"Krieg und Frieden zu Beginn des 21. Jahrhunderts"

Öffentlicher Abendvortrag in der Martinikirche in Siegen

„Um uns wogt der Weltenkampf. Täglich hält der Schnitter Tod seine ungeheure Ernte und rafft zahllose Menschenleben hinweg. Jugendfrohe Menschen, die der Zukunft mutig ins Auge sahen, die mit ihrem Optimismus die ganze Welt zu erobern strebten, werden dem dunklen Reich des Todes überliefert. Ihr Leben erlischt, und der Kampf tobt erbarmungslos über ihren Gräbern.“

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

diese Sätze aus einem Abituraufsatz von 1915 könnten ähnlich auch heute geschrieben werden. Denken wir an den zerfallenden Irak, wo die Terrorgruppe ISIS (Islamischer Staat im Irak und Syrien) im Kampf muslimischer Sunniten gegen Schiiten auch Kindersoldaten rekrutiert. Oder an den Südsudan, wo sich die Volksgruppen der Dinka und der Nuer bekämpfen. Oder an die Ukraine oder an Nigeria oder – fast haben wir es schon vergessen – an Syrien.

Wie hat die Kirche sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts zum Krieg verhalten und was sagt sie heute dazu? Dieser Frage ansatzweise nachzugehen, habe ich mir heute Abend vorgenommen. Mein Vortrag hat drei Teile: Zunächst schaue ich kurz auf die geistige Situation in Deutschland vor und am Beginn des Ersten Weltkrieges und frage, wie insbesondere namhafte Protestanten den Krieg beurteilten. Es versteht sich von selbst, dass ich es bei wenigen Zitaten und Andeutungen belassen muss. Genaueres zu diesem Thema kommt bei der Tagung zur Sprache, in die dieser öffentliche Abendvortrag eingebettet ist. – Der zweite Teil meines Vortrags nimmt die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg in den Blick. „Krieg soll nach Gottes Willen nicht sein!“ bekannte bei seiner Gründungsversammlung in Amsterdam 1948 der Ökumenische Rat der Kirchen: Dieses Bekenntnis will ich kurz in seinem historischen Zusammenhang betrachten und es den heutigen Bedrohungen des Friedens gegenüberstellen. Ein dritter Teil wendet sich gegenwärtiger evangelischer Friedensethik zu. Grundlegend ist hier die Friedensdenkschrift der Evangelischen Kirche in Deutschland „Aus Gottes Frieden leben – für gerechten Frieden sorgen“ von 2007, deren Grundlinien ich deshalb kurz skizziere. So viel sei bereits jetzt gesagt:  Die Denkschrift ersetzt das Jahrhunderte lang gültige Paradigma vom „gerechten Krieg“ durch das Leitbild vom „gerechten Frieden“. Das ist mehr als nur eine begriffliche Spielerei! Ein kurzes Fazit wird meinen Vortrag abschließen.


I. Die Bewertung des Krieges durch deutsche Intellektuelle - insbesondere namhafte Protestanten - vor Beginn des Ersten Weltkrieges und in den ersten Kriegsjahren 

„Um uns wogt der Weltenkampf.“ So schätzt Maria, Schülerin am Viktoria-Gymnasium in Essen, in ihrem Abituraufsatz 1915 das damalige Zeitgeschehen ein. Ich lese noch etwas weiter, denn Marias Ausführungen lassen uns deutlich erkennen, was "Krieg" vor 100 Jahren für nicht wenige Menschen bedeutete:

„Grausam ist der Krieg. Doch wie kommt es, daß wir ihn mit solcher Fassung hinnehmen, daß selbst unsere Soldaten der verderbenbringenden Kugel so kühn und freudig entgegensehen? Wir führen einen Heiligen Krieg um unsere Nation und gleichzeitig um unsere Eigenart. Das deutsche Volk hat bewiesen, daß es die lebenskräftigste Nation ist. Mit Tatkraft und Mannesmut eilte am 2. August alles zu den Waffen. Millionen Freiwillige standen bereit zum Kampf fürs Vaterland. In Frankreich und England hingegen mußte man sie durch Geld anwerben. Der deutsche schwerfällige Geist hat seinen Idealismus bewahrt, er ist unberührt geblieben von dem Einfluß der französischen Überkultur, er steht dem englischen Utilitarismus fremd gegenüber. Er hat in stetem Kampfe die edlen Eigenschaften errungen, die ihn jetzt so herrlich schmücken: die Wahrheit, die Gerechtigkeit, die Treue und die tiefe Frömmigkeit. Unser innerstes Bewußtsein sagt uns, daß ein Krieg, der um solche Güter geführt wird, heilig sein und mit allen Kräften zu Ende geführt werden muß. Wir erhoffen dann als Lohn unserer Tapferkeit ein verjüngtes, kraftvolles, beispielgebendes Deutschland. [...]“

