Morgenandacht
Dr. Beate Scheffler
Es gilt das gesprochene Wort.
„Wir können’s ja nicht lassen, von dem zu reden, was wir gesehen und gehört haben.“
Liebe Schwestern und Brüder,
das ist der Monatsspruch für den Monat Mai. Wir finden ihn in Apostelgeschichte Kapitel 4 Vers 20.
Nach Christi Himmelfahrt und Pfingsten bleibt die Gemeinde der ersten Christen zusammen. Es wird uns berichtet, dass sie „beständig in der Lehre der Apostel und in der Gemeinschaft und im Brotbrechen und im Gebet“ bleiben. (Apg. 3,42) Täglich wächst die Gemeinde, teilweise um mehrere tausend Menschen pro Tag. Ein beneidenswert zügiger Gemeindeaufbau!
Zur ersten Gemeinde gehören selbstverständlich auch Petrus und Johannes, die Jünger Jesu. Für sie bleibt es nicht beim Reden und Erzählen dessen, was sie von Jesus gehört und mit ihm erlebt haben.
Sie führen auch Jesu Taten fort und heilen in seinem Namen einen Gelähmten, der vor dem Tempel um Almosen bettelt. Das bleibt selbstverständlich nicht verborgen und zieht den Zorn der hohen Geistlichkeit auf sich. Aber obwohl die beiden Jünger „ungelehrte und einfache Leute“ sind, machen sie offensichtlich Eindruck auf die Hohenpriester. Petrus und Johannes lassen sich nicht mundtot machen und wollen nicht darauf verzichten, von Jesus und seinen Taten zu erzählen. Ihre Antwort auf das angedrohte Lehrverbot lautet: „Wir können’s ja nicht lassen, von dem zu reden, was wir gesehen und gehört haben.“
Schließlich findet der Hohe Rat nichts, was Strafe verdient hätte und lässt die beiden frei.
Liebe Schwestern und Brüder:
„Wir können’s ja nicht lassen, von dem zu reden, was wir gesehen und gehört haben.“
Das ist doch eigentlich ein tolles Leitmotto für eine Synode! Denn was könnte auf einer Synode Passenderes geschehen, als dass wir davon reden, was wir von Jesus Christus wissen und was er für uns bedeutet?!
Aber wer genauer hinhört und auf den Ablaufplan sieht, wird schnell merken, dass es schon mit dem „Wir“ auf dieser Synode schwierig ist. Noch nie ist ja auf einer EKD-Synode so deutlich geworden, dass der Protestantismus in Deutschland nicht so einheitlich ist, wie manch Gemeindeglied vermutet. Wir sind eben nicht einfach evangelisch!
Die kirchlichen Insider sind alle sehr froh und dankbar, dass es gelungen ist, mit dem Verbindungsmodell die Konfessionsbünde in der EKD einander stärker anzunähern und in der EKD-Synode deren Synodale sogar zeitweise zusammenzuführen. Der Rat der EKD hat viele Male intensiv über den besten Weg beraten, diesen Prozess zu gestalten und auch die Struktur des Kirchenamtes daran ausgerichtet. Wir sind alle sehr zufrieden, dass das so gut gelungen ist.
Aber für die Beobachter von außen - z. B. für unsere Begleiter aus den Medien - wird eben jetzt erst besonders deutlich, dass wir mindestens zwei, eigentlich drei Konfessionen unter dem Dach der EKD vereinen. Es scheint ja so, dass wir erst das Leid des Trennenden ertragen müssen, um später die Lust des Gemeinsamen genießen zu können.
Und mit VELKD und UEK hört das Trennende zwischen uns ja nicht auf: Jede und jeder Synodale hat mit der Einladung zur Synode auch die Einladung zu einer der drei synodalen Arbeitsgruppen erhalten. Da sollte man sich also entscheiden, ob man lieber zur Offenen Kirche, zum Gesprächskreis oder zur Lebendigen Kirche gehören möchte.
Bei vielen Sachentscheidungen, aber auch im Vorfeld von Wahlen ist die Zugehörigkeit zu einer Gruppe nicht unerheblich, da die Gruppen durch verabredetes Wahlverhalten Stimm-blöcke bilden und die Chance gewählt zu werden erhöhen und vermindern können.
Auch 20 Jahre nach der Synode in Bad Krotzingen gibt es immer noch das Frauentreffen, das sich leider nicht durch die Faktenlage erledigt hat! Wir haben die damals gesetzten Ziele längst nicht in allen Gremien und auf allen Ebenen erreicht. Nicht nur im Rat, sondern auch auf EKD-Synoden bleibt das Thema der gleichberechtigten Teilhabe von Männern und Frauen auf der Tagesordnung. - Und das betrifft nicht nur das zahlenmäßige Verhältnis!
Nicht zuletzt unterscheiden wir zwischen Kirchenkonferenz und Rat, ordinierten und bei Kirche beschäftigen Synodalen und so genannten echten Laien. Und last but not least gibt es noch die Jugenddelegierten, die gerne auch ihre eigene Position in die Debatten einbringen.
Differenz pur und Vielfalt reichlich! Und doch gibt es ein „Wir“ auf der Synode. Die Freude, einander wiederzusehen, gilt über die Konfessionsgrenzen hinweg. Und normalerweise ist dieses Wir auch in unseren Gottesdiensten gut zu spüren.
