Predigt zum Buß- und Bettag in der Bartholomäus-Kirche in Berlin

Prälat Dr. Stephan Reimers

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes, Amen.

Liebe Gemeinde,

der Predigttext des diesjährigen Buß- und Bettages steht in der Offenbarung des Johannes im dritten Kapitel. Er gehört zu der ersten Vision, die Johannes auf der Insel Patmos schaut und in der er beauftragt wird, den sieben Gemeinden der Provinz Asien das ihm Offenbarte mitzuteilen. Dass Gottes Wort an die Gemeinde von Laodizea lautet:

"Und dem Engel der Gemeinde in Laodizea schreibe: Das sagt, der Amen heißt, der treue und wahrhaftige Zeuge, der Anfang der Schöpfung Gottes: Ich kenne deine Werke, dass du weder kalt noch warm bist. Ach, dass du kalt oder warm wärest! Weil du aber lau bist und weder warm noch kalt, werde ich dich ausspeien aus meinem Munde. Du sprichst: Ich bin reich und habe genug und brauche nichts!, und weißt nicht, dass du elend und jämmerlich bist, arm, blind und bloß. Ich rate dir, dass du Gold von mir kaufst, das im Feuer geläutert ist, damit du reich werdest, und weiße Kleider, damit du sie anziehst und die Schande deiner Blöße nicht offenbar werde, und Augensalbe, deine Augen zu salben, damit du sehen mögest. Welche ich lieb habe, die weise ich zurecht und züchtige ich. So sei nun eifrig und tue Buße! Siehe, ich stehe vor der Tür und klopfe an. Wenn jemand meine Stimme hören wird und die Tür auftun, zu dem werde ich hineingehen und das Abendmahl mit ihm halten und er mit mir. Wer überwindet, dem will ich geben, mit mir auf meinem Thron zu sitzen, wie auch ich überwunden habe und mich gesetzt habe mit meinem Vater auf seinen Thron. Wer Ohren hat, der höre, was der Geist den Gemeinden sagt!

Liebe Gemeinde, wer Ohren hat, der höre – wer Augen hat, der lese. Als ich den Vers las: "Du sprichst: Ich bin reich und habe genug und brauche nichts (...) und weißt nicht, dass du elend und jämmerlich bist", musste ich an das Thema der 14 Tage zurückliegenden EKD-Synode denken. Sie galt ja den Fragen von Armut und Reichtum; und eine biblisches Schlüsselwort dieser Synodentagung hieß: "Arm und Reich begegnen einander, der Herr hat sie beide geschaffen" (Sprüche 22,2).

"Begegnen" – wie vielschichtig das hebräische Wort ist, zeigte Frank Crüsemann in seiner einführenden Bibelarbeit. Wörtlich sagte er: "Wir begegnen uns von Person zu Person – an der Haustür, auf der Straße, aber wir begegnen uns auch in der Gestalt der gesellschaftlichen Regeln und Formen, durch Stundenlöhne, Arbeitslosengelder, Steuersätze, Sozialgesetzgebung, Schulformen... Das hebräische Wort für "begegnen" hat eine große Spannbreite. Es bezeichnet die harmlose freundschaftliche Begegnung in der Wüste (Ex 4,27), aber auch die mit einer gefährlichen und aggressiven Bärin, die ihrer Jungen beraubt ist und um sich schlägt (Hos 13,8). So unheimlich kann sogar Gott begegnen (Ex 4,24). Das deutsche Wort "treffen" hat ähnliche Assonanzen: "Du hast mich tief getroffen", sagt man. Auch das gilt: Arme und Reiche treffen einander."

Ein sehr anschauliches Beispiel für ein solches Treffen von Armen und Reichen hat dann Frau Göring-Eckardt, Vorsitzende des Vorbereitungssausschlusses der Synode vorgetragen. Sie sagte: "Was macht es wohl auf Kinder für einen Eindruck, wenn die Eltern nie morgens aus dem Haus gehen und abends müde von der Arbeit kommen? Sollen diese Eltern, die oft selbst so aufgewachsen sind, diesen Kindern sagen: schau, wie furchtbar mein Leben ist, du musst es ganz anders machen? (...) Macht es wirklich Sinn, dass wir urteilen, zum Beispiel, da könne jemand nicht mit Geld umgehen? Schließlich kann man aus Hülsenfrüchten schmackhafte Sachen kochen, die allemal günstiger sind als Fastfood. Tatsächlich, da hat dieses Hauptschulkind, das kaum lesen kann, den neuesten MP3-Player und einen Computer im Kinderzimmer. Dazu, einen Monat später, auch noch Markenturnschuhe. Dafür nie ein ordentliches Schulbrot. Da müssen wir Mittelschichtkirchgemeindeeltern doch etwas sagen: Wie es richtig wäre, nämlich: Leben wir eigentlich nie über unsere Verhältnisse? Können wir unseren Kindern nie etwas, das wir uns eigentlich nicht leisten können? Wir können das dann vielleicht relativ leicht wieder ausgleichen. Die Eltern der Kinder, die arm sind, können das nicht. Und doch wollen sie, dass ihre Kinder einmal dazu gehören. Vielleicht sogar etwas haben, was sie den anderen zeigen können, womit sie ein bisschen angeben und einmal im Mittelpunkt stehen. Unsere Haltung von dem "wir wissen schon, was gut für die anderen ist" scheint mir jedenfalls nicht in jedem Fall angebracht. Sorgen wir lieber dafür, dass auch diese Kinder eine Wahl haben. Dass sie erfahren, in einem Fach Gesundheit und Ernährung zum Beispiel, was für sie das Beste wäre. Aber erheben wir uns nicht über die, die unseren Respekt verdient haben. Ein, wie ich finde, zentraler Begriff, wenn wir über Armut sprechen: Es geht um Respekt und es geht um Würde."

