Glauben entdecken

Konfirmandenarbeit und Konfirmation im Wandel

4. Perspektiven der Arbeit mit Konfirmandinnen und Konfirmanden - zusammenfassende Thesen

  1. Die Kirche schuldet ihren jungen Mitgliedern die verständige Klarheit des Glaubens und den überzeugenden Aufweis der »Wohltaten Christi« (P. Melanchthon)

    Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) hat nacheinander zum Religionsunterricht in der Schule (1994), zur Evangelischen Erwachsenenbildung (1997) und jetzt zur Konfirmandenarbeit Stellung genommen. Sie drückt damit unmißverständlich aus, welche Bedeutung sie dem pädagogischen Handeln der Kirche zumißt, dem Verhältnis von Glauben und Bildung. Wir leben in einer Lern- und Bildungsgesellschaft, aber auch der christliche Glaube selbst dringt auf jene verständige Klarheit, zu der Bildungsarbeit beitragen kann. Es ist wichtig, in diesem Sinne die drei Äußerungen aufeinander zu beziehen und in ihrem inneren Zusammenhang zu begreifen. Die Konfirmandenarbeit ist aus einer isolierten Betrachtungsweise herauszulösen und in den Kontext anderer pädagogischer Handlungsfelder der Kirche zu stellen. Im Rahmen einer umfassenderen Theorie und Praxis kirchlicher Bildungsverantwortung will sie Jugendlichen Erfahrungen des Glaubens vermitteln, Inhalte des Glaubens erschließen und die Jugendlichen im Leben der Gemeinde beheimaten.

    Wie schon in den Ausführungen zum Religionsunterricht und zur Erwachsenenbildung geht es ebenso in der Konfirmandenzeit zukünftig um eine zweigipflige stärkere Konturierung, die gleichzeitig und damit spannungsvoll nach zwei Richtungen vorzunehmen ist. Zum einen sind noch viel entschiedener - und kompetenter - die Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen als Subjekte des Lernens ernst zu nehmen. Dementsprechend sind als Bildungsziele religiöse Selbständigkeit und christliche Mündigkeit zu fördern. In einer pluralistischen und kommunikationsoffenen Gesellschaft führt an diesem Recht auf einen eigenen Weg kein religionspädagogisches Programm vorbei. Zum anderen muß die Kirche sowohl im Felde ihrer mittelbaren pädagogischen Mitverantwortung im gesellschaftlichen Raum (Religionsunterricht, Evangelische Erwachsenenbildung) als auch in ihrer unmittelbaren Bildungsverantwortung im innerkirchlichen Bereich (wie beim Konfirmandenunterricht) kräftiger als bisher die Erfahrungen des christlichen Glaubens zu spüren geben, die »Wohltaten Christi« (P. Melanchthon).

  2. Die Kirche hat die positiven Erfahrungen und Erwartungen der Kinder und Jugendlichen ebenso wie ihre Enttäuschungen und Absagen mit ganzem Ernst zur Kenntnis zu nehmen.

    Das vorangegangene Kapitel hat gezeigt, daß es längst überfällig ist, die Kirche auch aus der Sicht der Kinder und Jugendlichen zu betrachten. Diese kirchentheoretisch-ekklesiologische Perspektive hat durch die Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland 1994 in Halle wichtige Impulse erhalten (vgl. Einleitung). Das Kirche-Sein der Kirche hängt wesentlich daran, daß und wie sie Kirche für die junge Generation und mit ihr ist und so das ganze Volk Gottes im Generationenverhältnis. Begleitung der Heranwachsenden und Erneuerung der Kirche greifen jetzt ineinander.

    Wird auf diese Weise die Kirchenfrage mit der Jugendfrage verbunden, stellt sich die Frage nach der Zukunft der Kirche in einem tieferen Sinn als nur in Form des Blicks auf prognostizierbare Zahlen, die den Mitgliederschwund registrieren, so wichtig diese sind und so genau sie bedacht werden müssen. Es genügen dann auch nicht strukturelle Überlegungen zur Konzentration, Regionalisierung und veränderten Finanzierung kirchlicher Arbeit, die sich vornehmlich den quantitativen Veränderungen verdanken. Jetzt rückt die Innenseite vor Augen. Wie erfahren und erleben junge Menschen die Kirche und welche inhaltlichen Momente spielen dabei eine Rolle?

