Vortrag bei der Konsultation „Vorrang für Gewaltfreiheit“ - Kirche als Akteurin für Krisenprävention und Konfliktbearbeitung, Berlin, Französische Friedrichstadtkirche

Antje Heider-Rottwilm

Herausforderungen an kirchliche Arbeit im Bereich der zivilen, gewaltfreien Konfliktbearbeitung

Vieles zum Thema ist schon in dieser Konsultation gesagt worden, was unter diese Überschrift gehört. Dazu zähle ich

- die vielfältige Praxis der kirchlichen Akteure, der Werke und Dienste,

- die Erarbeitung von Grundsatzpapieren wie der Denkschrift der EKD

- die politischen Äußerungen von Leitungsgremien sowie

- und nicht zuletzt die kirchliche Verkündigung und Bildungsarbeit auf allen Ebenen vom Religionsunterricht bis hin zu Trainings in gewaltfreier Konfliktlösung für verschiedene Berufsgruppen in und außerhalb der Kirche.

All dies und viel mehr kirchliches Handeln kann und muss im Geiste des Evangeliums Beitrag sein zur zivilen, gewaltfreien Konfliktbearbeitung.

Bischof Schindehütte konnte die Zusage heute nicht einhalten, so habe ich kurzfristig seinen Part übernommen. Das hat zur Folge, dass ich stärker die europäische Perspektive im Blick habe. Angesichts der Kompetenz vieler hier für die globalen Fragen ist das akzeptiert, so hoffe ich.

Folgende Anforderungen sehe ich:

1. Der Beitrag der Kirche in der Erarbeitung der theologischen und ethischen Positionen zum Thema„Vorrang für Gewaltfreiheit“

Mit der Veröffentlichung der neuen Friedensdenkschrift der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), die der Ratsvorsitzende vor fast genau einem Monat (am 24. Oktober 2007) in Berlin der Öffentlichkeit vorgestellt hat, bekräftigt die EKD die von ihr schon zuvor vertretene These vom Vorrang der Gewaltfreiheit so klar wie bisher noch nie. In der Denkschrift heißt es:

„Das christliche Ethos ist grundlegend von der Bereitschaft zum Gewaltverzicht (Mt 5,38ff) und vorrangig von der Option für die Gewaltfreiheit bestimmt.“

Sicher, die EKD vertritt auch in ihrer neuen Denkschrift keinen reinen, radikalen, unbedingten Pazifismus. Das mögen Manche unter uns bedauern. Sondern sie bekundet ihre Affinität und Nähe zum pazifistischen Ethos der Gewaltfreiheit. Und sie bekennt sich klar und eindeutig zur Praxis des Friedensstiftens.

Die Denkschrift widmet dem Friedensbeitrag der Christen und der Kirchen das zweite von insgesamt vier Kapiteln. Lassen Sie mich den Aufbau und die Argumentation dieser Schrift in aller Kürze nachzeichnen.

Das erste Kapitel (bzw. der 1. Hauptteil) stellt eine Skizze der friedenspolitischen Lage der Gegenwart unter dem Gesichtspunkt der aktuellen Friedensgefährdungen dar.

Daran schließt sich das bereits zitierte zweite Kapitel an, das den spezifischen Friedensbeitrag der Christen und Kirchen darstellt. Hierzu äußere ich mich nun etwas ausführlicher, weil in diesem Kapitel davon die Rede ist, was Christen für Frieden und Gewaltfreiheit in dieser Welt tun.

- In Kapitel 2.1 „Den Frieden vergegenwärtigen und bezeugen“ wird das Handeln der Kirche im Hinblick auf den Frieden im Geschehen des Gottesdienstes verankert. Denn Ausgangspunkt für alles, was die Kirche überhaupt tun kann, um für den Frieden zu bilden, ist das Gebet für den Frieden und die lebendige Verkündigung des Evangeliums. Jeder Gottesdienst kann und soll zum Frieden bilden.

- In Kapitel 2.2 „Für den Frieden bilden und erziehen“ ist von den weiteren spezifischen Bildungsinstitutionen der Kirche die Rede, die außer dem Gottesdienst Menschen auf ihren Lebensweg begleiten und sie befähigen, Versöhnung zu praktizieren, der Gewaltlosigkeit bei der Konfliktbearbeitung einen Vorrang einzuräumen und auf allen Ebenen dem Frieden nachzujagen.

- Kapitel 2.3 thematisiert unter der Überschrift „Die Gewissen schützen und beraten“ die seelsorgerliche Aufgabe der Kirche im Blick auf die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr und auch im Blick auf diejenigen, die den Kriegsdienst mit der Waffe aus Gewissensgründen verweigern und nicht bereit sind, militärische Gewalt gegen andere Menschen anzuwenden.

- In Kapitel 2.4 „Für Frieden und Versöhnung arbeiten“ werden solche Prozesse skizziert, die in kirchlicher Trägerschaft zum Frieden und zur Versöhnung innerhalb von und zwischen Völkern und Staaten beitragen. Dort ist beispielsweise die Rede von der so genannten „Wahrheits- und Versöhnungskommission“ in Südafrika, aber auch von der Erinnerungs- und Versöhnungsarbeit von Aktion Sühnezeichen Friedensdienste.

