Predigt über 1. Petrus 3, 8-15 im Berliner Dom

Nikolaus Schneider

Liebe Gemeinde!

Können Mahnungen Menschen aufrichten und trösten?
Können lebenspraktische Anweisungen Seelsorge sein?

Der Schreiber des ersten Petrusbriefes war davon überzeugt.

Er hat in seinem Brief den Trost der göttlichen Verheißungen mit ganz lebenspraktischen Ermahnungen und Anweisungen verbunden.

Er war ganz offensichtlich davon überzeugt:
Das Hoffen, Glauben und Lieben von Christinnen und Christen haben nicht nur mit geistiger und geistlicher Erbauung, mit frommen Gedanken und Gefühlen zu tun. Auf Jesus Christus gegründetes Hoffen, Glauben und Lieben bewirken nicht allein eine geistliche Lebenshaltung. Sie äußern sich immer auch in einer konkreten und alltäglichen Lebensgestaltung.

Diesen unlösbaren Zusammenhang von Lebenshaltung und Lebensgestaltung führt uns auch der Predigttext für den heutigen Sonntag vor Augen. In der Lutherübersetzung ist der Predigttext deshalb mit "Mahnungen an die ganze Gemeinde" überschrieben - obgleich Segen, Seligkeit und Hoffnung seine bestimmende Grundmelodie bilden.

Ich lese die Verse 8 bis 15 aus dem dritten Kapitel des ersten Petrusbriefes:

"Endlich aber seid allesamt gleich gesinnt, mitleidig, brüderlich, barmherzig, demütig.
Vergeltet nicht Böses mit Bösem oder Scheltwort mit Scheltwort,
sondern segnet vielmehr, weil ihr dazu berufen seid, dass ihr den Segen ererbt.
Denn
wer das Leben lieben und gute Tage sehen will,
der hüte seine Zunge, dass sie nichts Böses rede,
und seine Lippen, dass sie nicht betrügen.
Er wende sich ab vom Bösen und tue Gutes;
er suche Frieden und jage ihm nach.
Denn die Augen des HERRN sehen auf die Gerechten,
und seine Ohren hören auf ihr Gebet;
das Angesicht des HERRN aber steht wider die, die Böses tun
(Psalm 34, 13-17)
Und wer ist's, der euch schaden könnte, wenn ihr dem Guten nacheifert?
Und wenn ihr auch leidet um der Gerechtigkeit willen,
so seid ihr doch selig.
Fürchtet euch nicht vor ihrem Drohen und erschreckt nicht;
Heiligt aber den Herrn Christus in euren Herzen.
Seid allezeit bereit zur Verantwortung vor jedermann,
der von euch Rechenschaft fordert über die Hoffnung, die in euch ist"

Liebe Gemeinde,

wenn uns das doch in dem Miteinander in unseren Kirchen und Gemeinden immer gelingen könnte, was in diesem Predigttext erklingt:

  • geschwisterlich und barmherzig miteinander umgehen,
  • mitfühlend und mitdenkend aneinander Anteil nehmen,
  • sich nicht hochmütig über die anderen erheben,
  • sondern die Vielfalt der Gaben und Begabungen bei uns und bei anderen dankbar als Gottesgeschenke wahrnehmen.

Und wenn uns das doch auch in all den vielfältigen kirchlichen Aufgaben- und Verantwortungsbereichen gelingen könnte, was uns der erste Petrusbrief hier ans Herz legt:

  • Frieden suchen und dem Frieden nachjagen,
  • uns vom Bösen und vom Unrecht nicht überwältigen lassen, sondern dem Bösen das Gute und dem Unrecht die Gerechtigkeit entgegensetzen;
  • uns der Gegenwart Gottes gewiss bleiben, auch wenn wir versagen, scheitern, bedroht werden oder leiden müssen.
  • Wenn, ja wenn das Christinnen und Christen in den letzten 2000 Jahren immer und überall gelungen wäre, das Leben auf dieser Erde sähe sicherlich anders aus - innerhalb und außerhalb der Kirchen. Und alle Mahnungen könnten aus unseren Predigttexten und aus unseren Predigten verschwinden. Nur noch Lobpreis wäre angesagt und anzusagen.

