Brot und Wein zur Freude des Menschen (Psalm 104, 14- 24)

Robert Leicht

Predigt  in der 7. Fastenpredigtreihe in der Oberpfarr- und Domkirche zu Berlin


Es könnte gut sein, dass sich manche unter ihnen wundern - sich wundern über diese Predigtreihe, jedenfalls am heutigen Abend. Da stehen wir in der Fastenzeit, halten Fastenpredigten - und reden über „Brot und Wein“. Bei Wasser und Brot hätte doch vielleicht besser gepasst, oder?
Da stehen wir am Anfang der Passionszeit, der Leidenszeit Christi - am letzten Abend in Freiheit setzt Jesus von Nazareth in Brot und Wein ein, was für die Christen hernach (und seither) das Heilige Abendmahl ist, das lange Zeit fast nur am traurigsten, am grauenvollsten Tag der Christenheit, an Karfreitag gereicht wurde. Und wir predigen heute unter der Überschrift „Brot und Wein zur Freude des Menschen“. Auf der einen Seite Fasten und Trauern - und jetzt: „zur Freude des Menschen“. Da mag sich mancher wundern: Wie soll das zusammenpassen?

Hören wir also dergestalt verwundert den heutigen Predigttext - und sehen wir zu, wie unsere gewohnte Blickrichtung der Fasten- und Passionszeit unsere Wahrnehmung dieses Textes bestimmt, ja vielleicht umdefiniert; sehen wir aber auch zu, ob nicht unser Predigttext am Ende unsere Seh- und Denkgewohnheiten aufbricht.

 

So also spricht der Beter des 104. Psalms:

LUT Psalm 104:14

Du lässest Gras wachsen für das Vieh und Saat zu Nutz den Menschen, daß du Brot aus der Erde hervorbringst, 15 daß der Wein erfreue des Menschen Herz und sein Antlitz schön werde vom Öl und das Brot des Menschen Herz stärke. 16 Die Bäume des HERRN stehen voll Saft, die Zedern des Libanon, die er gepflanzt hat. 17 Dort nisten die Vögel, und die Reiher wohnen in den Wipfeln. 18 Die hohen Berge geben dem Steinbock Zuflucht und die Felsklüfte dem Klippdachs. 19 Du hast den Mond gemacht, das Jahr danach zu teilen; die Sonne weiß ihren Niedergang. 20 Du machst Finsternis, daß es Nacht wird; da regen sich alle wilden Tiere, 21 die jungen Löwen, die da brüllen nach Raub und ihre Speise suchen von Gott. 22 Wenn aber die Sonne aufgeht, heben sie sich davon und legen sich in ihre Höhlen. 23 So geht dann der Mensch aus an seine Arbeit und an sein Werk bis an den Abend. 24 HERR, wie sind deine Werke so groß und viel! Du hast sie alle weise geordnet, und die Erde ist voll deiner Güter.

Ein herrliches, schrankenloses Lob des Schöpfers - brausend wie eine Orgel und innig wie ein Gedicht zugleich. Am liebsten würde man es wortlos so stehen lassen - wenn es nicht vonnöten wäre, zu erfahren, weshalb dieser Lobpreis mitten in die Fastenzeit zu stehen kommt. Tasten wir uns in einigen Anläufen heran!

Wasser und Brot, so vermuteten wir, hätte vielleicht besser gepasst als Brot und Wein. Klopfen wir also zunächst den Unterschied von Wasser und Wein ab.

Wir kennen den Wein fast nur noch als Luxusgetränk, das erst in unserer Wohlstands- und Pinot-Grigio-Gesellschaft einigermaßen popularisiert wurde. Das Ganze also eher ein Genuss- und Rauschmittel, ja bisweilen sogar eher ein Genussgift denn ein Grundnahrungsmittel.