- Schließlich wird in Kapitel 2.5 „Vom gerechten Frieden her denken“ der eigentliche Leitbegriff der Schrift, nämlich der Begriff des gerechten Friedens, eingeführt, und es werden die Grundzüge einer Theologie des gerechten Friedens skizziert. Wenn die Friedensethik vom gerechten Frieden her denkt, dann grenzt sie sich nicht nur von den die Tradition der Christenheit bestimmenden Konzepten wie dem Mythos vom Heiligen Krieg oder von der traditionellen Lehre des gerechten Krieges ab, sondern sie setzt sich zugleich in eine konstruktive Beziehung zum christlichen Pazifismus. Das Kapitel 2.5 der Denkschrift ist eine Schlüsselstelle innerhalb des gesamten Textes. Es verbindet den zweiten und den dritten Hauptteil der Denkschrift miteinander und bereitet die beiden folgenden Hauptteile sachlich vor, indem es deutlich macht, aus welchen Gründen und mit welchen Inhalten christliches Handeln sich in Recht und Politik umsetzen muss.

Der Hauptteil 3 („Gerechter Frieden durch Recht“) zeigt auf, wie das Medium des Rechts im Sinne des Internationalen Völkerrechts auf der Basis der Charta der Vereinten Nationen geeignet und notwendig ist, um Friedensprozesse zu tragen und zu stützen. Das Recht muss gestärkt werden, damit nicht der Stärkere Recht behält.

In Hauptteil 4 der Denkschrift („Politische Friedensaufgaben“) ist unter anderem von Europas Friedensverantwortung die Rede, aber auch von der Rolle und dem Auftrag der Bundeswehr. Die Aufgabe, Waffenpotenziale abzubauen, Rüstungsexporte einzuschränken und wirksam zu Abrüstung und Rüstungskontrolle beizutragen, wird ebenso formuliert, wie die Notwendigkeit der zivilen Konfliktbearbeitung noch einmal eingeschärft wird.

Konfliktbearbeitung muss, so ist die unstrittige Auffassung der EKD, gestärkt und ausgebaut werden. Deshalb macht die EKD sich stark für die Arbeit des Evangelischen Entwicklungsdienstes (EED) und fördert die Aktionsgemeinschaft Dienst für den Frieden (AGDF) ebenso wie die Evangelische Arbeitsgemeinschaft für Kriegsdienstverweigerer (EAK). Diese drei, der EKD auf unterschiedliche Weise nahe stehenden Organisationen sind besonders wichtig, um auf zivile Weise für den Frieden in der Welt zu arbeiten. Es wird künftig mehr denn je darauf ankommen, dass diese Akteure im Feld der zivilen Konfliktbearbeitung konstruktiv zusammen arbeiten und ihr professionelles Wissen und ihre unterschiedlichen Fähigkeiten am richtigen Ort und in angemessener Weise zum Einsatz bringen.

Zusammenfassend kann man sagen, dass die Absicht der neuen Denkschrift ist, die Wurzeln des Friedenshandelns im christlichen Glauben selbst aufzuzeigen und diejenigen, die sich aus christlicher Überzeugung für den Frieden und die Überwindung von Gewalt einsetzen, in ihrem Tun zu ermutigen und zu stärken. Diese doppelte Absicht spiegelt sich auch im Titel der Denkschrift: „Aus Gottes Frieden leben ─ für gerechten Frieden sorgen“.

2. Kirchliche Arbeit als politische Stimme der Kirche in der Öffentlichkeit

Im Blick auf den öffentliche Auftrag der Kirche sind gerade die Fragen um Krieg und Frieden, um den Umgang mit politischen und sozialen Konflikten ein zentrales Thema. Darum weise ich hier darauf hin, wie notwendig konkrete, sachkundige und zeitnahe Äußerungen der Kirchen zu Entwicklungen in diesem Bereich sind – auf nationaler, europäischer und weltweiter Ebene.

Sicher erinnern Sie sich an die Konferenz europäischer Kirchenleitenden, die wenige Wochen vor  Beginn des Irak-Krieges hier in Berlin stattfand – eine Konferenz, die so schnell zusammengerufen werden konnte, weil es ein in Jahrzehnten aufgebautes Vertrauen und viele Ebenen der Zusammenarbeit mit den Partnerkirchen gibt. Das eindeutige Wort der Kirche gegen den Krieg war für die deutsche Öffentlichkeit und auch für die deutsche Politik nicht unerheblich. Aus anderen europäischen Ländern wissen wir dasselbe.

In anderer Weise war der Beschluss der EKD-Synode 2006, der an die Stellungnahmen der Konferenz Europäischer Kirchen zur europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik anschloss, ein wichtiges sicherheitspolitisches Statement (s. u.). Wir haben es in alle Gespräche mit der deutschen Ratspräsidentschaft und den europäischen Verantwortungsträgern eingebracht, konnten uns immer wieder darauf beziehen – bis zuletzt während des Gesprächs der Steuerungsgruppe Europafragen des Rates der EKD mit dem stellv. Leiter der Europäischen Verteidigungsagentur in Brüssel.

Natürlich, je präziser wir sind, je konkreter bezogen auf eine spezifische Thematik wie die EU-Initiative zum Verbot der Streubomben oder die EU-Initiative zur Wiederbelebung der nuklearen Abrüstung, umso angreifbarer, aber auch umsetzbarer ist das, was wir auf dem Weg zu einer gewaltfreien Konfliktbearbeitung einfordern. Konkret zu reden bedeutet, Fehler machen zu können und Risiken einzugehen.

3. Kirchliche Arbeit als gemeinsames ökumenisches Lernen und Handeln, um den Vorrang für Gewaltfreiheit zu fördern?

Friede lässt sich nur auf internationaler Ebene herstellen. Dementsprechend muss auch kirchliches Friedenshandeln stets über die engen Grenzen der eigenen Konfessionalität hinausgehen und ökumenisch sein. Für die EKD folgt daraus, dass sie sich in Deutschland innerhalb der Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen (ACK), auf europäischer Ebene in der GEKE (Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa) und in der Konferenz Europäischer Kirchen (KEK) und weltweit im Rahmen des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) engagiert.

