichstadtkirche

Manfred Kock

Predigttext: 1Tim 4,4-5

Alles, was Gott geschaffen hat, ist gut,
und nichts ist verwerflich, was mit Danksagung empfangen  wird;
denn es wird geheiligt durch das Wort Gottes und Gebet.

„Alles, was Gott geschaffen hat, ist gut“

Ein Fest der Freude an Gottes guter Schöpfung wird heute gefeiert. Wir sind beisammen und danken für das, was Gott aus der uns Menschen anvertrauten Erde hat wachsen lassen.

Da steht der kunstvolle Erntekranz, wie in vielen Kirchen sind Früchte um den Altar gelegt, Zeichen für alles, was unserem leiblichen Leben dient. Das ist nicht nur, was wir essen und trinken, dazu gehören auch Kleider und Wohnung, Arbeit, Erholung, Familie und Freundschaft, soziales Gefüge und gesellschaftliche Organisationen. Und wir beziehen in den Dank die Menschen ein, die sich einsetzen für all das, was wir brauchen für unser irdisches Leben: die Bäuerinnen und Bauern, die Erntehelfer und alle, die für gerechte Verteilung sorgen.

Wer mit der Landwirtschaft verbunden ist, hat vor Augen, wie das Jahr gewesen ist: Nach langem und kaltem Winter mussten die Felder in Eile bestellt werden. Was gesät und gepflanzt wurde, wuchs schnell auf. Aber dann kamen Juni und Juli mit ungewöhnlicher Hitze und Trockenheit. Endlich dann der Regen im August, aber der wollte nicht enden, erschwerte die Ernte und steigerte die Verluste. Aber aufs Ganze gesehen, ist es doch noch gut gegangen. Hungern muss niemand hierzulande. Zudem sind die Handelswege offen. Es wird reichen für das kommende Jahr. Vielleicht verspricht der goldene Herbst noch einen guten Wein, der wie die biblische Weisheit sagt, des Menschen Herz erfreut.

Und so danken wir, denn alles, was Gott geschaffen hat, ist gut, schreibt der Apostel.

Wirklich alles? Für die meisten Menschen ist nicht mehr bewusst, dass alles, was sie für das Leben brauchen, von der Fruchtbarkeit der Erde herrührt. Sie kaufen Milch in Tüten oder als Bestandteil süßer Riegel, die Gesundheit vorgaukeln und Kinderzähne verderben. Kühe sind allenfalls vor Augen als Glückstiere für bestimmte Schokolademarken. Und vielen kommt nicht mehr in den Sinn, wie viel Erfahrung und Arbeit, wie viel Pflege nötig ist, bevor und damit die Kühe Milch geben.

Ist wirklich alles gut? Bauern können wohl rechnen, wenn sie den Verkaufspreis von Brötchen in Beziehung setzen zum Preis, den sie für ihren Weizen erhalten. Sie kennen die Konkurrenten des Weltmarktes und die schwierige Bürokratie, sie erleben, wie wir Verbraucher Druck ausüben in unserem Bestreben, alles möglichst billig zu bekommen.

Ist wirklich alles gut? Vom Fleisch mag ich heute gar nicht reden. Die unappetitlichen Meldungen lassen  eine „Geiz ist geil – Mentalität“ erkennen, die manche Misere verursacht - was nicht kriminelle Machenschaften von Einzelnen entschuldigen soll.

Ist wirklich alles gut? Dank und Freude werden immer wieder gedämpft; die Welt ist unsicher. Die Bosheit kann jederzeit explodieren. Wir wissen das aus den Erfahrungen der Geschichte und der Gegenwart, und wir erleben es in unserem Umfeld. Streit gibt es auch  in Kirchengemeinden und Familien, auf den Höfen der Bauern, in den Geschäften und auf den Märkten.

