Trauerfeier für Roman Herzog im Berliner Dom

Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm, Ratsvorsitzender der EKD

 

- Es gilt das gesprochene Wort - 

„Ich bin gewiss – schreibt der Apostel Paulus – „dass weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes noch eine irgendeine andere Kreatur uns scheiden kann von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserem Herrn.“ (Römer 8, 38-39)

 

Liebe Familie, liebe Trauergemeinde,

es ist gut, dass über dieser Trauerfeier heute hier im Berliner Dom ein Wort über die Liebe Gottes steht. Wir müssen Abschied nehmen von Roman Herzog, aber es gibt eine Verbundenheit, die auch Abschiede überdauert. Denn nichts kann uns trennen von der Liebe Gottes. Auch der Tod kann dieser Verbundenheit keine Grenze setzen.

Viele von Ihnen waren Roman Herzog verbunden. Sie sind hierhergekommen, weil Ihnen der Verstorbene wichtig und kostbar ist, so unterschiedlich die Beziehungen zu ihm gewesen sein mögen. So geht es jetzt nicht nur um die Wertschätzung gegenüber dem hohen Amt, das Roman Herzog innehatte. Es geht auch um den Menschen Roman Herzog, mit dem Sie sich verbunden fühlen. Sie alle stehen, in einer je eigenen Beziehung zu dem Verstorbenen. Manche in einer ganz ganz engen und innigen, andere in einer weniger persönlichen. Noch andere Beziehungen weisen vielleicht sogar Brüche auf. Sie alle sind jetzt Auslegerinnen und Ausleger der Worte des Paulus, weil Sie bezeugen: Die Liebe Gottes, von der Paulus spricht, hat auch ganz menschliche Dimensionen. Es ist eine Liebe, die ihren Ausdruck auch in der Verbundenheit zwischen Menschen findet.

Roman Herzog hat die göttliche Liebe schon in seinem Leben erfahren. Er hat sie erlebt in der Liebe derer, bei denen er sich angenommen und aufgehoben fühlen durfte, besonders in seiner Familie, mit seiner ersten Frau Christiane, die viel zu früh verstorben ist, und dann bei seiner zweiten Frau Alexandra, mit der er im fortgeschrittenen Alter noch einmal eine neue Liebe und ein neues Glück erfahren durfte und die ihn bis zum Ende mit Hingabe begleitete. Dass er seine Frau in den letzten Wochen die ganze Zeit so nah bei sich wissen durfte, war ein großer Segen. Er hat die Liebe aber auch erfahren bei seinen aus beiden Ehen kommenden Kindern und Enkelkindern, die ihm immer wieder so sehr zur Freude geworden sind.

Die göttliche Liebe ist in je eigener Weise auch sichtbar geworden durch seine persönlichen Freunde und viele Menschen, die ihn in seinen Ämtern und Funktionen an den unterschiedlichen Lebensstationen begleitet haben. Ob als Professor an der Universität, als Bevollmächtigter des Landes Rheinland-Pfalz am Sitz der Bundesregierung in Bonn, als Minister in Baden- Württemberg, als Präsident des Bundesverfassungsgerichts und schließlich als Bundespräsident. Und dem Dienst für unser ganzes Land in vielen ehrenamtlichen Funktionen wie der Leitung des Konvents zur Erarbeitung der EU Grundrechte-Charta. Andere werden gleich mehr von diesen Stationen berichten.

Er hat viel Liebe und Wertschätzung erfahren, aber er hat auch viel Liebe und Wertschätzung gegeben. In diesen Tagen des Abschieds und der Trauer ist das noch einmal eindrücklich deutlich geworden. Ich habe von Menschen, die ihm sehr nahestanden, viel Dankbarkeit gespürt. Und ich habe diese Dankbarkeit, in je anderer Weise auch von Menschen gespürt, die mit ihm eigentlich eher dienstlich zu tun hatten oder ihn nur bedingt persönlich kannten, aber große Achtung und Zuneigung zum Ausdruck brachten. Menschen, die ihm im politischen Leben verbunden waren und viele kleine und große Geschichten zu erzählen wissen von seinem wunderbaren Humor, der gerade in seiner Selbstironie und in der damit zum Ausdruck kommenden Selbstdistanz so viel Größe zeigte. Diese Achtung und Zuneigung brachten ihm die Sicherheitsbeamten entgegen, die ihn in den unterschiedlichen Stationen seines Lebens begleitet und geschützt haben. Sie alle sind nach Jagsthausen gefahren, wo er in der Götzenburg aufgebahrt war, um persönlich Abschied von ihm zu nehmen. Aber auch der Maskenbildner, der mir vor wenigen Tagen beim Zurechtmachen für eine Fernsehaufzeichnung spontan davon erzählte, wie Roman Herzog bei der Aufzeichnung von „Weihnachten mit dem Bundespräsidenten“ bei ihm in der Maske saß und einfach Mensch war und – natürlich! - einen seiner selbstironischen Witze machte. Er machte keine Unterschiede bei Menschen. Deswegen ist es auch kein Wunder, dass er in vielen Nachrufen ein „Bürgerpräsident“ genannt wurde.

