Bibelarbeit - Es ströme aber das Recht wie Wasser und die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach (Amos 5,24)

Kirchenpräsident Dr. Walter Altmann (Evangelische Kirche Lutherischen Bekenntnisses in Brasilien)

Es gilt das gesprochene Wort.


Liebe Frau Rinke, lieber Bischof Huber, sehr verehrte Synodale, liebe Schwestern und Brüder in Christus! Recht herzlichen Dank für die ehrenvolle Einladung, auf dieser hohen Synode diese Bibelarbeit zu halten. Ich werde mich auf verschiedene biblische Texte beziehen, aber ganz besonders auf Amos 5,24: „Es ströme aber das Recht wie Wasser und die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach.“ Dein Wort, oh Gott, ist meines Fußes Leuchte und ein Licht auf meinem Wege. Amen.

Wasser ist Leben

Wasser ist schon da, als Gott die Welt erschafft – so lesen wir es am Anfang der Bibel (Gen. 1,1). Allerdings sind es zunächst einmal die chaotischen Gewässer, die von Gott geordnet werden, um dann als Regen und Quellen das Land fruchtbar zu machen. Und so ist in der Bibel auch unsere Existenz dadurch charakterisiert, dass sie sich zwischen der Lebensbedrohung und dem gnädigen und vorsorgenden Handeln Gottes befindet. Als wanderndes Gottesvolk können wir auf die Verheißung des ewigen Heils vertrauen.

Auch Jesus gebietet den Wogen, die von den Jüngern als lebensgefährlich empfunden werden, stille zu werden (Mt. 8, 23 – 27). Ja, im Zentrum des Neuen Testaments hören wir, dass Jesus selbst das Wasser des Lebens ist nach dem Johanneischen Zeugnis: „Wer von diesem Wasser trinkt, den wird in Ewigkeit nicht dürsten“. Wasser ist das Zeichen neuen Lebens, das Jesus Christus uns durch den Heiligen Geist in der Taufe schenkt. Und wieder ist am Ende der Bibel im letzten Kapitel der Offenbarung des Johannes die Rede von „Strömen frischen Wassers, die ausgehen vom Thron des Lammes“ (Offb. 22,1, 2).

Dann haben wir Brunnengeschichten – Geschichten von Begegnungen und Konflikten

Wassergeschichten finden sich überall in der Bibel. Mehr als 700-mal wird Wasser in der Bibel erwähnt. Wunderschön sind z. B. die Brunnengeschichten. Viele von ihnen sind Geschichten von Begegnungen und von der Liebe: Am Brunnen wartet Abrahams Knecht auf Rebekka (Gen. 24). Am Brunnen lernen sich Jakob und Rahel kennen (Gen. 29). Am Brunnen trifft Moses auf Zippora (Ex. 2,16ff). Der Brunnen bedeutet Rettung für Hagar (Gen. 16,7ff). Die Samariterin erkennt den Grund des Lebens in dem, der ihr dort an Jakobs Brunnen in Sychar begegnet (Joh. 4).

Brunnengeschichten sind aber auch Geschichten von Konflikten: Lot wählt das wasserreiche Land, als Abraham sich wegen des fortwährenden Streits um Weideland und Wasser von ihm trennt (Gen. 13). Isaak geht durch viele Konflikte mit den Philistern um das Wasser für seine Herden, bis er endlich einen Brunnen graben kann, der seine Herden tränkt – Beerscheba, den Schwurbrunnen (Gen. 26,12ff).

Auch heute – Konflikte um das Wasser bedrohen den Frieden

So wie es damals Konflikte um den Zugang zum Wasser gab, so gibt es auch heute zwischen Israelis und Palästinensern immer wieder Auseinandersetzungen um die knappen Wasserressourcen. Israel beansprucht einen Großteil der Wasserreserven in der Region für seine Landwirtschaft und die Versorgung der Städte.

Vor einigen Jahren, als der Rat des Lutherischen Weltbundes in Bethlehem tagte, hatte ich zum ersten Mal die Gelegenheit, das Heilige Land zu besuchen. Nach der Tagung machten wir eine Busfahrt. Es ging von Jerusalem hinunter nach Jericho und zum Toten Meer, das wir nur aus der Ferne sahen. Dann fuhren wir nach Norden am Jordan entlang, ohne jedoch an den Fluss im Grenzsperrgebiet zu kommen. Ringsum war trockenes Land, dem man nur mit großer Mühe den Ertrag für den Lebensunterhalt abgewinnen kann. Ich erinnerte mich an die biblischen Geschichten und wie kostbar im Land der Bibel das Wasser war und noch heute ist. Schon nahe am See Genezareth, dam Galiläischen Meer, fuhren wir über den Jordan – nur ein dünnes Rinnsal in einem betonierten Kanal. Dann führte man uns vom Ufer des wunderschönen Sees etwas flussabwärts zur „Taufstätte“, wo das Jordanwasser reichlich aufgestaut ist und wo Christen aus der Tradition der Glaubenstaufe das Erlebnis haben können, im selben Fluss wie Jesus getauft zu werden. Für mich war die Verwirtschaftung des knappen Wassers im Heiligen Land schockierend und ein Symbol für den Skandal der ungerechten Verteilung der guten Gaben Gottes.

