Predigt im Eröffnungsgottesdienst der Synode im Dom zu Lübeck, Predigttext: Johannes 1,1

Bischof Gerhard Ulrich, Schleswig

Es gilt das gesprochene Wort.

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus, die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen. Amen.


Liebe Gemeinde!

„Der Worte sind genug gewechselt – wir wollen Taten sehen!“ Stimmt ja, manchmal gibt es zu viele Worte und zu wenig Taten, Ankündigungen und nichts passiert. Aber wenn einer so loslegt, dann gehe ich schon einmal in Deckung. Ich werde misstrauisch, wenn Worte und Taten gegeneinander ausgespielt werden, wenn dem Wort nichts, der Tat aber alles zugetraut wird. Ich werde vor allem dann misstrauisch, wenn mit den Worten auch das Denken ausgeschaltet werden soll, damit man nun entschlossen Taten setzen kann. Kleine politische Scharmützel und große Kriege sind allzu oft so in Gang gesetzt worden.

II
„Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort.“ – so der Anfang des Evangeliums nach Johannes.
Gottes Wort, Fundament der Welt. So steht es in den ersten Zeilen der Bibel: Gott sprach – und es ward: Licht, Leben, Himmel, Erde. Gottes Wort ist immer schöpferisches Wort. Bei ihm ist Reden immer gleich Tun. Worte von Menschen können demütigen, verletzen, auch töten. Gottes Wort aber bringt hervor Leben auf Leben – Neues Leben, Ewiges Leben.

Im Anfang war das Wort. Daran erinnert der Reformator Martin Luther, als er darauf besteht, dass allein das Wort Gottes des Menschen Herz regieren soll, keine Macht sonst.

Menschen gerieten in Bewegung, Systeme ins Wanken – damals und immer wieder. Denn das Wort ist eine Macht und Kraft, die jeden Menschen verändern kann.

Unser Leben ist davon abhängig, dass am Anfang ein Wort steht: weil wir freundlich angesprochen werden, lernen wir sprechen; weil wir ermutigt werden durch gutes Zureden, lernen wir laufen; indem das Wort uns begegnet, lernen wir hören.
Weiter erzählen sollen wir das Wort des Anfangs. Gott bekannt machen und groß und schön für uns selbst und für alle Menschen. Um Gottes willen! Und um der Menschen willen!

„In Christus war das Leben, und das Leben war das Licht der Menschen“, so heißt es weiter im Text. Das Wort wurde Fleisch, bekam Hand und Fuß. Christus – Licht – Leben – das heißt ja nicht: es gibt keinen Grund, Angst zu haben. Den gibt es sehr wohl: ein außer Rand und Band geratener Markt macht Angst; Diktatoren, die auf ihr eigenes Volk losgehen, machen Angst. Nicht wissen, ob der Lohn für die eigene Arbeit zum Leben reicht, macht Angst. Und sprachlos oft.

Leben im Licht, heißt: schau hin, ruf von den Dächern, was Gott will; sieh hin, wie er sich stellt an die Seite der Armen und Schwachen. Sieh, wie neues Leben anfängt für die Hoffnungslosen. Und selber Worte finden. Wie die Jünger das getan haben: auf sein Wort hin sind sie losgegangen, haben alles stehen- und liegen gelassen. Und erlebt: mit diesem Jesus fängt alles neu an – neue Kraft, neue Hoffnung. Frei von Angst. Und nicht mehr ohne Worte.

III
Man kann die Welt nicht mit der Bergpredigt regieren, hat mal einer gesagt. Stimmt. Aber das Wort kann Herzen regieren, Denken umkehren und Handeln leiten. Von Gottes Wort regierte Herzen regieren die Welt anders: barmherzig, mit Liebe, zur Freiheit.  Solche Herzen sind hörende Herzen, unruhige Herzen, die sich nicht zufrieden geben mit dem, was immer schon so war. Die wissen und glauben: Ungerechtigkeit zwischen Arm und Reich ist nicht gottgewolltes Schicksalsgefüge, sondern von Menschen entfachter Irrsinn; das Recht der Starken gegen die Schwachen ist nicht der Weg des göttlichen Heils, sondern menschlicher Irrweg; der Wert des Menschen und seine Würde hängen nicht ab von Leistung und Reichtum, Schönheit und Klugheit! Das Wort Gottes will frei machen von Zwängen. Und frei machen heißt: Leben schaffen und Gutes ins Leben ziehen immer neu.

IV
 „Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemandem untertan. – Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan.“ So schreibt Martin Luther 1520.