„Grausam ist der Krieg.“ Das war Maria 1915 bereits aufgegangen. Wahrscheinlich hatte  sie da bereits viele durch den Krieg körperlich und seelisch verletzte Menschen gesehen. Möglicherweise stand ihr die Grausamkeit des Krieges sehr viel deutlicher vor Augen als uns heute, die wir die Kriege der Welt aus der Ferne über die Medien wahrnehmen. Dennoch müssen in Marias Aufsatz die deutschen Soldaten für Heldengeschichten herhalten: Deutsche Soldaten kämpfen für das Überleben des Volkes. Freiwillig und nicht als gekaufte Söldner. Deutsche Soldaten kämpfen für höhere Werte wie Wahrheit und Gerechtigkeit und dies tapfer, treu und fromm. Ja, dieser Krieg ist ein Heiliger Krieg. Und was Maria in ihrem Abituraufsatz beschwört, findet sich auf den Koppelschlössern der Soldaten wieder: „Gott mit uns“.

Damit ist deutlich: Im Jahr 1915 war der Krieg nicht, wie Carl von Clausewitz es in seinem 1832 von seiner Frau publizierten Buch „Vom Kriege“ definiert hatte, „ein wahres politisches Instrument […], eine Fortsetzung des politischen Verkehrs, ein Durchführen desselben mit anderen Mitteln“. Er war kein „erweiterter Zweikampf“, um „den anderen durch physische Gewalt zur Erfüllung seines Willens zu zwingen“. Der Erste Weltkrieg wurde vielmehr – jedenfalls in seinen Anfängen – als eine Auseinandersetzung um höherer Werte willen verstanden und zum Überlebenskampf hochstilisiert.

Ob die Abiturientin Maria den Aufruf "An die Kulturwelt" aus dem September 1914 kannte, weiß ich nicht. Jedenfalls gibt es deutliche Parallelen zwischen ihrem Aufsatz und jenem Dokument. Der Aufruf „An die Kulturwelt“ spiegelt die Geisteshaltung weiter Kreise der deutschen Intelligenz wider. 93 Kulturschaffende, Wissenschaftler und Intellektuelle wie Gerhart Hauptmann, Engelbert Humperdinck und Max Reinhardt, Max Planck, Eduard Meyer und Wilhelm Wundt, sowie einige der einflussreichsten protestantische Theologen wie Adolf von Harnack, Adolf Deißmann, Adolf Schlatter und Reinhold Seeberg hatten ihn unterzeichnet. Der Aufruf bestreitet zum einen den Vorwurf der Kriegsgegner, Deutschland habe sich völkerrechtswidrig verhalten und stilisiert zum anderen den Krieg gegen Deutschland zum Kulturkampf: „Es ist nicht wahr,“ heißt es dort, „daß der Kampf gegen unseren sogenannten Militarismus kein Kampf gegen unsere Kultur ist, wie unsere Feinde heuchlerisch vorgeben. Ohne den deutschen Militarismus wäre die deutsche Kultur längst vom Erdboden getilgt. […] Wir können die vergifteten Waffen der Lüge unseren Feinden nicht entwinden. Wir können nur in alle Welt hinausrufen, daß sie falsches Zeugnis ablegen wider uns. Euch, die Ihr uns kennt, die Ihr bisher gemeinsam mit uns den höchsten Besitz der Menschheit gehütet habt, Euch rufen wir zu: Glaubt uns! Glaubt, daß wir diesen Kampf zu Ende kämpfen werden als ein Kulturvolk, dem das Vermächtnis eines Goethe, eines Beethoven, eines Kant ebenso heilig ist wie sein Herd und seine Scholle. Dafür stehen wir Euch ein mit unserem Namen und mit unserer Ehre!“

Dass ein Teil der intellektuellen Elite Deutschlands so leidenschaftlich für den deutschen Militarismus eintrat, irritiert nicht nur uns heute. Er irritierte schon damals den noch unbekannten reformierten Theologen Karl Barth, Pfarrer in dem schweizerischen Dorf Safenwil. Barth war erschüttert angesichts der Gesinnung seiner theologischen Lehrer: „Ich habe eine Götterdämmerung erlebt, als ich studierte, wie Harnack, Herrmann, Rade, Eucken etc. sich zu der neuen Lage stellten“, wie Religion und Wissenschaft „restlos sich in geistige 42 cm Kanonen verwandelten“.  Für Barth war klar: Mit der so genannten „liberalen Theologie“ seiner Lehrer konnte etwas nicht stimmen. Die liberale Theologie, die den engen Austausch mit allen damals wichtigen  Bereichen kulturellen Lebens gepflegt hatte, erschien ihm nun als verhängnisvoller Irrweg.