Das war früher anders, auch anders gewesen. Nicht nur, dass der Wein es im frühen Orient kaum auf drei, selbst im Mittelalter kaum auf mehr als vier Prozent Alkohol gebracht hatte - leichter Most würden wir heute dazu sagen. Der Wein war, gerade wegen seines gewissen Alkoholgehalts zudem und vor allem die gesündere Alternative zum Wasser. Denn das Wasser war - so notwendig es war, ist und bleibt, deshalb heißt es ja in dem neuzeitlichen Kirchenlied 421 auch: Du „schenkst uns Wasser, schenkst uns Brot“ - das Wasser war in früheren Zeiten zugleich auch gefürchtet, und zwar als Träger und Verbreiter von Krankheitskeimen. Wenn die Bibel vom lebendigen Wasser spricht, also dem frisch fließenden Wasser im Gegensatz zum stehenden, zum abgestandenen faulen Wasser, bisweilen auch in der Zysterne - dann spielt just dieser hygienische, auch seuchenhygienische Aspekt eine gewichtige Rolle. Und wenn Jesus von Nazareth sich selber mit frischem Wasser vergleicht, meinte er auch das Überlebensfördernde, das schlechthin Gesunde seiner Botschaft: „Kommt her zu mir, die ihr mühselig und beladen seid. Ich will euch erquicken.“ Quicklebendig sollen wir werden - was übrigens ein „weißer Schimmel“ ist, denn das Wörtlein „quick“ heißt selber schon: lebendig. In der hergebrachten englischen Fassung unseres Glaubensbekenntnisses heißt es im 3. Artikel zur Auferstehung: the quick and the dead - die Lebenden und die Toten.   

Wenn also die Mönche in jenem vormaligen Kloster, in dessen Gemäuern ich zur Schule gegangen bin (und anderswo), vor Zeiten je 1 ½ Liter Wein pro Tag und Mönch zugewiesen bekamen (wie gesagt: drei, vier Prozent Alkoholgehalt...), dann ging es in der Tat nicht um das später klerikerfeindlich karikierte Trunkenheitsmotiv, sondern in erster Linie um die Angst vor verseuchtem, ansteckenden Wasser. Gewiss, die Alten im Morgen- und Abendlande werden auch etwas von den Freuden (und Leiden) eines mittleren Rausches gewusst haben. Aber das war eben nicht der Hauptgesichtspunkt gewesen. Vor dem Genussmittel stand das heilsame Lebensmittel - und das im weitesten Sinne.

Im weitesten Sinne! Das erfahren wir, wenn wir in unserem Predigttext genauer lesen. Da steht ja nicht: Dass der Mensch am Brot seinen Hunger - und am Wasser, pardon: Wein seinen Durst stille. Der  Psalmist redet also nicht einfach von der Befriedigung nackter physischer, um nicht (übrigens fälschlicherweise, wie wir auch noch sehen werden) zu sagen: animalischer  Bedürfnisse, sondern es heißt, das Brot solle des Menschen Herz stärken, der Wein des Menschen Herz erfreuen.

Das Herz aber ist im Hebräischen nicht einfach der Sitz von Gefühlen, aufgrund derer am Valentinstag Abermillionen von Blümchen verschenkt werden - dieses Herz reimt sich nicht bloß sentimental auf Schmerz.  Das hebräische Wort, das Luther an dieser Stelle mit „Herz“ übersetzt, meint im Grunde den ganzen Menschen schlechthin, sein Innerstes, seinen Geist, sein Bewusstsein, seine Seele, seinen Sinn - kurzum: sein ganzes Sein und Sinnen. Und diese ganzheitliche kreatürliche Freude soll ausstrahlen, soll auch äußerlich strahlen, denn auch des Menschen Antlitz soll, wie es im Psalm heißt, wie haben es gehört, vom Öl schön werden.

An dieser unbändigen Lebensfreude, das sei nicht nur am Rande notiert, soll aber zugleich die gesamte Schöpfung teilhaben; alle Tiere des Feldes und des Meeres, Vögel in den Wipfeln, Steinböcke im Gebirge - unser Predigttext bietet ja nur ein Ausschnitt aus diesem geradezu paradiesischen Lobgesang des 104. Psalms:

Da ist das Meer, das so groß und weit ist, da wimmelt's ohne Zahl, große und kleine Tiere. 26 Dort ziehen Schiffe dahin; da sind große Fische, die du gemacht hast,

da ist sogar der Leviathan, das Meerungeheuer, das du gemacht hast -


damit zu spielen. 27 Es warten alle auf dich, daß du ihnen Speise gebest zur rechten Zeit.

„Aller Augen warten auf Dich“, diese herrliche Psalmkomposition Heinrich Schützens, die vielen von uns so gegenwärtig ist - sie galt nicht nur dem Menschen, sondern allen Lebewesen!
Und das soll nun passen zur Fastenzeit, in der wir uns, so will es jedenfalls das Herkommen und die asketische Tradition - kasteien sollten? (Auch wenn wir heutzutage unter dem Stichwort „Sieben Wochen ohne“ oft nur auf Pralinen oder - ganz im Gegensatz zu unserem Psalm - auf Wein verzichten, also so ein bisschen symbolisch fasten…) Solch’ ein Text soll passen in einer  Trauer-Zeit, die mit der Einsetzung des Abendmahls unter Brot und Wein ihrem tiefen Höhepunkt entgegen zieht?