Auch seiner evangelischen Kirche hat er viel gegeben. 18 Jahre, von 1973 bis 1991, war er Mitglied der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland. Er hatte die für uns sehr wichtige Stellung als Vorsitzender der Kammer für Öffentliche Verantwortung von 1971 bis 1980 inne und hat dabei an wichtigen Denkschriften und öffentlichen Stellungnahmen mitgearbeitet. Als langjähriger Bundesvorsitzender des Evangelischen Arbeitskreises der CDU/CSU war er ein wichtiger Brückenbauer zwischen Kirche und Politik. Vieles mehr wäre zu nennen.

Dieses Engagement in der Evangelischen Kirche zeigte sich auch immer wieder in bestimmten Akzenten in seinen politischen Ämtern. Als Bundespräsident setzte er sich etwa in besonderer Weise für die Verständigung mit den östlichen Nachbarn Deutschlands ein. Der Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus am 27. Januar wurde von ihm 1996 eingeführt und wird immer mit seinem Namen verbunden bleiben. Er hat damit eine Erinnerungskultur unterstrichen und gestärkt, die Liebe zum eigenen Land nicht mit Selbstrechtfertigung und Verdrängen der eigenen dunklen Seiten verwechselt, sondern echte Stärke eines Landes genau darin sieht, dass es die dunklen Seiten ehrlich in den Blick nimmt und daraus für die Zukunft lernt. Weil Roman Herzog das als Christ wusste und verstand, ist er als Präsident zum Botschafter der Versöhnung geworden.

Ja, die Liebe, von der Paulus spricht, geht von Christus aus. Aber sie zeigt sich auch und wird wirksam in den Beziehungen zwischen Menschen. Und deswegen empfinden wir jetzt diese Trauer. Nur wer geliebt hat, trauert auch. Weil wir einen Menschen geliebt haben, vermissen wir ihn. All diese menschlichen Gefühle der Liebe und der Verbundenheit sind nun aufgenommen in die Liebe Gottes, die am Ende die Quelle allen menschlichen Lebens ist:

„Ich bin gewiss, dass weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes noch eine irgendeine andere Kreatur uns scheiden kann von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserem Herrn.“

Diese Worte aus dem Römerbrief sind eben deswegen auch in der Trauer tröstlich, weil sie uns all die menschlichen Erfahrungen in Erinnerung rufen, in denen die Liebe Gottes im Leben des Verstorbenen sichtbar geworden ist. Sie sind aber auch deswegen so kraftvoll, weil sie den Blick öffnen auf die Wirklichkeit, in der Menschen daran scheitern, Grenzen zu überwinden. Sie weisen auf die Zerbrechlichkeit und das Bedroht-Sein menschlicher Existenz und ihrer Beziehungen.

Wir kennen sie alle, die Mächte und Gewalten, die sich manchmal zwischen uns schieben, Es ist Zukünftiges, Gegenwärtiges oder Vergangenes, was uns das Leben an Wunden zufügt und was wir anderen und uns selbst an Verletzungen zufügen. Die bedrohlichste Macht aber ist der Tod.

Und nun sagt Paulus dieses Ungeheuerliche und er sagt es zu uns allen hier Berliner Dom und zu allen, die in Radio und Fernsehen jetzt dabei sind. Er sagt es allen, die ihre Erfahrungen mit diesen Mächten und Gewalten machen oder gemacht haben, die menschliche Beziehungen immer wieder zu zerstören drohen: Das alles ist mächtig – sagt Paulus. Aber Gott ist stärker. Keine Macht der Welt, kein Versäumnis, kein Streit, keine Traurigkeit, keine Krankheit, ja noch nicht einmal der Tod kann dich trennen von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserm Herrn.

Weil das so ist, liebe Trauergemeinde, weil das so ist, dürfen wir jetzt Abschied nehmen von Roman Herzog im Frieden. Weil das so ist, ist die Macht des Todes gebrochen. Weil das so ist, dürfen wir unsere eigene Angst vor dem Tod dahinfahren lassen. Weil das so ist, dürfen wir darauf vertrauen, dass Gott uns immer wieder einen neuen Anfang schenken will und schenken kann.

Wir geben das Leben von Roman Herzog zurück in Gottes Hand im Vertrauen darauf, dass Gott all das vollenden wird, was unvollendet geblieben ist. Wenn wir jetzt die Musik des Staats- und Domchores und der Orgel hören, dann wollen wir daran denken, dass Roman Herzog die ganze Wahrheit der Worte des Paulus jetzt erfährt: „Ich bin gewiss, dass weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes noch eine andere Kreatur uns scheiden kann von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserem Herrn.“

AMEN