"Soziale Verantwortung und unternehmerisches Handeln – eine evangelische Perspektive" - Vortrag bei den Niedersächsischen Wirtschaftsgesprächen in Hannover

Wolfgang Huber

I.

„Laut einer Umfrage des Allensbacher Instituts für Demoskopie aus dem Jahr 2000 fordern 67 Prozent aller Deutschen, dass ein Unternehmer oder Manager neben dem Wohlergehen des Unternehmens auch die öffentlichen Interessen im Auge haben müsse. Eine Emnid-Umfrage aus dem Jahr 2005 bestätigt: Rund 80 Prozent der Berufstätigen erwarten von einem glaubwürdigen Chef, dass er ethische Werte vertritt.“

Diese Angaben finden sich in einer neuen Veröffentlichung, die unter dem Titel „Führung neu verorten“ „Perspektiven für Unternehmenslenker im 21. Jahrhundert“ entwickelt. Nur sagen die beiden Umfragen gar nicht das Gleiche. Die erste Umfrage, inzwischen sieben Jahre alt, bestätigt, dass mehr als die Hälfte der Deutschen von Unternehmern und Managern erwartet, dass sie zusätzlich zu der Verpflichtung auf das Wohlergehen des Unternehmens auch öffentliche Interessen im Auge haben sollen. Das Gemeinwohl tritt als zusätzlicher Aspekt zu der Vertretung der eigenen Unternehmensinteressen hinzu. Über die beruflichen Pflichten hinaus mag man ein Ehrenamt wahrnehmen oder als Mäzen hervortreten. Das ist die Form, in der nach diesem Modell Unternehmer oder Manager als Träger öffentlicher Tugenden in Erscheinung treten.

Die zweite zitierte Umfrage handelt von der Erwartung, dass ein Chef glaubwürdig ist und das heißt: dass er im Unternehmen ethische Werte vertritt. Diese Auffassung wird von nicht weniger als achtzig Prozent, also vier Fünfteln der Berufstätigen in Deutschland vertreten.

Da ist es kein Wunder, dass eine unlängst erschienene Ethik für Manager, verfasst von Ulrich Hemel, folgende Grundthese vertritt: Persönliche Verantwortung ist für Unternehmer und Manager unverzichtbar; ethische Orientierung enthält einen langfristigen Mehrwert auch für den wirtschaftlichen Erfolg; so wie Professionalität, etwa im Bereich von Strategie und Wertschöpfung, in sich selbst eine eminent ethische Forderung ist, so ist auch umgekehrt ein ausgeprägtes ethisches Bewusstsein Teil der unternehmerischen Professionalität.

Und ebenso wenig muss es erstaunen, dass die schon zitierte Neuerscheinung „Führung neu verorten“, die von Andreas J. Harbig, Thomas Klug und Monika Bröcker im Januar 2007 bei dem Betriebswirtschaftlichen Verlag Gabler veröffentlicht wurde, einen Beitrag von Pater Anselm Grün enthält, der unter dem ansprechenden Titel steht: „Wertschöpfung durch Wertschätzung“. Das Erstaunliche ist nur, dass der Benediktinermönch Anselm Grün die Klosterregel des heiligen Benedikt, seines Ordensgründers, heranzieht, um Regeln für eine wertorientierte Unternehmensführung zu entwickeln. Da höre ich schon den Einwand: „Wir sind kein Nonnenkloster – und auch keine Vereinigung von Benediktinern.“ Dennoch sollte man über den Hinweis, dass eine christlich geprägte Ethik unternehmerischem Handeln zu Gute kommen kann, nicht gleichgültig hinweg gehen. Der allerwichtigste Impuls aus ihr ist denkbar einfach: die Wertschätzung des anderen Menschen um seiner selbst willen.

II.

Wir fragen heute nach evangelischen Perspektiven. Der Protestantismus hat sich immer wieder als ein wichtiger Motor wirtschaftlichen Engagements erwiesen. Die protestantische Ethik hat in der Tat zum Feld ökonomischer Vernunft von ihrer Tradition her ein besonderes Verhältnis. Denn die Reformation stieß das Tor auf zur entschiedenen Bejahung der weltgestaltenden Verantwortung der Christen. Sie zielte auf den inneren Zusammenhang zwischen Glaubensgewissheit und verantwortlichem Tätigsein. Das Handeln aus Glauben wurde gerade als Folge des Glaubens selbst auf neue Weise ernst genommen, zugleich aber befreit von der Vorstellung, es sei ein Mittel zum Erwerb des Heils. Das Handeln im Geist der Nächstenliebe wurde vielmehr klar und unzweideutig als eine Frucht des Glaubens verstanden, der sich auf die unverdiente Gnade Gottes richtet.