Den weitesten Bogen spannt dabei der ÖRK. Mit seiner im Jahr 2001 in Berlin eröffneten „Dekade zur Überwindung von Gewalt“ (DOV) formuliert er für seine Mitgliedskirchen eine Aufgabe, die je nach Ort, Zeitpunkt und Kontext von jeder einzelnen Kirche und jeder einzelnen Gemeinde im Maße ihrer Möglichkeiten individuell zu bearbeiten und zu lösen ist. Die neue Friedensdenkschrift erinnert bewusst an Johann Amos Comenius (1592-1670). Sein Lebensmotto  „Alles fließe von selbst ─ Gewalt sei ferne den Dingen“ enthält in nuce ein pädagogisches Programm, das in vielen Hinsichten bemerkenswerte Parallelen zur „Dekade zur Überwindung von Gewalt“ aufweist. In der Denkschrift heißt es dazu:

„Die Dekade bietet christlichen Kirchen, Gruppen und Einzelpersonen ein strukturelles Dach und einen organisatorischen Raum, in dem diese agieren und konstruktive Beiträge zur Gewaltüberwindung leisten können. Die friedenspolitischen und friedenspädagogischen Aspekte der Dekade enthalten eine umfassende ‚Querschnittsaufgabe’ für das kirchliche Handeln. Dies verlangt eine sorgfältige Koordinierung der zahlreichen vorhandenen Ansätze, Programme und Initiativen sowie Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft.“

Sich auf ökumenischer Ebene und in einem konziliaren Prozess zu bewegen, schließt immer die Notwendigkeit ein, anderen genau und einfühlsam zuzuhören, ihre je andere Geschichte und ihren Kontext verstehen zu lernen und so den eigenen Verstehenshorizont zu erweitern. Mit anderen Worten: Teilnehmende/r einer weltweiten Lerngemeinschaft zu sein.

In den vergangenen Jahren haben wir dabei unter anderem gelernt, was der Begriff der „Verwundbarkeit“ (vulnerability) bedeuten kann und wie er mit dem Ansatz der „menschlichen Sicherheit“ korrespondiert.

In der Denkschrift gibt es dazu nur eine Andeutung in einer Fußnote. Dort heißt es:

„In ökumenischen Kontexten, etwa in neueren Dokumenten der Konferenz Europäischer Kirchen (KEK), wird betont, dass aus christlicher Sicht eine umfassende und absolute Sicherheit niemals zu gewinnen sei. Das menschliche Leben sei vielmehr immer mit Verletzlichkeit und Verwundbarkeit (‚vulnerability’) verbunden. Friede und Gewaltfreiheit müssten deshalb immer auch riskiert werden. Damit wird nicht dem Konzept der ‚menschlichen Sicherheit’ widersprochen, es wird aber aus einer anderen, zusätzlichen Perspektive in den Blick genommen.“

In einer Studie der norwegischen lutherischen Kirche aus dem Jahre 2000 heißt es dazu:

‚Jeder Mensch lebt von seiner Umgebung, kulturell und natürlich. Es ist nicht möglich, die Verletzbarkeit zu vermeiden. Die moderne Menschheit und Gesellschaft sind überrascht angesichts dieser unvermeidbaren Verletzbarkeit. Ein Traum von Unverletzbarkeit liegt hinter vielen der modernen menschlichen Fortschrittsversuche. Menschen haben ein grundsätzliches Recht darauf, dass man sich um sie sorgt und sie vor Unheil und Übel beschützt. Diese Verantwortung besteht füreinander als Menschen und Gemeinschaften. Trotz großartiger technologischer und materieller Fortschritte für einen großen Teil der Weltbevölkerung im 20. Jahrhundert müssen wir uns mit der vollkommen inakzeptablen Tatsache auseinander setzen, dass Krieg, Armut und Umweltzerstörung weiterhin Billionen Menschen bedrohen. Aber Verletzbarkeit ist ein konstitutives Element des Menschseins. Die Verletzbarkeit und Schutzlosigkeit des Menschen sind die Vorbedingung für seine Fähigkeit zu Offenheit und Solidarität... Sie sind eine notwendige Voraussetzung für menschliche Sicherheit, der es nicht einfach darum geht, mich und das Meine zu verteidigen, oder uns und das Unsere... Die Anerkennung der Verletzbarkeit... führt zur Anerkennung der Sicherheit des Anderen, des Fremden, als meine – unsere gemeinsame  Verantwortung. Anerkennung unserer eigenen Verletzbarkeit kann einen Wunsch nach Kooperation statt nach Konflikt entstehen lassen... Dieses doppelte Verständnis von Verletzbarkeit ermöglicht ein grundsätzliches Überdenken dessen, was Sicherheit wirklich meint. Heute reicht es nicht, mit einem Sicherheitskonzept zu arbeiten, dass nur auf staatliche Souveränität bezogen ist.’ (Übersetzung Antje Heider-Rottwilm)

In diesem Verständnis des Menschen - in seiner Beziehung zu Gott, seinem Aufeinander-Angewiesensein untereinander und mit der Schöpfung - wurzelt, so bin ich sicher, eine Spiritualität der Gewaltlosigkeit, die uns zu immer tieferer Frömmigkeit und zugleich globaler Solidarität herausfordert.

Deshalb müsste dieser Ansatz auch als theologische Kategorie weiter geführt werden. Er liegt vielen Zugängen zu gewaltfreier Konfliktbearbeitung zugrunde – und sollte meiner Meinung nach stärker in der friedensethischen Diskussion rezipiert werden, nicht nur in einer Fußnote.