Frieden braucht Gerechtigkeit

Konflikte um das Wasser bedrohen den Frieden in der Region. Frieden im Mittleren Osten ist in Gefahr nicht nur, weil Wasser knapp ist, sondern auch weil der Zugang zum Wasser nicht gerecht verteilt ist. Wir werden daran erinnert: Wie es keine Gerechtigkeit ohne Frieden gibt, so gibt es auch keinen Frieden ohne Gerechtigkeit –  Gerechtigkeit in allen Bereichen: im sozialen, wirtschaftlichen, juristischen und kulturellen Leben.

Vor diesem Hintergrund spricht der Vers des Propheten Amos, den ich in den Mittelpunkt meiner Bibelarbeit stellen möchte: „Es ströme aber das Recht wie Wasser und die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach“ (Amos 5,24).

Wer ist dieser Amos, von dem es in Amos 1,1 heißt, dass er unter den Schafzüchtern Thekoas war, in der Zeit der Könige Usijas im Südreich Juda und Jerobeam im Nordreich Israel? Und was wissen wir über seine Zeit? Lassen Sie mich ein paar Fakten in Erinnerung rufen:

Nach dem Tod Salomos war das von David und Salomo geschaffene Reich im Jahr 926 in die beiden Kleinstaaten Israel im Norden und Juda im Süden zerfallen. Der Norden lehnte sich gegen das von Salomo auferlegte feudale Abgabensystem auf, das die Stammesgemeinschaften von Juda und Benjamin privilegiert hatte. Damit verlor auch der Tempel in Jerusalem seine einigende Funktion. Je mehr sich die politische Trennung verfestigte, um so mehr gewannen Bethel und Gilgal als Kultstätten im Nordreich an Bedeutung. War Samaria die Hauptstadt und der Sitz des Königs mit einem eigenen königlichen Heiligtum, so waren Bethel und Gilgal doch vom König besonders geförderte Kultstätten mit fest angestellten Propheten.

Sicher scheint zu sein, dass Amos aus Thekoa, einem Ort in Juda stammt. Eigenartig ist es trotzdem, dass ein Mann aus dem Südreich sich dann so sehr im Norden exponiert. Umstritten war lange Zeit die historische Zuordnung. Doch hat sich weithin durchgesetzt, dass Amos wohl zur Zeit Jerobeams (II) des Zweiten (787-747) in der ersten Hälfte des 8. Jahrhunderts vor unserer Zeitrechnung gelebt hat. Unter Jerobeam (II) dem Zweiten erlebte Israel nach schweren Kriegsjahren eine Zeit äußeren Friedens und innerer Stabilität. Doch nur fünfzig Jahre später bricht Israel unter dem Druck der Truppen Assyriens zusammen. Es mag der Schock dieses Ereignisses gewesen sein, dass die Erinnerung an die kritische Stimme des Amos wachgehalten wurde.

Was für die Wohlhabenden und Mächtigen in Israel Jahre des Wohlstands und des Friedens waren, bedeutete für die arme Bevölkerung auf dem Land und in den Städten ein immer schwerer werdendes Joch von Abgaben, Fronarbeit und Verschuldung. Und mit der Spaltung der Gesellschaft in Arm und Reich kommt es zu Bestechung und Rechtsbeugung. Und während auch die Priester und Propheten in den Heiligtümern von Gilgal und Bethel am Wohlstand partizipieren, finden auch bei ihnen die Armen und Bedrängten keinen Schutz mehr.

Es ist dieser Kontext, zu dem der Prophet Amos spricht und in dem er den Wert und die Würde von Gerechtigkeit und Recht einklagt. Wegen seiner Herkunft aus Thekoa, das am Rand der Wüste liegt, weiß Amos, was es bedeutet, wenn die Bäche versiegen. Das Leben verkümmert. Unter solchen Lebensbedingungen ist das frische Wasser ein sprechendes Bild für das Leben in Fülle als Frucht der Gerechtigkeit.