All diese Beispiele verdunkeln, was Gott gut geschaffen hat. Darum ist es wichtig, dass wir am Erntedankfest bei  unserem Dank auch auf die Realitäten unserer Existenz und ihrer Bedingungen schauen. Wir leben auf dieser Erde mit wackligen Schichten, mit klimatischen Bedrohungen, mit Stürmen und Fluten, mit Dürre und Hitze. Unter Dornen und Disteln müssen Adam und Eva - das heißt: der Mensch - das Land bebauen. Lebensbedingungen dieser Erde sind nicht überall gut. Und die unbeschwerten Paradiese gibt es wohl nur in den Katalogen der Urlaubsindustrie.

„Nichts ist verwerflich, was mit Danksagung empfangen wird“

Darum gehört zur Erkenntnis des Apostels, dass alles gut sei, Entscheidendes hinzu, nämlich der Dank, „Nichts ist verwerflich, was mit Danksagung empfangen wird“. Der fällt nicht immer leicht. Wer an den Wust von Bürokratie denkt und an das Sterben von Höfen oder an die Schwierigkeiten der Nachfolge, kennt die großen Sorgen. Vor allem, wenn Höfe seit Generationen die Familien ernährt haben und nun zu sterben drohen, dann können  auch Selbstwertgefühl und Stolz verloren gehen, und vor lauter Sorgen und Verbitterung kommt das Danken kaum in den Sinn.

Und noch etwas anderes ist zu bedenken. Die Ernte ist gut, wenn sie bis zur nächsten Ernte reicht. Die aber könnte ja schlechter ausfallen, also müsste die jetzige auch noch bis zur übernächsten Ernte reichen. Und schon schleicht die Sorge sich ein: Wird’s wohl reichen? Wie legen wir es zurück, dass nichts verdirbt? Die Erhaltung des Lebens ist nicht selbstverständlich und nicht einfach und darum voller Versuchung. Was Menschen sammeln, um vorzusorgen, wird leicht zum Besitz, der seinerseits gesichert werden muss. Der Zweck der Vorsorge wird überdeckt vom Wunsch, etwas haben zu wollen und zu müssen. Da wird der Bauch des Menschen Gott und die Arbeit sein Götzendienst, und am Ende fressen die Motten und der Rost, was er hat (Matth. 6, 19). Im Danken aber öffnen sich Lebensmöglichkeiten, dem Gefängnis der Sorgen zu entkommen. Wenn wir dieses Gefängnis verlassen haben, schließt es uns nicht mehr ab von den Menschen um uns herum. Wenn wir das erkennen, wird unsere menschliche Vorsorge nicht in bloßes „Haben wollen“ entarten, sondern dient dem Leben in der Gemeinschaft.

Unsere Nahrung bleibt im Letzten Geschenk, und wie alle Geschenke ist es uns nicht garantiert. Auch die Kraft zur Vorsorge kommt nicht aus uns selbst. Der Verstand, den wir haben, und die Fähigkeit, über den Tag hinaus in die Zukunft zu denken, sind Geschenke Gottes. Mit dieser Erkenntnis können Menschen die Sorge um die Erhaltung und Sicherung des Lebens in Verantwortung vor Gott gestalten, getreu  seinem Auftrag, das Land zu bebauen und zu bewahren.

„Alles ist geheiligt durch Gottes Wort“

Der kleine Briefabschnitt verbindet unseren Dank mit einem wichtigen Hinweis: Alles ist geheiligt durch Gottes Wort. Das klingt zunächst abstrakt. Aber es weist auf Entscheidendes hin: Gottes Wort verbindet unseren Dank mit Verantwortung. Gerade an einem solchen Tage wird auch bewusst, wie mit der Produktion dessen, was wir zum Leben brauchen, auch neue Probleme entstanden sind. Die landwirtschaftlichen Vorgänge sind eingebunden in rationale Produktionsprozesse. Auf sie wirken die Dynamik von Preisen und Kosten, die Macht von Monopolen und Handelsschranken. Züchtung und Spezialisierung, Düngung, Schädlingsbekämpfung und Steuerung von Natureinflüssen werden immer weiter entwickelt. Immer weniger Menschen produzieren immer mehr. Paradoxerweise werden auch Prämien bezahlt für Nichtproduktion. Man erteilt Patente auf Tiere und Pflanzen, die Forschung und Technik arbeiten an genetischen Veränderungen. Vieles bietet Möglichkeiten zur Verbesserung der Arbeitsabläufe und zur Erhöhung der Ernteerträge. Aber manches weckt auch die Furcht vor  Risiken.