Karl Barth war nicht der einzige Theologe, den der Zeitgeist aufwühlte. Bereits 1911 hörten die Gemeindeglieder im Gottesdienst in der Berliner Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche die besorgte Stimme ihres Pfarrers Walter Nithack-Stahn. Am 2. September 1911 predigte Nithack-Stahn anlässlich des Sedantages über 1. Korinther 14,33: „Gott ist nicht ein Gott der Unordnung, sondern des Friedens“. Der Sedantag war der Nationalfeiertag im deutschen Kaiserreich und erinnerte an den deutschen Sieg über die französischen Truppen im Jahr 1870. In seiner Predigt geißelte Nithack-Stahn den Krieg als eine „menschliche Unordnung“, die „Gesetzlosigkeit“, „Lieblosigkeit“ und „Gottlosigkeit“ bedeutet. Ich zitiere: „Denn wo Gewalt vor Recht geht, wo der Stärkere ungehemmt das Faustrecht übt, da löst sich jede Ordnung auf. Darum nimmt der Staat dem Einzelnen das Schwert und wahrt nun sein Recht, indem er es selbst in die Hand nimmt. Und was im Volke gilt, sollte nicht auch den Völkern gelten? Gibt es zweierlei Moral, für den Einzelnen und für die Nationen? Der rohe Kampf ums Dasein, der unter den Bürgern eines Landes von höherer Gerechtigkeit gezügelt wird, er wäre unter den Erdenbürgern im Großen erlaubt? Und jedes bindende Völkerrecht auf ewig unmöglich?“ Mit diesen Äußerungen erweist sich Nithack-Stahn als Vordenker einer Ächtung des Krieges und als geistiger Wegbereiter des Völkerrechts als Friedensordnung.

Noch klarer formuliert Nithack-Stahn gemeinsam mit anderen die Forderung nach einem internationalen Friedensrecht zwei Jahre später, 1913.  Im Friedensaufruf „An die Geistlichen und theologischen Hochschullehrer der evangelischen deutschen Landeskirchen“ heißt es: „Um den Völkerfrieden zu erhalten, so sagt man uns, muss immer angespannter gerüstet werden. Aber die Tatsachen zeigen, dass, da alle Kulturstaaten das Gleiche tun, die Kriegsgefahr so nicht gemindert wird." Als Ausweg aus der Gewaltspirale von Rüstung, Gegenrüstung, Krieg und Wiederaufrüstung sehen die Autoren nur einen Ausweg: „Friede auf Erden! Verständigung der Völker über die Rechtsgemeinschaft, die das Unrecht des Krieges durch den Rechtsspruch ersetzt und den Völkern die Ethik zumutet, die zwischen den Einzelmenschen selbstverständlich ist. … Wir fordern von den Völkern christlicher Kultur das sittliche Opfer, daß sie unter Zurückstellung kriegerischen Ehrgeizes und der Gelüste gewaltsamer Eroberung einen internationalen Rechtszustand herbeiführen, der das Gewaltmittel der Waffen ausschaltet.“ Diese Gedanken sind wegweisend! Knapp 100 Jahre später wird der Rat der EKD sie in seiner Friedensdenkschrift sinngemäß aufnehmen.

3400 Theologen und Pfarrer waren gebeten worden, den Friedensaufruf zu unterzeichnen. Walter Nithack-Stahn und seine Mitstreiter mussten erleben, dass nur 395 von ihnen, also etwas mehr als 10 %, dazu bereit waren. Die große Mehrheit der Kollegen lehnte es ausdrücklich ab, für das Friedensbekenntnis einzutreten. Es sei „mit ihrer Vaterlandsliebe nicht vereinbar“, war eine Begründung. Man sei „prinzipiell gegen die Friedensbewegung“, eine andere. Eine Pfarrkonferenz meinte: „Wir alle verkündigen das Evangelium der Nächstenliebe. Wo dieses lauter und rein verkündet wird … da ist Friede“. „Weltfremdheit“ und die „Verwechslung von Gottesreich und Weltenreich“ wurden Nithack-Stahn vorgeworfen, gar ein „christliches und sittliches Recht des kriegerischen Blutvergießens“ beschworen. Walter Nithack-Stahn konnte sich also mit seinem Friedensappell von 1913 nicht durchsetzen. Die Zeit war noch nicht reif für den Gedanken des Friedens als Rechtsordnung zwischen den Völkern. Dazu bedurfte es nicht nur der Erfahrung des Ersten sondern auch noch der des Zweiten Weltkrieges.


II. Das Friedenszeugnis der Kirchen nach dem Zweiten Weltkrieg und die Friedensgefährdungen der Gegenwart

Vor dem Hintergrund der Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges formulierte die Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen 1948 in Amsterdam das berühmte Bekenntnis: „Krieg soll nach Gottes Willen nicht sein!“  – Es ist besonders dieser eine Satz, an den um den Frieden besorgte Menschen sich erinnern, wenn sie an die Vollversammlung denken. Nach den Schrecken des Zweiten Weltkrieges und des millionenfachen Mordes an Jüdinnen und Juden, an Menschen mit Behinderungen, an Sinti und Roma, an Kommunisten und an Homosexuellen in Deutschland war und ist dies ein mehr als notwendiges „Nein“ zum Krieg. Menschen aus 147 verschiedenen Kirchen aus vielen Ländern fanden zu dem Bekenntnis: „Krieg soll nach Gottes Willen nicht sein“. Es ist bis heute für die evangelische Friedensethik grundlegend und keineswegs überholt.