4. Exkurs: Einige Aspekte zum Thema Kirchen und europäische Sicherheitspolitik

Die protestantischen, anglikanischen und orthodoxen Kirchen Europas haben sich 2001 in der Charta Oecumenica verpflichtet, in der Nachfolge Jesu Christi für Versöhnung und Frieden einzutreten (s. Charta Oecumenica III.8). Später heißt es: ’Wir engagieren uns für eine Friedensordnung auf der Grundlage gewaltfreier Konfliktlösungen.’

Die geschieht seit Jahrzehnten durch eine Vielzahl von Begegnungen, Friedens- und Versöhnungsinitiativen, Netzwerken, Projekten auf der Ebene von Gemeinden, Gruppen, Landeskirchen, Werken und der EKD. Immer wieder müssen wir uns daraufhin befragen (lassen), was wir als Christinnen und Christen zum Abbau von Feindbildern, zum Aufbau von Vertrauen, zur Versöhnung, zu nachhaltiger Entwicklung beitragen – aber auch, wie wir die friedenspolitischen Entwicklungen auf europäischer Ebene mitgestalten.

Die Europäische Union (EU) hat die Aufgabe, zur Wahrung, Förderung und Erneuerung des Friedens beizutragen. Im Reformvertrag, in dem die Ziele der EU nun dargelegt werden, wird an erster und oberster Stelle der Frieden genannt. Es wird weiter ausgeführt, dass die EU einen Beitrag zu Sicherheit, globaler nachhaltiger Entwicklung, Solidarität und gegenseitiger Achtung unter den Völkern leisten wolle, indem sie auf strikter Einhaltung und Weiterentwicklung des Völkerrechts besteht. Insbesondere verpflichtet sie sich zur Wahrung der Grundsätze der Charta der Vereinten Nationen. Damit wird implizit der Vorrang von ziviler Konfliktschlichtung vor militärischen Maßnahmen (UN-Charta Kap. 7) und die Notwendigkeit der Mandatierung für militärische Missionen anerkannt.

Seit den Gipfeln von Köln und Helsinki 1999 existiert die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP). Sie umfasst zivile sowie militärische Organe inklusive Kapazitäten des Krisenmanagements, die voneinander getrennt sind. In Göteborg 2001 fiel der Entschluss zur Schaffung einer europäischen Politik der Konfliktprävention, die bislang jedoch nur teilweise umgesetzt worden ist. Seit 1999 sind bereits 17 ESVP Missionen (Polizei und Militär)  angelaufen, 10 davon sind noch nicht beendet. 13 waren bzw. sind ausschließlich ziviler Natur.

In Übereinstimmung mit den o.g. Zielen der EU ist in einem verfassungsähnlichen Rechtstext erstmals in Europa zivile Konfliktschlichtung als Handlungsalternative in Konfliktsituationen benannt. Wir haben als Kirchen immer wieder darauf hingewiesen, dass die Nennung der bereits längst aufgebauten und seit Jahren arbeitenden Verteidigungsagentur im Reformvertrag (Art.27.3) eine politische Schieflage bedeutet (auch wenn die Bündelung der militärischen Kapazitäten in Europa durchaus Sinn macht!), da dort als Gegengewicht keine operativen Details zum Aufbau von zivilen und konfliktpräventiven Kapazitäten angesprochen werden.

Die Europäische Kommission spielte in der Sicherheitspolitik der EU bislang nur eine marginale Rolle. Im Rahmen der Neuen Finanziellen Vorrauschau der EU 2007-2013 ist die gemeinschaftliche Außenpolitik nun mit der Verabschiedung von neuen Außenpolitikinstrumenten auf eine neue Grundlage gestellt worden. Darunter ist das "Stabilitätsinstrument", welches zivile sicherheitspolitische Maßnahmen der Kommission ab 2007 unterhalb der Schwelle militärischer Einsätze im Bereich Mediation, Kampf gegen Kleinwaffen und Minen, Friedenskonferenzen und Reintegration von Kindersoldaten und ehemaligen Kämpfern finanzieren soll. Teil des Stabilitätsinstruments ist erstmals ein Peace Building Partnership zwischen der Kommission und zivilgesellschaftlichen Akteuren der Friedensarbeit.

Laut ihrer Website wollte die EU -Kommission mit einer zweitägigen Konferenz vor wenigen Tagen Mittel und Wege zum Umgang mit Krisen weltweit ausloten. Dazu waren Expertinnen und Experten aus aller Welt sowohl aus der Wissenschaft als auch der Praxis eingeladen. Rund 800 Teilnehmerinnen und Teilnehmer erschienen, um an den diversen Workshops teilzunehmen. In ihrer Eröffnungsrede stellte Benita Ferrero-Waldner klar das neue Stabilitätsinstrument als innovativste Neuerung in Fragen der Krisenreaktion und  Prävention heraus und verwies ebenso auf die aktive Rolle des Europäischen Parlamentes bei der Etablierung und Ausgestaltung dieses Instruments. Es wurde von den ersten Projekten wie etwa in Afghanistan oder im Tschad berichtet. Dabei wurde insbesondere deutlich, dass die Peacebuilding Partnership  eine Maßnahme des Stabilitätsinstrumentes ist, die gerade NGOs - auch finanziell - anspricht und die bessere Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft fördern will.

Eines der Hauptanliegen der Peacebuilding Partnership ist die Einbeziehung der Zivilbevölkerung in Fragen der Krisenvor- und -nachsorge sowie der Achtung der Menschenrechte. Dieses Instrument ist jedoch kaum bekannt.

Ich denke, dass es allerdings nun darauf ankommt, die Chancen zu nutzen und als europäische Kirchen gemeinsam – also in Zusammenarbeit mit den anderen, zum Teil friedenspolitisch hochkompetenten und engagierten europäischen Kirchen und im Kontext der Kommission Kirche und Gesellschaft der KEK - umzusetzen, was wir seit Jahren eingefordert haben: den Aufbau wirksamer nichtmilitärischer Mittel der Konfliktbearbeitung unter Beteiligung des know how der Kirchen.

