Predigt über über 2. Korinther 4, 16 - 18 anlässlich der Konstituierung des saarländischen Landtages

Präses Nikolaus Schneider in der Christkönig-Kirche in Saarbrücken

Liebe Gemeinde!

„Wir wollen Sieger sehen!“ -
Dieser Schlachtruf erklingt oft von den Fan-Tribünen der Fussballstadien.

Wir wollen Sieger sehen! -
Diese Erwartung setzt auch Politikerinnen und Politiker gewaltig unter Druck. Das ist wohl so: wir alle lassen uns nur zu gern begeistern von siegreichen Menschen. Und wir streben doch auch selbst nach Siegen und Erfolgen. Siege und Erfolge sind verbunden mit erkennbaren „Außenwirkungen“.

Es erscheint nur logisch zu sein: Sieg und Erfolg sind der Lohn, wenn Menschen sich sichtbar hervorheben. Wenn Menschen sich „nach außen“, in der Öffentlichkeit, als besonders kenntnisreich, besonders begabt und besonders durchsetzungsfähig erweisen. Was gut ist, das muss sichtbar sein – für uns und für andere. Was nicht sichtbar wird, das ist einfach nicht gut genug, um erfolgreich sein zu können. Diese „Logik des sichtbaren Erfolges“ ist nicht erst ein Produkt unserer modernen Mediengesellschaft. Ganz offensichtlich faszinierte sie Menschen genau so vor fast zweitausend Jahren – so auch in der jungen Christengemeinde von Korinth.

Der Apostel Paulus sah darin einen Widerspruch zu der neuen Lebensperspektive, die Christus Menschen vermittelt. Deshalb schrieb er einen Gegentext gegen die Logik des sichtbaren Erfolges. Paulus singt in dem Predigttext für diesen Gottesdienst gleichsam ein "Loblied auf das Unsichtbare".

Ich lese die Verse 16 bis 18 aus dem 4. Kapitel des 2. Korintherbriefes:

„Darum werden wir nicht müde;
sondern wenn auch unser äußerer Mensch verfällt,
so wird doch der innere von Tag zu Tag erneuert.
Denn unsere Trübsal, die zeitlich und leicht ist,
schafft eine ewige und über alle Maßen gewichtige Herrlichkeit,
uns, die wir nicht sehen auf das Sichtbare, sondern auf das Unsichtbare.
Denn was sichtbar ist, das ist zeitlich;
Was aber unsichtbar ist, das ist ewig.“

Paulus will uns lehren, das Unsichtbare wertzuschätzen. Paulus unterscheidet in der Tradition der hellenistischen Philosophie den „äußeren“ von dem „inneren“ Menschen und interpretiert beides aus seinem Glauben heraus.

Der „innere Mensch“ ist diejenige Dimension des Fühlens und Denkens, die sich an Gottes Wort orientiert; diejenige Dimension im Menschen, die schon hier und jetzt offen ist für Erfahrungen, die im kommenden Reich Gottes umfassende Realität sein werden. Wer schon jetzt einen Geschmack von der ausstehenden Gerechtigkeit auf der Zunge hat, der wird schon jetzt danach hungern und dürsten. Diese Zukunftserwartungen, diese Zukunftskonzepte sollen die Haltung der Menschen in der Gegenwart bestimmen.

So werden Menschen sensibilisiert für eine Wahrnehmung, die nicht nach der Außenwirkung und dem äußeren Augenschein urteilt. Paulus schreibt seine widerständigen Gedanken gegen die Logik des sichtbaren Erfolges wohl auch auf dem Hintergrund seiner eigenen Erfahrungen.

Er leidet unter der Diskrepanz von äußerer Unansehnlichkeit und Schwäche auf der einen und innerer Kraft und innerem Strahlen auf der anderen Seite. Ganz nüchtern sieht er seine Situation: Ihn quälen chronische Schmerzen, und dazu mehren sich die Anzeichen seines alternden Körpers.