Mit dem Bekennntnis „Krieg soll nach Gottes Willen nicht sein.“ ist klar: Ein Heiliger Krieg, wie er noch gut drei Jahrzehnte zuvor beschworen wurde, ist aus christlicher Perspektive undenkbar.  Gleichwohl gibt es Kriege und Gewalt, denn die Welt ist – so formulierte es 1934 die fünfte These der Barmer Theologischen Erklärung – noch nicht erlöst. Erst am Ende dieser Weltzeit wird sich erfüllen, was der Prophet Jesaja und der Seher Johannes schauten. Bei Jesaja heißt es im 2. Kapitel: „Dann werden die Völker ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre Spieße zu Sicheln machen. Denn es wird kein Volk wider das andere das Schwert erheben, und sie werden hinfort nicht mehr lernen, Krieg zu führen. Kommt nun, ihr vom Hause Jakob, lasst uns wandeln im Licht des Herrn.“

Was für eine Verheißung! Schwerter werden zu Pflugscharen umgeschmiedet und Spieße zu Sicheln ... Jesajas Worte berühren uns in diesen Zeiten ganz besonders. Eines Tages werden wir Worte wie „Terror“, „Selbstmordattentat“, „Krieg“, „Geiselnahme“ oder „Vertreibung“ nicht mehr zu buchstabieren wissen, weil die Menschen all das verlernt haben werden!

Ähnlich empfinden wir, wenn wir im 21. Kapitel der Offenbarung des Johannes lesen: „Siehe da, die Hütte Gottes bei den Menschen! Und er wird bei ihnen wohnen und sie werden sein Volk sein und er selbst, Gott mit ihnen, wird ihr Gott sein; und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein; denn das Erste ist vergangen.“ (Offenbarung 21, 3f.)

Aber – wie gesagt – noch ist die Welt nicht erlöst. Noch herrschen vielerorts Gewalt und Krieg. Das bedeutet nicht, dass der Krieg so etwas wie ein Naturgesetz wäre, dem wir Menschen nichts entgegensetzen könnten und müssten. Das zeigt schon die Vision des Jesaja, die mit einem Friedensappell endet: „Kommt nun, ihr vom Hause Jakob, lasst uns wandeln im Licht des Herrn.“ Das Bemühen um den Frieden muss aber dem Umstand, dass die Welt noch nicht erlöst ist, Rechnung tragen. Eine Friedensethik, die das nicht tut, ist weltfremd und überlässt die Opfer von Gewalt sich selbst.

Eine Friedensethik, die um die noch nicht erlöste Welt weiß, nimmt zunächst die aktuell existierenden Gefahren und Konflikte nüchtern in den Blick. Deshalb hat die erste Vollversammlung des Ökumenischen Rates neben dem grundlegenden Bekenntnis zum Frieden weitere wichtige Leitsätze formuliert. 1. „Um des Friedens willen muss den Ursachen der Spannungen zwischen den Mächten zu Leibe gegangen werden.“ 2. „Die Völker der Welt müssen sich zu der Herrschaft des Rechts bekennen“, und 3.: „Die Beachtung von Menschenrechten und Grundfreiheiten muss durch nationale und internationale Maßnahmen gefördert werden."  Die Friedensdenkschrift des Rates der EKD wird diese Gedanken sechzig Jahre später aufnehmen und fortführen.

Vieles hat sich seit 1948 zum Besseren gewendet. Das Ende des Ost-West-Konfliktes und der Abbau von Truppen und Waffensystemen in Mitteleuropa haben die Gefahr eines Krieges in unserer Region deutlich verringert. Die sukzessive Erweiterung der Europäischen Union hat einen Raum von befreundeten Staaten von Portugal bis weit in den Osten Europas hinein geschaffen. Trotz aller Herausforderungen, die etwa mit einer Erweiterung der Europäischen Union durch die ehemaligen Konfliktparteien Kosovo und Serbien verbunden sind: Es ist unwahrscheinlich, dass Staaten innerhalb der Europäischen Union gegeneinander Krieg führen. Leider mussten wir aber in diesem Jahr auch erleben, dass die Erweiterung der Wertegemeinschaft der Europäischen Union von Russland als Bedrohung empfunden wurde und längst überwunden geglaubte politische und militärische Reflexe auslöste.