Die Kommission Kirche und Gesellschaft der Konferenz Europäischer Kirchen (KEK) beriet im Mai 2006 in Sigtuna über das Thema Kirchen und Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik, die EKD-Synode 2006 nahm das Anliegen im November auf und verabschiedete – wie eben schon erwähnt – einen entsprechenden  Beschluss:

I. Die Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) bekräftigt ihr Engagement für die Gestaltung eines gerechten, friedlichen und solidarischen Europas. Sie wird auch weiterhin in ihrer theologischen Arbeit wie in ihrem konkreten Engagement nach Kräften dazu beitragen.

Die europäischen Kirchen in der Kommission Kirche und Gesellschaft der Konferenz Europäischer Kirchen (KEK) haben am 3. Mai 2006 in Sigtuna/Schweden die Einrichtung geeigneter europäischer Instrumente gefordert, um die Forschung und aktive Einmischung in Konfliktprävention und die friedliche Lösung von Konflikten voranzutreiben. Diese sollen im Verbund mit nationalen Instituten der Konflikt-, Präventions- und Friedensforschung die zivile Krisenbewältigung koordinieren, fördern und sichtbarer machen, und so das in der EU dafür vorhandene Potential effizienter nutzen.

Dazu wollen die Kirchen ihre eigenen Erfahrungen mit Versöhnung und Heilung von Erinnerungen (healing of memories) in verschiedenen Regionen Europas vernetzen, als politisches Potential einbringen und beharrlich fortsetzen.

Sie wollen von Friedenskirchen und Kommunitäten, christlichen Netzwerken und Trägerorganisationen ziviler Friedensdienste, die über lange Zeit das christliche Friedenszeugnis konsequent leben, die Friedensdienste entwickelt haben und Experten in gewaltfreier Konfliktlösung sind, lernen und mit ihnen intensiv zusammen arbeiten.

Sie haben sich ebenfalls verabredet, die ökumenische Reflexion darüber, welches Verständnis von menschlicher Sicherheit und Verletzbarkeit aus dem Glauben an Jesus Christus erwächst, zu vertiefen und in die öffentliche Debatte einzubringen - auch und gerade angesichts der Erfahrungen mit Terror und den Ängsten davor.

Ebenso wurde deutlich, dass in einer Zeit, in der Religion immer wieder als Konfliktursache wahrgenommen wird, die Kirchen ihre Erfahrungen und Kompetenzen im Bereich Konfliktvorbeugung und Mediation über religiöse, kulturelle und ethnische Grenzen hinweg einbringen und ausbauen müssen.

II. 1. Die Synode stellt fest:

Aufgrund der Vielschichtigkeit heutiger Konflikte müssen alle Politikbereiche der Europäischen Union unter dem Aspekt überprüft werden, welche Bedeutung sie für ein integriertes Konzept der Krisenprävention und -bewältigung haben. Die Unabhängigkeit ziviler von militärischen Mitteln sowie zugleich eine Kohärenz der Instrumente zur Krisenbewältigung ist sicherzustellen.

Die Synode begrüßt, dass die EU Schritte unternommen hat, um die gemeinschaftliche Außenpolitik auf eine neue Grundlage zu stellen, darunter erstmals eine Peace Building Partnership zwischen der Kommission und zivilgesellschaftlichen Akteuren der Friedensarbeit. Die EU hat bisher jedoch nicht alle Möglichkeiten der zivilen Krisenvorsorge und -bearbeitung ausgeschöpft.

Die Synode unterstreicht die Ergebnisse von Sigtuna. Angesichts des Aufbaus einer ’Europäischen Verteidigungsagentur’ zur Koordinierung der militärischen Mittel fordert sie die Europäische Kommission auf:

- den Aufbau und die Institutionalisierung eines effektiven Instruments zur Koordinierung der zivilen Mittel zügig voranzutreiben. Damit kann die EU zu einem zentralen Akteur europäischer und weltweiter Sicherheitspolitik werden und  mit zivilen Mitteln und im Sinne eines umfassenden Sicherheitsbegriffes ressortübergreifend nachhaltige Entwicklungen fördern.

- eine Pilotstudie zum Europäischen Zivilen Friedenskorps auf der Grundlage der dafür vorliegenden Machbarkeitsstudie vom November 2005 zu veranlassen.

Eine Reihe landeskirchlicher Synoden (z.B. Lippische Landeskirche, Synode der Kirchenprovinz Sachsen, Württembergische Landeskirche) haben den Beschluss der EKD-Synode aufgenommen, zum Teil modifiziert oder verstärkt.

Bei der bundesweiten ökumenischen Tagung der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland (ACK) zur Dritten Europäischen Ökumenischen Versammlung haben sich in der Evangelischen Akademie Loccum vom 4. bis 6. Dezember 2006 insgesamt 150 Vertreter und Vertreterinnen der Basisgruppen und Kirchen aus Deutschland und Gäste aus Europa getroffen und formulierten:

Um das in der Charta Oecumenica benannte Ziel einer „Friedensordnung auf der Grundlage gewaltfreier Konfliktlösungen“ zu erreichen, sehen wir die Notwendigkeit, das in der europäischen Sicherheitsstrategie verwendete Verständnis von Sicherheit kritisch zu befragen.

