Predigt über Matthäus 12, 33-37 zum Buß- und Bettag 2011 im Dom zu Trier

Nikolaus Schneider

Leitwort: „Beim Wort genommen“

 
Liebe Gemeinde!
Nehmen wir Gottes Wort beim Wort!
Das Wort der Heilige Schrift bezeugt uns:
Gott erschuf uns Menschen nach seinem Bilde.
Er, der Schöpfer und Herr der Welt und allen Lebens, macht uns Menschen zu seinen Partnerinnen und Partnern, macht den Menschen zu seinem Gegenüber.
Er gab den Menschen die Aufgabe zur Gestaltung der Welt und gleichzeitig das Mandat, Gottes Schöpfung zu bewahren. Bewahren durch Gestalten, Gestalten um zu bewahren – das ist die Aufgabe der Menschen!

Gott schenkte und schenkt Menschen Möglichkeiten und Fähigkeiten, verantwortlich zu denken und zu reden, zu entscheiden und zu handeln.

Wir sind keine willenlosen Marionetten.
Und wir sind den Mächten in uns und um uns nicht willenlos ausgeliefert.
Nicht den himmlischen Mächten und nicht den Mächten der Zerstörung, und auch nicht den vermeintlichen „Sachzwängen“ unserer menschlichen Systeme und Ordnungen.
Wir sind für unser Denken, Tun und Handeln verantwortlich und werden Gott Rechenschaft geben müssen am Tage des Gerichts –
daran denken und erinnern wir in besonderer Weise an den letzten Tagen des Kirchenjahres. So auch heute, in diesem Gottesdienst zum Buß- und Bettag.
Wir stellen uns unserer Verantwortung
und wir stellen uns mit unserer Verantwortung unter Gottes Wort.
Denn Gottes Wort lässt uns mit dieser Verantwortung und in dieser Verantwortung nicht allein.
Er gibt uns durch die Zeiten und an allen Orten Weisungen für unser Leben – für unsere privaten Lebensentscheidungen wie auch für die politische und soziale Gestaltung menschlichen Zusammenlebens in unserem Land und auf unserer Erde.

Gott erwartet gute Früchte von uns.
Das sagt der Predigttext für diesen Buß- und Bettag.
Hören wir auf Jesu Worte, wie sie uns im 12. Kapitel des Matthäusevangeliums überliefert sind. Ich lese die Verse 33 bis 37:

„Nehmt an, ein Baum ist gut, so wird auch seine Frucht gut sein; oder nehmt an, ein Baum ist faul, so wird auch seine Frucht faul sein. Denn an der Frucht erkennt man den Baum.
Ihr Schlangenbrut, wie könnt ihr Gutes reden, die ihr böse seid? Wes das Herz voll ist, des geht der Mund über.
Ein guter Mensch bringt Gutes hervor aus dem guten Schatz seines Herzens; und ein böser Mensch bringt Böses hervor aus seinem bösen Schatz.
Ich sage euch aber, dass die Menschen Rechenschaft geben müssen am Tage des Gerichts von jedem nichtsnutzigen Wort, das sie geredet haben.
Aus deinen Worten wirst du gerechtfertigt werden, und aus deinen Worten wirst du verdammt werden.“

Buß- und Bettag recht feiern, liebe Gemeinde, das heißt doch:
Wir halten inne, überdenken das eigene Leben und die Folgen unseres Verhaltens in Bindung an Gottes Wort.
Wir stellen uns ehrlich und selbstkritisch den Früchten unseres Tun und unseres Lassens.
Wir bringen vor Gott all das, was uns beschwert, was wir versäumt und was wir falsch gemacht haben.
Wir sind bereit, uns zu verändern und uns verändern zu lassen, umzudenken und umzukehren.
Wir nehmen Gottes Wort für unser Denken, Reden und Handeln „beim Wort“ und lassen unsere Herzen durch Gottes Wort neu ausrichten.

Mit dieser „Buß-Perspektive“ will ich zwei Gedanken des Predigttextes auslegen:

Zum Ersten:
Buße zielt nicht allein auf unser Tun und Lassen.
Buße macht uns deutlich: Auch unsere Worte sind heilsentscheidend!

„Am Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort.“-, so beginnt das Evangelium des Johannes.
Gottes Wort schuf Himmel und Erde.
Gottes Wort ermöglichte Menschen im Bund mit ihm gesegnet zu leben.
Gottes lebendiges Wort, Jesus Christus, hat Gottes Heil für uns offenbart.
Gottes Wort war und ist heilsentscheidend für alle Welt und alles Volk.
In unserem Predigttext macht Jesus Christus uns unmissverständlich klar:
Auch unsere menschlichen Worte sind heilsentscheidend:
 „Ich sage euch aber, dass die Menschen Rechenschaft geben müssen am Tage des Gerichts von jedem nichtsnutzigen Wort, das sie geredet haben.
Aus deinen Worten wirst du gerechtfertigt werden, und aus deinen Worten wirst du verdammt werden.“

