"Abschiedshorn meets Waldhorn". Ein Beitrag zur Verabschiedung des Präsidenten des Kirchenamtes der EKD Dr. Hermann Barth

Klaus Winterhoff, Mitglied des Rates der EKD und der Kirchenkonferenz

Herr Ratsvorsitzender,
Frau Präses,
verehrte Festversammlung!

Das Kirchenamt war so freundlich, bei mir eine Danksagung an Hermann Barth zu bestellen. Dem Auftrag komme ich gerne und mit größtem Vergnügen nach. Ich wähle dazu die Überschrift "Abschiedshorn meets Waldhorn", wende mich dem Adressaten zu und sage:

Lieber Herr Barth!

Christus ist das Haupt der Kirche. Gleichwohl braucht die Kirche noch Köpfe in der Welt. Cooperatores mit Köpfchen. Geistvolle Köpfe. Eigene Köpfe im kirchenleitenden Amt.

Seit dem 30. November, 24.00 Uhr, ist die EKD einen Kopf kürzer. Sie ist zwar nicht kopflos, aber sie ist einen Kopf los. Sie hat den theologischen Präsidenten des Kirchenamtes verloren.

Und nun tutet ein Jurist ins Abschiedshorn. Bläst gleichsam das große dienstliche Halali. Heikel! Missklangmöglichkeiten in Hülle und Fülle. Auswechslung eines theologischen Präsidenten – Einwechslung eines juristischen Präsidenten. Wer gewinnt denn da? Gesetz oder Evangelium? Hinter jeder Biegung Bekenntnisfragen. Und das beim Abschied eines Pfälzer Theologen. Ausgerechnet!

Um also keine Misstöne zu produzieren, habe ich mich auf einen Aspekt verlegt, der mir bislang zu kurz gekommen scheint, völlig unverdächtig ist und doch so manches an der kirchlichen Führungsfigur Hermann Barth erklärt: Der Mann bläst Horn! Fachrichtung Wald. Schon immer. Schon im letzten Jahrhundert in Kerzenheim bei Kerzenschimmer. Als der Präsident dort Pfarrer war. Der örtliche Musikverein hatte 1824 folgende Grundausstattung: "a) Zwey Inventionshörner b) Ein Posthorn c) Ein Contrabaß." Kein Waldhorn. Hermann Barth spielte damals noch nicht mit. Er hat das alles aber herausgefunden und einen hinreißenden Festschriftenbeitrag darüber verfasst (Homepage MGV 1883 Kerzenheim e.V. – Geschichte –).

Hermann Barth bläst Horn. Die Korrelation dieser Profession zu seinem kirchenleitenden Handeln habe ich in vier Thesen zusammengefasst. Sie sind beileibe nicht als abschließend anzusehen. Die Zahl vier sowie die Kürze der einschlägigen Ausführungen sind vielmehr der begrenzten Zeit geschuldet. Dass ich mich dabei auf eine sehr eklektizistische Weise des Buches Jesus Sirach und der Sprüche Salomonis bediene, möge Hermann Barth mir verzeihen. Schließlich hat er in seinem jüngsten Buch "Freude verlängert Leben" bemerkt, dass "es eher einen Missbrauch des Buches Jesus Sirach darstellt, es als Reservoir für Scherze und lustige Nebenbemerkungen namentlich in Grußworten herhalten zu lassen." Und er fährt fort: "Nichts gegen ein witziges Grußwort, aber wenn man sich des Buches Jesus Sirach bedient, dann hängt man die Messlatte hoch" (Hermann Barth, Freude verlängert Leben, Frankfurt 2010, S. 19 f.).

Mit der Bitte, die Messlatte nicht gar so hoch zu hängen, komme ich zur 1. These: 
 
1. These
Der Ansatz bestimmt den Erfolg des Einsatzes.

Ach was hat man sich nicht schon alles anhören müssen! Bei wie vielen wackeligen Freischütz-Ouvertüren wähnte man schon im deutschen Wald inmitten der Wolfsschlucht zu stehen und litt bittere Qualen. Verblasen und vertan! Geräuschvoller Auftritt bei teurem Eintritt.
Der Barthsche Ansatz findet sich bei Jesus Sirach, den er besonders liebt: "Die Furcht des Herrn ist der Weisheit Anfang. Diese Weisheit macht die Leute verständig und klug; und wer an ihr festhält, dem gibt sie hohe Ehren" (Jesus Sirach 1, 16/24).