Handlungsempfehlung

Wir empfehlen den Kirchen und Gemeinden,

- die ökumenische Reflexion darüber, welches Verständnis von menschlicher Sicherheit und Verletzbarkeit aus dem Glauben an Jesus Christus erwächst, zu vertiefen und in die öffentliche Debatte einzubringen,

- sich bei der Europäischen Kommission für den Aufbau und die Institutionalisierung eines effektiven Instruments zur Koordinierung ziviler Mittel der Konfliktbearbeitung einzusetzen und Schritte zur Kernwaffenabrüstung einzuleiten,

- sich für die Stärkung internationaler Institutionen einzusetzen, die dazu beitragen, Krisen vorzubeugen und in Konflikten zu vermitteln,

- der europäischen Sicherheitsstrategie in Bezug auf Bestrebungen zur Absicherung politischer Einflussbereiche entgegen zu treten,

- es als ihre Aufgabe anzusehen, einen Beitrag zu langfristigen Friedensprozessen im Sinne von Armutsbekämpfung, sozialer Entwicklung und Bewahrung der Schöpfung zu leisten.

Diese Empfehlungen wurden nach Hermannstadt/ Sibiu mitgenommen. Sie basieren auf den Erfahrungen und dem Engagement der vielen Menschen, die in Friedensdiensten, in Projekten, in Gruppen, in der politischen Arbeit auf nationaler und europäischer Ebene zur Versöhnung konkret beitragen wie auch derer, die sich dafür engagieren, dass die ‚vorrangige Option für die Gewaltfreiheit’ endlich zur leitenden sicherheitspolitischen Maxime wird. Zum Abschluss der ökumenischen Versammlung in Wittenberg wurde die Phase der weltweiten Dekade zur Überwindung von Gewalt eröffnet, in der Europa und die Verantwortung Europas für die Überwindung von Gewalt im eigenen Kontext wie in anderen Regionen der Erde im Zentrum steht. So greifen die ökumenischen und politischen, die europäischen und die weltweiten Entwicklungen ineinander, sind nicht voneinander zu isolieren und fordern uns als Kirchen heraus.

Die Dritte Europäische Ökumenische Versammlung in Sibiu/ Rumänien - also die Versammlung von 104 anglikanischen, protestantischen und orthodoxen Kirchen und den europäischen katholischen Bischofskonferenzen - sagt in ihrer Schlussbotschaft:

‚Das Wort Gottes fordert uns auf, nicht das wertvolle Erbe jener zu verschwenden, die sich in den vergangenen sechzig Jahren für Frieden und Einheit in Europa eingesetzt haben. Der Friede ist ein grossartiges und wertvolles Geschenk. Ganze Länder sehnen sich nach Frieden, ganze Völker warten darauf, von Gewalt und Terror befreit zu werden. Nachdrücklich verpflichten wir uns zu erneuerten Bemühungen auf dieses Ziel zu. Wir lehnen Krieg als Instrument zur Konfliktlösung ab, fördern gewaltfreie Mittel zur Schlichtung von Konflikten und sind besorgt angesichts der militärischen Wiederaufrüstung. Gewalt und Terrorismus im Namen der Religion widersprechen der Religion.

Das Licht Christi scheint auf die „Gerechtigkeit“ und verbindet sie mit der göttlichen Barmherzigkeit. So erleuchtet, lässt es keinen doppeldeutigen Anspruch zu. Überall auf der ganzen Welt und in Europa führt der gegenwärtige Prozess einer radikalen Globalisierung der Märkte dazu, dass die Spaltung der menschlichen Gesellschaft in Sieger und Verlierer noch grösser wird, der Wert von unzähligen Menschen nicht geschätzt wird, und die katastrophalen Auswirkungen auf die Umwelt, vor allem der Klimawandel, mit der Sorge um die Zukunft unseres Planeten nicht vereinbar sind.

Empfehlung VII: Wir fordern alle europäischen Christen dringend dazu auf, die Millennium-Entwicklungsziele der Vereinten Nationen als einen dringenden praktischen Schritt zur Bekämpfung der Armut mit allen Kräften zu unterstützen.

Empfehlung VIII: Wir empfehlen, dass CCEE und KEK zusammen mit den Kirchen in Europa und mit den Kirchen der anderen Kontinente einen konsultativen Prozess beginnen, der sich mit der Verantwortung Europas für ökologische Gerechtigkeit angesichts des Klimawandels, für eine gerechte Gestaltung der Globalisierung, für die Rechte der Roma und anderer ethnischer Minderheiten befasst.

Wir erkennen heute mehr als je zuvor, dass Afrika als Kontinent, der mit unserer eigenen Geschichte und Zukunft eng verbunden ist, jetzt in einer solchen Armut lebt, die uns nicht gleichgültig und passiv lassen sollte. Die Wunden Afrikas sind unserer Versammlung zu Herzen gegangen.

Dies als Ausschnitt aus den europäischen Diskussionen, wie sie im Rahmen der Konferenz Europäischer Kirchen, immer wieder herausgefordert durch die Gruppen im Konziliaren Prozess und insbesondere Netzwerke wie Church and Peace, geführt werden. Die Synode der EKD hat vor zwei Wochen die Botschaft von Sibiu unterstützt und sich zur Umsetzung dieser Empfehlungen verpflichtet.

In der letzten Woche haben der Zentralausschuss der KEK und die Kommission der Kirchen für Migranten in Europa (CCME) beschlossen, eine gemeinsame Struktur zu bilden, so dass klar wird, dass auch das Thema Migration, ein zutiefst friedenspolitisch relevantes Thema, mitten in das Zentrum der Kirche gehört – als geistliche Herausforderung, als ekklesiologische Anfrage und als politisches Thema.

5. Einige Beispiele für zivile Konfliktbearbeitung und Gewalt überwindendes Engagement der Evangelischen Kirche in Deutschland

Wir haben von den Handlungsfeldern der verschiedenen kirchlichen Akteure in diesem Bereich gehört und davon, wie gut es ist, dass das Policy-Papier der AGDF konkrete Beispiele darstellt. An dieser Stelle möchte ich auf weitere Beispiele hinweisen, in denen die EKD sich friedenspolitisch und in ziviler Konfliktbearbeitung in den vergangenen Jahren eingesetzt hat.