Alles ist geheiligt durch Gottes Wort, sagt der Apostel. Nicht dass die Bibel auf alle genannten Fragen ins Einzelne gehende Lösungen anböte. Aber Gottes Wort schult unsere Verantwortung. Es macht frei davon, nur den eigenen Nutzen im Blick zu haben. Jesus, das lebendige Wort Gottes, steht für einen Gott, dem mit reiner Nutzenerwägung nicht gedient ist. Er will, dass alles, was wir tun, der verantwortlichen Liebe gerecht wird. Denn alles Wesentliche ist uns geschenkt. Darum sollen wir denen hilfreich sein, die im Schatten stehen.

So lasst uns diesen Tag als ein Fest der Befreiung begehen, an dem wir das Gravitationsfeld unseres Ich verlassen, um frei zu werden für die tätige Liebe, die nicht berechnet. Sie bewahrt uns vor der Gefahr, mit unserer Erde beliebig zu hantieren. Dann werden wir in allem fragen: Dient das, was wir tun und wie wir es tun, den Menschen? Dient es kommenden Generationen? Gottes Wort schärft mit diesen Fragen den Blick für die Richtung, in die die Erde sich entwickeln soll nach Gottes Willen. Es setzt das vorausschauende Denken frei. Das ist nötig, dafür sind menschlicher Verstand, Bildung und Erfahrung die Mittel, für die zu danken an einem solchen Tage ebenfalls nötig ist.

Gott schenkt uns die entscheidende Einsicht: Nichts ist selbstverständlich. Mehr noch: die Einsicht, dass Gottes Botschaft auf etwas zielt, was noch aussteht. Sie will „das Senfkorn Hoffnung sehen und säen“, wie Pfarrer Schorlemmer es einmal formuliert hat.

Alles ist geheiligt durch Gebet

Das Erntedankfest bedeutet aber nicht nur danken für Gottes Güte und die gelungene Ernte und dabei alle Vorsätze menschlicher Verantwortung fassen, zu der Gottes Wort uns nötigt. Der Apostel fügt noch hinzu: Alles ist geheiligt durch Gebet. Das Gebet umfasst nicht nur den Dank, sondern richtet alles menschliche Tun, auch gerade das der Bauern und Bäuerinnen in den Dienst an Gottes Schöpfung. Zu den Gottesgeschenken des Verstandes, der körperlichen Kräfte und der gewachsenen Erfahrung kommt das Gebet hinzu. Es konzentriert die Gedanken und das Fühlen auf Gott und öffnet den Blick für die Zukunft.

Darum lasst uns heute nicht nur danken für die Früchte der Erde und die Erfolge. Auch die Erkenntnis von Werden und Vergehen, von Verändern und Neuanfang, von Leiden und Vergehen gehören dazu. Ja, auch die Erkenntnis vom Ende unseres Lebens kann einbezogen werden: Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden (Psalm 90). Wir können bedenken, wie unsere Zeit begrenzt ist, gerade die Zeit, die uns geschenkt wurde. Vor diesem Hintergrund vor allem können wir bedenken, was uns wichtig ist. Dabei können wir Abstand zur Welt gewinnen, gerade weil die Fülle uns geschenkt ist. In der Angst vor der verwirrenden und vergehenden Zeit erfahren wir Trost. Wir werden gestärkt durch die Botschaft der Erlösung, die uns in der Zukunft versprochen ist.

So lasst uns diesen Tag des Dankens und Betens fröhlich feiern!