Bei den EKD-Synoden werden die Entscheidungen normalerweise in großem Konsens getroffen, auch wenn die Debatten vorher sehr kontrovers waren. Mein Eindruck ist: Gerade die gemeinsame Suche nach einem Konsens stärkt unser „Wir“. Hohle Kompromisse schwächen, echte Konsense machen uns stark und geben der Stimme des Protestantismus in Deutschland Gewicht.
„Wir können’s ja nicht lassen, von dem zu reden, was wir gesehen und gehört haben.“
„Wes das Herz voll ist, dem geht der Mund über.“ So lautet ein neutestamentlicher Vers, der zum Sprichwort geworden ist. Was uns tief bewegt, unsere Gefühle in Beschlag nimmt, darüber wollen, darüber müssen wir reden.
Was ist es denn auf dieser Synode, liebe Schwestern und Brüder, von dem wir reden?
Dieses Mal stehen Wahlen zum Präsidium an. Wir werden also über Menschen reden, darüber ob sie uns geeignet erscheinen für diese verantwortungsvolle Aufgabe. Erfahrungs-gemäß sind Gespräche über Personen immer besonders emotional. Von wem möchte ich mich repräsentiert sehen? Wer soll in der Öffentlichkeit als Präses der Synode verdeutlichen, dass unsere Kirche nicht nur von Bischöfen geleitet wird?
Und wovon haben wir in den vergangenen Jahren im Rat geredet? Wir haben Gremien und Kommissionen besetzt; Strukturentscheidungen getroffen, Texte verabschiedet und die Stimme der EKD in vielen gesellschaftspolitischen Bereichen erhoben: zu Fragen der Bildungsgerechtigkeit, zur Bedeutung der Familie, zum Verhältnis von Staat und Kirche, zur kritischen Sicht auf die Gentechnik um nur einiges zu nennen.
Wir haben im Rat über die mittelfristige Haushaltsplanung geredet, die für manche Einrichtung in unserer Kirche auch bittere Entscheidungen brachte.
Und nicht zuletzt haben wir über notwendige Reformen gesprochen und darüber, wie wir den Reformprozess gemeinsam mit den Landeskirchen und vielen Akteuren gestalten können.
Dies alles geschah, weil wir als Rat den Auftrag sehen, die Zukunft unserer Kirche offen zu halten. Weil es uns ein inneres Bedürfnis ist, an der Kirche Jesu Christi weiter zu bauen und sie so zu gestalten, dass Menschen sich von Gott hinzufügen lassen.
Bei all unserem Reden muss deutlich sein, wessen Botschaft uns bewegt und zum Handeln antreibt. Das gilt gleichermaßen für diejenigen von uns, die in weltlicher Verantwortung beruflich tätig sind wie für Bischöfinnen, Pfarrer und alle anderen Mitarbeiter im Kirchendienst.
Dabei will ich gar nicht verschweigen, dass es für mich in den letzten Jahren nicht immer leicht war, Beruf, Familie und kirchliches Ehrenamt miteinander zu verbinden. Wir haben den hohen Anspruch, dass die so genannten Laien gleichberechtigt mit den Bischöfen und Oberkirchenräten unsere Kirche leiten. Meine Erfahrung ist, dass es trotz allem guten Willen nicht immer gelingt, wirklich Chancengleichheit herzustellen. Und vielleicht ist das auch gar nicht möglich, wenn ich an den Informationsaustausch und den Erfahrungsvorsprung derjenigen denke, die täglich in beruflichen Zusammenhängen miteinander zu tun haben. So treffen immer wieder verschiedene Welten aufeinander, wenn wir Laien sozusagen von außen in die kirchlichen Gremien eintauchen.
Gleichzeitig haben wir den Auftrag und verspüren den Wunsch, in unserer beruflichen Umgebung, in Familie und Freundeskreis von dem zu reden, was uns als Christen bewegt. Wir können’s und sollten’s nicht lassen, Zeugnis in der Welt abzulegen: im Betrieb, im Krankenhaus, im Ministerium. So zu reden und zu handeln, dass ich als Christin erkennbar bin - auch das ist mein Auftrag, den ich hinter dem Wort von Petrus und Johannes sehe.
„Wir können’s ja nicht lassen, von dem zu reden, was wir gesehen und gehört haben.“
Anders als Petrus und Johannes sind wir keine unmittelbaren Zeugen des Redens und Han-delns Jesu. Und doch können wir reden von der Liebe Jesu Christi zu den Menschen, von seinem Sieg über den Tod, die uns gerade an Ostern wieder besonders in Erinnerung gerufen wurden.
Wir können und sollen reden von der Gerechtigkeit und was sie heute bedeutet. Wir ergreifen Partei wie er für diejenigen, die in unserer Gesellschaft und in der Welt nicht zu den Starken gehören - weil Jesus dies vorgelebt hat. Wir suchen nach Lösungen für das friedliche Zusammenleben der Völker und streben nach der Einheit der Kirche Jesu Christi.
Wenn wir beim Abendmahl die Gegenwart Jesu erfahren, können wir spüren, was Petrus und Johannes unmittelbar erlebt haben.
Also ein gutes Motto für diese Synode: „Wir können’s ja nicht lassen, von dem zu reden, was wir gesehen und gehört haben.“ Amen