Letzteres zeigt, dass wir von der Weltfriedensordnung, wie sie uns die Visionen des Propheten Jesaja und des Sehers Johannes vor Augen halten, noch weit entfernt sind. Ich nenne stichwortartig einige neue Entwicklungen, die den Frieden gefährden:

- Es gibt auf der Welt immer mehr Staaten, die ihre Souveränitätspflichten gegenüber ihren Bürgern nicht erfüllen, also als Failed States einzustufen sind. Der Failed-States-Index des Fund for Peace  von 2014 weist gegenüber dem Vorjahr neben Somalia und der Demokratischen Republik Kongo drei weitere Staaten, nämlich den Sudan, den Südsudan und die Zentralafrikanische Republik als höchst gefährdet aus. In elf Staaten gilt der Zustand als sehr alarmierend, darunter Afghanistan, Irak und Syrien, in weiteren 18 als alarmierend. (Ich vermute, dass die aktuellsten Entwicklungen in dieses Ranking noch nicht eingearbeitet sind.)

- Neue Kriege werden begonnen – viele von ihnen können wir „als Folge von Modernisierungskrisen, insbesondere von Schockmodernisierungen“ betrachten. „Diese Konflikte zwischen frühen und späten Modernisierern sind nicht zu Ende.“  Nach dem Krieg in Libyen, an dem die Bundesrepublik Deutschland aus guten friedensethischen Gründen nicht beteiligt war, herrscht nun seit mehr als drei Jahren in Syrien Bürgerkrieg. Mehr als 2,6 Millionen Menschen sind aus Syrien geflohen, innerhalb Syriens sind weitere 9 Millionen Menschen auf der Flucht. Die Vereinten Nationen bezeichneten am Anfang des Jahres die Flüchtlingskrise in Syrien als die schlimmste seit dem Völkermord in Ruanda. Der Konflikt hat sich inzwischen auf den Irak ausgeweitet. Im Irak zeigt sich, dass Staaten, die in einem Land militärisch eingegriffen haben, sich danach nicht einfach zurückziehen können sondern zu langfristiger nicht-militärischer Unterstützung verpflichtet sind. Das wird die internatonale Gemeinschaft auch im Blick auf Afghanistan zu bedenken haben.

- Der internationale Terrorismus stellt eine voraussichtlich bleibende „asymmetrische Bedrohung“ besonders der westlichen Welt dar. Aber Terrorismus gilt nicht allein der westlich geprägten Kultur: So kämpft die sunnitische Terrorgruppe ISIS mit größter Brutalität gegen die schiitischen Glaubensbrüder und -schwestern. Verfolgung aus religiösen Gründen trifft Gläubige aller Religionen.

- Ganz neue Fragen werfen Cyber-Bedrohungen auf. Anfang März 2013 empfahl eine Expertengruppe in London 95 Verhaltensrichtlinien für die Anwendung von internationalem Recht bei Cyber-Krieg. Im sogenannten „Tallinn Handbuch“ , das im Auftrag der NATO erarbeitet worden ist, wird der NATO empfohlen, dass Hacker, die durch virtuelle Kriegsführung konkret Menschenleben gefährden, ihren Status als Zivilperson verlieren. Sie werden nach Ansicht der Autoren des Berichts zu Kombattanten, das heißt legitimen Angriffszielen und können also militärisch angegriffen werden.

- Auch die Bedrohung durch Massenvernichtungswaffen ist noch nicht beendet, im Gegenteil: Es ist nicht auszuschließen, dass Terroristen solcher Waffen habhaft werden, denn die Herstellung chemischer Waffen ist relativ einfach.

- Eine massive Bedrohung des Weltfriedens ist darüber hinaus die Tatsache, dass Millionen Menschen eine gerechte Teilhabe an den Gütern dieser Welt verwehrt ist. Armut und Ungerechtigkeit führen nachweislich an vielen Orten der Welt zu gewaltsam ausgetragenen Konflikten.

- Auch der Klimawandel ist ein Bedrohungsmultiplikator, weil er besonders die Ärmsten trifft und voraussichtlich enorme Migrationsbewegungen mit den entsprechenden Folgen in Gang setzt. Die Begrenztheit der Ressourcen Energie und Wasser stellt ebenfalls vor erhebliche Herausforderungen.

„Krieg soll nach Gottes Willen nicht sein.“ Das stimmt. Angesichts des Besorgnis erregenden Zustandes der noch nicht erlösten Welt genügt es jedoch nicht, bei der Ächtung des Krieges stehen zu bleiben. Was wir brauchen, ist eine positive Vorstellung dessen, was Frieden bedeutet. Wir brauchen eine Friedensvision, die unsere friedlose Wirklichkeit aufmerksam wahrnimmt, dieser aber nicht das letzte Wort überlässt.

Dieser Paradigmenwechsel  bestimmt die friedensethische Diskussion der beiden großen christlichen Kirchen in Deutschland etwa seit dem Jahr 2000. Die Evangelische Kirche in Deutschland spricht seit Veröffentlichung der Friedensdenkschrift von 2007 programmatisch vom „gerechten Frieden“ und stellt damit die althergebrachte Perspektive vom „gerechten Krieg“ auf den Kopf.