Von Anfang an hat dies für die Betätigung in der Wirtschaft, in Bildung und Ausbildung, aber ebenso auch in der Politik gegolten. Christen sind zur Selbst- und eben gerade auch zur Mitverantwortung für das Ganze berufen – gerade weil sie nicht nur für sich allein, sondern für den Nächsten und darin für Gott leben, der der Herr der ganzen Welt ist und vor dem, aktuell gesprochen, ein verhungerndes Kind in Darfur ebensoviel gilt wie ein Bill Gates. Die christliche Grundüberzeugung, in der sich Gottvertrauen und der Einsatz für den Nächsten miteinander verbinden, gewann darin eine kulturprägende Bedeutung; im reformatorischen Berufsgedanken und in der mit protestantischem Ethos verbundenen innerweltlichen Askese wurde das wie in einem Brennspiegel zusammengefasst.

Als entscheidender Motor der Entwicklung erwies sich die durch die Reformation beförderte Idee, wirtschaftlichen Gewinn nicht einfach selber zu verbrauchen, sondern ihn wiederum wirtschaftlich einzusetzen, also Kapital zu akkumulieren und zu reinvestieren. Dazu musste man auf den Verbrauch des Gewinns verzichten. In diesem Sinn galt: Gewinn entsteht durch die Kunst des Verzichts. Die wirtschaftliche Dynamik der Neuzeit ist ohne diese reformatorischen Impulse nicht zu verstehen. Entscheidend ist dabei, dass nicht Profitinteresse als solches, erst recht nicht Gier oder Neid im Kern des Wirtschaftens angelegt waren; es kam und kommt vielmehr auf Sparsamkeit, Ehrbarkeit und Leistungsbereitschaft  an.

Doch diese Entwicklung führte zugleich zum Konflikt zwischen der Nächstenliebe und der Rationalität wirtschaftlicher Effizienz. Dadurch wurde das Engagement von Christen angesichts der ungelösten sozialen Frage im 19. Jahrhundert hervorgerufen. Die damaligen Wortführer entwickelten in der Auseinandersetzung mit dem aufkommenden Kapitalismus, der rapiden Industrialisierung und dann später auch der Demokratisierung Antworten, die, deutlich erkennbar, bis heute in wichtigen Grundelementen der wirtschaftlichen und sozialen Ordnung in Deutschland fortleben. An einem reinen Wirtschaftsliberalismus, wie man ihn in den angelsächsischen Ländern vorzufinden glaubte,  wurde Kritik geübt; die Notwendigkeit eines verantwortlichen und gestaltenden Staates wurde betont. Mir erscheint es nicht als richtig, diese Haltung pauschal als sozialromantischen Antikapitalismus zu beschreiben – wenn dies auch als ein Element in diesem Prozess durchaus wahrzunehmen ist. Aber im Kern ging es um Sicherheiten gegenüber den sozialen Risiken, damit die Menschen über ihre unmittelbare Notsituation hinausblicken und sich als selbstbewusste Staatsbürger begreifen konnten. Der keimende Sozialstaat wurde so zur Grundlage wirklicher Freiheit für alle – was die marktwirtschaftliche Ordnung allein nicht gewährleisten konnte.

Inmitten der menschenverachtenden, mörderischen Herrschaft des Nationalsozialismus entwickelten einige Protestanten, die Gelegenheit und Mut hatten, über die Diktatur hinaus zu denken, neue Ideen und Konzepte für eine verantwortliche Wirtschafts- und Sozialordnung, die das Interesse der Menschen, Wohlstand zu erwerben, mit sozialem Ausgleich verband. Die 1943 im Freiburger Kreis entstandenen Entwürfe für eine Neuordnung von Staat und Wirtschaft und die Weiterentwicklung dieser Ideen zum Konzept der Sozialen Marktwirtschaft messen zudem den Grundrechten des Einzelnen zentrale Bedeutung zu. Vor diesem Hintergrund ist auch das von Alfred Müller-Armack zur Beschreibung der Sozialen Marktwirtschaft geprägte Begriffspaar „Freiheit und soziale Gerechtigkeit“ zu sehen: Freiheit ist hier weit mehr als nur eine unternehmerische Freiheit, sie ist als die Freiheit des Individuums gemeint. Und um sie zu sichern, braucht es nicht nur die freiheitliche politische Ordnung, sondern auch eine Ordnung der Wirtschaft, die den Wettbewerb sichert und stärkt und damit Macht kontrolliert. Soziale Gerechtigkeit ist hier weit mehr als die Garantie, dass alle ihr Auskommen haben; vielmehr funktioniert sie als Gestaltungskriterium für die Ordnung der Wirtschaft: Die Forderungen nach Gewinnbeteiligung und Mitbestimmung der Arbeitnehmer leiten sich daraus ab.

Die zu Grunde liegende Einsicht gilt auch heute. Ohne die Selbststeuerung der Wirtschaft durch Markt und Wettbewerb geht es nicht. Aber Märkte sind keine Naturereignisse, sondern Institutionen und Konventionen, die vielfältige kulturelle Vorraussetzungen haben und einer sensiblen Regelung bedürfen. In der Wahl derjenigen gesellschaftlichen Bereiche, die der Marktlogik unterworfen werden, und in der Rahmensetzung für diese Märkte werden Wertentscheidungen - und hoffentlich nicht nur Machtverhältnisse - ausgedrückt. Die Funktion des Staates als Korrektiv und Verkörperung des Allgemeinwohls in diesen Prozessen darf nicht aufgegeben werden.