    Wir alle aber wissen: So war es nicht und so ist es nicht. Nicht innerhalb und auch nicht außerhalb unserer Kirchen und Gemeinden. Denn auch wenn wir den Herrn Christus in unseren Herzen heiligen: Wir schaffen es oft nur ansatzweise und bruchstückhaft, jedermann und jederfrau Rechenschaft zu geben von der Hoffnung, die in uns ist. Manchmal drängt es doch auch uns Christenmenschen "Scheltwort mit Scheltwort" zu vergelten.

    Manchmal zweifeln wir an unserer Seligkeit - wenn wir versagen und wenn Leiderfahrungen unsere guten Tage verdunkeln. Manchmal schrecken wir beim ‚Tun des Gerechten' zurück vor Widerspruch und Widerstand und fürchten die Gefahr eines Reputationsverlustes. Und dann verzichten wir darauf, Unrecht öffentlich anzuprangern und eindeutig Partei zu ergreifen für Benachteiligte.

    Manchmal sind wir so besetzt von dem angestrengten Bemühen, die in unseren Augen notwendigen Veränderungen in unseren Gemeinden und in unserer Kirche durchzusetzen, dass uns der Blick, die Kraft und die Sensibilität fehlen, liebend und segnend Anteil zu nehmen am Schicksal der anderen.

    Wir brauchen deshalb bis heute den biblischen Zusammenklang von Mahnung und Trost, von lebenspraktischen Anweisungen und Seelsorge, von christlicher Lebenshaltung und christlicher Lebensgestaltung.

    In zwei Perspektiven will ich diesem Zusammenhang nach-denken:

    1. Leiden ist nicht das Gegenteil von Selig-Sein

    und

    1. Unser Leben gibt Rechenschaft von der Hoffnung, die in uns ist.

    Zum Ersten:
    Leiden ist nicht das Gegenteil von Selig-Sein

    "Und wenn ihr auch leidet um der Gerechtigkeit willen, selig seid ihr."(V.14) In diesem Satz begegnet uns die spannungsvollste Beziehung, die der Predigttext Christinnen und Christen zumutet.

    Das biblische Verständnis von "Selig-Sein" steht in Spannung zu unseren Vorstellungen von "Glück-Haben" und "Glückselig-Sein". "Selig" leben bedeutet in der Bibel: Menschen sind und bleiben gewiss, dass Gott sie begleitet an allen Tagen ihres Lebens, auch im Sterben und auch durch ihren Tod hindurch in ein neues Leben im Gottesreich. Deshalb kann Jesus auch die Menschen "selig" preisen, die Leid tragen und die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden.

    "Selig-Sein" steht nicht im Gegensatz und nicht im Widerspruch zu den Leid- und Todeserfahrungen der Menschen, die Christus nachfolgen. Die Gewissheit, dass das Leiden und der Tod nicht das letzte Wort behalten werden, lässt Christinnen und Christen "selig" sein in und trotz allem Leiden.

    Dabei geht es dem christlichen Glauben und der christlichen Theologie nicht darum, das Leiden zu verherrlichen und irdisches Glück verächtlich zu machen. Ein seliges Leben hat durchaus auch damit zu tun, "das Leben zu lieben" und "gute Tage auf Erden" zu sehen und zu erstreben. Als Christinnen und Christen sollen wir das Leiden nicht suchen, damit wir selig werden.

    Aber:
    Wir sollen uns auf den Weg machen - gerade zu leidenden Mitmenschen. Denn in ihnen begegnet uns der auferstandene Herr Jesus Christus. Und es darf und kann in unserem Leben nicht das entscheidende Ziel sein, mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln eigenes Leiden zu vermeiden.

    Jesus Christus hat sich den Leidenden zugewandt. Er hat ihnen die Liebe und die Gegenwart Gottes zugesprochen, hat sie getröstet, geheilt und gesegnet. Und Jesus Christus hat - um der Gerechtigkeit und um uns Menschen willen - am eigenen Leibe das Leiden und den Tod auf sich genommen. Jesus Christus hat uns gezeigt, was "Selig-Sein" bedeutet - an guten und an schweren Tagen.