    Werden die Jugendlichen hier - zum Beispiel vom Gottesdienst - enttäuscht (vgl. 3.3), führt dies in der Gemeinschaftsdimension christlichen Glaubens und Lebens zu einer demotivierten Kirchenbindung, selbst wenn eine selektive Beanspruchung in der Orientierungsdimension, nämlich an den Schwellen und Grenzen des Lebenslaufs, bei den Kasualien, vielfach noch erhalten bleibt (vgl. 2.2).

  3. Jugendliche haben in der Altersphase der Konfirmandenzeit erhebliche Aufgaben zu bewältigen.

    Jugendliche müssen sich von ihren Eltern lösen, sich als Mädchen und Frau, als Junge und Mann akzeptieren, ein eigenes Wertsystem aufbauen und sich bei oft ungewissen Zukunftsaussichten auf einen künftigen Beruf hin orientieren. Früher konnte man stärker davon ausgehen, daß junge Menschen in eine Sitte hineinwuchsen, die sich als dauerhaft und verläßlich erwies sowie die Einstellungen und Lebensweisen der Menschen mitbestimmte oder gar prägte. Heute leben die Menschen in einer Vielzahl unterschiedlicher Lebenswelten und Kulturen in Arbeit und Freizeit, Privatleben und Berufsrolle, Religion und Alltag, Familie und Schule. Diese Lebenswelten bilden von sich aus keinen Zusammenhang mehr. Vielmehr muß ihn der einzelne selbst für sich herstellen und dabei in einer unübersehbar gewordenen Flut von Angeboten wählen. Die Freiheit zur eigenen Entscheidung ist zugleich ein Zwang zur eigenen Entscheidung.

    Dies gilt auch für die Frage nach dem Sinn von Religion und Glauben im eigenen Leben . Selbst wenn sich Jugendliche hierbei noch auf Momente einer kirchlichen Familientradition oder einer christlich geprägten Umwelt stützen können, so kann ihnen letztlich niemand die Beantwortung dieser Frage abnehmen.

    Jugendliche werden nicht mehr selbstverständlich zum Konfirmandenunterricht geschickt. Sie finden sich dort ein. Dies verschärft ihre Erwartungen an den Konfirmandenunterricht und bedeutet für ihn Chance und Herausforderung zugleich. Er muß sich für die Jugendlichen als sinnvoll und lohnend erweisen. Geht er an ihren Interessen vorbei, nimmt er ihre Erwartungen und Fragen nicht auf, so besteht die Gefahr, daß ihre abwartend-distanzierte Haltung in Abwehr oder Lethargie umschlägt. Deswegen müssen im Konfirmandenunterricht neben den Bezügen zur Familie auch die Bindungen der Jugendlichen an Gruppen und Trends der Jugendkultur stärker berücksichtigt werden.

  4. Die Jugendlichen bringen zwar wenig konkretes Vorwissen mit, aber elementare religiöse Vorstellungen und Erfahrungen sind durchaus vorhanden.

    In der Familie verhalten sich die Eltern der Jugendlichen in der Regel freundlich-gleichgültig bis distanziert zur Kirche, und ebenso spielen in ihren anderen Lebensbereichen Religion, Glaube und Kirche selten eine Rolle. Wenn sie den Konfirmandenunterricht besuchen, betreten die Jugendlichen eine Lebenswelt, die meist nicht vertraut ist und die sich von ihren anderen Lebenswelten unterscheidet. Vielfach findet hier eine Erstbegegnung mit dem Glauben im Rahmen des Lebens der Gemeinde statt. Wo in den ostdeutschen Kirchen die Praxis der Christenlehre oder in Ost- und Westdeutschland der Kindergottesdienst und die Arbeit der Verbände und Werke Kinder erreichen, ist dies anders. Darum bleibt die Arbeit mit Kindern in der Kirche unverzichtbar, ganz abgesehen vom früh einsetzenden Religionsunterricht.