Arm und Reich begegnen einander... Mich hat dieser Gedanke angesprochen, weil ich unmittelbar vor der Synode in Hamburg ein besonderes Jubiläum mitgefeiert hatte: Zehn Jahre Kirchenkaten. Vor zehn Jahren hatten sich in der Hansestadt ein Dutzend Gemeinden gewinnen lassen, neben ihrer Kirche oder dem Gemeindehaus kleine Häuschen von 18 Quadratmetern Wohnraum aufstellen zu lassen. 29 solcher Katen entstanden, um Obdachlosen einen neuen Anfang zu ermöglichen. Ein wunderbares Angebot für Betroffene, die sich vor einer Unterbringung in Sammelquartieren wie dem Pik-Ass fürchteten. In der Feier nach dem Gottesdienst in der Luruper Auferstehungsgemeinde ergriff ein Gemeindeglied das Wort und bekannte: "Ich war der Hauptgegner der Katen in unserer Gemeinde. Ich habe jede Menge Probleme gesehen: dass die Obdachlosen ihre Kumpel nachziehen und dann bei uns trinken und randalieren und wir immer wieder Stress haben. Und Krisen hat es ja auch einige geben; aber die Leute vom Kirchenkatenteam haben alle Probleme gemeistert. Nun höchstes Lob für euch. Ich habe mich geirrt. Heute bin ich stolz auf unsere Katen."

Liebe Gemeinde, Johannes Kritik an dem selbstgefälligen Reichtum der Gemeindeglieder in Laodicea wirkt bis heute in unseren Gemeinden nach. Zwei Jahrtausende ist schon über diese und ähnliche Textstellen der Bibel gepredigt worden. Ohne diesen Einfluss hätte es in Lurup wohl keine Mehrheit für die Kirchenkaten gegeben. Bestimmt ist unser Umgang mit Armut und Reichtum immer noch viel zu lau, aber die Frage lässt uns nicht mehr los.

In dem Sendschreiben an die Gemeinde in Laodicea folgt auf die Kritik des überheblichen Reichtums das Wort: "Siehe, ich stehe vor der Tür und klopfe an. Wenn jemand meine Stimme hören wird und die Tür auftun, zu dem werde ich hineingehen und das Abendmahl mit ihm halten und er mit mir" (Vers 20).

Das Wort, das Johannes an die Gemeinde weitergibt, ist eine Verheißung des auferstandenen Christus. Den Seinen in Laodicea verkündet er sein Kommen und das gemeinsame Abendmahl. Das ist zugleich eine Erinnerung daran, dass das Ende aller Tage bevorsteht. Es geht um das Festmahl in der kommenden neuen Welt. Zwar wird im vorangehenden Vers zur Umkehr aufgerufen, doch vom Gericht und vom Gerichtsschrecken ist nicht die Rede. Im Vordergrund stehen ganz das Erkennen der Stimme des Herrn und die Gemeinschaft mit ihm im Abendmahl. Obwohl das Sendschreiben nach Laodicea kritisiert und zur Umkehr aufruft, ist es am Ende ein Trostwort.

Zum Bußtag passt es sehr gut. Im Lichte des kommenden Heils werden wir eingeladen, auf unser Leben zu blicken – auch auf sein Ende, und zu fragen, was noch fehlt: Vielleicht die Zuwendung zu einem Menschen, ein lange schon aufgeschobenes Gespräch, ein wichtiger Brief, der uns auf der Seele liegt, weil er ungeschriebenen blieb. Der Blick auf die Endlichkeit verändert unsere Prioritäten. Plötzlich bekommen andere Dinge ein großes Gewicht. – Der heutige Tag zwischen dem Volktrauertag und dem Totensonntag erinnert uns auch an unsere Lieben, die uns vorausgingen – vielleicht im vergangenen Jahr oder schon früher.

Im Gedenken an sie dürfen wir uns freuen, dass wir die kommende Gemeinschaft nicht verdienen müssen durch Großtaten oder eifrigste Buße, sondern dass wir einfach hineingehen können in einen Anfang, den ein anderer angefangen hat – einfach auf seine Stimme hören. So wie wir es gesungen haben: "All Morgen ist ganz frisch und neu des Herren Gnad und große Treu; sie hat kein End den langen Tag, drauf jeder sich verlassen mag."

Amen.