III. Friedensethik am Beginn des 21. Jahrhunderts: Die Vision des gerechten Friedens als internationale Rechtsordnung

„Aus Gottes Frieden leben – für gerechten Frieden sorgen“ lautet der Titel der Friedensdenkschrift des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) vom November 2007. Frieden, so die Denkschrift, ist keine Selbstverständlichkeit. „Ihn zu wahren, zu fördern und zu erneuern ist eine immerwährende Aufgabe.“ (1) Dazu sollen alle Staatsbürger beitragen, jeder an seinem Ort. Ganz besonders aber ist die Friedensverantwortung jenen Menschen übertragen, die entweder im Rahmen der zivilen Friedensdienste oder als Soldaten der Bundeswehr Dienst tun. Das Ziel der Friedensbemühungen ist der gerechte Frieden, nicht nur die Abwesenheit von Krieg.

Was ist mit dem Begriff „gerechter Frieden“ gemeint? Gemeint ist, dass Frieden, Recht und Gerechtigkeit zwar voneinander unterschieden werden können, sachlich aber untrennbar zusammen gehören. Wer sich nachhaltig für Frieden einsetzen will, muss sich demnach für eine umfassende Weltfriedensordnung engagieren und auch für weltweite soziale, ökologische und ökonomische Gerechtigkeit eintreten. Nur in solch einer weiten Perspektive lässt sich angemessen über den Frieden in der Welt nachdenken und wirksam der Gewalt vorbeugen. Deshalb nennt die Friedensdenkschrift folgende Faktoren, die den Prozess eines gerechten Friedens fördern können und sollen: 1. Schutz vor Gewalt, 2. Förderung von Freiheit, 3. Abbau von Not und 4. Anerkennung kultureller Vielfalt.

Diesen Faktoren entsprechend werden an eine globale Friedensordnung, die zugleich Gültigkeit als Rechtsordnung beansprucht, folgende Aufgaben gestellt:

- ein funktionsfähiges System kollektiver Sicherheit,
- die Gewährleistung der universellen und unteilbaren Menschenrechte.
- Mindestbestimmungen transnationaler Gerechtigkeit und
- die Ermöglichung kultureller Vielfalt.

Soll nun das ethische Leitbild des gerechten Friedens nicht nur eine Vision bleiben, sondern die Wirklichkeit unserer Welt konkret zum Besseren hin verändern, bedarf es zu seiner Realisierung des Rechts. Das Leitbild des gerechten Frieden „ist deshalb zu konkretisieren in Institutionen, Regeln und Verfahren eines international vereinbarten Rechtszustands, der friedensethischen Anforderungen genügt.“  Da das Recht seine friedenstiftende Funktion aber nur dann entfalten kann, wenn jeder, das heißt auch der Schwächste, auf die Durchsetzung seiner legitimen Rechtsansprüche vertrauen kann, muss das Recht notfalls gegen das illegitime „Recht des Stärkeren“ durchgesetzt werden. Innerstaatlich übernimmt die Polizei diese Aufgabe mit moderaten Gewaltmitteln. Die Friedensdenkschrift hält in bestimmten Fällen auch internationale rechtserhaltende Gewalt für legitim. Gegebenenfalls sei international anerkanntes Recht mit militärischer Gewalt durchzusetzen; dabei handele es sich um eine Art internationale Polizeiaktion.  Allerdings darf die Androhung und Anwendung militärischer Gewalt nur ultima ratio sein, sie muss also als äußerstes Mittel erforderlich sein, insofern alle anderen geeigneten gewaltärmeren Mittel voraussichtlich nicht die beabsichtigte notwendige Wirksamkeit erzielen. 

Die Friedensdenkschrift hält die Androhung und Ausübung militärischer Gewalt zur Durchsetzung des Rechts und zur Wahrung des Friedens – allerdings nur unter eng gefassten Voraussetzungen – für ethisch vertretbar. Sie nimmt dabei Bezug auf die Charta der Vereinten Nationen, die den Krieg als zwischenstaatliches Mittel der Politik grundsätzlich ächtet, aber auf der Basis des allgemein anerkannten Rechts auf Notwehr und Nothilfe zwei Ausnahmen vom allgemeinen Gewaltverbot zulässt:

Die eine Ausnahme stellt das Recht der Staaten auf individuelle oder kollektive Selbstverteidigung dar, „bis der Sicherheitsrat die zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit erforderlichen Maßnahmen getroffen hat.“

Die andere Ausnahme, die die Charta nennt, kommt dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen zu. Er hat das Recht, die Sanktionsgewalt gegen Einzelstaaten wahrzunehmen, denen die Gefährdung des Weltfriedens oder der internationalen Sicherheit nachzuweisen ist. Allerdings darf hier nur auf der Grundlage eines UN-Mandates (Art. 39 und Art.48) gehandelt werden.