    Religionspädagogische Untersuchungen machen darauf aufmerksam, daß trotz des schwindenden religiösen Kulturwissens bei Jugendlichen durchaus religiöse Vorstellungen oder Überzeugungen, auch eine private religiöse Praxis, vorhanden sind. Sie fragen nach Sinn und Glauben. Diese »elementaren Erfahrungen und Zugänge« (s. 3.6) begegnen allerdings weniger in einem kirchlich geprägten Lebenszusammenhang und einer durch christliche Tradition geprägten Sprache oder gar in theologisch vertrauten Denkformen, sondern eher im individuellen Lebensalltag, lebensweltlich oder biographisch »verschlüsselt«.

    Das erfordert von den Unterrichtenden, auf das neugierig zu sein, was die Jugendlichen mitbringen, genau hinzuhören und wahrzunehmen . Sie müssen herausfinden, ob und wo Religion und Glaube noch eine Bedeutung für die eigene Lebenspraxis der Jugendlichen haben, und daran anknüpfen.

  5. Die Konfirmandenarbeit stellt vor hohe pädagogische Anforderungen. Sie kann nur gelingen, wenn die jungen Menschen als Partnerinnen und Partner am Unterricht selbst beteiligt sind.

    Der Konfirmandenunterricht gehört zu den kirchlichen Arbeitsfeldern, die einer starken Belastung ausgesetzt sind. Er vereinigt Jugendliche unterschiedlicher Bildungsherkunft und ist darin nicht nur von den allgemeinen Lern- und Verhaltensschwierigkeiten betroffen, die vielfach den schulischen Unterricht erschweren, sondern sein eigenes Bedingungsfeld hat sich weitgehend gewandelt. Es war notwendig, daß sich die Bemühungen um eine Neugestaltung der Konfirmandenarbeit in Ost- und Westdeutschland deshalb vor allem auf den pädagogischen Aspekt konzentrierten (vgl. 1.3). Dieses Anliegen ist weiterhin aktuell. Zwar sollen theoretisch im Konfirmandenunterricht die Lebenswelten und -interessen und die theologischen Inhalte didaktisch wechselseitig aufeinander bezogen werden. Die Praxis bleibt jedoch nach wie vor oft dahinter zurück. Die Unterrichtsstunden haften am traditionellen Stoffvermittlungsansatz, nicht selten sogar stärker, als es bei einem längst reformierten Religionsunterricht der Fall ist.

    Wenn die Schulen heute vermehrt die Lernkompetenz der Schülerinnen und Schüler fördern, das heißt ihre Fähigkeit, Lernprozesse selbst zu steuern und zu gestalten, so darf die Konfirmandenarbeit daran nicht vorbeigehen. Die Konfirmandinnen und Konfirmanden müssen mit ihren Fragen, Interessen, Wünschen und auch Widerständen beteiligt werden. Nur so wird ein eigenständiges und selbstbestimmtes Lernen gefördert, das die Voraussetzung für ein eigenes Entdecken des christlichen Glaubens bildet. Die Jugendlichen wollen nicht nur auf die Themen Einfluß nehmen, sondern ebenso mit überlegen, wie man gemeinsam etwas erlebt, Gemeinschaft hat und feiert, und sie sind auch bereit, sich hierbei zu engagieren (vgl. 3.7). Die unterrichtlichen Elemente müssen daher in einen umfassenderen Rahmen gestellt werden. Der Ansatz der wechselseitigen Erschließung nimmt die Inhalte des Glaubens ernst (vgl. 6.) und bettet die Konfirmandenarbeit in das Leben der Gemeinde ein (vgl. 7.), aber im Sinne eines von den Konfirmanden und Konfirmandinnen ausgehenden »entdeckenden Lernens«. Dem kommen liturgische und meditative Angebote, Erfahrungen der Stille, die Erschließung der symbolischen Sprache der Liturgie oder der kirchlichen Räume und anderes entgegen (vgl. 2.3 und 3.6).