    "Denn dazu seid ihr berufen, da auch Christus gelitten hat für euch und euch ein Vorbild hinterlassen, dass ihr sollt nachfolgen seinen Fußstapfen."

    So heißt es im ersten Petrusbrief (1.Petrus 2, 21) wenige Verse vor unserem Predigttext. Damals wie heute gilt für Christenmenschen: Leiden ist nicht das Gegenteil von Selig-Sein. Die Nachfolge Christi - also das Streben nach "Christusähnlichkeit" in unserer Lebenshaltung und Lebensgestaltung - ist das Entscheidende und Bestimmende für ein gesegnetes und seliges Leben und Sterben zu allen Zeiten.

    Und zum Zweiten:
    Unser Leben gibt Rechenschaft von der Hoffnung, die in uns ist.

    Christusähnlichkeit erweist sich nicht allein in gelehrtem theologischen Reden und auch nicht allein in frommem Singen und Beten. Christusähnlichkeit ergreift unser ganzes Leben - unsere innere Lebenshaltung wie unsere äußere Lebensgestaltung. Christusähnlichkeit verlangt deshalb auch danach, Gutes zu tun, also

    • Wege des Friedens zu suchen und zu beschreiten,
    • dem Unrecht zu widerstehen und um Strukturen zu ringen, die Gerechtigkeit befördern,
    • eine "Ethik des Genug" zu leben und so nachhaltig für die Bewahrung von Gottes Schöpfung einzutreten.

    Mit unserer christlichen Lebenshaltung und mit unserer christlichen Lebensgestaltung streben wir danach, den "Teufelskreis" von bösen Erfahrungen und Vergeltung des Bösen mit neuem Bösen zu durchbrechen. Das gilt für unseren privaten Alltag ebenso wie für unser Engagement in politischen und kirchlichen Bereichen.

    Im Konkreten werden wir dabei immer wieder neu über Fragen diskutieren und entscheiden müssen: Welches Tun und welches Lassen sind jetzt gefordert, damit die Kraft der Hoffnung und des Segens böse Erfahrungen und böse Strukturen durchbrechen kann? Damit Vergebung über Rache und Barmherzigkeit über Kaltherzigkeit siegen können. Damit Gerechtigkeit über Unrecht siegt. Damit Neues beginnen kann. Damit andere Menschen getröstet, gestärkt und aufgerichtet werden von der Hoffnung, die in uns ist.

    "Gelobt sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus, der uns nach seiner großen Barmherzigkeit wiedergeboren hat zu einer lebendigen Hoffnung durch die Auferstehung Jesu Christi von den Toten."(1.Petrus 1, 3)

    Mit diesem Lobpreis der lebendigen Hoffnung, die uns in Jesus Christus geschenkt ist, beginnt der erste Petrusbrief.

    Diese Hoffnung gründet sich in der Gewissheit: Alles Leiden und alle Todeserfahrungen haben durch die Auferstehung Christi letztgültig ihre Macht über unser Denken und Fühlen verloren. Unser unvollkommenes Leben ist durch den auferstandenen Herrn Christus untrennbar an Gottes Zukunft gebunden.

    In dieser Bindung können wir verantwortlich und hoffnungsvoll leben, trotz aller Anfechtungen, trotz unseres Versagens und trotz der Rückschläge, die unser Tun und Lassen immer begleiten.

    Denn unsere Hoffnung, die sich auf Christus gründet, lässt uns nicht zuschanden werden (vgl. Römer 5,2-5).

    Der Schreiber des ersten Petrusbriefes macht uns gewiss: In unserer Bindung an Jesus Christus können wir Segen empfangen und Segen weitergeben. In unserer Bindung an Jesus Christus werden wir immer wieder neu mit Hoffnung erfüllt und können wir Hoffnungslosen neue Hoffnung schenken.

    Deshalb ermahnt er uns seelsorglich zu einer christusähnlichen Lebenshaltung und Lebensgestaltung. Lassen wir uns von ihm neu bewegen zu dem alltäglichen Streben nach Christusähnlichkeit - wo immer wir leben und welche Aufgaben auch immer uns überantwortet sind!

    Damit auch unser Leben Rechenschaft gibt von der Hoffnung, die in uns ist.

    Amen.