Die Frage ist aber nun zu entscheiden: Passt unser Text nicht zu unserer Fastenzeit - oder passt unser Fasten-Verständnis nicht zu unserem Psalm? Geht es wirklich beim Fasten um „sieben Wochen ohne“? Liebe Gemeinde, ich glaube, die Bibel meint eher: Sieben Wochen mit, ach, was: ein ganzes Leben mit. (Übrigens, wenn ich selber endlich einmal dazu komme, möchte ich in der Fastenzeit nicht etwas unterlassen, was ich sonst tue - sondern vielmehr etwas Besonderes tun, wozu ich selbst noch nicht komme, zum  Beispiel Hebräisch lernen, es soll da einen Fernstudienkurs geben: Hebräisch in 49 Tagen - das wären ja gerade sieben Wochen…)

Im 58. Kapitel des Jesaja-Buches finden wir eine treffende Kritik eines verfehlten Fastens - nämlich eines Fastens, das sich einbildet, wenn man sich nur recht peinige und mit Verzichten plage, könne man den lieben Gott für sich einnehmen. Da rufen nämlich die vermeintlich Frommen:

»Warum fasten wir, und du siehst es nicht an? Warum kasteien wir unseren Leib, und du willst's nicht wissen?«

Gott aber gibt ihnen deutliche Widerworte:

Soll das ein Fasten sein, an dem ich Gefallen habe, ein Tag, an dem man sich kasteit, wenn ein Mensch seinen Kopf hängen lässt wie Schilf und in Sack und Asche sich bettet?

Und der Prophet setzt nach:
Wollt ihr das ein Fasten nennen und einen Tag, an dem der HERR Wohlgefallen hat?

Nun aber die große Alternative:

LUT Isaiah 58:6 Das aber ist ein Fasten, an dem ich Gefallen habe: Lass los, die du mit Unrecht gebunden hast, lass ledig, auf die du das Joch gelegt hast! Gib frei, die du bedrückst, reiß jedes Joch weg! 7 Brich dem Hungrigen dein Brot, und die im Elend ohne Obdach sind, führe ins Haus! Wenn du einen nackt siehst, so kleide ihn, und entzieh dich nicht deinem Fleisch und Blut! …
Wenn du in deiner Mitte niemand unterjochst und nicht mit Fingern zeigst und nicht übel redest, 10 sondern den Hungrigen dein Herz finden lässt und den Elenden sättigst, dann wird dein Licht in der Finsternis aufgehen, und dein Dunkel wird sein wie der Mittag.

Nein, das rechte Fasten besteht nicht darin, dass wir uns selber - und das auch nur auf Zeit - gewisse Wohltaten vorenthalten, sondern im Gegenteil darin, dass wir alle anderen, auch alle anderen Geschöpfe an Gottes Wohltaten teilhaben lassen:

LUT Psalm 104:14 Du lässest Gras wachsen für das Vieh und Saat zu Nutz den Menschen, dass du Brot aus der Erde hervorbringst, 15 dass der Wein erfreue des Menschen Herz und sein Antlitz schön werde vom Öl und das Brot des Menschen Herz stärke.

Wenn wir Gott mit solchen Worten loben - wie könnten wir dann die Früchte seiner schöpferischen Gnade eigensüchtig nur für uns selber ernten, wie könnten wir seine Geschenke nur uns alleine einstecken wollen?

Aber auch wenn wir an die Einsetzung des Heiligen Abendmahles gegen Ende der Passionszeit denken, sollten wir in Brot und Wein nicht nur Zeichen der Trauer und des Verlustes sehen, sondern dieses heilige Sakrament will in äußerstes Konzentration uns gerade die Fülle des ganzen Lebens zusichern - des ewigen Lebens sogar, aber eben nicht erst des ewigen Lebens, sondern in dessen Vorschein schon ein volles, ein vollgültiges Leben hier.