Das wunderbare Bild von der Gerechtigkeit als nie versiegender Bach ist ein Gegenbild zu der Wirklichkeit im Nordreich, wo das Leben verkümmert, weil die lebensspendende Quelle von Recht und Gerechtigkeit auszutrocknen scheint. Im Buch des Propheten Amos steht dieser Satz im Kontext einer Gerichtsankündigung an das Volk. Wer „das Recht in Wermut verkehrt und die Gerechtigkeit zu Boden stößt“ – so Amos 5,7, dem helfen auch die Tempelrituale und Propheten in Bethel und Gilgal nicht (Amos 5,5; 5,21-23). Schneidend ist seine Kritik des Tempelkults und des Luxus der Reichen und Mächtigen auf Kosten der Armen.

Doch Amos ist nicht nur die zerschmetternde Stimme der Kritik. Bei ihm findet sich auch eine leise, deshalb nicht weniger deutliche Stimme der Hoffnung. Amos hat sie vernommen als Wort des Herren: „Suchet mich, so werdet ihr leben“ (Amos 5,4). „Suchet den Herrn, so werdet ihr leben“ (Amos 5,6) – seine Kritik will zur Umkehr rufen, will Menschen, die in ihrer Sorglosigkeit, Gier und Machtbesessenheit den Grund des Lebens zerstören, zurückrufen zu Recht und Gerechtigkeit.

„Suchet das Gute und nicht das Böse, auf dass ihr leben könnt, so wird der Herr, der Gott Zebaoth, bei euch sein, wie ihr rühmt. Hasset das Böse und liebet das Gute, richtet das Recht auf im Tor, vielleicht wird der Herr, der Gott Zebaoth, doch gnädig sein denen, die von Josef übrig bleiben“ – auch das hören wir von Amos (Amos 5, 14.15). Da ist eine leise Stimme der Hoffnung: ulai – vielleicht – vielleicht wird der Herr doch gnädig sein. Sucht das Gute, sucht Recht und Gerechtigkeit.

Motiviert werden diese Sätze des Propheten von der Erinnerung an Gottes Schöpfertaten (Amos 5,8). Gott hat alles gegeben, was wir zum Leben brauchen. Es gibt genug – auch genügend Wasser –, so dass alle leben können, aber das gilt nicht mehr, wenn die Gier von Wenigen das Recht der Gemeinschaft mit Füßen tritt.

 „There is enough for everyone’s need, but not enough for everyone’s greed“, sagte Mahatma Gandhi – „Es gibt genug für die Bedürfnisse aller Menschen, aber nicht genug für ihre Gier.“ Und kein anderer als Martin Luther sagt in seinem Kleinen Katechismus, in der Erklärung zum ersten Artikel des Glaubensbekenntnisses: dass Gott der Schöpfer „mit allem, was not tut für Leib und Leben, mich reichlich und täglich versorgt“. Ich wiederhole: „mit allem, was not tut für Leib und Leben“, aber nicht – so füge ich hinzu – mit allem, was ich für meinen extravaganten Konsum vergeude, und noch viel weniger, was ich für die Anhäufung und die Konzentration von Mitteln begehre. Darum dieser starke Kontrast bei Amos zwischen der Erinnerung an Gottes Schöpfertaten und der Wirklichkeit der Lasten, die den Armen aufgebürdet werden zusammen mit der Beugung des Rechts im Tor (im Gerichtshof), von denen die Verse 11 und 12 im 5. Kapitel des Amosbuches sprechen.

Deshalb ist es kein Zufall, dass das Lob des Rechts und der Gerechtigkeit durch den Propheten in diesem Bild des nie versiegenden Baches kulminiert: Recht und Gerechtigkeit werden als Strom frischen Wassers das Leben wieder möglich machen.
Soziale und ökologische Gerechtigkeit gehören zusammen

Solch enge Verknüpfung zwischen Gerechtigkeit und Gottes Schöpfung gibt es auch in vielen anderen Texten der Bibel. Micha 6,2 (und öfter) wird z. B. die Erde als Zeugin gegen das Volk in Gottes Gericht aufgerufen. Eindrücklich ist die Auseinandersetzung des Propheten Jeremia mit der Dürre im Land im 14. Kapitel des Jeremiabuches. Die Dürre trifft Arm und Reich. Im Weltbild des Propheten ist dies Folge und Konsequenz des gebrochenen Bundes mit Gott.

