Morgenandacht

Heidi Schülke

Liebe Brüder und Schwestern in Christus,

an diesem spannenden Tag, an dem wir in Gedanken immer wieder bei den Wahlen in den USA sind, wollen wir nun innehalten und unsere Andacht feiern im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.

Mit Herz und Mund wollen wir das Lied 324 singen, die Verse 1, 2 und 13

Am vorletzten Tag meiner letzten EKD-Synode darf ich nun eine Andacht halten. Schon die Anfrage hat mich sehr gefreut. Schließt doch damit für mich eine reiche Zeit, in der ich verschiedenen Synoden angehörte, nicht nur der heimatlichen bayerischen, sondern auch der der VELKD und jetzt der EKD.

Was ist mein Resümee dieser engagierten vergangenen Jahre? Wie geht es nun weiter? Bei mir? Bei Ihnen, die Sie ausscheiden? Bei Ihnen, die Sie einer veränderten Synode angehören werden?

Ich habe immer gerne mit geplant, Neues ausprobiert und, wenn es nötig war, mich hinter meine Kirche gestellt, um „Gutes zu reden und alles zum Besten zu kehren“. In dieser Synode habe ich mich allerdings auch gerne entspannt zurückgelehnt und mich als Synodale gefühlt, die keine leitende Verantwortung tragen muss … und dann hat es mich doch erwischt mit der Steuerungsgruppe des Reformprozesses, und die Arbeit dort ist sozusagen das Sahnehäubchen auf all meine synodalen Engagements - dass „Kirche“ einmal in absehbarer Zeit Nägel mit Köpfen macht, da bin ich gerne dabei, so sehr ich auch Einwände verstehen kann, die uns mahnen, nicht alles morgen schon erreicht  haben zu wollen.

Ein Wort des Paulus hat mich all die Jahre begleitet und mir neben all dem Gewichtigen, was entschieden werden musste, neben all dem, was daneben ging und all dem, was an immer neuen Versuchen, Menschen zu gewinnen, gestartet wurde, das Gefühl gegeben, dass die Lösung aller unserer Anstrengungen ganz einfach ist.
Er schreibt u. a. an die Korinther:

Ihr seid unser Brief, in unser Herz geschrieben, erkannt und gelesen von allen Menschen. Ist doch offenbar geworden, dass ihr ein Brief Christi seid, durch unseren Dienst  zubereitet, geschrieben nicht mit Tinte sondern mit dem Geist des lebendigen Gottes, nicht auf steinerne Tafeln, sondern auf fleischerne Tafeln, nämlich eure Herzen.
Und weiter: Dass wir tüchtig sind, ist von Gott, der uns tüchtig gemacht hat zu Dienern des neuen Bundes, nicht des Buchstaben, sondern des Geistes. Denn der Buchstabe tötet, aber der Geist macht lebendig.

„Ihr seid unser Brief“ - wir, die wir heute leben, leben geistlich von dem, was unzählige Zeugen unseres Glaubens berichtet haben. Leidenschaftlich schildern sie die Begegnungen mit dem allmächtigen Gott, fassungslos erzählen sie von den Worten und Taten Jesu. Sie haben uns ihre Erfahrungen, ihre Leiden, ihre Erkenntnisse hinterlassen mit dem herzlichen Anliegen, dass wir Gottes Handeln an ihnen und durch sie besser verstehen.

Alle diese Geschichten und Lehren und Erkenntnisse haben uns als Christen zu dem gemacht, was wir sind und das ist unübersehbar.

Stellen Sie sich vor, wir wären dieser Brief. Und wir würden erkannt und gelesen von allen Menschen! Paulus hatte sicher eine begrenzte Vorstellung davon was „alle“ bedeutet. Erkannt und gelesen möchten heutzutage viele werden, die ihr Tun und Lassen in YouTube oder studiVZ einstellen oder ihre Homepages ständig aktualisieren.

Da merke ich erst, zu welcher Generation ich gehöre! Ich möchte nicht mein Leben auf dem Präsentierteller ausstellen. Ich hab zwar keine Leiche im Schrank, aber mein Privatleben ist mir wichtig und geht nur mich etwas an. Trotzdem will ich  das an mich heranlassen, was Paulus behauptet: „erkannt und gelesen“.

„Gelesen“ geht ja noch. Gelesen wird viel und was einen nicht interessiert, vergisst man schnell. Aber „erkannt“! Das kommt näher. Ist „Erkennen“ bei Luther nicht die engste und innigste Verbindung zwischen zwei Menschen, eine Form der Gemeinsamkeit, die nicht folgenlos bleibt? Ist es so, dass jenseits aller Worte wir als Briefe offenbaren, wie glaubwürdig der Inhalt ist und wie es mit seiner Umsetzung steht?

