"Leitlinien für eine multifunktionale und nachhaltige Landwirtschaft - Zur Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) der Europäischen Union"

Grußwort

Sehr geehrte Damen und Herren,

als Bevollmächtigter des Rates der EKD bei der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Union begrüße ich Sie herzlich hier in unseren Brüsseler Räumen zu dieser Veranstaltung über Landwirtschaft und Agrarpolitik. Ich begrüße Sie auch als Vorsitzender der Evangelischen Zentralstelle für Entwicklungshilfe (EZE), die für den Evangelischen Entwicklungsdienst die Bundesmittel in Empfang nimmt. Und ich begrüße Sie als evangelischer Vorsitzender der Gemeinsamen Konferenz Kirche und Entwicklung (GKKE). Als GKKE bringen wir im Verbund mit unseren katholischen Geschwistern Fragen der Einen Welt und der Entwicklungspolitik in den Dialog mit Politik und Verbänden ein. Das Thema der Kohärenz ist uns dabei besonders wichtig. Ich werde darauf noch zurückkommen.

Anlass für die heutige Veranstaltung ist die Veröffentlichung einer Stellungnahme der Kammer der EKD für nachhaltige Entwicklung zu der anstehenden Agrarreform der EU. Über diesen Text möchten wir mit Ihnen ins Gespräch kommen.

Die EKD hat sich in der Vergangenheit mehrmals zu Aspekten der Agrarpolitik geäußert.

• So haben wir mehrere Denkschriften zum Thema herausgegeben; die letzte stammt aus dem Jahr 2000 und beschäftigte sich mit „Ernährungssicherung und nachhaltiger Landwirtschaft“.

• Darüber hinaus hat die EKD Diskussionsbeiträge veröffentlicht, wie z.B. die gemeinsame Erklärung mit der Deutschen Bischofskonferenz von 2003 über das Thema „Neuorientierung für eine nachhaltige Landwirtschaft“,

• Schließlich gab es auch Stellungnahmen der EKD zu verwandten Themen, wie etwa zu „Ernährungssicherung vor Energieerzeugung - Kriterien für die nachhaltige Nutzung von Biomasse“ aus dem Jahr 2008.

Die Reform der EU-Agrarpolitik ist keine Frage einer landwirtschaftlichen Sektoralpolitik, sondern geht jeden einzelnen Bürger an. Wir alle sind Konsumenten und Käufer von Nahrungsmitteln. Wir legen großen Wert auf Qualität und Sicherheit der Ernährung. Ob die Nutztiere, die wir verzehren, in der Aufzucht und Mast leiden, berührt uns. Ob die Lebensqualität in dünn besiedelten ländlichen Räumen gehalten werden kann, ist für die Dorfgemeinde von unmittelbarer Bedeutung. Wir erfreuen uns an der Landschaft, die in weiten Teilen durch die Arbeit der Landwirte geprägt wird. Ob die Agrarpolitik die in der Landwirtschaft Tätigen in einen harten Existenzkampf treibt, oder Rahmenbedingungen für eine auskömmliche Existenz gestaltet, ist eine Frage der gesellschaftlichen Solidarität.

Wir müssen fragen: Wem dienen die staatlich verausgabten Mittel von 55 Mrd. Euro durch die EU? Dazu kommen noch 5 Mrd. des bundesdeutschen Agraretats, die Landesagrarbudgets und die Zuschüsse, die viele Kommunen der örtlichen Landwirtschaft aus Umwelt- und Landschaftsschutzgründen zukommen lassen. Das ist nicht nur eine Frage der richtigen Ziele und ob die Instrumente, die gewählt worden sind, einer effektiven Zielerreichung entsprechen. Es ist auch eine Gerechtigkeitsfrage, ob der Staat haushälterisch mit den ihm durch den Steuerzahler anvertrauten „Pfunden“ umgeht. In der Stellungnahme der EKD-Kammer heißt es, dass sich die öffentliche Förderung „an der Honorierung gesellschaftlich erwünschter, jedoch nicht marktfähiger Leistungen ausrichten muss.

Bei diesen Leistungen“ – ich zitiere weiter – „handelt es sich u.a. um

- die quantitative und qualitative Versorgungssicherheit mit Lebensmitteln für die europäische Bevölkerung,
- die Bewirtschaftung natürlicher Ressourcen,
- die Erhaltung von Artenvielfalt und Habitaten,
- die Pflege der Kulturlandschaften und
- die Gewährleistung von lebensfähigen regionalen Strukturen im Rahmen nachhaltiger ländlicher Entwicklung.“

Nicht zuletzt ist die Hungerbekämpfung auf der Welt Aufgabe der Kirche. Unsere Entwicklungswerke „Brot für die Welt“ und Evangelischer Entwicklungsdienst engagieren sich weltweit für die Bekämpfung der Armut. Rund die Hälfte unserer Entwicklungsförderung geht in Maßnahmen der ländlichen Entwicklung in Afrika, Asien und Lateinamerika. Zum Kampf gegen Armut und Hunger gehört auch die Bekämpfung der jeweiligen Ursachen. Wir wollen es nicht zulassen, dass weltweiter Einsatz gegen Armut durch Konsequenzen unserer Agrarpolitik konterkariert wird. Europäische Agrarpolitik darf nicht allein dem Wettbewerbsvorteil Europas dienen. Daher ist die Kohärenz zwischen europäischer Entwicklungs- und Agrarpolitik von elementarer Bedeutung. Diese Kohärenz wurde in der Vergangenheit leider nicht immer gewahrt. Hier sollte die Reform der EU-Agrarpolitik als Chance genutzt werden, um eine bessere Kohärenz herzustellen.

Auch in Deutschland führen wir mit dem BMZ und dem BMELV zur Frage der entwicklungspolitischen Kohärenz einen intensiven Dialog. Wir können dabei auf eine mittlerweile 50jährige enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit von Kirche und Staat auf dem Feld der Entwicklungspolitik zurückschauen. Heute vor einer Woche haben wir in Berlin einen ökumenischen Gottesdienst anlässlich des 50-jährigen Bestehens des BMZ gefeiert. Das gewachsene Vertrauen erlaubt es uns, sachlich Kritik vorzutragen, wenn wir das für nötig halten. Wir machen dabei die Erfahrung, dass wir Gehör finden für unsere Anliegen, besonders für unsere Forderung einer kohärenteren Armutsbekämpfung in der deutschen Entwicklungspolitik.

Kirchliche Dienste der EKD, wie z.B. unsere Entwicklungswerke, der kirchliche Dienst auf dem Lande und unsere Umweltbeauftragten, haben sich in die Reformdebatte der Gemeinsamen Agrarpolitik auf deutscher und europäischer Ebene eingebracht. Wir würden uns freuen, wenn Sie für weitere Gespräche mit unseren Fachleuten in den kommenden Monaten aufgeschlossen wären. Das ist unser Anliegen an Sie heute Abend.

Was wir im Einzelnen inhaltlich vortragen wollen, werden jetzt die beiden Refe¬renten ausführen. Ich wünsche uns allen einen interessanten, fruchtbringenden Abend. Vielen Dank.