    Aufgrund einer verbesserten Aus- und Fortbildung der Pfarrerinnen und Pfarrer und der kirchlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hat die Bereitschaft zugenommen, sich den pädagogischen Anforderungen der Konfirmandenarbeit zu stellen. Dennoch brauchen alle, die diese schwierige Aufgabe wahrnehmen, immer wieder neu Ermutigung und Begleitung. Nach einer Untersuchung unter Pfarrerinnen und Pfarrern in Westfalen erteilen fast die Hälfte der Befragten gern oder sehr gern Konfirmandenunterricht. Demgegenüber gaben nur 11 Prozent an, daß sie nicht gern unterrichten. Allerdings hat die Konfirmandenarbeit, wie die Untersuchung ebenfalls ergab, in der Arbeit der Pfarrerinnen und Pfarrer angesichts der Fülle gemeindlicher Anforderungen nicht die Priorität, die sie selbst für notwendig halten. Dies setzt einer Reformbemühung, die vornehmlich durch die Optimierung der pädagogischen Qualifizierungen und Rahmenbedingungen die Verbesserung der Konfirmandenarbeit erreichen will, eine Grenze, die es realistisch zu sehen gilt. Es ist daher einerseits sehr wichtig, die Konfirmandenarbeit nicht nur auf die Pfarrerinnen und Pfarrer zu konzentrieren (vgl. 7.). Andererseits müssen diese als die Verantwortlichen der Arbeit schon in ihrer universitären theologischen Ausbildung im Rahmen einer Theorie der Kirche und ihrer heutigen Aufgaben im Generationenprozeß angemessen vorbereitet werden.

  6. Die Betrachtung von Konfirmandenunterricht und Konfirmation lediglich unter pädagogischen Kategorien oder gar nur didaktisch-methodischen Gesichtspunkten reicht nicht aus. Die Konfirmandenarbeit braucht ein elementares theologisches Profil.

    Das theologisch-religionspädagogische Profil der Konfirmandenarbeit muß sich im Blick auf zwei Bezugspunkte besonders erweisen: die theologische Ausrichtung und die Jugendlichen. Dieser doppelte Bezug kann nicht einfach hergestellt werden. Welt und Glauben bilden ein Spannungsfeld. In diesem Zusammenhang eröffnet der Gedanke der Elementarisierung eine weiterführende Perspektive. In Aufnahme der elementaren Erfahrungen und Zugänge der Konfirmandinnen und Konfirmanden (vgl. 4.) geht es dabei um

    • ein elementares Verstehen der Lebensbezüge des Glaubens: Lebensbezug und Glaubensbezug sind so miteinander zu verbinden, daß der christliche Glaube den Jugendlichen sichtbar, verstehbar und befragbar wird und ihnen die Möglichkeit des eigenen Zugangs eröffnet. Dafür sollte genügend Zeit zur Verfügung stehen.
    • eine elementare Struktur des christlichen Glaubens: Die Einsichten, die anhand der einzelnen Themen und Projekte erarbeitet werden, müssen in einen größeren Bezug eingeordnet werden. Hierfür können - als Beispiel für eine elementare Erschließung des Glaubens - der Kleine Katechismus von Martin Luther oder der Heidelberger Katechismus einen Rahmen vorgeben. Der Glaube ist danach zu erschließen in seinem Schöpfungsbezug, seinem Heilsbezug und seinem Gemeindebezug.
    • eine elementare Erschließung der beiden Sakramente Taufe und Abendmahl: Hier wird in einer besonderen Weise deutlich, daß es bei der Erschließung des Glaubens nicht allein um die Momente des Verstehens und der kritischen Reflexion geht - so bedeutsam diese in der Altersphase der Konfirmandinnen und Konfirmanden sind -, sondern auch darum, daß der Glaube gefeiert und auf vielfältige Art sichtbar und lebendig wird sowie zum Mitmachen einlädt.
  7. Die Konfirmanden und Konfirmandinnen sollten die Lebensbezüge der Gemeinde kennenlernen und dort Menschen begegnen, die ihren Glauben leben und darüber Rechenschaft abgeben können.