Da freue ich mich über die Zusage: Ihr seid ein Brief Christi! Da gibt es doch etwas zu erzählen, denn nicht meine Person ist der Inhalt des Briefes, sondern die gesamte frohe Botschaft, „lebendig und kräftig und schärfer“ um das Motto des letzten Kirchentags noch einmal zu zitieren. Ihr seid ein Brief Christi! Das ist noch eine ganze Menge mehr als ein Brief des Paulus oder meines Pfarrers oder meiner Eltern. Ihr seid ein Brief Christi und wir wissen ja, was Christus der ganzen Welt geschrieben hat durch sein Leben und Wirken und Heilen.

Erinnern wir uns, was Jesus alles getan hat, als er unter uns war: Er hat den Menschen von Gott erzählt und er hat immer wieder betont, wie nahe Gott uns ist, wie er unser Vater und Schöpfer ist und wie wir ihn bitten sollen, auch wenn er eigentlich schon weiß, was wir brauchen.

Jesus hat Menschen zugehört. Er hat nicht gleich eine fertige Meinung gehabt, sondern er hat sich erzählen lassen, was ihnen am Herzen lag. Er hat ihnen das Wort Gottes so gesagt, dass sie auf ihre Fragen Antworten bekamen.

Jesus hat geheilt und er hat seine Kraft geteilt mit denen, die um ihn waren. Ich denke nur an die ansteckende Speisung der 5000. Und immer wieder hat er auf Gott hingewiesen, der der Ursprung seines Wirkens war.

„Was willst du, dass ich dir tun soll“ hat Jesus den Blinden gefragt, obwohl das doch selbstverständlich schien. Aber er sollte selber sagen, was ihm das wichtigste war. Und er hat es mit hochrotem Kopf herausgeschrien: „Ich will sehen“!

Jesus hat das Gesetz des Mose auf einen ganz einfachen Satz zusammengezogen: „Liebe Gott von ganzem Herzen und deinen Nächsten so, wie du dich selbst liebst.“ Und so einfach der Satz ist, so müsste man eigentlich lange, lange über ihn nachdenken. Gott lieben, das kann man noch gut nachempfinden, aber den Nachbarn, den, der einem über den Weg läuft, lieben, das ist schon schwerer und schon in der Bibel lesen wir, wie viele Menschen an dem Überfallenen vorbeigingen, ehe einer anhielt und ihm half. Und gar sich selbst lieben? Tausend Fehler finde ich täglich bei mir. Mich zu lieben, fällt mir schon sehr schwer. Jesus stellt uns in das Licht Gottes. Wir sind seine Geschöpfe und deshalb sollen wir das Licht der Welt und das Salz der Erde sein - und eben ein Brief, ein leicht und deutlich zu lesender Brief für unsere Mitmenschen.

Wir sind ein Liebesbrief Gottes an die, mit denen wir zu tun haben. Ein Liebesbrief Gottes an uns und an sie.

Und ganz wichtig: Der Brief besteht nicht aus Vorschriften und Bedingungen. Wenn du das nicht tust, dann ... oder wenn du das tust, dann nicht ... Gott hat den Brief in unsere Herzen geschrieben, in diese wankelmütigen, verzagten, übermütigen Herzen und die sind nicht aus Stein, sondern sie sind warm und lebendig, wie der lebendige Gott selbst. Und eigentlich könnten wir uns - aus vollem Herzen - Paulus anschließen, der einmal geschrieben hat, er könne gar nicht anders, er müsse immerfort von dem erzählen, was ihn bewegt.

Einen richtigen Schock habe ich damals bekommen, als ich vor vielen Jahren in den USA auf Menschen traf, die alles und jedes in ihrem Leben mit Gott in Verbindung gebracht haben, vom glücklich gefundenen Parkplatz bis zu den Schulnoten ihrer Kinder. Das war ich nicht gewohnt, Gott für solche Lappalien in Anspruch zu nehmen! Und das auch noch so selbstverständlich auszusprechen! Ich hatte damit meine Schwierigkeiten! Wir absolvierten damals ein Training für den Glaubenskurs „Wort und Antwort“, der ja in runderneuerter Form  angeboten wird, und mussten u. a. üben, kirchliche Begriffe in die Alltagssprache zu transferieren. Was bedeutet „Gnade“, oder „Reich Gottes“ in meinem Alltag, wo finde ich sie und was tragen sie für mein Leben aus? Eher komisch waren die praktischen Übungen an fremden Haustüren, wie wir sie aus anderen Glaubensgemeinschaften hier in Deutschland kennen. Da sollte auf Biegen und Brechen ein Gespräch über den Glauben angezettelt werden, womöglich auf dem Weg über den Hund oder die Wäsche auf der Leine. Meine Zunge wurde etwas lockerer in Glaubensdiskussionen, als ich eine Menge lernte über Hintergründe und Zusammenhänge. Dafür bin ich nach wie vor dankbar. Als ich im gleichen Jahr unsere Partner in Tansania besuchte, konnte ich gleich das Gelernte anwenden, denn mit zarten Andeutungen wird man dort nicht ernst genommen.