Eine dritte Ausnahme diskutiert die Friedensdenkschrift unter dem Stichwort „kollektive Schutzmaßnahmen bei innerstaatlichen Bedrohungen“ – das heißt der Anwendung militärischer Gewalt aus humanitären Gründen. Im Rahmen des Konzepts der Schutzverantwortung, der Responsibility to Protect, sind militärische Zwangsmittel nur nach rechtmäßiger Autorisierung durch die Vereinten Nationen als eine Art internationaler Polizeiaktion nach den Regeln der UN-Charta denkbar.

Das Konzept der Schutzverantwortung ist ein nicht zu unterschätzender Schritt zu mehr Verantwortung der Staaten für den Frieden. Es wurde nach den erschütternden Erfahrungen in Ruanda und Srebrenica durch eine International Commission on Intervention and State Sovereignty (ICISS) erarbeitet, die auf Anregung des damaligen Generalsekretärs der Vereinten Nationen, Kofi Annan, durch die Kanadische Regierung eingerichtet wurde. Die Kommission definierte 2001 das Grundprinzip der Schutzverantwortung (Responsibility to Protect) in zwei Hinsichten: Erstens sei die Souveränität eines Staates mit der Verantwortung für den Schutz seiner Bürgerinnen und Bürger verbunden. Zweitens habe die internationale Gemeinschaft eine Schutzverantwortung, wenn ein Staat der aus seiner Souveränität abgeleiteten Schutzverantwortung selber nicht nachkommen könne oder wolle. Die internationale Schutzverantwortung wird dabei dreigliedrig gedacht: eine Verantwortung zur Verhütung von Gewalt (responsibility to prevent), eine Verantwortung zur Reaktion bzw. Intervention gegen Gewalt (responsibility to react) und eine Verantwortung zum Wiederaufbau (responsibility to rebuild). Intervention wird dabei zunächst in Form von Diplomatie, konkreter staatlicher Unterstützung und ggf. Sanktionen verstanden – und erst in letzter Konsequenz militärisch gedacht. Verantwortlich für eine militärische Intervention sei grundsätzlich der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen – sollte der aber in seiner Entscheidung blockiert sein, könne alternativ auch die Generalversammlung oder eine Regionalorganisation innerhalb des Zuständigkeitsbereiches der Vereinten Nationen an Stelle des Sicherheitsrates autorisieren.

Die UN-Generalversammlung von 2005 nahm das Schutzverantwortungskonzept in ihre Resolution über das Ergebnis des Weltgipfels der Vereinten Nationen auf, obwohl keine Einigkeit bestand, ob der Resolution eine völkerrechtliche Bindung zukommt. Neu ist, dass die Generalversammlung eine Schutzverantwortung jedes einzelnen Staates sieht, seine Bevölkerung vor vier Verbrechen, nämlich Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Völkermord, Kriegsverbrechen und ethnischer Säuberung zu schützen. Darüber hinaus hat die internationale Gemeinschaft die Verantwortung, jeden Staat zu ermutigen, Verantwortung zu übernehmen und ihn konkret zu unterstützen. Sie kann diplomatische, humanitäre und andere friedliche Mittel ergreifen, um einen entsprechenden Schutz zu gewährleisten. Zusätzlich sind aber auch kollektive gewaltsame Maßnahmen durch den Sicherheitsrat gemäß Kapitel VII der Charta denkbar.

Das Konzept der Schutzverantwortung leistet am Beginn des 21. Jahrhunderts erstens eine Neudefinition des Souveränitätsbegriffs, indem staatliche Souveränität mit einer Schutzverpflichtung gegenüber den eigenen Bürgern verschränkt wird. Damit wird ein Votum der Schlussakte von Helsinki fortgeführt, wonach „die Achtung der Menschenrechte für keinen Staat mehr eine rein innere, durch die Souveränität geschützte Angelegenheit ist“  Ein Eingreifen von außen stellt somit nicht grundsätzlich einen verbotenen Eingriff in die staatliche Souveränität dar, sondern kann als Maßnahme zur Wiederherstellung der vollen Souveränität eines Staates betrachtet werden. Zweitens nimmt die Responsibility to Protect die globale Sicherheitsvernetzung ernst, indem sie der Staatengemeinschaft nicht nur eine Verantwortung für den Krisenfall der Menschenrechtsverletzung zuweist, sondern auch in der vorlaufenden und der nachlaufenden Phase, also bei der Prävention und dem Wiederaufbau nach einer Intervention. Die Verantwortung für den Wiederaufbau, der die Entwaffnung der Konfliktparteien, den Aufbau einer Zivilverwaltung und die Schaffung eines Rechtssystems umfasst, stellt ein völkerrechtliches Novum dar.