    Die Konfirmanden und Konfirmandinnen dürfen den Glauben der Christen nicht nur als mitgeteilte Lehre antreffen, sondern müssen ihn ebenso als gelebtes Leben erfahren. Deshalb sehen neuere Konzeptionen einer »offenen Konfirmandenarbeit « vor, den gewohnten Unterrichtsraum zu verlassen. In vielen Gemeinden werden Praktika (z.B. in diakonischen Einrichtungen), Wahlkurse, Projekte und Konfirmandentage einbezogen. Auf diese Weise ermöglicht die Konfirmandenarbeit, die Lebensformen der Gemeinde kennenzulernen und zu entdecken, wie sehr Gemeinde (und hier ist nicht nur an die Ortsgemeinde zu denken) mit den unterschiedlichen Lebensbereichen zu tun hat und der Glaube auch in anderen Lebenswelten relevant wird.

    Neben dem Kennenlernen der Gemeinde ist die Frage zu bedenken, wie sich die Gemeinde an der Konfirmandenarbeit beteiligt. Hier ist die offene Begegnung mit Menschen wichtig, die den Glauben repräsentieren und sich dem Gespräch darüber stellen. Dies sind zunächst die Pfarrerinnen und Pfarrer, die den Konfirmandenunterricht erteilen. Die Konfirmandinnen und Konfirmanden sollten an ihnen wahrnehmen können, was ihnen der Glaube für ihren Beruf und für ihr Leben bedeutet, ob die Pfarrerinnen und Pfarrer Interesse und Zeit für sie haben und sich für sie einsetzen. Daneben ist es wichtig, daß sich auch andere Gemeindeglieder für die Konfirmandenarbeit zur Verfügung stellen. Neben kirchlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern (Gemeindepädagoginnen und Gemeindepädagogen, Katechetinnen und Katecheten, Gemeindediakoninnen und Gemeindediakonen) sind ebenso konfirmierte Jugendliche und Erwachsene an ihr beteiligt. Wenn es gelingt, die Eltern der Konfirmandinnen und Konfirmanden hier einzubeziehen, liegt darin eine doppelte Chance. So kann in einer umfassenderen Weise deutlich werden, wie sich Glaube und Leben verbinden. Den Jugendlichen werden mehr Identifikationsmöglichkeiten und ein breiteres Erfahrungsfeld angeboten.

    Die Konzeption des »konfirmierenden Handelns der Gemeinde« in den ostdeutschen Landeskirchen zu DDR-Zeiten bedeutete, den Konfirmandinnen und Konfirmanden Geleit in Konfliktsituationen zu geben, soweit dies Menschen möglich war (vgl. 1.1). Das galt - wenn auch unter anderen Bedingungen - ebenfalls für die Situation der Jugendlichen in Westdeutschland. Diese seelsorgerliche Dimension der Konfirmandenarbeit wird in Zukunft immer wichtiger werden.

    Man kann zusammengefaßt die Konfirmandenzeit als eine »Kundschafterfahrt im Land der Kirche« und als »symbolische Landnahme im Reich einer neuen Altersstufe« (H. Schröer) begreifen. Wenn eine solche Kundschafterfahrt gelingen soll, braucht die Konfirmandenarbeit in der Gemeinde einen tragenden Bezugspunkt, der ein »Leben, Glauben und Lernen im Generationsgespräch« (H.B. Kaufmann) ermöglicht.

  8. Die Gemeinde muß den Konfirmandinnen und Konfirmanden offene Räume anbieten und auf sie zugehen.

    Die Konfirmandenarbeit hat sich in den zurückliegenden Reformphasen stabilisiert und bewährt. Gemeinden erkennen, welchen Stellenwert die Konfirmandenarbeit innerhalb der Gemeindearbeit hat. Das gilt auch umgekehrt, denn um sich mit dem Glauben befassen, auseinandersetzen und sich ihn aneignen zu können, sind die Jugendlichen einerseits auf die Gemeinde angewiesen.