So wird man dann – natürlich ohn eigen Verdienst und Würdigkeit (was besonders zu betonen in kirchlichen Versammlungen immer gut verfängt) völlig zu Recht Präsident des Kirchenamtes. "Völlig zu Recht" – aus eines Juristen Munde hören Sie eine solche Aussage fast nie. Im Zusammenhang mit Hermann Barth ist sie allerdings angebracht.

Von hier aus ist es nicht weit zur 2. These:

2. These
Die Kenntnis der Partitur ist hilfreich.

Vor Jahren in Gelsenkirchen im Musiktheater im Revier. Puccini, Tosca. In der Halbzeitpause stehe ich vor dem Besetzungszettel im Foyer. Sagt eine ältere Frau zu dem jungen Rote-Kreuz-Mann neben ihr: "Du, Tosca heißt das Stück heute Abend!" Fehlte nur noch, dass sie hinzugefügt hätte: "Wie 4711"!

Hermann Barth hat immer gewusst wo und was gespielt wird. Und wie man am besten mitspielt zur Ehre Gottes und zu Nutz und Frommen der Menschen. Ob er mit seinem Horn in der Allianz-Gebetswoche auftauchte und den Gemeindegesang unterstützte, mit intellektueller Brillanz im nationalen Ethik-Rat argumentierte, im Fernsehrat des ZDF die Stimme der Kirche intonierte oder ob er im Rat, in der Kirchenkonferenz und im Kirchenamt im Quodlibet der Stimmen, die des öfteren die Grenzen der Tonalität zu sprengen drohten, den cantus firmus identifizierte.

Kenntnis der Situation gepaart mit Kenntnis der Heiligen Schrift führt zu klugem Rat zur rechten Zeit und das ziert einen Präsidenten. Wie formuliert Jesus Sirach: "Ein verständiger Mann vertraut dem Gesetz, und das Gesetz gibt ihm zuverlässige Weisung" (Jesus Sirach 33,3).

Ich komme zur dritten These:

3. These
Laut ist leicht, im piano aber zeigt sich der Meister.

Wer des öfteren dem Wüten von Posaunenchören ausgesetzt ist, weiß wovon ich rede. Wie oft wird da wacker ins Horn gestoßen. Markerschütternd. Ohrenbetäubend. Wirkung ohne Ursache (R. Wagner über G. Meyerbeer). Nun mag das zwar bei gewissen Veranstaltungen gelegentlich durchaus erwünscht sein, um der Kontemplation der Kerngemeinde, vulgo dem Kirchenschlaf, ein Ende zu bereiten – aber: Kunst kommt anders daher.

Mit einer lauten Stimme im Halse sei man unfähig, feinere Sachen zu denken, lautet ein Diktum Friedrich Nietzsches. Wundert es, dass ungebremstes Fortissimo und unausgesetztes cantare con forza des Präsidenten Neigungen nicht waren? Differenzierung und Hang zu leisen Tönen – obschon ungleich schwieriger – waren seine Sache. Kunst kommt von Können. Hermann Barth, der Meister der leisen Töne, der Zwischentöne und des differenzierten Urteils.
 
Wohl wissend, "Es ist gefährlich, wenn ein Schwätzer regiert, und wer redet bevor er denkt, der erntet Hass" (Jesus Sirach 9,25); befolgte er stets den Rat, "Du sollst nicht urteilen, ehe du die Sache geklärt hast, und laß die Leute erst ausreden" (Jesus Sirach 11,8); denn "Einen weisen Präsidenten ehrt weise Rede (nach Jesus Sirach 9,24) In Summa: "Ein Vernünftiger mäßigt seine Rede, und ein verständiger Mann wird nicht hitzig" (Sprüche 17,27).

Und ich füge ein noch unentdecktes Luther-Zitat hinzu. Aus den Tischreden zur Predigtkultur. Weswegen die EKD nach 500 Jahren in Wittenberg endlich ein entsprechendes Zentrum errichtet hat. Es lautet:  "Besser Blech blasen als Blech reden."