Bemerkenswert ist allerdings, dass das Ergebnisdokument des VN-Weltgipfels von 2005 drei vormals enthaltene Aspekte des Konzeptes zur Schutzverantwortung nicht übernommen hat: erstens die Einschränkung des Monopols der Gewaltlegitimierung des Sicherheitsrates durch die Generalversammlung der Vereinten Nationen, zweitens die Eingreifpflicht der internationalen Gemeinschaft und drittens die Responsibility to Rebuild, die Verantwortung der Weltgemeinschaft für den Wiederaufbau. Drei Einschränkungen, die zweifellos den machtpolitischen Wirklichkeiten geschuldet sind, zugleich aber die Glaubwürdigkeit der Vereinten Nationen als eines zentralen Bausteins einer internationalen Sicherheits- und Friedensarchitektur beeinträchtigen.

Als gemeinsame Überzeugung der Vereinten Nationen und der Autoren der Denkschrift lässt sich festhalten, dass militärische Gewalt nie gerechten Frieden schafft, sondern bestenfalls der Politik die notwendige Zeit „kauft“, um ihrerseits mit den zivilen Mitteln der gewaltfreien Konfliktarbeit einen gerechten Frieden zu ermöglichen. Daher müssen, so die Friedensdenkschrift, „militärische Maßnahmen […] Bestandteil einer kohärenten Friedenspolitik unter dem Primat des Zivilen bleiben.“  Nur in der Kooperation mit zivilen Friedensdiensten kann ein militärischer Einsatz erfolgreich sein.  Hierzu müssen dann aber auch die nötigen Mittel für die zivile Friedensarbeit zur Verfügung stehen, was bislang nicht der Fall ist – weder auf nationaler Ebene noch auf der Ebene der Vereinten Nationen. Deren Mittel für Friedenseinsätze im Jahr 2012 betrugen lediglich 0,5 % der Ausgaben der weltweiten Verteidigungsausgaben. 

IV.  Fazit

War der Krieg vor 100 Jahren nicht nur salonfähig, sondern sogar ein Katalysator zur Durchsetzung des weltlichen und religiösen Zeitgeistes, so ist er nach der Erfahrung zweier verheerender Weltkriege kein Mittel staatlicher Auseinandersetzung mehr. Das formale Verbot der Kriegsführung hat jedoch die Gewalt nicht aus der Welt verbannt. Auch wenn gegenwärtig keine militärischen Schlachten geschlagen werden – militärische und militarisierte Gewalt, ob in staatlich legitimierter oder terroristisch-illegitimer Form, bleibt eine Realität. Die Opfer dieser Gewalt rufen um Hilfe. Eine Intervention von außen kann nach breiter evangelischer und auch katholischer Überzeugung friedensethisch begründet sein – im äußersten Fall auch mit militärischer Gewalt. Nichts anderes hat übrigens Bundespräsident Gauck in seiner Rede vor der Münchner Sicherheitskonferenz im Januar und kürzlich noch einmal in einem Interview gesagt. Ob freilich im konkreten Fall die oben genannten Legitimitätskriterien für den Einsatz von Gewalt, zumal militärischer Gewalt erfüllt sind, dürfte immer wieder strittig sein. Das haben wir gesehen, als die Kammer für Öffentliche Verantwortung der EKD unlängst den Einsatz in Afghanistan friedensethisch beurteilen sollte. Wendeten wir die von der Friedensdenkschrift genannten Kriterien auf den Konflikt im Irak, in Nigeria, im Sudan, in Syrien an, wäre auch hier ein Konsens kaum zu erwarten. Ob dies an den Kriterien selber liegt  oder an ihrer unangemessenen Verwendung im ethischen Beurteilungsprozess oder an der Komplexität des Anwendungsfalls, ist meines Erachtens noch nicht eindeutig geklärt. Möglicherweise ist aber ein unüberwindlicher Dissens in ethischen Fragen auch Ausdruck unserer menschlichen Begrenztheit in der noch nicht erlösten Welt.

Wie wir uns angesichts der dramatischen gegenwärtigen und künftigen friedensethischen Herausforderungen verhalten, darüber werden wir weiter streiten müssen. Christen werden den Ruf nach der Übernahme von mehr Verantwortung in der Welt zuerst und vor allem nicht-militärisch interpretieren. Sie werden für Gerechtigkeit und Recht auf der ganzen Welt eintreten und Mittel für Gewaltprävention und gewaltfreie Intervention fordern bzw. bereitstellen. Dabei werden sie sich von der Vision des gerechten Friedens leiten lassen. Einhundert Jahre nach dem Ausbruch des ersten verheerenden Krieges der Moderne zitiere ich noch einmal Worte des damaligen Pfarrers an der Berliner Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche Walter Nithack-Stahn: "Friede auf Erden! Verständigung der Völker über eine Rechtsgemeinschaft, die das Unrecht des Krieges durch den Rechtsspruch ersetzt und den Völkern die Ethik zumutet, die zwischen den Einzelmenschen selbstverständlich ist.“