Die christliche Ethik hat sich immer wieder als ein entscheidender Motor wirtschaftlichen Engagements erwiesen. Christliche Ethik in ihrer evangelischen Gestalt hat ebenso wie die katholische Soziallehre einen maßgeblichen Einfluss auf Konzeption und Entwicklung der sozialen Marktwirtschaft ausgeübt. „Verantwortete Freiheit“ – so lässt sich der Impuls bezeichnen, den die evangelische Gestalt des christlichen Glaubens in die ethische Begründung wirtschaftlichen Handelns eingebracht hat.

Neue Untersuchungen bestätigen, dass dieser Impuls von durchaus aktueller Bedeutung ist. Sie zeigen nämlich, dass die Lebenshaltung von Christen sich von anderen Lebenseinstellungen durch Verantwortungsbereitschaft und Zuversicht auszeichnet. Menschen, die von Gott auch im Angesicht von Schwierigkeiten Gutes erwarten, stellen sich zuversichtlicher auf die Zukunft ein als diejenigen, für die der Mensch das Maß aller Dinge ist. Menschen, die sich an die Liebe zum Nächsten wie zu sich selbst gebunden wissen, beziehen in ihre Überlegungen auch das Wohl des Nächsten und nicht nur das eigene Wohl ein. Menschen, denen bewusst ist, dass sie für ihr Leben im Letzten Gott Rechenschaft schulden, werden Anstand und Fairness auch dann gelten lassen, wenn die Verletzung dieser Regeln ihnen einen Vorteil bringen würde. Menschen, die aus der Zusage von Vergebung und Rechtfertigung leben, werden in jedem Menschen mehr sehen, als er selbst aus sich macht, und auch den Menschen in seiner Würde achten, der vor den Anforderungen der Leistungsgesellschaft versagt.

III.

Mit der Globalisierung stellen sich neue wirtschaftliche und soziale Fragen, die mutige Entscheidungen erfordern. Technologische Entwicklungen haben Zeit und Raum in nie gekannter Weise schrumpfen lassen. Wir leben nicht länger in geschlossenen Häusern, in denen wir unseren Geschäften nachgehen können. Fenster und Türen stehen offen und der Wind weht herein. Entscheidungen, die irgendwo am anderen Ende der Welt getroffen werden, beeinflussen nachhaltig unser Leben. Darin spüren wir etwas, was der christliche Glaube immer wusste, nämlich dass alle Menschen als Kinder Gottes zusammengehören und aufeinander angewiesen sind. Aber das alles macht auch Angst, weil gewohnte Ordnungen sich auflösen und vieles, was als normal galt, nicht mehr normal ist.

Die Globalisierung hat viele Facetten. Sie schlägt sich in einem erheblich gesteigerten Wettbewerb der Unternehmen nieder – und sie findet auch statt als ein Wettbewerb der Staaten und Regionen samt ihrer jeweiligen Bevölkerungen; ein Wettbewerb der Gemeinwesen. Unternehmen sind hier die Nachfrager, die über ihre Standortentscheidungen Beschäftigung, Einkommen und Steueraufkommen großen Einfluss auf die internationale Verteilung von Ressourcen ausüben. Angesichts der zunehmenden globalen Vernetzung industrieller Produktionsprozesse und der sich ähnlich schnell verändernden Spielräume nationalstaatlicher Politik ist der Anpassungsdruck auf bestehende Strukturen in Wirtschaft, Staat und Gesellschaft spürbar. Es handelt sich um einen neuen Wettbewerb innerhalb des einen kapitalistischen Systems unter dem Vorzeichen wirtschaftlicher Effizienz. Im Gegensatz zum Kalten Krieg ist das Ziel aber nicht mehr eine Systemlegitimation durch ökonomische und soziale Befriedung, sondern etwas, was man als „systemische Produktivität“ bezeichnen kann, die an der Bereitstellung leistungsfähiger Infrastruktur, funktionierender Märkte und qualifizierter Arbeitskräfte gemessen wird. Es gibt nicht mehr den großen Gegensatz zwischen der „freien Marktwirtschaft“ und den Planwirtschaften, sondern eine Vielfalt von unterschiedlichen Kapitalismen und damit verbundenen wirtschafts- und sozialpolitischen Pfaden in die Zukunft. Dabei kommt es zu einem verschärften Benchmarking. Welcher Weg – in Europa: der skandinavische, der angelsächsische, der südeuropäische oder der mitteleuropäische und deutsche Weg – erreicht einen hohen und gut verteilten Wohlstand für alle? Welcher Weg sichert den inneren Frieden und bietet Chancen auf Teilhabe für möglichst viele seiner Bürger? Darüber gehen die Diskussionen.