    Andererseits brauchen sie in der Gemeinde »Raum« , der den Jugendlichen - auch im Sinne eines Freiraums - offensteht und ihnen signalisiert, daß sie der Gemeinde willkommen sind. Bei aller Anerkennung der gemeindlichen Bemühungen bleibt die Notwendigkeit eines Perspektivenwechsels (vgl. Einleitung und 2.4) bestehen. In den Konfirmandinnen und Konfirmanden begegnen uns junge Menschen, die (auf Zeit) in unseren Gemeinden mitleben und darin selbst Gemeinde sind (vgl. 9.). An die Stelle von Erwartungen, die eine Gemeinde an »ihre« Konfirmandinnen und Konfirmanden richtet und die vor allem die Zeit nach der Konfirmation betreffen, muß die Frage nach den Erwartungen treten, die diese jungen Menschen an ihre Gemeinde haben. Wie werden sie wahrgenommen? Kommen sie - zum Beispiel im Kirchenvorstand - selbst zu Wort? Genießen sie nur ein »Ausbildungsrecht«, ein »Gastrecht« oder ein volles »Wohnrecht«?

  9. Die Konfirmandinnen und Konfirmanden sind selbst Gemeinde.

    Der entscheidende Aspekt besteht schließlich darin, daß die Konfirmandinnen und Konfirmanden in ihrer Konfirmandenzeit nicht nur die Gemeinde kennenlernen, sondern selbst Gemeinde sind. Sie sind als eigenständige Gruppe wichtig. Dieses Verständnis der Konfirmandenzeit dürfte unbestritten sein, wenn man die Taufe ernst nimmt. Es galt aber in einem traditionellen Konfirmationsverständnis nur eingeschränkt. Der Konfirmandenunterricht sollte in die Gemeinde einführen und mit dem Abendmahl vertraut machen; die Konfirmation war der Zielpunkt, verbunden mit der Erwartung, daß sich die Konfirmandinnen und Konfirmanden nun als »volle« Glieder der Gemeinde verstehen und erweisen möchten. Demgegenüber ist geltend zu machen: Was die Gemeinde für die Konfirmandinnen und Konfirmanden ist - und ob sie selbst sich als zur Gemeinde zugehörig verstehen wollen und können -, zeigt sich schon in der Konfirmandenzeit selbst und wie sie eigenständig entsprechend gestaltet und erprobt wird. »Die Ausrichtung der Konfirmandenarbeit auf die Zeit nach der Konfirmation und nicht auf die Zeit während des Konfirmandenunterrichts erklärt zum Teil die Krise des Konfirmandenunterrichts« (aus einer schwedischen Studie).

    Die Konfirmandenarbeit hat dem bereits Rechnung getragen. Neben dem Wochenstundenunterricht, der in der Praxis überwiegt, gehören Konfirmandenwochenenden zum festen Bestandteil der Konfirmandenarbeit. Einige Gemeinden machen gute Erfahrungen mit mehrwöchigen Ferienseminaren, andere erproben Konfirmandenarbeit in Seminarform.

  10. Die Konfirmandenarbeit muß mit der Jugendarbeit vernetzt werden.

    Soweit in den Gemeinden eine Jugendarbeit vorhanden ist, verfügen sie bereits über eigene Erfahrungen, wie mit Jugendlichen umgegangen und Gemeinde gelebt werden kann. Es wird einerseits die oft schwierige Situation des Konfirmandenunterrichts entlasten, wenn die Konfirmandenarbeit diese Erfahrungen für sich in Anspruch nimmt und sich der Jugendarbeit und ihren Formen noch stärker öffnet. Dies stellt allerdings die Pfarrerinnen und Pfarrer, welche die Verantwortung für die Konfirmandenarbeit tragen, vor neue konzeptionelle Überlegungen und die Notwendigkeit einer systematischen Teamarbeit (vgl. 7.).