Gemeindeglieder in Korinth zweifeln deshalb an seiner Kompetenz und Berufung. Paulus weiß, dass dieser Weg des äußerlichen Verfalls der Weg aller Menschen ist. Paulus weiß, dass das eigene Selbstwertgefühl oft im Widerspruch steht zu der Außenwahrnehmung von Mitmenschen. Selbst wenn diese Mitmenschen Glaubensgeschwister - oder Parteifreunde! - sind. Doch Paulus ist getragen von der Gewissheit: Aus der Perspektive Gottes ist der Unterschied zwischen dem inneren und äußeren Menschen aufgehoben!

Gott sieht nicht allein auf unsere Außenwirkung. Gottes Liebe und Wertschätzung müssen wir uns nicht verdienen durch Siege und äußere Erfolge. „Ein Mensch sieht, was vor Augen ist,; der HERR aber sieht das Herz an.“, so heißt es im 1. Samuelbuch (1.Samuel 16,7b).

Deshalb lenkt Paulus auch unseren Blick auf „das Unsichtbare“. Deshalb will er unsere Sensibilität wecken und schärfen für den „inneren Menschen“ - in uns selbst und in unseren Mitmenschen. Der „innere Mensch“ nämlich kann schon jetzt - in unserem vergänglichen Leben - Anteil gewinnen an der verheißenen zukünftigen unvergänglichen Herrlichkeit.

In einer Welt, die uns täglich die Vergänglichkeit unseres Körpers und die Vergänglichkeit unseres Planens und Gestaltens vor Augen führt, ermutigt uns Paulus mit der Zusage: „wenn auch unser äußerer Mensch verfällt, so wird doch der innere von Tag zu Tag erneuert.“ Auch wenn es uns äußerlich nicht gut geht, auch wenn wir – diesmal oder wieder einmal - nicht zu den Sieger und Siegerinnen gehören, wir müssen nicht verzagen und nicht verbittern.

Gott will uns und Gott wird uns von Tag zu Tag neue Kraft schenken. Menschliche Erfolge verwelken wieder, Gottes Verheißungen bleiben bestehen. Im Glauben an Jesus Christus werden und können wir nicht immer und überall zu den Siegern auf dieser Welt gehören. Wir haben mit unserem Glauben keine Erfolgsgarantie abonniert. Das Nebeneinander und das Ineinander bedrückter und jubelnder Existenz wird unser Leben weiter begleiten.

Aber Gottes Wort öffnet unseren Blick für das Unsichtbare und relativiert so die Logik des sichtbaren Erfolges - in unseren privaten Beziehungen und auch in der Welt der Politik:

  • Wir gewinnen eine befreiende Distanz zu den Konventionen und vorgeblichen Sachzwängen, die unsere Rollen prägen.
  • Wir müssen nicht immer und überall darüber nachdenken, wie wir uns, unser Wirken und unsere Politik am besten „verkaufen“ können.
  • Wir müssen nicht allein nach Wahlerfolgen und parteipolitischen Siegen hungern und dürsten, sondern können von Tag zu Tag neu nach den Idealen, Hoffnungen und Visionen fragen, die unsere Herzen und unseren Verstand bewegen.
  • Wir können beharrlich nach Frieden und Gerechtigkeit suchen – auch wenn unsere Vorstellungen davon in so vielen Kompromissen verwässert werden.

Lassen wir also unseren „inneren Menschen“ Tag für Tag von Gott erneuern! Denn wenn wir Gottes unsichtbare kommende Welt inmitten unserer sichtbaren vergänglichen Menschenwelt entdecken, wird Zuversicht unser Leben bestimmen, werden wir Hoffnung ausstrahlen.

Und diese Hoffnung wird uns und unsere Welt verändern. Das gilt für unsere persönlichen Probleme und die Politik im Saarland.

Amen.