1. Beispiel Sudan

Bekanntermaßen ist die Lage im Sudan seit Jahren von komplizierten und äußerst gewalttätigen und kriegerischen Auseinandersetzungen und Menschenrechts-Verletzungen geprägt. Ca. 200 000 Menschen sind den bisherigen Bürgerkriegen zum Opfer gefallen, Millionen Menschen wurden zu Flüchtlingen, deren Lage immer noch sehr bedrohlich ist. Das Afrikareferat der EKD setzte sich seit einigen Jahren –gemeinsam mit anderen Akteuren aus den Entwicklungs -und Missionswerken  -  mit Nachdruck dafür ein, die Friedens- und Versöhnungsarbeit der kirchlichen Partner - vor allem des Sudanesischen Kirchenrates - zu stärken. So findet z.B. seit vielen Jahren einmal jährlich in Deutschland eine Sudantagung statt, zu der auch Vertreter der verschiedenen Konfliktparteien im Sudan auf quasi „neutralen“ Boden  eingeladen werden und zu der tatsächlich auch Vertreter verschiedener Konfliktparteien aus dem Sudan anreisen und diese Gelegenheit für Gespräche nutzen, die so im Sudan nicht möglich wären. 2003 fand eine Reise des Rates der EKD in den Sudan statt, die u. a. zur Folge hatte, die Lage im Sudan durch die Berufung eines eigenen Sudanbeauftragten noch intensiver zu verfolgen und die Friedensanstrengungen der kirchlichen Partner noch intensiver zu begleiten. 2006 wurde das Ratsmitglied Superintendent i.R. Dr. Noltensmeier zum Sudanbeauftragten des Rates der EKD ernannt. In der kurzen Zeit seiner Tätigkeit hat Dr. Noltensmeier sich so viel Vertrauen erworben, dass er kürzlich zum Vorsitzenden des sudanesischen ökumenischen Forums ernannt wurde. Außerdem hat auf seine und die Initiative des Afrikareferates hin und mit Einbeziehung der Sudanexperten der Entwicklungs- und Missionswerke der Rat der EKD im Juni eine Erklärung zum Sudan veröffentlicht, in der allen Rufen nach schnellen militärischen Interventionen eine Absage erteilt wurde und für einen nachhaltigen Friedens- und Versöhnungsprozess sowie eine Abstimmung der Politik der EU, der USA und der UN gegenüber dem Sudan geworben wurde. Diese Erklärung sowie einen ausführlicheren Text mit Hintergrundsinformationen finden Sie auf der Web-Site der EKD.

2. Beispiel Aufarbeitung der Kolonialvergangenheit in Südafrika und Namibia

Seit einigen Jahren gibt es Initiativen der VEM und der rheinischen Kirchen zur Aufarbeitung der Rolle der Kirchen und Missionswerke im kolonialen südlichen Afrika.

In diesem Jahr konnten die Verhandlungen zwischen den Initiatoren und der EKD so weit geführt werden, dass der Rat der EKD einen Beschluss gefasst hat, gemeinsam mit einigen Landeskirchen und Missionswerken aus Deutschland und den lutherischen Kirchen in Südafrika und Namibia einen wissenschaftlichen Studienprozess durchzuführen, in dem die Rolle der Kirchen und Missionswerke im kolonialen System Ende des 18. und Anfang des 19. Jh. mit Hilfe von historischen Forschungen untersucht wird. Die beteiligten Kirchen und Missionswerke haben im Rahmen einer kürzlich stattgefundenen Impulstagung als Mitträger dieses Studienprozesses in großer Einmütigkeit Einzelheiten zur Zielsetzung und Durchführung beschlossen. Die EKD trägt die Hälfte der Kosten für diesen Studienprozess. Die Erklärung der Mitträger des Prozesses kann ebenfalls auf der EKD Homepage nachgelesen werden (s. Anhang II).

In dem Programm der Tagung heißt es, dass die beteiligten Kirchen sich erhoffen, dass

„... die Aufarbeitung der kolonialen Vergangenheit allen Beteiligten hilft, als Kirche Jesu Christi Vergangenes besser zu verstehen, Schuld zu erkennen, Vergebung zu erbitten und zu gewähren, Wunden zu heilen und als Kirche mit neuer Perspektive die Herausforderungen der Gegenwart anzugehen“.

Wunden heilen – Healing Memories – das ist eine originäre Aufgabe der Kirchen in Europa und weltweit. Ein anderes Beispiel dafür:

3. Beispiel Serbien: Das Versöhnungsprojekt zwischen den Kirchen in Serbien und in Deutschland

In Kapitel III, 7.der Charta Oecumenica heißt es:

Wir verpflichten uns, jedem Versuch zu widerstehen, Religion und Kirche für ethnische oder nationalistische Zwecke zu missbrauchen.

Und in Kapitel III, 8.:

Die Vielfalt der regionalen, nationalen, kulturellen und religiösen Traditionen betrachten wir als Reichtum Europas. Angesichts zahlreicher Konflikte ist es Aufgabe der Kirchen, miteinander den Dienst der Versöhnung auch für Völker und Kulturen wahrzunehmen. Wir wissen, dass der Friede zwischen den Kirchen dafür eine ebenso wichtige Voraussetzung ist.

Wir verpflichten uns, jeder Form von Nationalismus entgegenzutreten, die zur Unterdrückung anderer Völker und nationaler Minderheiten führt und uns für gewaltfreie Lösungen einzusetzen.