In dieser Situation stellt sich die Frage nach der Gerechtigkeit neu. Es ist vor allem die Erfahrung, in neuer Weise den Mechanismen der weltweiten Finanzmärkte ausgeliefert zu sein, die uns in den letzten Jahren in Deutschland – aber auch anderswo – zu schaffen gemacht hat. Früher konnte man den Eindruck haben, dass der in Deutschland erwirtschaftete Reichtum in irgendeiner Form auch wieder investiert wurde und so für den Erhalt von Arbeitsplätzen sorgte. Zwar war die Einkommens- und Vermögensverteilung nie wirklich gerecht, aber man konnte doch den Eindruck haben, dass alle Menschen genug zum Leben und zu Teilhabe abbekamen. Heute nun scheint es unter dem Einfluss der globalen Kräfte so zu sein, dass sich die Erzeugung von Reichtum von der Welt der realen Produktion abgekoppelt hat. Das wirklich große Geld wird auf den Finanzmärkten verdient – allerdings dort auch bisweilen wieder verloren. Profiteure dieser Entwicklung sind die Anleger großer Vermögen. Dies alles treibt die Gewinnerwartungen hoch und lässt auch deutsche Unternehmen in einer früher nicht gekannten Weise Renditemaximierung betreiben. Unter dem Einfluss dieser Entwicklungen geht die Schere zwischen Armen und Reichen immer weiter auf – in einem Tempo, das den sozialen Frieden bedroht.

Rationalität und Ethik setzen beide Transparenz voraus. Diese Transparenz muss sich auch auf die Eigentumsverhältnisse eines Unternehmens und die damit verbundenen Interessen beziehen. Es ist nachvollziehbar, dass eine ethische Orientierung bei eigentümergeführten Unternehmen besonders deutlich wahrzunehmen ist. Es ist auch nachvollziehbar, dass in mittelständischen Unternehmen die Bindung der Unternehmensführung nicht nur an die eigenen Gewinninteressen, sondern ebenso an das Wohl der Belegschaft besonders zu spüren ist. Doch das ist keineswegs ein Grund dafür, international agierende Großunternehmen von entsprechenden Erwartungen freizustellen. Im Gegenteil ist unternehmerisches Handeln auch hier daran zu messen, welche Konsequenzen es für die Fragen von Arbeit und Arbeitslosigkeit hat.

Aus meiner Sicht ist deshalb auch international agierenden Hedge-Fonds und Private-Equity-Fonds Transparenz und Rechenschaftspflicht abzuverlangen. Spekulative Finanzinteressen dürfen sich nicht hinter dem Rücken der Verantwortlichen so durchsetzen, dass sie produktive Möglichkeiten wirtschaftlichen Handelns zerstören, statt ihre Entfaltung zu fördern. Das gilt übrigens, um eine aktuelle Debatte einzubeziehen, genauso für die Absicht staatlich gelenkter Einheiten aus Ländern ohne ausreichende demokratische Kontrolle, das Mehrheitseigentum an Wirtschaftsunternehmen an sich zu ziehen. Das dadurch entstehende Machtgefälle und die damit verbundene soziale Ungleichheit sind für demokratische Gemeinwesen nicht hinnehmbar.

Stärker als bisher sollte unser Land deswegen auf eine effiziente Regulierung der internationalen Finanzmärkte hinwirken. Hier muss ein hohes Maß an Transparenz zur Steuerung eines fairen Wettbewerbs mit der verstärkten Abschöpfung von spekulativen Gewinnen einhergehen. Es gilt dann auch, ethische Maßstäbe auch für das Verhalten an der Börse zu entwickeln und ihre Einhaltung zu kontrollieren. In der deutschen Tradition sind Unternehmen nie nur den Shareholdern, sondern auch den Mitarbeitenden verpflichtet und tragen Verantwortung für das Gemeinwohl. Statt den Standort Deutschland in dieser Hinsicht schlecht zu reden, sollten wir würdigen und festhalten, dass es hier in der Sozialpolitik – und nicht zu vergessen auch in Traditionen de Arbeitsrechts – immer schon eine Option für die Schwächeren und Armen gegeben hat.

Die Synode der EKD in Würzburg im November 2006 hat zu diesen Fragen festgehalten, dass Reichtum in einer Gesellschaft zur Sicherung des allgemeinen Wohlstandes herangezogen werden muss, um Unsicherheiten, Unfreiheiten und Beeinträchtigungen für alle zu reduzieren. Dies gilt auch weltweit: Wird Reichtum zu einem angemessenen Teil dazu eingesetzt, Maßstäbe weltweiter Gerechtigkeit zu erreichen? Oder aber kommt er überhaupt nur durch die ungerechte Ausnutzung der Armen zustande? Mit diesen Fragen knüpfen wir an die überkommenen Überzeugungen von einer dem Leben und den Menschen dienenden Wirtschaftsordnung an. Davon werden wir nicht abrücken: Die Wirtschaft ist nicht um ihrer selbst willen da – sie hat einen Platz in der Schöpfung Gottes – aber eben in ihr – nicht ihr gegenüber.

IV.

