Predigt zum Himmelfahrtstag im Berliner Dom
Prälat Dr. Stephan Reimers
Liebe Gemeinde,
der Predigttext des Himmelfahrtstages steht im Epheserbrief im 1. Kapitel, Vers 20-23:
„Gott hat durch die Macht seiner Stärke Christus von den Toten auferweckt und eingesetzt zu seiner Rechten im Himmel über alle Reiche, Gewalt, Macht, Herrschaft und alles, was sonst einen Namen hat, nicht allein in dieser Welt, sondern auch in der zukünftigen. Und alles hat er unter seine Füße getan und hat ihn gesetzt der Gemeinde zum Haupt über alles, welche sein Leib ist, nämlich die Fülle dessen, der alles in allem erfüllt.“
Liebe Gemeinde,
die Worte des Epheserbriefes sind ein Blick in den Himmel: Am 40. Tag nach Ostern wird Christus zur Rechten Gottes eingesetzt als Herrscher über Himmel und Erde. Die Frauen und Männer, die an Jesus hängen – seine Jünger und Freunde – können das nicht sehen, sondern nur ahnen, was geschieht. Was sie damals erlebten, beschreibt der Evangeliumstext; den wir hörten:
„Er führte sie aber hinaus bis in die Nähe von Bethanien und erhob seine Hände und segnete sie. Und es begab sich, während er sie segnete, entschwand er ihnen und wurde in den Himmel emporgehoben. Und sie warfen sich anbetend vor ihm nieder und kehrten mit großer Freude nach Jerusalem zurück. Und sie waren allezeit im Tempel und priesen Gott.“ (Lk. 50-53).
So wie wir es noch heute – 2000 Jahre später – tun, im Dom zu Berlin.
Liebe Gemeinde,
der 1. Vers unseres Predigttextes erinnert an Ostern. Gott hat Christus von den Toten auferweckt. Mit Ostern beginnt das Neue, das 40 Tage später am Tag der Himmelfahrt zum Ziel kommt: Der Gekreuzigte wird zum Herrscher über die Welt.
Er, der ohne Sünde war und der um unserer Schuld willen das Kreuz aushielt, wird zur Rechten Gottes eingesetzt. Es ist ein Sieg der Gerechtigkeit. Am Himmelfahrtstag feiern wir die Gerechtigkeit Gottes.
Justice, justice, Gerechtigkeit, Gerechtigkeit. Die zornigen Rufe junger Männer habe ich noch in den Ohren. Mit einer kleinen Delegation des Weltkirchenrates besuchte ich im Februar Kenia. Wir waren in das Grenzgebiet zweier Stämme gefahren, in dem viele Angehörige des Volkes der Kikuyu getötet worden waren. Es ist erschütternd in einer verbrannten Schule zu stehen, die halbverkohlten Merkhefte zu Füßen und die angebrannten Reste fröhlicher Kinderzeichnungen an den Wänden. Wir waren dann mit dem Chief und einem Pastoren des Dorfes auf die andere Seite des Tales gefahren - zu den Kalenjin, den Tätern. Die Begegnung war voller Spannung. Wir saßen inmitten von Männern, die wenige Tage vorher Nachbarn getötet hatten. Aus der Sicht der Kalenjin hatten die Opfer selbst Schuld. Denn das Volk der Kikuyus habe ihnen ihr fruchtbares Land geraubt – damals, als die Farmen der Weißen aufgeteilt wurden. Und jetzt wolle Präsident Kibaki, auch ein Kikuyu, ihnen den Wahlsieg stehlen.
Um das immer hitziger werdende Wortgefecht zu beruhigen, ergriff einer der uns begleitenden Polizeioffiziere das Wort. Er forderte seine Landsleute predigtartig auf, doch um Gottes willen auf Jesus Christus zu hören. Über 80 % der Kenianer sind Christen. Dennoch fiel dieser Appell nicht auf fruchtbaren Boden, sondern löste die zornigen Rufe: ‚Justice! Gerechtigkeit!’ aus. Die Protestierer wollten damit sagen: ‚Christus darf nicht dazu benutzt werden, um uns Gerechtigkeit vorzuenthalten.’
Wir können den Streit der jungen Afrikaner nicht entscheiden, aber ganz sicher ist richtig, dass der Ruf nach Jesus Christus nicht gegen den Ruf nach Gerechtigkeit ausgespielt werden darf. Christus und der Ruf nach Gerechtigkeit gehören zusammen. Christus ist Beweis für die Gerechtigkeit Gottes. Das ist die Botschaft von Himmelfahrt.