In dem Versöhnungsprojekt zur Unterstützung eines friedlichen Aufbaus einer demokratischen Gesellschaft in Serbien kooperiert die Serbisch Orthodoxe Kirche Diözese Mitteleuropa (SOK) in Deutschland federführend mit der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) und den Kirchen in Serbien. In einer jährlichen Tagungsserie seit 1999 werden Erfahrungen mit dem Dialog zwischen Kirche und Staat aus Deutschland nach Serbien weitergegeben. Umgekehrt werden in Deutschland aktuelle Entwicklungen und geschichtliche, religiöse und geistesgeschichtliche Hintergründe dieser konflikt-trächtigen Region gesichtet und gedeutet. Und nicht zuletzt: wir beten miteinander.

Die Reihe der Konsultationen ist aus einem Konflikt der EKD mit der Serbisch-Orthodoxen Kirche im Zusammenhang des Jugoslawien-Krieges entstanden. Die erste Tagung fand 1999 in Loccum statt. Die Tagungen dienen dazu, Gespräche zu ermöglichen über die Lage Serbiens im heutigen Europa und über die Rolle der Kirchen im Prozess der Versöhnung und Stabilisierung der Situation auf dem Balkan. Der Liste der Teilnehmenden enthält führende Persönlichkeiten des kirchlichen, öffentlichen und politischen Lebens, sowie Fachleute aus Kirche und Politik aus Deutschland und Serbien.

Deutlich wurde von Anfang an, dass angesichts der weiterhin gespannten Situation in der Region und der schwierigen Verquickung von Religion bzw. Konfession, Ethnie und Religion ein mühsamer, aber notwendiger Prozess eingeleitet werden musste, in dem sich Vertrauen bilden und das Bewusstseins für eine Kultur des Dialogs erst langsam entstehen konnte. Schnelle Erfolge können immer noch nicht erwartet werden.

Durch verschiedene Initiativen nahm eine Reihe junger Leute an der 7. Tagung im Jahr 2005 in Golubac, Serbien teil. So gab es während dieser Tagung auf dem Podium eine bewegende Begegnung von Opfern beider Seiten des andauernden Kosovokonfliktes. Es wurde möglich, dass junge Menschen aus dem Kosovo – Albaner und Serben - und aus Serbien, einander ihre schweren Erfahrungen und Verletzungen mitteilten und nach einigen Widerständen auch einander zuhörten.

2007 haben wir zu einem Workshop zum Thema "Gewaltfreie Konfliktbewältigung" mit Studierenden aus Belgrad, Pristina und deutschen Universitäten zum Thema "Meine Zukunft - Deine Zukunft - Unsere Zukunft" nach Berlin eingeladen.

Mit dieser Tagung wurde ein Vorschlag junger Teilnehmender auf der Dialogtagung im Vorjahr in Serbien aufgenommen. Der Dialog zwischen den ethnischen Gruppierungen der Serben und Kosovaren ist nach wie vor nicht selbstverständlich. Versöhnung und Frieden kann nur in einem langen Prozess auch durch Aufarbeitung der leidvollen Geschichte der Region erreicht werden. Ein Baustein in diesem Prozess kann die Verständigung unter jungen Eliten sein. Dazu sollte dieser Workshop beitragen. Ziel war es, sich anhand der eigenen Biographien religiöse, politische und ethnische Konflikte behutsam bewusst zu machen und von hier aus gemeinsam nach gewaltfreien Lösungen zu suchen.

Die Methoden des Seminars waren vielfältig: Unter der Leitung von Mediatoren des Ökumenischen Dienstes / Schalomdiakonat, Roswitha und Peter Jarmann, wurde die gewaltfreie Konfliktbewältigung geübt.

Der Experte für die serbische Orthodoxie und Direktor des Ökumenischen Instituts der Universität Münster, Professor Thomas Bremer, sprach mit den Studierenden über Aspekte von Religion, Politik und Kultur in Serbien, mit besonderer Berücksichtigung des Kosovo. Doris Pack, Mitglied des Europäischen Parlamentes aus Saarbrücken und Professorin Christiane Lemke aus Hannover diskutierten mit den Teilnehmenden über die Zukunft der Region im europäischen Kontext. Ein Besuch beim Bevollmächtigten der EKD bei der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Union veranschaulichte die Beziehungen von Kirche und Staat in Deutschland.

Ein Ergebnis des Workshops war ein hoffentlich tragfähiges Netz an - Konfessionen und Ethnien überschreitenden - Freundschaften. Voller Freude haben wir gehört, dass die Teilnehmenden in diesem Sommer im Kosovo selbst einen ähnlichen Workshop organisiert haben.

Für 2008 ist ein Workshop für junge christliche und muslimische Regionslehrerinnen und –lehrer in Serbien geplant. 

6. Vor welchen Anforderungen stehen wir als Kirchen?

Ich nenne zusammenfassend folgende Stichworte:

- die weiterführende vertiefte theologische Arbeit

- die Entwicklung einer ökumenischen Spiritualität

- alles, was zur Vertrauensbildung beiträgt

- die Stärkung der Zusammenarbeit auf europäischer und weltweiter Ebene

- die kompetente Einmischung in die politischen Debatten auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene

- die Wahrnehmung jeder Chance zu konkretem solidarischem Handeln.

Die neue Friedensdenkschrift beginnt mit dem Satz: „Friede ist keine Selbstverständlichkeit. Ihn zu wahren, zu fördern und zu erneuern, ist eine immerwährende Aufgabe.“ Ich füge den Satz hinzu: Gewaltfreiheit ist keine Selbstverständlichkeit. Für sie einzutreten und sie zu verwirklichen und zu konkretisieren, ist eine immerwährende Aufgabe. Zu dieser Aufgabe trägt unsere Konsultation bei. Ich wünsche Ihnen und uns gemeinsam konkrete weiter führende Schritte unter Gottes Segen!