Preis dem, der das erste immer getan und das zweite stets gelassen hat – Hermann Barth! Ich schreite flugs fort zur vierten These:

4. These
Ein Orchester ist mehr als die Summe seiner Solisten.

Besonders für evangelische Orchester verdient dieser Satz immer wieder in Erinnerung gerufen zu werden. 22 Landeskirchen, 22 leitende Geistliche, 22 leitende Juristen, ungezählte Oberkirchenräte, Präsides, große und kleine Propheten ...

Tonangebend soll keiner sein, wir haben keinen Papst! Doch wird der rechte Ton gesucht. Wo evangelisch drauf steht, soll auch evangelisch drin sein. Klangvolle Mehrstimmigkeit in der Gemeinschaft der EKD. Orchestererziehung ist angesagt. Vielfalt darf nicht aus Einfalt folgen.

Hermann Barths Partitur vermerkt: Das Gemeinsame ist zu stärken. Die EKD kann den Wandel nicht selbst gestalten. Originalton Hermann Barth: "Sie muss den mühsamen und langsamen Weg eines "government by discussion” gehen, auf Überzeugung und nicht auf Kommando setzen und der Vorbildwirkung und Attraktivität von "good-practice"-Beispielen trauen" (Hermann Barth: "Von falschen Alternativen, Risikovermeidung und anderen Gefahren für eine Kirche im Wandel", in: Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche, Band 44, S. 29 ff. (31)).

"Government by discussion" – Orchestererziehung nach Hermann Barth. Ein großes Werk, es möge seinen Meister loben. Der hat schon immer gewusst: "Besprich dich mit den Verständigen" (Jesus Sirach 9,22), denn "Pläne werden zunichte, wo man nicht miteinander berät; wo aber viele Ratgeber sind, gelingen sie" (Sprüche 15,22).

Und wenn das evangelische Orchester dabei auf den Kammerton der Rechtfertigung des Sünders allein aus Gnaden gestimmt bliebe – Hermann Barth hätte seine helle Freude daran und würde, obschon ein Meister des leisen Töne, so kräftig ins Horn stoßen, dass die Wände wackeln. Wie weiland in Jericho. Aber das waren ja Posaunen.

Das ist die Überleitung zum neuen Präsidenten. Der bläst auch Blech. Aber auch keine Posaune. Wände werden damit im Kirchenamt auch zukünftig nicht wackeln und der Schall der letzten Posaune wird nicht so bald ertönen. Der Neue bläst Trompete. Damit kann er im Kirchenamt zum Wecken blasen. Oder zur Attacke. Je nachdem. Wir werden von ihm hören.

Ich komme zum Schluss. Diese Wendung stellt regelmäßig den Auftakt zu einem da capo al fine dar. Das lasse ich aber bleiben. Statt dessen zeichne ich mich von allen Blechschäden frei und überreiche dem verabschiedeten Präsidenten und dem neuen Präsidenten eine CD mit Blasmusik. Der neue Vizepräsident, obschon kein Bläser, kriegt die CD auch. Humoris causa, damit er nicht zu kurz kommt und fortan Trübsal bläst. Das gilt analog auch für den neuen Leiter der Rechtsabteilung.

Es musiziert die Formation "Blechschaden". Das sind Mitglieder der Münchener Philharmoniker unter Leitung von Bob Ross, einem etwas kurz gewachsenen schottischen Hornisten mit bayrischem Akzent. Zur Ausrüstung gehören zuweilen auch mehrere Gartenschläuche und ein Dudelsack. Hermann Barth kann die CD bei seinem nächsten Schottland-Urlaub mitnehmen und am Gestade des Loch Ness Highland Cathedral ertönen lassen. Wenn er keine Lust mehr zum Dudelsack-Üben hat. Vielleicht kommt dann ein freundliches musikalisches Ungeheuer, hört zu und wird gebändigt. Bei dem Hornisten Hermann Barth und seinen Erfahrungen in der EKD kann man nichts ausschließen ...

Mir bleibt der Satz: "Lieber Hermann Barth, das Orchester dankt!"