Aufbruch in die Fremde - Zuwanderung als Normalität, der wir uns stellen müssen

Juni 2010 - OKRin Katrin Hatzinger, Gemeindebrief Brüssel

Migration geschieht. Flucht, Vertreibung und Wanderung haben seit jeher die Menschheitsgeschichte geprägt. Auch in der Bibel begegnen uns Menschen, die aus den verschiedensten Gründen wie Hungersnot oder Bürgerkrieg den Aufbruch in eine ungewisse Zukunft wagen. Die Israeliten selbst waren Flüchtlinge und diese Erfahrung wird zum Gebot: „Ihr sollt euch gegen den Fremdling, der sich bei euch aufhält, benehmen, als wäre er bei euch geboren, und du sollst ihn lieben wie dich selbst; denn ihr seid auch Fremdlinge in Ägypten gewesen.“ (3. Mose 19:34).

Generell gilt, dass der weitaus größte Teil der weltweiten Wanderungsbewegungen in und zwischen armen Ländern stattfindet und sich in sehr unterschiedlicher Weise auf die Weltregionen verteilt. Es ist abzusehen, dass diese Wanderungsbewegungen aufgrund der wirtschaftlichen Globalisierung, von Kriegen und Umweltkatastrophen zunehmen werden. Wir müssen diese Realität anerkennen und uns darauf einstellen.

Der Umgang mit den Fremden ist und bleibt dabei stets auf´s Neue eine Herausforderung für alle: Man muss miteinander umgehen lernen, einander kennen lernen, sich aber auch aneinander reiben und auseinandersetzen. Das kann mühsam sein. Das kann konfliktträchtig sein. Das Wort von Max Frisch zu den italienischen Gastarbeitern in der Schweiz: „Man hat Arbeitskräfte gerufen, und es kamen Menschen“, bringt es auf den Punkt. Zuwanderer bringen ihre Sprache, Religion, Kultur, Tradition in die „neue Heimat“ mit. Es sind Menschen wie Du und ich und doch wieder ganz anders als wir. „Es herrscht Konjunktur, aber kein Entzücken im Lande“, so Frisch weiter. Gerne gerät in Vergessenheit, dass ohne Zuwanderer, oft übrigens gerade die irregulär aufhältigen, bestimmte Branchen, etwa Bau, Gastronomie, Pflege oder Landwirtschaft gar nicht auskommen könnten.

Dazu kommt der demographische Wandel. „Deutschlands Bevölkerung nimmt ab, die Menschen in unserem Land werden immer älter“. Unter dieser Überschrift hat das Statistische Bundesamt am 18. November 2009 die Ergebnisse der 12. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung bis 2060 vorgestellt. Der nordrhein- westfälische Integrationsminister Armin Laschet spricht angesichts dieser Prognosen von der Herausforderung, eine „dritte deutsche Einheit“ zu gestalten. „Nur wenn es uns gelingt, diejenigen unter uns, die eine Zuwanderungsgeschichte haben, zu wirklichen Teilhabern dieses Staates zu machen, nur wenn sie Träger des eigenen und Motor des gesellschaftlichen Aufstiegs werden, kann auch diese dritte deutsche Einheit gelingen“ (FAZ, 21.Oktober 2009).

Auch unsere Kirche sollte sich diesen Entwicklungen nicht verschließen, sondern sie als Chance begreifen, sich auf verschiedenen Ebenen in die Debatte um Migration und Integration einzubringen: in der politischen Auseinandersetzung für die Rechte von MigrantInnen, als Impulsgeberin in die Gesellschaft für eine Zusammenleben in Klarheit und guter Nachbarschaft und in der Gemeindearbeit vor Ort. Migration, Integration und kultureller bzw. religiöser Pluralismus, das sind die Themen, die unsere Zukunft bestimmen werden und die uns deshalb nicht gleichgültig lassen dürfen. Dabei kann Kirche zu einer Versachlichung der Debatte beitragen, muss aber auch den Raum schaffen, Probleme im Zusammenleben klar zu benennen.
Was die Zusammenarbeit mit christlichen Gemeinden fremder Sprache oder Herkunft anbelangt, so sollte sie noch mehr zu einer Selbstverständlichkeit im kirchlichen und ortsgemeindlichen Alltag werden. In einer Handreichung gibt die EKD konkrete Anregungen zur Zusammenarbeit mit internationalen Gemeinden, die auch heute relevant sind.  Kirchengemeinden spielen eine wichtige Rolle, wenn es darum geht, sich dem Fremden verpflichtet zu fühlen, einladend und gastfreundlich zu sein. Das geschieht an vielen Orten bereits auf vielfältige Weise in Umsetzung des diakonischen Auftrags der „Kirche für andere“, sei es durch Sprachpatenschaften, die Zusammenarbeit mit Migrantengemeinden, die Migrationsdienste oder Projekte der Nachbarschaftshilfe. Ökumenische Offenheit und Dialogbereitschaft können dazu beitragen, Menschen nach dem Aufbruch ins Ungewisse ein „Ankommen“ in der Mitte der Gesellschaft zu erleichtern.