In dem wissenschaftlichen Weltbild der Moderne beschreiben wir diese Zusammenhänge anders. Doch eins sollte die Debatte um Klimawandel und Entwicklung uns gelehrt haben: Soziale und ökologische Gerechtigkeit gehören untrennbar zusammen. Ein Wirbelsturm und eine Flut können in wenigen Stunden zerstören, was in Jahren der Entwicklungszusammenarbeit aufgebaut wurde.

Die Auswirkungen des Klimawandels auf die Biosphäre und die Landwirtschaft werden von ernstzunehmenden Wissenschaftlern weit höher beziffert als die Kosten der Finanzkrise. Um der Finanzkrise zu begegnen, sind im Nu Gelder in Höhe von Billionen Dollar, wenn man mitrechnet, was auch die Entwicklungsländer weltweit in dieser Situation aufbringen, flüssig gemacht worden, angeblich zu Recht und notwendigerweise. Es muss aber wohl einen heiligen Zorn bei uns erwecken, wenn Gelder, die als Antwort auf die ökologische Herausforderung und zur Bekämpfung der Armut auf der Welt nur so zögernd und äußerst knapp zur Verfügung gestellt werden, so knapp, dass sie in keinem Verhältnis stehen zum ungehemmten und unbesteuerten Kapitalfluss der internationalen Finanzspekulation, unter der die ganze Menschheit in den letzten Jahren so schmerzhaft gelitten hat. Leider ist die Gefahr real, dass die Auswirkungen von Finanzkrise und Rezession dazu führen, dass die Herausforderungen des Klimawandels und der zu erwartenden Konflikte um das Wasser sich nur noch weiter unten auf der Prioritätenskala finden werden. Damit können wir uns als Kirche nicht abfinden; im Gegenteil, diese Gefahr muss doch unsere Stimme laut werden lassen.

Die harsche Kritik und auch die leise Stimme der Hoffnung des Propheten Amos sprechen zu uns in diesen Tagen, in denen die Zeitungen voll sind von Nachrichten der Finanzkrise, der Rezession, des in den vergangenen Jahren skandalös weiter gewachsenen Abstands zwischen Arm und Reich, in der die Gier nicht nur die menschliche Gemeinschaft, sondern – wie die Diskussion um den Klimawandel uns lehrt – die Gemeinschaft allen Lebens bedroht.
Wer das Leben will, für Menschen und Mitwelt, muss Recht und Gerechtigkeit ganz oben auf der Skala der Werte in Gemeinschaft und Gesellschaft halten.

Ströme lebendigen Wassers

Das gilt auch für das Wasser. Es gibt viel Wasser auf der Erde, dem blauen Planeten. Aber nur sehr wenig davon ist trinkbar. Im Bild gesprochen ist nur ein Löffel einer Badewanne voll Wasser tatsächlich trinkbares Frischwasser. Gerade deshalb ist es so wichtig, dass Wasser nicht einfach zur Ware wird. Wasser ist ein kostbares und lebensnotwendiges Gut, das es für alle zu bewahren und gerecht zu teilen gilt. [H2O ist eine der besten Gaben Gottes, so wesentlich für das Leben, dass eine der ersten Fragen bei der Erforschung anderer Planeten die Frage ist, ob es dort Wasser gibt.]

Nochmals eine persönliche Erfahrung: Ich wohne in der Stadt São Leopoldo, die in Brasilien als Wiege der deutschen Einwanderung gilt, aus der auch unsere Evangelische Kirche Lutherischen Bekenntnisses in Brasilien hervorgegangen ist und wo sich auch unsere theologische Ausbildungsstätte und andere für unsere Kirche wichtige Institutionen befinden. Dort habe ich auch die ersten Jahre meiner Kindheit verbracht. Zu meinen schönsten Erinnerungen gehört, dass ich im Sommer mit meinem Vater zum Fischen und Baden an den Rio dos Sinos gehen konnte. Das ist heute unvorstellbar. Das Wasser, das über 100 km weiter oben sauber und kristallklar aus dem Gebirge quillt, wird in seinem unteren Lauf durch Reisfelder und durch mehrere Städte mit Dünger und Pflanzenschutzgiften, mit übel riechenden Abwässern und Chemikalien aus der Schuh- und Lederindustrie schwer verseucht. So ereignete sich auf der ehemaligen Transport- und Lebensader des Rio dos Sinos im Oktober 2006, unterhalb von São Leopoldo, das größte in unserem Staat bekannt gewordene Fischsterben infolge von giftigen Industrieabwässern: 86 Tonnen toter Fische mussten mit Netzen an Land gezogen und eingebaggert werden. Trotz mancher Bemühungen seitens der Regierung und vor allem der Zivilgesellschaft, um den Fluss zu schützen, konnte ich als Vater überhaupt nicht daran denken, jene Szene aus meiner Kindheit mit meinen Töchtern zu wiederholen, und werde auch als Rentner in absehbarer Zeit nicht davon träumen können, mit meinen Enkeln an den Fluss zu gehen. Werden sie jemals mit ihren Kindern und Enkeln sich an sauberen Wasserströmen freuen können?

