"Offen für Europa - offen für andere"

Die diesjährige Woche der ausländischen Mitbürger steht unter dem Thema "Offen für Europa - offen für andere".

Überall in Europa leben heute Menschen aus unterschiedlichen Nationen, Kulturen und unterschiedlichen Bekenntnissen. Als Christen sind wir in besonderem Maße gefordert, für ein von Offenheit und Freiheit geprägtes Zusammenleben in Europa einzutreten. Wir müssen das Verständnis füreinander fördern, wir müssen Vorbehalte, Spannungen und Angst vor dem Andersartigen abzubauen helfen.

Nationalistische Grenzen verlieren bei fortschreitender Integration immer mehr von ihrer früheren Bedeutung. Zu den großen Aufgaben der Gegenwart, die eine übernationale Gemeinsamkeit erfordern, gehört nicht zuletzt die Gestaltung des Zusammenlebens der Menschheit unter Achtung ihrer Rechte und Wahrung ihrer Würde. Als erste Region der Welt hat Europa schon vor Jahrzehnten begonnen mit der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten, eine die Staaten verbindende gemeinsame Rechtsordnung zu schaffen. Auch heute ist Europa vor allem eine Rechts- und Wertegemeinschaft. Als Christen sagen wir JA zum Europa der Menschenrechte, sagen JA zu Europa als Wertegemeinschaft. Deswegen sind wir "offen für Europa". Als Christen in Europa dürfen wir nicht die Augen vor der Not der Menschen in anderen Weltregionen verschließen. Christen und alle Menschen guten Willens sind ihre Partner. Wir wollen "offen für andere" sein.

Als Zeichen wachsender Gemeinsamkeit begrüßen wir es, daß im Juni dieses Jahres Delegierte als praktisch allen europäischen Kirchen in Graz zusammenkommen, um unter dem Leitsatz "Versöhnung suchen - Leben gewinnen" über unsere gemeinsamen Aufgaben als Christen in Europa zu beraten. Wir erinnern auch daran, daß der Ökumenische Rat der Kirchen für 1997 zu einem "Jahr der Solidarität mit entwurzelten Menschen" aufgerufen hat.

Wir bitten alle Christen, die Gemeinden und Kirchen, dieses Jahr - und in besonderer Weise die Woche der ausländischen Mitbürger - zum Kontakt mit den hier lebenden Christen und Kirchen aus zahlreichen anderen Ländern zu nutzen. Eine verstärkte ökumenische Zusammenarbeit kann im wechselseitigen Kennenlernen, im gemeinsamen Gebet, in der Offenheit für die Fragen des anderen und in der Entdeckung von Gemeinsamkeiten bestehen. Auch ermutigen wir alle Christen, auf der Grundlage ihres Glaubens den Dialog mit den Mitgliedern anderer Religionszugehörigkeiten zu suchen.

An die Regierungen der EU-Staaten, die derzeit wichtige Entscheidungen über die weiteren Schritte zur vertieften Integration Europas vorbereiten, appellieren wir, daß sie Europa nicht nach außen abzuschotten suchen. Denn nicht nur die Wirtschaftsgemeinschaft, sondern auch die Wertegemeinschaft lebt vom Austausch und Dialog, von Offenheit und gerade in der Solidarität mit dem Hilfesuchenden erweist sich Europa als Wertegemeinschaft.

Angesichts der nicht gebannten Gefahren, die von Fremdenfeindlichkeit und Rassismus für unser Zusammenleben in Europa ausgehen, hat die Europäische Union für 1997 zur Beteiligung an einem Jahr gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit aufgerufen. Wir ermutigen alle Menschen, weiterhin entschlossen gegen Fremdenfeindlichkeit einzustehen, jeder Gewalt eine Absage zu erteilen und die gebotene Toleranz zu üben.

Echte Toleranz überschreitet die bloße Neugier für die Kultur des anderen, obgleich in ihr ein erster wichtiger Schritt liegen kann. Es muß unser Ziel sein, Freud und leid, Überzeugung und Hoffnungen miteinander zu teilen. Gottes versöhnendes Handeln in Jesus Christus befähigt uns, Brücken zu echter Gemeinschaft zu bauen.

Wirkliches Leben ist nur dort zu gewinnen, wo Existenz geteilt wird.

Die bevorstehende Woche der ausländischen Mitbürger soll uns hierfür Gelegenheit geben.

gez.:

Bischof Dr. Klaus Engelhardt
Vorsitzender des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD)

Bischof Dr. Dr. Karl Lehmann
Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz

Metropolit Augoustinos
Griechisch-Orthodoxer Metropolit in Deutschland