Wir müssen ernst nehmen, was wir sagen, wie wir etwas sagen und was wir verschweigen. Denn wir müssen ernst nehmen, was wir mit unseren Worten oder mit unserem Schweigen bewirken.
Worte –  indem wir sie sagen oder indem wir sie verschweigen –
können gefährlich sein, können Menschen verstören und verletzen,
können sie sogar zerstören und töten.
Buße als Besinnung auf Gottes Wort will uns lehren, auf unsere Worte zu achten und „gute Worte“ als „gute Früchte“ für unsere Mitmenschen aus unseren Herzen und aus unseren Mündern hervorzubringen.
„Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten.“, so heißt es im achten Gebot. Martin Luther hat dies in seiner Erklärung zum 8. Gebot knapp und aktuell so formuliert:
„Wir sollen Gott fürchten und lieben, dass wir unseren Nächsten nicht fälschlich belügen, verraten, übel nachreden oder bösen Leumund machen, sondern sollen ihn entschuldigen, Gutes von ihm reden und alles zum Besten kehren.“
 
Gute Worte sind dabei nicht gleichbedeutend mit unkritischen Worten.
Aber was auch immer und wen auch immer wir mit unseren Worten kritisieren, um Gottes und um der Menschen willen dürfen wir dabei nicht aus dem Blick verlieren:
Alle Menschen sind Gottes Kinder und Ebenbilder.

Und: Im Namen Gottes und in der Nachfolge Christi müssen wir Recht und Gerechtigkeit in unseren Worten und Taten immer zusammenbinden und zusammenhalten mit Liebe und Barmherzigkeit!

Nur dann und nur so dienen unsere Worte uns und anderen zum Heil!

Und zum Zweiten:
Buße soll uns nicht dazu bewegen, andere Menschen als „faule Bäume“ identifizieren.
Buße soll uns helfen, den „faulen Baum“ in uns selbst zu erkennen.   

Der Predigttext setzt bei seinen Hörerinnen und Hörern die Kriterien zur Unterscheidung von „guten Früchten“ und „faulen Früchten“, also zur Unterscheidung von „Gut“ und „Böse“ als bekannt voraus.
Auch für uns heutige Christenmenschen gilt, was der Prophet Micha seinem Volk ins Gedächtnis gerufen hat:
„Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist und was der Herr von dir fordert, nämlich Gottes Wort halten und Liebe üben und demütig sein vor deinem Gott.“
( Micha 6,8 )
Also nicht um die Frage: „Was ist denn gut oder böse?“ geht es in unserem Predigttext. Sondern um die Frage: „Wie können wir das Gute tun und das Böse lassen?“  Oder mit den Bildworten unseres Predigttextes gefragt:
„Wie werden wir zu einem guten Baum, der gute Früchte trägt?“

„Es gibt gar nicht die guten und schlechten Bäume an sich“, kommentierte Jan Hus diesen Text, „denn wilde Bäume kann man züchten, und umgekehrt kann edles Gewächs wild werden“. (vgl. Jer 2,21)

Jesu Worte sollen uns nicht dazu bewegen, andere Menschen als „faule Bäume“ zu identifizieren. Jesu Worte „beim Wort genommen“ können uns helfen, den „faulen Baum“ in uns selbst zu erkennen.
   
Jesus selbst hat uns erklärt, dass allein Gott gut ist ( vgl. Mt 19,17).
Und der Apostel Paulus bündelt seine zwiespältigen Erfahrungen mit sich selbst im Brief an die Römer so:
„Das Gute, das ich will, das tue ich nicht, das Böse, das ich nicht will, das tue ich“ (Röm 7,19).
Wer kennt solche Erfahrungen nicht aus seinem alltäglichen Leben?
Ich weiß, was gut ist und was Gott von mir erwartet. Ich will Gutes für andere reden, tun und bewirken.
Und doch, es gelingt mir nicht immer so, wie ich es will.
Ich denke und rede und handle auch gegen meine Absicht und gegen mein Gewissen. An meinen faulen Früchten erkenne ich: Da ist etwas faul in mir -
obwohl ich getauft bin.
Und auch wenn ich meiner Taufe grundsätzlich gewiss bin: Die Gnade und Liebe Gottes haben mich zu einem guten Baum gemacht.

Diese Erfahrung, guter und schlechter Baum zu sein, hat Martin Luther theologisch als „ simul justus et pecator“ entfaltet und mit dem anschaulichen Bild verdeutlicht: Der alte Adam muss täglich neu ersäufet werden!

Buße ist deshalb auch für uns Christenmenschen kein einmaliger Akt, sondern eine andauernde Lebenseinstellung, die ihr Vertrauen auf Gottes Gnade und Vergebung setzt. Nicht, dass wir schon Christinnen und Christen sind – wir werden dazu täglich neu!

Und im Vertrauen auf Gottes Gnade und Vergebung
können wir andere Menschen um Vergebung bitten und können wir anderen Menschen vergeben.
Buße und Vergebung sind es, die aus wilden Bäumen immer wieder neu veredelte Gewächse machen und sie gute Früchte tragen lassen.

Nehmen wir Gottes Wort „beim Wort“!
Lassen wir uns immer neu ausrichten auf den Weg der Nachfolge Christi.
Dann werden wir Früchte hervorbringen, die Gott von uns erwartet.

Amen