Als Christ lebe ich  in Christus durch den Glauben und im Nächsten durch die Liebe. Meine Freiheit habe ich also nie nur für mich allein, sondern meine Freiheit will ich nutzen für das Gemeinwohl. Weil Gott uns zuerst liebt – nicht weil wir so tolle Leute sind, sondern obwohl wir Leute sind mit Schwächen und Fehlern. Das ist der Grund der Freiheit. Diese Freiheit wächst aus der Bindung an Gottes Wort, aus dem Glauben, dass diese Macht mächtig ist – da, wo das Wort gehört wird. Darum, liebe Schwestern und Brüder, ist der Glaube, der sich auf Christus beruft, nicht Privatsache: Er lässt sich nicht einsperren zur Pflege des frommen Ich sozusagen.

Der Glaube, der die Realität der Welt sieht und die Realität Gottes darin gleichermaßen, führt dazu, dass Worte nicht „Schall und Rauch“ sind, sondern Frieden stiften. Dass sie nicht verletzen, sondern Wunden heilen. Dass sie nicht Hass gegen alles Fremde säen, sondern für die Menschenwürde einstehen. 

Hier bei uns werden, Gott sei Dank, Christen nicht verfolgt wegen ihres Glaubens. Aber woanders gehen Menschen aufeinander los, indem sie sich auf Gottes Wort berufen. Wir sehen in Syrien, in Somalia, an vielen Orten dieser Welt, wohin der Weg der Friedlosigkeit und Unbarmherzigkeit, wohin Gnadenlosigkeit und Fundamentalismus führen: in Verfolgung, Hunger, Flucht und Tod.

Aber natürlich gibt es auch Hoffnungsgeschichten. Im Sommer war ich zu einem Besuch in unserer Partnerkirche in Kenia: Fasziniert haben mich stolze Massai-Männer, die das Engagement der lutherischen Kirche in ihrer Gegend genau unter die Lupe nahmen. Sie wollten gern als Christen leben. Seit sie das Wort gehört hatten, waren sie selbstbewusst und mutig: Eine Kirche wollt ihr bei uns bauen, ja schon, aber bitte auch eine Schule für unsere Kinder und vor allem zuerst Brunnen.  Denn ohne Wasser können unsere Tiere und wir Menschen hier nicht leben. Also, bitte: Wasser mit Kirche!

Sie hatten verstanden, wie sehr Gott mit seinem Wort will, dass alle Leben haben die Fülle. Das Wort führt ins Tun, in Aussäen und Ernten, damit wir leben können und nicht fliehen müssen. Und sie haben nun: Kirche und Schule. Und ein Brunnen wird gebohrt.

Himmel und Erde kommen zusammen, wo Menschen aufstehen, den Mund auftun und die Hände und die Herzen. Wo wir hören auf das Wort, das den Anfang macht und selber reden: Wo wir nicht nur um des eigenen Vorteils willen unsere Entscheidungen treffen, sondern wo wir den Nächsten im Blick haben, den Bruder, die Schwester. Darum feiern wir Gottesdienst, um immer wieder auf Anfang zu stellen das Leben. Und darum sind wir mit Herzen, Mund und Händen bei den Menschen.

V
Wir gehen zu auf das Jubiläum der Reformation 2017. Reformation: ein doppelter Ruf nach vorwärts. Im Anfang war das Wort: Reformation stellt Kirche wieder auf ihren Anfang – und stellt sie hinein in die Welt. Wir wissen und müssen uns immer wieder vergewissern, wie nah unser Reden und Tun dem Fleisch gewordenen Wort Gottes ist. Und nie darf aufhören diese Vergewisserung, diese Erneuerung, dieses Anfangen mit dem Wort.

Und die Ökumene? Wir wissen und haben erfahren auch in der Zeit der Trennung und des Nebeneinanders verschiedener christlicher Kirchen und Konfessionen: das Wort, das im Anfang war, ist allemal größer als wir selbst, größer als alle Konfessionen. Es gehört uns nicht, es ist uns gemeinsam anvertraut. Und darum wollen wir weiter alles tun, um trennende Grenzen zu überschreiten.

In dieser Weite der Bindung an das Wort, das im Anfang war und Anfang macht; in der Gemeinschaft der versöhnten Verschiedenheit wird offenbar, dass diese Welt nicht aufgeht in dem, was wir sehen, greifen, begreifen – Gott sei Dank!

Was uns in das Ohr gesagt wurde, das werden wir weiter von den Dächern rufen in alle Welt. Im Anfang war das Wort. Das eine Wort, das Fleisch und Blut wurde in Jesus Christus, das unter uns wohnte und wohnt, voller Gnade und Wahrheit.
Amen.