Es hat sich mittlerweile herumgesprochen, dass Wasser überhaupt ein strategisches Gut geworden ist – wichtiger noch als das Öl. Peter Brabeck, der CEO der Schweizer Firma Nestle, sagte in der Presse: Die Knappheit des Öls ist ein großes Problem. Aber Energie lässt sich durch andere Energie substituieren. Wasser dagegen kann niemals ersetzt werden. Darum beobachten wir auch, dass es in vielen Städten der Erde Versuche gibt, mit dem Wasser Profite zu machen, die ganz eindeutig zu Lasten der Armen gehen.

Als ich am Anfang dieser Bibelarbeit von den Brunnengeschichten der Bibel redete, sagte ich: Wasser schafft Beziehungen, aber Wasser kann auch die Ursache bitterer Konflikte sein. Meine Geschichte von meiner Reise in den Mittleren Osten illustrierte diesen Zusammenhang am Beispiel Israels und Palästinas. Ich hätte auch von meinem Heimatland Brasilien reden können. Brasilien hat mit dem Amazonasbecken und dem weltgrößten Guarani-Grundwasserreservoir einen enormen Anteil (ca. 12 %) an den Frischwasserreserven der Erde. Wir möchten nicht, dass dieses Wasser uns in Konflikte und vielleicht sogar Kriege führt. Wenn aber das Wasser zu einem Problem wird, wie kann man vorsorgen, dass die letzten Vorräte nicht in Besitz genommen werden von denjenigen Nationen, die die finanzielle und die militärische Macht haben, den übrigen Ländern ihren Willen aufzuzwingen?
 
Hören wir auch unter uns eine leise Stimme der Hoffnung? „Sucht Gerechtigkeit im Umgang mit dem Wasser, und das Leben wird blühen und der Frieden unter euch wachsen.“ Hören wir sie? Und sind wir bereit entsprechend zu handeln?

Wenn der Prophet Amos sagte: „Es ströme aber das Recht wie Wasser und die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach“ (5,24), dann mag vor seinen Augen auch das Bild der Paradiesströme gestanden haben, von denen die zweite Schöpfungsgeschichte im 1.Buch Mose (Gen 2,10-14) spricht. Dieses Bild wird am Ende der Bibel im letzten Kapitel der Offenbarung des Johannes wieder aufgenommen: Keine Bedrohung mehr durch chaotische Gewässer; auch die Verseuchung des guten Wassers durch menschliches Handeln ist vorbei; nur noch die erfüllte Verheißung Gottes! So lesen wir in den ersten beiden Versen des 22. Kapitels der Offenbarung des Johannes:
„Und er zeigte mir einen Strom lebendigen Wassers, klar wie Kristall, der ausgeht von dem Thron Gottes und des Lammes; mitten auf dem Platz und auf beiden Seiten des Stromes Bäume des Lebens, die tragen zwölfmal Früchte, jeden Monat bringen sie ihre Frucht, und die Blätter der Bäume dienen zur Heilung der Völker“ (Offb 22,1.2).

Wer von Ihnen schon einmal das Ökumenische Zentrum in Genf besucht hat, wird dort im Konferenzsaal den großen Wandteppich gesehen haben, der sich auf diese Vision aus dem letzten Kapitel der Offenbarung des Johannes bezieht. Vom auferstandenen Christus fließt der Strom lebendigen Wassers zu allen Völkern der Erde. „Ina pantes hen osin“ – damit sie alle eins seien (Joh 17,21) ist dort in griechischer Sprache geschrieben.

Die Kirchen in Brasilien und in der Schweiz haben schon im April 2005 eine gemeinsame ökumenische Erklärung zum Wasser verfasst. Diese Erklärung inspirierte die Wasserdeklaration der Vollversammlung des ÖRK im Jahr 2006 in Porto Alegre, dem Sitz unserer Kirche. Der Text wurde in dem Arbeitsbuch auch abgedruckt. Mit unseren Bemühungen zur ökumenischen Zusammenarbeit über die Grenzen von Nationen und Kontinenten hinweg möchten wir zur Schaffung von Gerechtigkeit und Frieden beitragen.

Ich freue mich, dass wir in ökumenischer Verbundenheit in solcher Zusammenarbeit auch mit der EKD rechnen können. Recht herzlichen Dank!