Soziale Verantwortung gilt in unterschiedlichen Zusammenhängen als Benchmark unternehmerischen Handelns. Aber manche Beispiele weisen auch in eine ganz andere Richtung. Die Wirtschaft insgesamt leidet unter dem dadurch entstehenden Glaubwürdigkeitsdefizit. Nötig ist deshalb ein offener und fairer Diskurs über das Zusammenspiel von sozialstaatlicher Verantwortung und wirtschaftlicher Effizienz. Inhaltlich richtet sich die Frage darauf, ob die Art und Weise, in der wir auf die Erfordernisse der Globalisierung reagieren, mit elementaren Anforderungen der sozialen Gerechtigkeit vereinbar ist oder nicht.

Soziale Gerechtigkeit bezieht sich nicht nur auf die jetzige Generation. Sondern sie bezieht sich genauso auf die Generation unserer Kinder. Die Frage der sozialen Gerechtigkeit konfrontiert uns mit der Frage, ob wir den nach uns Kommenden die gleiche Freiheit zuerkennen, die wir für uns selbst in Anspruch nehmen. Sie nötigt uns dazu zu prüfen, ob wir ihnen die gleichen Handlungsmöglichkeiten offen halten, von denen wir so selbstverständlich Gebrauch machen. Dann aber hat soziale Gerechtigkeit es nicht nur mit der Frage der Verteilungsgerechtigkeit zu tun, sondern sie muss zugleich als Beteiligungsgerechtigkeit verstanden werden. Wer Jugendliche nicht beteiligt, wer ihnen keine Möglichkeit zur Ausbildung und danach zu eigener Erwerbstätigkeit eröffnet, rührt an den Kern der sozialen Gerechtigkeit; wer die Jugendhilfe unbedacht kürzt, der geht an den Nerv des Sozialstaats. Er wird übrigens damit keine Kosten sparen; sondern die versäumte, vielleicht noch rechtzeitige Hilfe, die Beteiligung eröffnet, wird an anderer Stelle neue, vielleicht weit höhere Kosten hervorrufen.

Aber auch das sei in aller Deutlichkeit hinzugefügt: Wenn man soziale Gerechtigkeit als Leitprinzip bewahren will, dann darf man nicht alles und jedes unter diesen Begriff subsumieren. Wenn man den Sozialstaat zukunftsfähig erhalten will, dann muss man sich davor hüten, ihn systematisch zu überfordern. Weder soziale Gerechtigkeit noch Sozialstaat sind deshalb Leitbegriffe für ein pures Besitzstandsdenken. Aber in ihnen drückt sich die Vorstellung von einem politischen Gemeinwesen aus, das einmal auf die kurze Formel gebracht wurde: Die Stärke des Staates bemisst sich am Wohl der Schwachen. Wir dürfen unseren Blick nicht von denen abwenden, die am Straßenrand liegen. Die notwendige Leistungsorientierung darf die ebenso notwendige soziale Sensibilität nicht verkümmern lassen. Der Wärmestrom der Solidarität darf nicht versiegen.

Das ist durch folgende Überlegung zu ergänzen: Fragen der Beteiligungs- und Befähigungsgerechtigkeit sind mindestens von so großer Bedeutung für die soziale Gerechtigkeit wie Fragen der Verteilungsgerechtigkeit. Beteiligungsgerechtigkeit meint dabei, den Menschen zu ermöglichen, das Ihre aktiv in die Gesellschaft einzubringen; Befähigungsgerechtigkeit meint, dass die Menschen im Prozess von Bildung und Ausbildung die Möglichkeit erhalten, ihre Gaben, ihre Begabungen so zu entwickeln, dass sie das Ihre auch selber tun können. Bildungspolitik ist insofern der Dreh- und Angelpunkt sozialer Gerechtigkeit.

Die Gesellschaft ist gut beraten, durch Bildung sowie durch die Eröffnung von entsprechenden Beteiligungsmöglichkeiten die Menschen zu so viel Selbstverantwortung wie nur möglich zu befähigen.

Hierdurch entsteht überhaupt erst der Spielraum, innerhalb dessen dann, wo es nötig ist, Solidarität praktiziert werden kann. Die häufig verwendete Entgegensetzung von Eigenverantwortung und Solidarität verführt Menschen zu dem Irrglauben, sie seien zur Praktizierung von Solidarität gar nicht mehr verpflichtet, wenn sie für sich selbst Verantwortung wahrnehmen können. Auf der anderen Seite entsteht der Irrglaube, man habe von der Gesellschaft Solidarität zu erwarten, ohne dass man verpflichtet wäre, das Eigene einzubringen.

Vorrangig sollten wir unsere Bemühungen auf die Aufgabe richten, die Vererbung von Armut in Deutschland zu bekämpfen, also Kinder aus sozial schwachen Verhältnissen in besonderer Weise zu fördern. Denn gegenwärtig wird Bildungsferne in der Folge davon auch soziale Armut vererbt wird; es gibt inzwischen Familien – insbesondere Familien mit Migrationshintergrund – , in denen die „Sozialhilfekarriere“ von Generation zu Generation weitergegeben wird. Es handelt sich zum Teil um Familien, die Bildungsferne in die Familienstruktur inkorporiert haben. Deshalb muss versucht werden, durch Bildungsanstrengungen die Vererbung von Armut zu verhindern. Das schließt die Berufsausbildung im dualen System ein. Insofern ergibt sich aus dem im christlichen Glauben verankerten Ansatz der „gerechten Teilhabe“ eine unmittelbare Folge für wirtschaftliches Handeln.