Trotzdem, ich gestehe es Ihnen, ich halte mich in meiner Umgebung normalerweise zurück in der Schilderung dessen, was meinen Glauben ausmacht. Trotz der guten Erfahrungen von früher und der vielen Diskussionen in unserer Synode über die missionarischen Herausforderungen. Ich will ja nicht aufdringlich erscheinen; gleichzeitig lässt sich ja nicht leugnen, dass ich in dieser Kirche aktiv bin und da werde ich schon mal gefragt, was mich denn ausgerechnet dahin zieht. Der Sitz im Stadtrat wäre zumindest lukrativer, als freiwillig und unbezahlt nahezu Vollzeit zu arbeiten.

Ob das was mit diesem unkontrollierbaren Geist Gottes zu tun hat, dass ich dann doch beginne zu erzählen, was mich zur Mitarbeit gewonnen hat und warum ich mich immer neu engagiere? Ich werde jedenfalls bei der Beschreibung und Begründung ganz eifrig und merke so richtig, wie es mir Freude macht, darüber zu sprechen. Hoffentlich bin ich als Brief dann gut verständlich und leicht lesbar, eindringlich und eben nicht aufdringlich … und nicht so trocken wie eine Buchstabenfolge! Als Synodalpräsidentin und Vorsitzende im LSA hatte ich mit Gesetzen und Vorlagen genug zu tun und weiß, dass sie auch hier in der EKD-Synode notwendig und wichtig sind. Aber manchmal habe ich das Gefühl, sie legen sich wie eine Decke über die inhaltlichen Anliegen. Und dann gibt es da noch die Worte, die gesagt werden müssen, damit sie im Protokoll nachlesbar sind. Immer mal habe ich über diese Worthülsen geseufzt.

Wie überschätzt Worte werden, habe ich auch bei der Diskussion um das Impulspapier „Kirche der Freiheit“ gemerkt. Ich habe es nie als Gesetz und Vorschrift angesehen, sondern als Funkenflug, der hier und da ein Feuer entzündet, ein Feuer der Ideen, der Erkenntnisse, der Ermutigung, ja, auch eines, das herkömmliche Vorstellungen abbrennt. Was letztendlich entsteht durch diese Impulse und ihre Fortsetzung in praktische Umsetzungen, das müssen wir Gottes Geist anheim stellen. Er ist es ja, der unsere Kirche, unsere Unternehmungen leiten und begleiten soll mit seinem unverfügbaren Wirken.

Wie sagt doch Paulus? Dass wir tüchtig sind ist von Gott, der uns tüchtig gemacht hat zu Dienern des neuen Bundes, nicht des Buchstabens, sondern des Geistes - der Buchstabe tötet, aber der Geist macht lebendig …

Wenn wir nun in diesen Tag gehen, weiter an unsere Aufgaben, an neue Herausforderungen oder mühsame Pflichten, so gehen wir als „Begeisterte“, als offene Bücher, lesbare Briefe, in denen zu lesen ist von der Güte des lebendigen Gottes, der Liebe seines Sohnes und der Begleitung seines Geistes. Gottes Segen dazu!

Ich bete mit Worten von Jan Twardowski

Dass ich dich nicht mit meiner Person verdecke,
dass ich Dich nicht störe,
   wenn Du die Patience der Sterne legst,
dass ich nicht ständig das Leiden rechtfertige,
   es geschehe - und ich bin stumm wie ein Feld,
dass ich nicht in der Bibel herumspaziere wie ein  Pfau,
nicht die Sünden zähle,
   die leichter sind als Schneeflocken,
nicht lange und ungewiss liebe,
nicht die Hände verwerfe über die Vorsehung,
dass mein Herz nicht herumtanze wie ein verbogenes Rad,
dass mir das Weihwasser nicht in den Kopf steige,
dass ich den armen Sünder
   nicht zu seinem Wohl auf den Scheiterhaufen schleppe,
dass ich nicht herumtrample auf denen, die auf halbem
   Weg zwischen Unglauben und Heil stehen bleiben,
dass ich im Schlaf nicht murre
und vor allem immer daran denke,
dass sogar den allergrößten Heiligen
wie ein armseliger Strohhalm
die Ameise des Glaubens trägt.
DARUM BITTE ICH DICH:
Amen