In Europa wird nicht mehr getötet, um Land zu besitzen. Aber die Frage nach dem gerechten Anteil des Einzelnen an den Gütern der Erde, die Frage nach einem gerechten Lohn beschäftigt uns alle. Durch das frühe Osterfest ergibt es sich in diesem Jahr, dass Himmelfahrt und der Tag der Arbeit auf einen Tag fallen. Diese beiden Feiertage gehören zu verschiedenen Geschichten, aber der Gedanke der Gerechtigkeit ist beiden Traditionen äußerst wichtig.
Anders ist das mit dem Vatertag. Dass er sich am heutigen Festtag verankern konnte, zeigt, dass die Vorstellung von Himmelfahrt als eines wichtigen christlichen Festes schwach geworden ist. Vielleicht ist einer der Gründe dafür, dass der Begriff des Himmels im Zeitalter des Flugzeugs und der Raumfahrt schwerer zu verorten ist als in den Tagen, in denen der Epheserbrief geschrieben wurde. Die Schwierigkeit wurde in der DDR genutzt, um den Himmelfahrtstag als Tag der Astronauten zu verspotten. Im Englischen ist es leichter, den Luftraum über uns als ‚sky’ zu unterscheiden von ‚heaven’, dem Himmel, der die Sphäre Gottes meint.
Karl Barth hat in einer Predigt zum Himmelfahrtstag in der Strafanstalt Basel die Vielschichtigkeit des deutschen Wortes "Himmel" mit folgenden Gedanken angesprochen: "Christus.... ist droben, im Himmel, wir drunten, auf Erden. Wenn wir das Wort "Himmel" hören, dann denken wir wohl alle an das große Blau oder auch Grau über uns mit seinem Sonnenschein, seinen Wolken und seinem Regen, und noch höher: an die unendliche Welt der Gestirn. Wir mögen auch jetzt daran denken. Aber seht, in der Sprache der Bibel ist dieser "Himmel" eigentlich doch nur das Zeichen eines noch viel Höheren. Es gibt eben einen Weltbereich, der droben, über der Erde, über uns Menschen ist, in den wir nicht hineinsehen, den wir nicht begreifen, nicht betreten, geschweige denn beherrschen können, indem er nur eben hoch über uns ist. Der Himmel ist in der Sprache der Bibel der Ort, die Wohnung, der Thron Gottes. Und so ist er das Geheimnis, von dem wir Menschen auf der Erde von allen Seiten umgeben sind."
Liebe Gemeinde,
‚von allen Seiten umgeben’ – das erinnert an Jesus Wort, wie nahe uns das Reich Gottes, ist. Sein ganzes Wirken beginnt er mit diesem Satz: „Tut Buße, denn das Himmelreich ist nahe herbeigekommen (Mt. 4,17).
Aber nicht nur das Reich Gottes ist nahe. Denken wir an Kenia: Über Tausend Tote und 300.000 Vertriebene in wenigen Tagen in einem christlichen Land. Himmel und Hölle sind nahe – um uns und in uns. Wie können wir erkennen, welches Reich wir betreten? Auf diese Frage will eine chassidische Geschichte Antwort geben:
„Ein Rabbi bat Gott einmal darum, den Himmel und die Hölle sehen zu dürfen. Gott erlaubte es ihm und gab ihm den Propheten Elia als Führer mit. Elia führte den Rabbi zuerst in einen großen Raum, in dessen Mitte auf einem Feuer ein Topf mit einem köstlichen Gericht stand. Rundum saßen Leute mit langen Löffeln und schöpften alle aus dem Topf. Aber die Leute sahen blass, mager und elend aus. Es herrschte eisige Stille. Denn die Stiele ihrer Löffel waren so lang, dass sie das herrliche Essen nicht in den Mund bringen konnten.
Als die beiden Besucher wieder draußen waren, fragte der Rabbi den Propheten, welch ein seltsamer Ort das gewesen sei. Es war die Hölle. Darauf führte Elia den Rabbi in einen zweiten Raum, der genauso aussah wie der erste. In der Mitte brannte ein Feuer und kochte ein köstliches Essen. Leute saßen herum mit langen Löffeln in der Hand. Aber sie waren alle gut genährt, gesund und glücklich. Sie unterhielten sich angeregt. Sie versuchten nicht, selbst zu essen, sondern benutzten die langen Löffel, um sich gegenseitig die Leckerbissen zu geben. Dieser Raum war der Himmel."
Liebe Gemeinde,
zwischen Himmel und Hölle ist in dieser Geschichte kein großer Unterschied, zumindest was die Ausstattung angeht. Der Unterschied liegt an den Menschen. Den anderen das Beste zu geben, was man hat und kann. Das bringt uns dem Himmel näher.
Diese Zuwendung Gottes empfängt Christus am Tag der Himmelfahrt:
„Mein Sohn bist du…
Die Völker gebe ich dir zum Erbe
und die Enden der Erde zum Eigentum.“
(Ps. 2,8)
Amen