Zu ihr gehört auch, dass wirtschaftliches Handeln, das auf die Erhaltung und Schaffung von Arbeitsplätzen gerichtet ist, in besonderer Weise als ethisch vorzugswürdig zu gelten hat. Als evangelische Kirche haben wir das dadurch unterstrichen, dass wir die Initiative „Arbeit plus“ geschaffen haben. Sie geht auf einen Anstoß zurück, den Rainer Meusel vor zehn Jahren als Präsident des Deutschen Evangelischen Kirchentags in Leipzig gegeben hat. Inzwischen ist aus der Verleihung des Arbeitsplatzsiegels „Arbeit plus“ eine feste Tradition geworden, durch die wir die Bedeutung einer vorbildlichen Arbeitsplatzpolitik hervorheben.

Dabei ist die Vereinbarkeit von Familie und Beruf in besonderer Weise hervorzuheben. Sowohl im Blick auf die Berufstätigkeit von Frauen als auch im Blick auf die wachsende Teilhabe von Männern an der Familienarbeit sollte diese Vereinbarkeit zu einem vorrangigen Kriterium für die Gestaltung von Arbeitsverhältnissen gemacht werden. Daraus ergeben sich nicht nur Forderungen an die Politik im Blick auf familienunterstützende Maßnahmen; vielmehr verbinden sich damit auch Erwartungen an die Wirtschaft wie auch ebenso an alle öffentlichen und kirchlichen Arbeitgeber. Die Kindvergessenheit unserer Gesellschaft werden wir nur überwinden, wenn das Familienethos in unserer Gesellschaft wieder einen anderen Rang erhält; dafür hat die Vereinbarkeit von Familie und Beruf eine Schlüsselbedeutung. Das gilt ganz unabhängig davon, dass die unterschiedlichen Formen, in denen die einzelnen Familie und Beruf miteinander verbinden, als völlig gleichberechtigt zu achten sind. Die Entscheidung, Familienphasen und Berufsphasen aufeinander folgen lassen, ist ebenso zu achten wie der Entschluss, dass ein Ehepartner auf eine Berufstätigkeit verzichtet und sich ganz der Familie widmet (wenn denn die Erwerbstätigkeit des anderen für das Familienbudget ausreicht) oder eben eine Konstellation, die beide Ehepartner berufstätig sind und zugleich – unter Einbezug familienunterstützender Maßnahmen öffentlicher oder betrieblicher Art – ihre Familienverantwortung wahrnehmen.

Zu den Fragen der sozialen Verantwortung gehört gleichermaßen die Frage, wie mit älteren Arbeitnehmern umgegangen wird.

V.

Neben die soziale Verantwortung im Unternehmen tritt die soziale Verantwortung für das Gemeinwohl. Neben die „Corporate Social Responsibility“, tritt die „Corporate Citizenship“. Sie hat in jüngster Zeit deutlich an Gewicht und Bedeutung gewonnen. Empirische Untersuchungen mahnen allerdings zur Vorsicht. So weit eine gesellschaftliche Verantwortung des Unternehmers anerkannt wird, wird diese von kleinen und mittleren Unternehmen nachhaltiger wahrgenommen als von großen Unternehmen; sie wird jedoch von diesen weit deutlicher zur Image-Pflege eingesetzt. „Image Construction“ wird zum erkennbaren Ziel der neuen Konzepte von „Corporate Social Responsibility“. „Corporate Citizenship“ ist eine verbreitete Strategie gegen die wachsende Kritik am Gebaren großer Unternehmen, die seit dem Beginn entsprechender Erhebungen noch nie, wie das World Economic Forum unlängst feststellte, auf so wenig Vertrauen stießen wie heute. So weit in solchen Zusammenhängen von gesellschaftlicher Verantwortung die Rede ist, erleben wir also eine gravierende semantische Verschiebung des Begriffs der Verantwortung. Nicht mehr die Verpflichtung gegenüber dem Gemeinwohl oder die Rechenschaftspflicht gegenüber Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bestimmt diesen Begriff; soziale Verantwortung wird vielmehr als eine freiwillige Leistung verstanden, die so weit erbracht wird, wie sie für das Gewinninteresse des Unternehmens als nützlich erscheint. Hanns Michael Hölz, der Leiter des Bereichs Corporate Citizenship & Sustainable Development der Deutschen Bank, hat diese Betrachtungsweise 2005 knapp auf den Begriff gebracht: „Gesellschaftlich verantwortliches Handeln ist heute Voraussetzung dafür, Geschäfte machen zu können.“

Dem ist entgegenzuhalten: So sehr auch gesellschaftliche Verantwortung mit wirtschaftlicher Effizienz verbunden werden muss, so wenig reicht es, gesellschaftliche Verantwortung allein unter diesem Gesichtspunkt zu betrachten.