    Die anzustrebende Kooperation zwischen Jugendarbeit und Konfirmandenarbeit darf aber andererseits nicht dazu führen, daß Jugendarbeit durch Konfirmandenarbeit zunehmend ersetzt wird. Vielmehr kommt es darauf an, die zeitlich begrenzte Konfirmandenarbeit mit der vor, während und nach der Konfirmandenzeit stattfindenden Jugendarbeit zu vernetzen. So kann die Arbeit mit den jungen Jugendlichen zwischen 11 und 13 Jahren die Konfirmandenarbeit vorbereiten helfen, während die Konfirmandenarbeit selbst die Jugendarbeit mit 14-18jährigen als eine mögliche Fortsetzung im Blick haben sollte. Ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Konfirmandenarbeit könnten beispielsweise nach der Konfirmandenzeit die Jugendlichen in verschiedenen Projekten der Jugendarbeit weiter begleiten und umgekehrt.

  11. In neuen Begegnungen zwischen den Generationen in der Gemeinde und in der Jugendarbeit sind die Erfahrungen der Konfirmandenzeit zu erproben und zu erweitern.

    Mit dieser These sind nochmals die Jugendarbeit, aber auch das Lernen und Leben der Gemeinde im Generationenzusammenhang angesprochen. Eltern oder Alleinerziehende und ihre heranwachsenden Kinder sollten vor allem nach der Konfirmation zusammen eingeladen werden, damit sie während eines Wochenendes, einer Ferienfreizeit oder bei einem Projekt miteinander ausprobieren und einüben, was in Familie, Nachbarschaft, Schule oder Gemeinde anschließend weiter gelebt werden kann. Den freikirchlichen Versammlungs- und Frömmigkeitsformen sowie den christlichen Bewegungen, Verbänden und Kommunitäten wird gegenwärtig abgeschaut, was innerhalb der Volkskirche die im Vergleich zur Ortsgemeinde noch kleineren, überschaubareren und damit auch sozial dichteren und menschlich näheren Formen des Zusammentreffens geistlich bedeuten. Hier erneuert sich die Kirche von unten durch phantasievolle, engagierte, von der Freude der eigenen Glaubenserfahrung erfüllte Christen, die zusätzlich zum überkommenen Gesicht der Kirche neue Begegnungsformen zwischen den Generationen und neue gemeinsame Lebensformen suchen.

  12. Zusammengefaßt: Es kommt in der Konfirmandenarbeit auf eine Verbindung unterschiedlicher Bezugsfelder an.

    • Es gehören zusammen beim Konfirmandenunterricht die eigenen Fragen, Zweifel und Entdeckungen der Konfirmandinnen und Konfirmanden und die notwendig sie befremdenden, provozierenden, befreienden Erfahrungen und Einsichten von Christen mit ihrem Glauben, überliefert seit alters her, gegenwärtig im Leben der Kirche, gebündelt in Schrift und Bekenntnis.
    • Es gehören zusammen bei der Konfirmation die Kasualie als Fest im Lebenslauf und das konfirmierende Handeln im Kontext von Tauferinnerung und Abendmahlsgemeinschaft - menschliches Geleit und Gottes Segen.
    • Es gehören nicht zuletzt die sozialen Welten zusammen, die alltäglichen Lebenswelten der Heranwachsenden (Familie, Freundeskreis, Schule, Freizeit) und die Welt einer christlichen Ortsgemeinde sowie die Begegnung mit Christen in Gemeinden an jedem Ort.

    Die didaktisch-methodische Reform der Konfirmandenarbeit muß nicht nur in elementarisierender Richtung fortgesetzt werden, es gilt vielmehr auch, eine alte Aufgabe neu zu entdecken und anzugehen: den Zusammenhang von Kirche, Gemeinde und Gottesdienst. Im Vergleich zum Religionsunterricht und zur Erwachsenenbildung in kirchlicher Trägerschaft ist die Konfirmandenzeit die potentiell unmittelbarste und dichteste Erfahrung mit der Kirche. Wenn die Gemeinden die Verantwortung für diesen Zusammenhang nicht begreifen, verfehlen sie, was sie der jungen Generation schulden. Auf allen Ebenen steht die Kirche heute vor der Frage nach ihrer zukünftigen Gestalt. In diese Frage gehört die nach der Konfirmandenarbeit zentral mit hinein. Kirchenverständnis und kirchliche Pädagogik geraten gemeinsam auf den Prüfstand. Sie sind gefragt, wohin der Weg gehen soll, und zwar zusammen mit der jungen Generation.

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