Als ein mein sehr lieber Berufskollege für alle unsere Begriffe viel zu früh starb, geschah in der - übrigens: katholischen - Messfeier Folgendes: Sub communione, also zur Austeilung des gebrochenen Brotes, stimmte eine urbayerische Musikantengruppe - es war die Biermösl-Blas’n, wenn Sie die kennen sollten - von der Empore herab einen nachgerade schmissigen, freudigen Landler an. Zuerst wollte ich richtig schockiert sein, aber nach ein paar Schreck-Sekunden begriff ich: Diese lieben Leute und Freunde des Verstorbenen haben wohl mehr begriffen von der Heiligen Kommunion, von der Gemeinschaft zwischen Gott und Mensch, selbst in der dunklen Stunde des Todes und einer Trauerfeier, als ich selber.

Mitten wir im Leben sind von dem Tod umfangen, wohl wahr. Aber auch das ist wahr:

Mitten wir im Tode sind von dem ewigen Leben umfangen.

Jesus von Nazareth ist in den Tod gegangen - damit wir leben können.

Christus hat gelitten - damit das Leiden ein Ende, ein endgültiges Ende habe.

Christus ist auferstanden - damit wir aufstehen sollen.

Brot und Wein im Heiligen Abendmahl sind die äußerste, die sakramentale Verdichtung dessen, was in unserem Predigttext und Psalm als schöpferische Gabe hier und jetzt - und schon vor Ostern - vom Psalmisten geradezu singend vorweggenommen wird:

LUT Psalm 104:14 Du lässest Gras wachsen für das Vieh und Saat zu Nutz den Menschen, dass du Brot aus der Erde hervorbringst, 15 dass der Wein erfreue des Menschen Herz und sein Antlitz schön werde vom Öl und das Brot des Menschen Herz stärke. … 24 HERR, wie sind deine Werke so groß und viel! Du hast sie alle weise geordnet, und die Erde ist voll deiner Güter.

Daran wollen wir mitdenken. Darin wollen wir auch einstimmen, wenn wir dann an Ostern (und das dann doch gemeinsam, miteinander, füreinander - und nicht bloß egoistisch für uns) singen werden:

„Des solln wir alle froh sein. Christ will unser Trost sein. Kyrieleis.“

Bis dahin aber wünsche ich Ihnen, wünsche ich uns allen eine gesegnete Fasten- und Passionszeit.

Amen.


Fürbittengebet

PREDIGER:

HERR Gott, himmlischer Vater:

Wie sind deine Werke so groß und viel! - Wir danken dir für deine schöpferische Gnade - und deine ganze Schöpfung.

Führe uns zum rechten Umgang mit dieser deiner Schöpfung.

Wir erfreuen uns deiner Geschenke - aber nur zu gerne behalten wir sie für uns selber, ohne an andere Menschen und an deine anderen Geschöpfe zu denken.

Lehre uns, die Freude an deiner Schöpfung und an deren Gaben zu teilen - mit unseren Zeitgenossen, mit den künftigen Generationen, mit allen Lebewesen, die du ins Leben gerufen hast.


LITURG:

HERR Gott, himmlischer Vater:

Diese deine Schöpfung, unsere Welt ist in Gefahr - durch Kriege, teuflische Waffen und einen rücksichtslosen Umgang mit den Ressourcen und der Umwelt.

Wir bitten dich:

Gib den Politikern in allen Staaten die Kraft der Weisheit und Zurückhaltung, auf dass sie ihre Konflikte friedlich regeln. Lass sie erkennen, dass Kriege zumeist auch jene zurückwerfen, die sich davon Gewinn versprechen.

Gib den Verantwortlichen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft die nötige Einsicht und Kraft, um den drohenden Klimakatastrophen eben noch rechtzeitig entgegenzuwirken. Lass sie auch nicht verzagen vor industriellen Interessen und vor unser aller Bequemlichkeit und Unlust, unser eigenes Verhalten zu ändern.


PREDIGER:

HERR Gott, himmlischer Vater:

Auch in dieser Fastenzeit bereiten wir uns auf Ostern vor - auf die Rettung von Tod, Sünde und Sinnlosigkeit.

Wir bitten Dich:
Halte uns ab von dem eigensüchtigen Versuch, durch ein wenig Verzicht oder gar ernstliche Kasteiung Eindruck vor Dir zu machen.

Du bist ein Freund des Lebens: Lehre uns in dieser Passionszeit erkennen, dass dies in beiderlei Gestalt gilt: Brot und Wein als Lebensmittel in diesem Leben - erst recht aber als Vorzeichen des ewigen Lebens.

All das, was uns darüber hinaus bewegt, bringen wir jetzt in der Stille vor dich:


LITURG:
Und nun lasst uns beten, wie es uns Jesus selber gelehrt hat:
„Vater unser,….