Das wird auch in der Öffentlichkeit sehr sensibel wahrgenommen; diese Ambivalenz prägt dann auch das öffentliche Bild der Unternehmen. Doch zugleich werden Unternehmerinnen und Unternehmer als Symbolgestalten für Erfolg, Reichtum und Entscheidungsfreiheit wahrgenommen. Manche Berichterstattung ist auch von stereotypen Wahrnehmungen entstellt, hinter denen menschliche Züge zurücktreten. Es mangelt häufig an selbstverständlicher Anerkennung gegenüber jenen, die sich aus der Umklammerung der Rahmenbedingungen freimachen, mutig einen Weg auch gegen Widerstände gehen, Chancen nutzen und Risiken kontrollieren. Wer sich traut, Unternehmer zu sein und die Fähigkeiten dazu hat, verdient alle Anerkennung und Unterstützung.

Deshalb liegt mir sehr daran, unternehmerisches Handeln unter dem Gesichtspunkt zu sehen, wie sich unternehmerischer Geist zum Wohle aller zur Geltung bringt. Es lässt sich doch schwerlich behaupten, dass wir einen Überschuss an solchem Geist und an „unternehmerischen Kraftfeldern“ in unserer Gesellschaft hätten. Denn unternehmerisches Handeln ist nach der klassischen These von Josef Schumpeter durch den Versuch gekennzeichnet, produktive Strukturen dadurch zu bewahren, dass sie beständig erneuert werden. Unternehmerisches Handeln ist strukturinnovativ. Diese Bereitschaft, nicht am Gewohnten und Bekannten festzuhalten, sondern Veränderungsprozesse zuzulassen, ist ein wesentliches Element auch für die Entwicklung einer Gesellschaft. Hier sehe ich einen wesentlichen Beitrag von Unternehmerinnen und Unternehmer zu bürgerschaftlicher Verantwortung. Freilich wäre es in sich widersprüchlich, Veränderungsprozesse nicht in einem nachhaltigen Sinne anzulegen, weil dies gerade zu einer Verminderung sowohl des unternehmerischen als auch des gesellschaftlichen Wertes führen würde.

Das will ich abschließend in zwei Richtungen verdeutlichen. Die Verantwortung für Arbeit und die Verantwortung für Fairness sind die Gesichtspunkte, die ich hervorheben will.

VI.

„Die Arbeit gehört zum Menschen wie zum Vogel das Fliegen“ – heißt ein wichtiger Satz der christlichen Tradition, der sich in dieser Form zum ersten Mal bei Martin Luther findet. Schon die biblische Tradition entwickelt in völlig klarer Weise den Grundsatz, dass jeder Mensch die ihm von Gott gegebenen Gaben und Talente entfalten soll, um seinen Beitrag zur gesellschaftlichen Wohlstandsentwicklung zu leisten.

Deutlich ist allerdings auch, dass eine Überforderung der Menschen und eine einseitige Bevorzugung der besonders Leistungsfähigen vermieden werden muss. Der Arbeit sind durch den Sonntag und durch andere Regelungen Grenzen gesetzt, die zum Wohle des Menschen einzuhalten sind. Und es ist auch deutlich, dass die Arbeit, eben weil sie eine so hohe Wertschätzung in der christlichen Tradition erfährt, so zu organisieren ist, dass alle an ihr Anteil haben, auch die Leistungsschwächeren. Wirtschaft soll mit allen betrieben werden. Die Ungleichheit, die mit der Gestaltung der Wirtschaft einhergeht und die notwendigerweise den Leistungsfähigeren mehr zukommen lässt als den Leistungsschwächeren, darf nur so groß sein, dass durch die dadurch gesteigerte Produktivität auch den Schwächeren ein würdiges Leben, das vollen Anteil an der Gesellschaft eröffnet, möglich gemacht wird. Gerechtigkeit ist auf dieser biblischen Grundlage insbesondere als Befähigungs- und Beteiligungsgerechtigkeit zu verstehen. Sie zeigt sich insbesondere darin, dass die Situation des einzelnen in zureichendem Maß berücksichtigt wird. Motivieren, befähigen, beteiligen kann man nur einen Menschen, wenn man ihn in seiner besonderen Situation ernst nimmt, wenn man ihn als Individuum wahrnimmt, wenn man ihm in diesem Sinne mit Liebe begegnet.

Die Würdigung jeder menschlichen Arbeit als Dienst am Nächsten, die innerweltliche Askese mit dem Ziel, das Erwirtschaftete wieder produktiv zu machen, und die rationale Organisation des wirtschaftlichen Betriebs sind – wie Max Weber das im Kern richtig beschrieben hat – die drei wichtigsten Folgerungen aus der reformatorischen Weichenstellung, deren Kern in der Hochschätzung des weltlichen Berufs liegt. . In der Folge ist dann die Form des Unternehmens zu der erfolgreichsten Organisationsform zur Erzeugung einer hohen Produktion von Gütern und Dienstleistungen in der Geschichte der Menschheit geworden – und ist es bis heute. Der entscheidende Fortschritt war – und darauf kommt es mir an – , dass hier nicht Profitinteresse als solches, erst recht nicht Gier, Neid und Ähnliches im Kern des Wirtschaftens angelegt waren, sondern Sparsamkeit, Ehrbarkeit, Anstrengung, alles (um noch einmal an Anselm Grün zu erinnern) mönchische Ideale, die nun in bürgerlicher Gestalt zum Tragen kamen. Und diese Ideale wurden in den Dienst der Aufgabe gestellt, dass Menschen mit ihrer eigenen Arbeit ihr Leben nicht nur fristen, sondern auch gestalten können.

Transparency International hat unlängst festgestellt, dass protestantisch geprägte Länder die niedrigste Korruptionsrate in unserer Welt aufweisen. Als ich das las, hoffte ich, dass unser Land noch möglichst lang protestantisch geprägt – oder auch: dass es wieder protestantisch geprägt wird. Die Haltung, die ich bisher beschrieben habe, hat offenbar damit zu tun, dass der Glaube dem Menschen nicht nur eine starke Identität, sondern zugleich auch den notwendigen Abstand von sich selbst verleiht. Er hilft ihm dabei, noch einmal innezuhalten, bevor auf Biegen und Brechen ein Vorgehen gewählt wird, das vermeintlich im persönlichen Interesse oder im Interesse des eigenen Unternehmens ist – auch wenn es gegebenenfalls gegen Recht und Moral verstößt. Die These, die sich damit verbindet, heißt: Langfristig ist es auch im wirtschaftlichen Interesse eines Unternehmens, dass es als verlässlich und vertrauenswürdig gilt. Deshalb zahlen sich Korruption und Untreue auf Dauer wirtschaftlich nicht aus. Fairness enthält verglichen damit einen deutlichen Mehrwert. Fairness ist vorzugswürdig.

Ein Bündnis zwischen christlicher Moral und ökonomischer Vernunft kann dazu beitragen, dass negative menschliche Charaktereigenschaften, wie Unehrlichkeit, Egoismus und Betrug aus der Wirtschaftsgestaltung ausscheiden – auch aus der Einsicht heraus, dass sie sich in das rationale Gefüge wirtschaftlichen Handelns nicht einfügen. In dieser Hinsicht ist das Leitbild vom ehrbaren Kaufmann keineswegs überholt. Sobald die Wirtschaftsentwicklung allerdings durch eben diese negativen menschlichen Eigenschaften befördert und angetrieben wird und man dies auch noch propagiert, kommt es im Verhältnis zwischen christlicher Moral und ökonomischer Vernunft zu einem klaren Widerspruch.

Das christliche Menschenbild ist natürlich realistisch genug um anzuerkennen, dass Menschen, wenn sie dauerhaft gute Leistungen bringen sollen, durch mehr als nur durch Liebe angetrieben sein müssen. Doch die angemessene Folgerung daraus heißt, dass nach Verbindungen zwischen Gemeinwohl und Eigennutz, zwischen Nächstenliebe und Leistungsmotivation, zwischen eigenem Vorteil und Fairness gesucht werden muss.

Es liegt auf der Hand, dass eine Wirtschaft, die nur noch von den Gedanken an Eigennutz und Gewinnsteigerung angetrieben ist, ohne wirklichen Sinn und Zweck in die Zukunft hinein operiert. Eine Gesellschaft, die das Eigeninteresse bis zum Exzess kultiviert, zehrt die Ressourcen auf, auf die das gemeinsame Leben – insbesondere in den Bereichen von Familie, Kultur und Glaube – angewiesen bleibt.  Aber auch wirtschaftliches Handeln selbst – die tägliche Zusammenarbeit im Betrieb zeigt das – kommt ohne Rücksichtnahme, Kooperationsbereitschaft, ja Empathie nicht aus.

Es gibt nach meiner festen Überzeugung kein Unternehmen, das nur auf Grund der Eigeninteressen der Beteiligten überleben könnte. Kein Unternehmen in der Welt hat eine gute Zukunft, wenn es alle schlechten Charaktereigenschaften der Menschen in sich selbst freisetzt oder gar noch kultiviert. Vielmehr zerfällt es, weil sich das Vertrauen zersetzt, das für alle dauerhafte Arbeit unabdingbar ist.

Wir müssen dahin kommen, dass wirtschaftliches Handeln wieder als kulturelles Handeln begriffen wird. Nur wenn weiterhin nach dem Sinn wirtschaftlichen Handelns gefragt wird, können wir auch unter den Bedingungen einer globalisierten Wirtschaft das uns Mögliche tun, um dem Leitbild einer sozial verantworteten Wirtschaft, die im Kern auf persönlicher Zurechenbarkeit von Verantwortung beruht, eine Zukunft zu geben. Dazu ist es nötig, dass sich die Effizienz des Wirtschaftens mit einer klaren Wertorientierung verbindet. Wir brauchen eine neue Synthese von Effizienz und Sinn. Das wird nicht nur langfristig klug, sondern auch für alle von Vorteil sein.